Читать книгу Liebesengel küssen nicht - Ewa A. - Страница 10

KAPITEL 7

Оглавление

DER CHEF DER CUPIDA-LEGION

Mit festen Schritten laufe ich auf Phileas‘ Tür zu. Ich nehme mir vor, mich diesmal nicht von seinem Auftreten verunsichern zu lassen. Irgendwie schafft es mein Chef, mich jedes Mal in ein stammelndes Würstchen zu verwandeln. Bisher bin ich noch nicht richtig dahintergekommen, wie er das bewerkstelligt, denn sobald ich ihn anschaue, staune ich über die Perfektion seiner Erscheinung und vergesse, was ich wollte.

Eigentlich sollte ich jeden Blickkontakt mit ihm meiden. Genau, am besten würde ich dieses Treffen überstehen, wenn ich unentwegt auf den Boden starre. Auf diese Weise könnte ich ihm ungehindert meine Wut entgegenschreien … so abprallend vom Boden … im steilen Winkel … nach oben, wie bei einem Billardspiel. Unter keinen Umständen darf ich mich aus dem Konzept bringen lassen. Ich bin eine wütende Cupida. Jawohl!

Mit diesem Vorsatz klopfe ich vehement gegen die Bürotür meines Chefs und trete, frech wie ich bin, ohne Aufforderung ein. Schließlich bin ich voll in Fahrt und nutze meinen Elan.

»Phileas!«, setze ich sogleich in scharfem Ton an, damit er sofort weiß, was Sache ist. Bewusst halte ich meinen Kopf gesenkt und fahre fort in meiner wütenden Rede. »Wieso steht von dem Eristen, der bei Jonas Kinz rumhängt, nicht ein Sterbenswörtchen in deinem Bericht? Wieso lässt du mich dermaßen ins Messer laufen?«

Ich stoße die Tür hinter mir zu und starre auf die verchromten Füße seines Schreibtischs. Nein, ich werde mich nicht setzen und damit in eine unterlegene Position begeben.

Ohne mich darum zu kümmern, wie bescheuert ich vermutlich aussehe, wenn ich seinen Schreibtisch anwettere, ereifere ich mich weiter. »Und jetzt komm mir bloß nicht damit, dass du von dem Teufelskerl nichts gewusst hättest. Der Erist hat nämlich Jonas diese neue Arbeitsstelle besorgt, und macht den Eindruck, als wäre er ein langjähriger Freund von ihm. Also, was zur Hölle, wird hier gespielt?«

Von Phileas kommt kein einziger Ton. Nach wie vor stiere ich auf die Chromfüße, als langsam zwei schneeweiße Herrenschuhe in mein Sichtfeld geraten. Ich traue mich, den weißen Hosen lediglich bis zum Knie zu folgen. Höher will ich meinen Blick nicht schweifen lassen.

»Evodie?«, höre ich Phileas‘ Stimme, die in meinen Ohren so geschmeidig klingt, wie goldener Honig, der sacht in ein Glas fließt. Sanft, schwingend, zuckersüß. Einfach unwiderstehlich. Es ist wie ein Zwang, der mich unbedingt dorthin schauen lassen will, woher die Stimme rührt. Ich wehre mich, doch erneut werde ich von seinem Timbre zart eingelullt. »Evodie, sieh mir in die Augen!«, befiehlt mir Phileas schmeichelnd.

Ich will es nicht, und doch kann ich nichts dagegen unternehmen. Allmählich kriechen meine Augen die Männerbeine hoch. Phileas‘ schlanke Statur wirkt wie gemacht für den strahlend weißen Herrenanzug. Alles an ihm ist blütenrein: die Hose, das Hemd, das Jackett, sogar die Krawatte. Obwohl in seinem Büro die Möbel ebenfalls weiß sind, wie überall in der Cupida-Leitstelle, erscheint mein Chef noch weißer. Rein leuchtend. Wie macht der Kerl das bloß? Groß und elegant, bis in die gegelten Haarspitzen, steht er vor mir.

Verdammt! Wieder hat es mich erwischt. Von seiner gewinnenden Aura überrumpelt, spüre ich, wie die Wut aus mir hinausgesaugt wird.

Klare blaue Augen überwinden jegliches Hindernis und blicken direkt in meine Seele. Es sind gutmütige Augen, in denen man sich verliert, ohne etwas infrage zu stellen, ohne sich dabei schlecht zu fühlen. Seine Nase ist vollkommen gerade, kein Makel ist daran zu finden, genauso wenig wie an seinem Mund, dessen schmale Lippen ebenmäßig geschwungen sind. Phileas‘ Teint ist tadellos. Keine Rötung, nicht die kleinste Unebenheit stört das elfenbeinfarbene Wachs. Selbst seine Bartstoppeln scheinen in elementarer Ordnung auf seinem symmetrischen Kinn platziert zu sein.

»Du hast recht, Evodie, ich wusste, dass Nyra einen Eristen auf Jonas angesetzt hat. Aber ich wollte dir nichts sagen, weil ich dich nicht verunsichern wollte. Ich habe dich für diesen ›Mega-Wichtig-Fall‹ ausgewählt, weil deine Methoden ungewöhnlich und schwer vorherzusehen sind. Hätte ich dir gesagt, dass bereits ein Erist an dem Fall arbeitet, hättest du dir vielleicht eine ganz gewöhnliche Vorgehensweise ausgedacht und damit deinen Vorteil der Spontanität verloren. Ich wollte kein Risiko eingehen.«

Verfluchter Mist! Das hört sich nach einem guten Argument an.

Um Phileas zu zeigen, dass ich ihm noch nicht völlig hörig bin, schnaube ich wie ein tollwütiges Nashorn.

Egal, wie engelsgleich er aussieht. Da kann er noch so schimmern. Nichts da. Ich will nicht gleich auf Anhieb umkippen.

Hinterhältig, wie mein strahlender Chef ist, setzt er den charmanten Stirnrunzel-Dackelblick auf.

Oh, wie ich ihn hasse!

Im Gegenzug packe ich meinen Zweifelblick aus, der Marke: »Ich glaub dir kein Wort«.

»Sei ehrlich!«, säuselt er. »War es wirklich ein unverzeihlicher Fehler von mir? Hätte es etwas an deinem Verhalten geändert, wenn du geahnt hättest, dass ein Erist in der Nähe ist?«

Ich hole tief Luft, um ein lautes »Ja, allerdings!« zu schreien, überlege es mir jedoch kurzfristig anders. Denn rechtzeitig wird mir klar, dass ich Phileas danach womöglich gestehen müsste, was ich in Jonas‘ Büro getrieben habe. Dass ich mich wirklich anders benommen hätte, wenn mir bewusst gewesen wäre, dass dort ein Erist herumschwirrt. Ja … definitiv hätte ich mich nicht auf der Schreibtischplatte geräkelt. Zum Glück hatte er keine Poledance-Stange im Büro, wer weiß, was ich sonst für Unfug angestellt hätte. Es reicht ja wohl vollkommen, dass nur eine Person von meinem peinlichen Benehmen weiß … Alles, nur das nicht. Um Gottes willen, der Erist wird doch hoffentlich nichts davon seiner Chefin Nyra erzählen? Was, wenn doch …?

»Evodie?«, reißt mich Phileas aus meiner Panikattacke.

»Nein, nein, es hätte nichts an meinem Vorgehen geändert«, wispere ich und gebe eilig das zu, was Phileas hören will. Naja … zumindest die Sache mit meinen Konkurrentinnen wäre zu hundert Prozent genauso abgelaufen. Das tröste ich mich ein wenig, und mit ruhigem Gewissen blase ich gemächlich die Luft aus meinen Lungen.

Phileas‘ Augen ruhen mehrere Sekunden auf mir. Und einen Moment lang glaube ich beinahe, dass er etwas von meinem Zwiespalt weiß. Um ihn auf eine andere Fährte zu locken, hebe ich herausfordernd mein Kinn an.

»Dieser Erist ist kein Anfänger. Ich habe gespürt, wie stark sein Wille ist, Phileas. Warum schickt Nyra einen ihrer Besten los? Was ist an diesem Fall so besonders?«

Mein Chef trotzt meiner angriffslustigen Frage in völliger Gelassenheit. »Hier geht es nicht nur um zwei Menschenleben, sondern um vier. Kannst du dir vorstellen, welche Auswirkungen die Lebensweise von Jonas und Susan auf ihre Kinder hat? Ich weiß nicht viel mehr, als in deinem Bericht steht, bloß dass das Zusammen- oder Nicht-Zusammenkommen von den beiden weitläufige Folgen haben wird, in unterschiedliche Richtungen.«

Natürlich, hier geht es nicht nur um Jonas und Susan, sondern auch um ihre Kinder Max und Leon und deren mögliche Partnerinnen. Was, wenn von ihren Nachfahren einer eine Erfindung machen würde, die das Leben der Menschheit von Grund auf verändern könnte? Was, wenn es diesen Nachfahren nicht gibt, weil ich versagt habe? Alle Farbe weicht mir aus dem Gesicht, und ich wanke unter der schweren Last, die plötzlich auf meinen Schultern liegt.

Ein leichtes Schmunzeln erscheint auf Phileas‘ hellem Antlitz. »Nun denn. Ich denke, du wirst den Auftrag weiter ausführen wollen, oder etwa nicht?«

Er benutzt mein Ehrgefühl gegen mich, der Schlawiner.

»Natürlich. Du kennst mich«, antworte ich kühl, um ihn nicht spüren zu lassen, wie verunsichert ich bin.

»Ja, ich kenne dich«, erwidert mein Chef, wendet sich von mir ab und geht hinter seinen Schreibtisch. Für mich ist dies das Zeichen zum Aufbruch, und so steuere ich zur Tür. Kaum drücke ich jedoch die Klinke, hält mich Phileas auf.

»Evodie – du darfst diesen Auftrag nicht verlieren.«

Ich sehe nochmal zu dem ganz in Weiß gekleideten Mann, dessen Blick nun unnachgiebig ist, und nicke stumm, bevor ich sein Büro verlasse.

Da stehe ich im Trubel des Großraumbüros der Operatoren und habe noch immer die Türklinke in der Hand. Ich kann mich noch immer nicht bewegen, der Schock sitzt zu tief. Es ist das erste Mal, dass Phileas sowas zu mir sagt: Du darfst diesen Auftrag nicht verlieren. Den Satz höre ich andauernd in meinem Kopf, als wäre eine Schallplatte hängen geblieben.

Plötzlich legt sich eine große Hand auf meine Wange und rüttelt mich sacht. »Hey, Kleine, alles ok?«

Noch immer gefangen in meiner eigenen Warteschleife, komme ich allmählich zu mir. In Artreus‘ braunen Augen spiegelt sich die Sorge um mich. Zerstreut nicke ich meinen bärenhaften Freund zu. »Ja, ja ich denke schon.«

Zweifelnd hebt er eine Braue. »Sicher? Du siehst nämlich ganz und gar nicht gut aus. Was hat der Chef dir aufgetragen?«

Ich versuche, mich zu erinnern, ob Phileas mir schon einmal ausdrücklich ans Herz gelegt hatte, einen Auftrag zu gewinnen. Doch mir fällt kein Fall ein. Vielleicht hat Artreus von ihm schon mal solch eine Aufforderung gehört?

»Phileas sagte, dass ich diesen Auftrag nicht verlieren darf.« Gespannt warte ich auf die Reaktion meines Freundes.

Überrascht kräuselt sich Artreus‘ Stirn. »Unser Chef ist ja ein richtiges Motivationstalent. Mach dich nicht verrückt, Evodie. Zieh dein Ding durch. Du hast die Aufträge bisher immer geschaukelt, und diesmal wird es nicht anders sein.« Er lässt seine Hand auf meine Schulter gleiten und schiebt mich mit sich, zu Zelos und Bellamy, während ich ihn nebenher einweihe. »Das ist nicht die einzige miese Nachricht, die ich habe. So wie es aussieht, ist der Erist, der deine Fünfundzwanziger auseinandergebracht hat, an meinem ›Mega-Wichtig-Auftrag‹ dran.«

Plötzlich bleibt Artreus stehen und dreht mich zu sich herum. Entschieden beginnt er, auf mich einzureden: »Wenn es wirklich dieser Kerl ist, musst du dich in Acht nehmen. Er wird dich reizen bis aufs Blut. Du musst dich beherrschen, Evodie! Hörst du? Der hat schon mehrere in Rauch aufgehen lassen.«

Na super, noch mehr gute Nachrichten. Denn ›in Rauch aufgehen lassen‹ bedeutet, einen Engel verschwinden zu lassen, weil dieser mehr oder weniger absichtlich einen Menschen verletzt hat.

»Von wem sprecht ihr?«, mischt sich Zelos ein, vor dessen Schreibpult wir gerade stehen.

Artreus‘ Augen schweifen kurz zu Zelos. »Von dem Vollarsch-Eristen Demian oder wie auch immer der Typ heißen mag.«

Empört öffnet sich Zelos‘ Mund. »Oh, ja. Unbedingt, Evodie. Der Kerl ist mit größter Vorsicht zu genießen. Alles, was er tut, tut er nur, um den Auftrag zu gewinnen.«

Bellamy taucht mit einer Tasse dampfenden Tee auf und erfasst sofort die Lage. »Wir reden über den teuflischen Eristen, oder?« Laut schlürfend lässt er sich in seinem Stuhl nieder und folgt interessiert unserer Unterhaltung.

Zelos nickt aufgeregt. »Ja, genau über den, mein Lieber, so ist es.«

Zwischenzeitlich zieht Artreus wieder meine Aufmerksamkeit auf sich, indem er mich leicht schüttelt. »Ich meine es todernst, Evodie. Sei auf der Hut. Kannst du dich an den Vulkanausbruch im letzten Jahr erinnern?«

Schweigend glotze ich Artreus an. Nein, unmöglich, das kann nicht wahr sein?

»Darin war Demian verwickelt. Der zuständige Cupida wurde liquidiert«, grollt Artreus weiter.

»Ach, du grüne Neune!«, seufze ich. Mir wird ganz schlecht, und mein Hintern pflanzt sich, wie von selbst, auf Zelos‘ Schreibtisch. Kann es noch schlimmer kommen?

Artreus lässt mich los und richtet sich auf. »Jetzt bist du auf jeden Fall vorbereitet, wenn es sich bei dem Erist wirklich um Demian handeln sollte.«

Ich stimme ihm gedankenverloren zu und gebe mich einer Hoffnung hin. »Ja. Vielleicht habe ich aber auch Glück, und es ist ein ganz anderer Erist.«

»Vielleicht, Kleines, möglich ist alles«, meint Artreus und grinst mir aufmunternd zu.

Es ist Zeit, meinen Job anzutreten, und mit nicht mehr ganz so viel Elan wie zuvor, lande ich in Jonas‘ Vorgarten. Ich krame aus meiner Handtasche das Handy hervor und suche Jonas‘ Mail, in der Max‘ Stundenplan und die Adresse der Schule vermerkt sind. Nachdem ich, dank Internet, herausgefunden habe, wie ich am besten zur Schule gelange, marschiere ich in Jeans und Shirt los, um zur vereinbarten Zeit dort anzukommen.

Das Schulhaus ist ein älteres Gebäude, dessen Renovierung schon ein paar Jahre zurückliegt. Die vorbeiführende Straße ist nicht stark befahren, sodass ich mich getrost in den Schatten der Sträucher, auf der gegenüberliegenden Seite der Schule, stellen und dennoch den Ausgang im Auge behalten kann. Ein paar Meter von mir entfernt, bemerke ich Susan, die in ihren hohen Sandalen auf und ab läuft. Sie trägt noch immer ihr schickes Kostüm von heute Morgen im Büro. Unschuldig schlendere ich näher an sie heran und lehne mich an den Stamm einer Linde, deren Krone alles überschattet. Wir lächeln uns grüßend zu und ich nehme es als Anlass, sie anzusprechen.

»Schöne Schuhe haben Sie da. Wenn Sie mir jetzt noch sagen, dass sie bequem sind, bin ich hoffnungslos verliebt.«

Sie hat ein herrlich heiseres Lachen und schüttelt dabei ihre blonden Locken. Mit ihrem Leberfleck, der neben ihrem Auge prangt, erinnert sie mich an Marilyn Monroe zu ihren besten Zeiten.

»Danke. Ich finde Ihre Jeans total gut. So eine suche ich schon eine Weile. Vielleicht sollten wir mal gemeinsam shoppen gehen.«

Jetzt lache ich und strecke ihr meine Hand entgegen. »Hi, ich bin Evodie. Ich warte auf Max Kinz, den ich hier abholen soll, allerdings muss ich so tun, als würde ich ihn nicht kennen.«

»Was?«, kichert Susan verblüfft und reicht mir die Hand. »Ich bin Susan Hunz, die Mutter von Leon. Sie sind die Mutter von dem Max, der neu in Leons Klasse ist?«

Ich entschließe mich, so viel Info wie möglich in die Antwort zu packen, die Susan gleich den richtigen Eindruck vermitteln soll. »Ja, Max ist mit seinem Vater vor Kurzem hierhergezogen. Herr Kinz ist seit drei Jahren Witwer. Ich bin lediglich die Tagesmutter von Max, und heute ist mein erster Arbeitstag.«

Wie zu erwarten, taucht in Susans Augen Mitgefühl auf, und ich lobe mich im Geiste, die Begriffe Tagesmutter und Witwer verwendet zu haben.

»Oh!«, haucht sie betroffen. »Das ist traurig, also das mit Max‘ Mutter, nicht dass Sie seine Tagesmutter sind. Also doch schon irgendwie, aber …« Zerknirscht winkt sie ab. »Ach, entschuldigen Sie, ich halt jetzt einfach den Mund, sonst mache ich es mit meinem Geplapper nur noch schlimmer.«

Um sie zu beruhigen, grinse ich sie freundlich an. Sie ist mir wirklich sympathisch.

»Nein, ist doch ok. Ich hätte vielleicht nicht auf einmal so viel offenbaren sollen.«

»Ach was, ich bin etwas durch den Wind. Ich hatte gerade ein Gespräch mit dem Schulleiter, wegen Leon. Zum zweiten Mal schon.« Sie seufzt enttäuscht und wirkt dabei peinlich berührt, weil sie die Geschichte erzählt hat.

Der Morgen war, wie ich weiß, ganz schön hart für Susan, weswegen ich versuche, sie aufzumuntern.

»Mmh – und? Sieht der Rektor wenigstens gut aus, sodass es sich gelohnt hat?«

Im ersten Moment starrt sie mich verdattert an, doch dann lächelt sie. »Nur, wenn Sie auf ältere Herren mit Schnauzer und Hosenträgern stehen.«

Wir kichern beide, und ich japse: »Nein, nicht wirklich.«

Darauf stöhnt sie befreit auf. »Dachte ich mir. Danke, das hat mir gerade den Tag gerettet. Ich war kurz vorm Verzweifeln.«

Sie schluckt, und schon purzeln ihr die Worte aus dem Mund. »Ich meine, Leon ist wirklich ein lieber Junge, aber manchmal ist er so … voller Wut. Ich weiß nicht, was ihm durch den Kopf geht. Heute hat er sich mit einem Viertklässler angelegt.«

Ich will etwas erwidern, aber in dem Moment ertönt der Schulgong, und keine Sekunde später öffnet sich die Tür. Es quillt eine Flut bunter Schulranzen heraus. Unter den wild durcheinander rennenden Kindern versuche ich, mir einen Überblick zu verschaffen – wie auch Susan.

Sie schwingt sich zielstrebig auf die andere Straßenseite und schnappt sich einen rothaarigen Lockenkopf. Mit einem kurzen Winken verabschiedet sie sich und trottet mit dem Jungen in die gleiche Richtung davon, die Max und ich ebenfalls nehmen müssen. Falls der mal auftauchen sollte.

Ich warte und bekomme schon langsam Panik, als ich endlich einen Nachzügler erspähe, der Max‘ braunen Haarschopf hat. Er ist einer der Letzten, die das Schulgebäude verlassen. Mit hängendem Kopf schlurft er die Treppe hinunter und gelangt auf den Gehweg. Urplötzlich bleibt er stehen und schaut sich um. Schließlich fällt sein Blick auf mich, und von Weitem kann ich sein fröhliches Zahnlückengrinsen erkennen.

Auffällig zwinkere ich ihm zu, und er überquert lächelnd die Straße, um den Heimweg anzutreten. Immer fünf Schritte hinter ihm, folge ich seinem Spiderman-Schulranzen, der ziemlich schnell davonwackelt – für so kurze Beine.

Liebesengel küssen nicht

Подняться наверх