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KAPITEL 8
ОглавлениеEIN NACHMITTAG VOLLER
GEFÜHLE
Vor der Eingangstür seines Zuhauses zieht Max seinen Schulranzen aus und fängt an, darin nach dem Türschlüssel zu suchen. Ich steige die Treppe hoch und bleibe hinter ihm stehen. »Hallo, Max, alles klar?«
Er hebt seinen Kopf, und ein freundliches Strahlen erscheint auf seinem runden Jungengesicht.
»Hallo, Evodie. Ja, ich muss nur noch den blöden Schlüssel finden.« Abermals versenkt er den Kopf in seinem Ranzen, bis ich ihn mit kratziger Jungenstimme rufen höre: »Ah … da ist er.« Stolz zieht er den Schlüssel heraus und lässt ihn vor seiner Nase baumeln.
»Super. Dann brauch ich doch nicht durchs Fenster zu krabbeln«, erwidere ich trocken.
Max kichert. »Nein. Das geht doch gar nicht, die sind alle verschlossen. Da wärst du nie reingekommen.«
Ich kann es nicht lassen, vor dem kleinen Kerl anzugeben. »Hast du eine Ahnung! Ich komme überall rein, wenn ich will.«
Max schließt umständlich die Tür auf, und ich folge ihm in den kühlen Flur. Jonas‘ Aftershave liegt in der Luft, was meinen Magen in Schwingungen versetzt.
»Papa, wird gleich mit der Pizza kommen«, sagt Max und geht die Diele entlang bis zu der Treppe, die ins Obergeschoss führt.
Auf der untersten Stufe stellt er seinen Schulranzen ab und öffnet auf der linken Seite des Flures die Tür, die uns direkt ins Esszimmer führt. Ein langer, moderner Holztisch mit acht hellen Lederstühlen steht vor einer Glasfront, hinter der man den wunderschön grünen Garten ausmachen kann. Die Küche schließt direkt an den Essbereich an, und nur eine Theke mit drei Hockern grenzt den dahinterliegenden Kochbereich ab. Der große Raum wirkt durch die hellen Farben und die großen Fenster freundlich. Max öffnet den Riegel einer breiten Terrassentür und schiebt sie lautlos zur Seite. Vogelgezwitscher und eine laue Sommerbrise dringen zu uns herein.
»Wo sollen wir essen, Evodie? An der Theke oder am Tisch?«, fragt mich Max und wuselt geschäftig in die Küche. Seine braunen Haare flattern bei jeder Bewegung, und auf seinen Wangen liegt ein erfrischendes Rosa. Man sieht ihm an, dass er aufgeregt ist, einen Gast zu haben. Ich parke meine Handtasche auf einem der Stühle und schlendere zu ihm in die Küche, wo er sich bereits einen Hocker besorgt hat, um an die höher gelegenen Schränke zu kommen.
»Wo würdest du denn am liebsten essen?«, antworte ich mit einer Gegenfrage.
Max schaut zur Theke und leise überlegt er: »Normalerweise essen Papa und ich immer dort drüben, an der Theke, aber heute Mittag würde ich gern am Tisch sitzen.«
Seine Augen schillern blau, und ich schlucke den Kloß im Hals hinunter. Natürlich will Max am Tisch essen, so wie es jede Familie, mit Vater Mutter und Kind, tun würde.
»Gute Idee, Max, da können wir uns besser unterhalten«, lächle ich zustimmend und helfe ihm, drei Teller aus dem Schrank zu holen. Max sagt mir, wo die Gläser zu finden sind, während er das Besteck hinlegt. Er platziert gerade das letzte Messer, als wir Jonas rufen hören.
»Hallo, jemand zu Hause?«
»Ja. Papa!«, schreit Max und saust zur Tür, die in den Flur geht.
Jonas spickt zu uns herein. In einer Hand hält er drei Pizza-Schachteln, und mit der anderen verstrubbelt er fröhlich lachend seinem Sohn die Haare. Dieser stößt schließlich die Tür ganz auf, damit sein Vater eintreten kann.
»Hey, Großer, hat alles gut geklappt?« Mit einem fragenden Ausdruck sucht Jonas meinen Blick, und ich nicke unmerklich, weil ich Max nicht ins Wort fallen will, der liebevoll seinen Vater umklammert.
»Kein Problem, Papa. Evodie hat vor der Schule auf mich gewartet. Und wie versprochen, hat sie mich nach Hause begleitet, ohne mit mir zu reden.«
»Cool«, meint Jonas dazu, und seine Lippen formen ein lautloses »Danke« in meine Richtung.
Ich zucke vielsagend mit den Achseln und nehme meinem Chef die Pizzas ab, die ich auf den Esstisch stelle. Zügig zieht Jonas sein Jackett aus und hängt es über einen der Barhocker.
Die Herren stellen sich rechts und links neben mich, und zu dritt begutachten wir unsere Mahlzeit in den Kartons, die ihren köstlichen Duft nach gebackenem Brot, Käse und Tomaten verbreitet.
»Mmmh, lecker«, wispert Max, während ich genau das Gleiche denke und Jonas‘ Anwesenheit überdeutlich an meiner rechten Seite wahrnehme.
Er hat seine Hemdsärmel hochgekrempelt und hilft mir mit den Verpackungen, wobei sich unsere Unterarme immer wieder berühren. Zart kitzelnde Blitze schlagen dort auf meiner Haut ein, wo ich seine Wärme spüre.
Um meine durcheinandergeratenen Gefühle auf den Teppich zurückzuholen, wende ich mich an Max. »Genau das wollte ich auch gerade sagen.«
Gemeinsam verteilen wir die verschiedenen Pizzen auf unseren Tellern, und ich nehme gegenüber von Jonas Platz, der mir mit einem herrlichen Lächeln die Gehirnwindungen leerfegt. Dümmlich blinzelnd erwidere ich seinen Blick und könnte insgeheim schwören, dass er mit seinem Grinsen noch einen Zahn zugelegt hat, damit ich noch verlegener werde. Zu meiner Rettung reißt Max das Gespräch an sich.
»Heute gab es mal wieder Ärger«, schmatzt er und genießt es sichtlich, zwei Zuhörer zu haben. »Der rothaarige Junge, ich glaube, Leon heißt er, wurde zum Rektor gebracht.«
Wachsam beobachte ich Jonas, denn das war gar kein guter Einstieg für Leon, der Susans Sohn sein musste.
»Nanu, warum das denn?«, fragt Jonas mit zusammengezogenen Brauen.
Max genehmigt sich erstmal einen ausgiebigen Schluck von seinem Mineralwasser, bevor er spricht. Er kämpft gegen die Kohlensäure an, die in seiner Speiseröhre aufsteigt, was man ihm auch ansieht und mich schmunzeln lässt.
»Ein Viertklässler hat Leon geärgert, weswegen er dann auf ihn losgegangen ist.«
»Ganz schön mutig, der war doch bestimmt zwei Köpfe größer als dieser Leon, oder?«, wage ich einzuwerfen, um etwas Positives über Leon anzubringen.
»Ja, aber das stört den Leon nicht, ich glaub, wenn der sauer ist, würd er auch gegen ‘ne Wand rennen«, sagt Max, ohne zu zögern.
Jonas‘ kritischer Blick wird noch ernster. »Das ist nicht mutig, sondern … jähzornig, würde ich sagen.«
Meine Augen werden schmal, als ich Jonas ins Visier nehme. »Wer weiß, was der Junge durchgemacht hat. Ich habe heute Morgen vor der Schule seine Mutter kennengelernt, und sie macht einen ganz netten Eindruck. Ich glaube, sie ist ebenfalls alleinerziehend.«
Unverhohlen stiert Jonas mich an. »Wollen Sie mir damit sagen, dass Leon lediglich eine männliche Bezugsperson fehlen könnte und er kein verzogener Bengel ist?«
»Möglicherweise«, flöte ich leger, mit dem Glas Sprudel in meiner Hand, und trotze seiner herrischen Art.
»Oh, das wusste ich nicht, dass Leon keinen Papa hat«, kommentiert Max unser Blickduell.
Zutraulich beuge ich mich meinem Schützling entgegen. »Ich bin mir zwar nicht ganz sicher, ob Leon nur mit seiner Mutter zusammenwohnt, aber ich vermute schon.«
Max nickt und spielt plötzlich nachdenklich an den Rillen seines Trinkglases herum. Auch wenn ich für Leon keinen Blumentopf bei Jonas gewinnen konnte, so habe ich wenigstens Max einen Denkanstoß verpasst. Ja, Leon hat mit ihm doch mehr gemein, als er vermutet hat, und das wird dem braunhaarigen Jungen gerade bewusst.
Jonas schiebt den Teller von sich. »So, ich sollte mich wieder auf ins Büro machen, vielleicht schaue ich heute Nachmittag nochmal rein. Ansonsten bin ich kurz nach siebzehn Uhr wieder hier.«
Mein Chef steht auf und zieht sein Jackett an, während ich die Teller einsammle und zum Geschirrspüler bringe.
»Vielen Dank für das Essen, Jonas«, bemerke ich nebenbei.
Ächzend zerrt er an dem Hemdkragen unter seinem Jackett herum. »Keine Ursache. Falls irgendein Problem auftaucht, haben Sie ja meine Handynummer, unter der können Sie mich jederzeit erreichen.«
Ich stelle das Geschirr weg und reibe fix meine Hände an meiner Jeans ab, um ihm zur Hilfe zu eilen. Mit nervösen Fingern nestle ich an seinem Hals herum und versuche, mich bloß auf seinen Hemdkragen zu konzentrieren. Schwer atmend bemerke ich, wie Jonas still hält und wie seine Finger immer wieder sanft den meinen in die Quere kommen.
Nein, das Kratzen seiner Bartstoppeln über meine Fingerknöchel finde ich überhaupt nicht erregend. Auch sein Adamsapfel, der merklich unter meinen Augen hüpft, bringt mich nicht um den Verstand.
Sein wundervolles Grübchen, im Kinn, schwebt vor meiner Nase, und ehe ich mich versehe, hängt mein Blick an seinen Lippen fest. Es gelingt mir tatsächlich, mich davon zu lösen. Doch zu früh gefreut, denn prompt bleibe ich wieder an seinen blauen Augen kleben, die völlig irritiert über mein Gesicht gleiten. Mein Herz nimmt sich vor, zur Feier des Tages doppelt so laut zu schlagen, während meine Knie die Koffer packen und mehrere Tage Urlaub beantragen.
Ich räuspere mich, um meinen Körper zur Vernunft zu bringen, und nehme mit einem Schritt Abstand von meinem Chef. »Morgen kümmere ich mich um das Mittagessen, wenn das okay ist?« Jonas nickt stumm, ohne mich aus den Augen zu lassen. »Gut. Wunderbar«, nuschle ich. Fahrig reibe ich mir den Hals und flüchte zurück an den Esstisch, um die Pizzakartons zu entsorgen.
Max ist zwischenzeitlich aufgestanden und hat ebenfalls seinen Teller weggeräumt.
»Evodie, machen wir gleich die Hausaufgaben, damit wir dann noch Fußballspielen können?«, kräht er aus der Küche, während ich ein paar Meter weiter um meine Fassung ringe.
Mein Zuckerschnittchen von Chef herzt seinen Sohn, bevor er geht und meint: »Braver Junge. Also bis später, ihr zwei.«
Lässig nicke ich ihm zu und gönne ihm keinen weiteren Blick mehr. Ich atme befreit auf, als ich höre, wie die Haustür ins Schloss fällt.
Der Nachmittag vergeht wie im Flug mit Mathe- und Deutschhausaufgaben und dem Elfmeterschießen, bei dem ich nicht mal schummeln muss, um zu verlieren. Mit hochroten Köpfen kommen Max und ich wieder ins Haus. Der kleine Junge überredet mich, in dem Gefrierschrank nach einem Eis zu suchen.
Nachdem wir uns im Schatten jeder einen Becher Eisschokolade reingezogen haben, fragt Max, ob er an den Computer darf. Ich gewähre ihm ein Stunde und gehe mit ihm auf sein Zimmer, um mir das Computerspiel genauer anzuschauen. Nachdem ich geprüft habe, dass es seinem Alter angemessen ist, mache ich mich vom Acker und beschließe, den Kühlschrank für das morgige Mittagessen zu durchstöbern.
Mein Kopf hängt gerade im Gemüsefach, als sich plötzlich zwei starke Hände um meine Taille legen. Erschrocken drehe ich mich um und finde mich Jonas gegenüber.
Gierig leuchten seine Augen, und er zieht mich voller Wucht an seinen Körper. Er wirft die Kühlschranktür hinter mir zu, um mich dagegenzupressen.
Ich glotze ihn lediglich an, denn mir hat es die Sprache verschlagen. Meine Hände legen sich auf seine kräftigen Oberarme, und halbherzig versuche ich, ihn wegzudrücken, weil das letzte Bisschen Verstand, das in meinem Hirn übrig ist, mir sagt, dass das verkehrt ist. Meine Atmung ist ein einziges Geholpere und fällt total flach aus, als ich bemerke, wie Jonas‘ Lippen immer näher an meine rücken. Ich bemühe mich, ihnen auszuweichen, doch er verfolgt mich erbarmungslos. Ergeben verharre ich an der kalten Kühlschranktür.
Lautlos flüstert Jonas an meinem Mund: »Ich weiß, dass du mich willst. Streite es nicht ab, Evodie.«
Er reibt seinen harten Körper an meinem, und mir wird ganz schwindlig. Frech wandern seine Hände an meinen Rundungen auf und ab. »Du schmeckst bestimmt fantastisch, Herzchen«, ächzt er im Takt seiner Bewegungen, vor meinen bebenden Lippen.
Und trotz der Hitze, die meinen ganzen Leib durchdringt, bringe ich es fertig »Nein, nicht!« zu rufen. Schwer atmend winde ich mich aus seiner Umarmung heraus und verziehe mich hastig in ein einsames Eck der Küche. Ich traue ihm nicht und schon gar nicht mir, weswegen ich die Hände in eine Abwehrhaltung erhebe, um ihn fernzuhalten.
»Das ist nicht gut«, hauche ich.
Jonas kommt langsam auf mich zu. Bedrohlich. Dunkel. Ein charismatisches Schmunzeln legt sich auf seinen Mund, der mir ganze Regenschauer über den Rücken jagt. Bis in jede meiner Poren vibriert seine tiefe Stimme.
»Das würde mehr als gut werden, Evodie, und du weißt das.«
Widerspenstig schüttle ich den Kopf. Ich will nicht so empfinden, ich darf nicht so empfinden. Und dennoch tobt das Begehren in mir, mich ihm an den Hals zu werfen, endlich von seinen Lippen zu kosten. Er sieht es mir an, denn sein Grinsen wird breiter und düsterer. Und dann ist es da, das untrügliche Gefühl, dass etwas nicht stimmt.
Missbilligend schnalzt Jonas mit der Zunge. »Du kannst es nicht vor mir verbergen.«
Und mit jedem Schritt, den er auf mich zukommt, verändert sich sein Gesicht, das mir mit einem Mal finster erscheint. Sein Hautton wird dunkler, seine strahlend blauen Augen werden auf einmal tief grün und seine Haare schwarz. Pechschwarz, wie seine markanten Brauen und seine Barthaare, die allmählich auftauchen.
Mein Hals wird enger und enger. Die Luft scheint immer dicker zu werden, sodass ich sie förmlich auf meiner Haut spüren kann. Nein, falsch, ich spüre einen Druck, den mächtigen Gegendruck des Eristen, der nun ganz nah vor mir steht. Es ist der Erist aus Jonas‘ Büro. Wie gebannt starre ich auf den beunruhigenden Mund, der von dem dunklen Bart umgeben ist, den ich beinahe geküsst hätte. Der mir die Sinne geraubt hat, mit Taten und mit Worten.