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Die Crew

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Was für Leute waren also an Bord?

An Bord von Kartierungsschiffen war die Vergangenheit der Besatzungsmitglieder unwichtig, und niemand würde jemals den anderen bitten, sie preiszugeben, wenn er oder sie es nicht wollte. Aber Jays Geschichte war allgemein bekannt.

Sein richtiger Name war Johann Jeremias Joshua Shakler. Seine Eltern waren wohlmeinend gewesen und hatten ihm viele biblische Namen gegeben. Aber schon als Kind wusste Jay genau, was er werden wollte: ein Mitglied der Hades-Truppe. Die Hades-Truppe war seit dem 23. Jahrhundert ein spezielles Militärkommando. Es gab keine normale Armee mehr auf der Erde, aber wenn es eine Invasion oder einen anderen Angriff auf die Erde geben sollte, wurden gut ausgerüstete und gut vorbereitete Soldaten benötigt. Und die Hades-Truppe war eine solche Einsatztruppe.

Jay wurde magisch von allem angezogen, was mit Militär zu tun hatte. Er las Überlebensbücher wie andere Kinder Comic-Hefte und besuchte schon früh Kampfsportkurse. Mit sechzehn bewarb er sich für den Hades-Aufnahmetest, aber noch bevor er den Fitnesstest absolvieren konnte, wurde er einem Gehirnscan unterzogen. Der Scan ergab, dass Jay überhaupt nicht geeignet war, ein Soldat zu sein. Er hatte angeblich einen Minderwertigkeitskomplex und befolgte nur ungern Befehle, sondern befahl lieber selbst.

Auch bei der Polizei wurde er abgelehnt. Der muskulöse Mann, der aussah und sich bewegte wie ein echter Berufssoldat und sein halbes Leben damit verbrachte, Kampfsportarten zu trainieren, um Teil eines Killerkommandos zu sein, passte nicht in das Berufsbild des modernen Polizisten.

Doch die Berufspsychologin, die Jay besuchte, rettete seine Karriere; sie schlug ihm vor, Bergretter zu werden. Schließlich gab es genug Touristen, die tagein, tagaus ihren Hals in den Bergen riskierten. Und in so einem Beruf braucht man starke und mutige Menschen. Jay ließ sich zunächst zum Krankenpfleger und Sanitäter ausbilden und flog kurz darauf seine ersten Bergeinsätze mit dem Hubschrauber. Nach zwei Jahren erhielt er eine Einladung, auf einem Subraum-Ambulanzschiff zu helfen.

Der Subraum war auch für normale Menschen zugänglich, und abenteuerlustige Menschen, die beim normalen Segeln oder Bergsteigen keinen Adrenalinstoß bekommen konnten, schlossen sich schließlich Subraumrennen an. Natürlich gab es auch unzählige Luxusyachten und private Raumschiffe. Rettungsmissionen waren an der Tagesordnung. Jay durfte für 10 Minuten auf dem Pilotensitz sitzen und den Rettungsraumschiff steuern. Es war ein Moment, der sein Leben veränderte. Jetzt wusste er endlich, was er werden wollte: Subraumpilot! Er kündigte seinen Job und setzte seine Ausbildung fort. Mit der Pilotenbrille, die ihm die kartografische Karte zeigte, und dem Joystick in der Hand, fühlte er sich wie ein Abenteurer. Er schien ein Naturtalent dafür zu haben, das Ambulanzschiff in die perfekte Strömung zu bringen und ein verunglücktes Schiff schnell anzuvisieren.

Im Alter von 25 Jahren wurde er zum Subraumpiloten des Jahres ernannt.

Zwei Wochen nach der Auszeichnung änderte sich sein Leben, wie das vieler anderer auch. Es war das Jahr 2390, als plötzlich ein außerirdisches Raumschiff aus dem Subraum auftauchte, etwa in der Höhe des Mars. Es raste an der Umlaufbahn des Mondes vorbei und stürzte in den Ozean in der Nähe der Philippinen. Dann tauchte es auf und aktivierte seine Waffen, eine Art diffuse Mikrowellenstrahlung, die die Hirnmasse der Menschen zum Kochen brachte. Das außerirdische Schiff feuerte alle seine Waffen ab, mehrere tausend Menschen starben und viele weitere überlebten mit Hirnschäden. Nach drei Wasserstoffbomben wurde der Angriff schließlich zum Schweigen gebracht.

Tagelang herrschte völliges Chaos, und die eingemottete Raumflotte wurde eilig hervorgeholt. Aus Kostengründen waren die Piloten und Offiziere der Flotte jedoch nie mit den Kampfraumschiffen geflogen, sondern hatten nur in einer Simulationsumgebung gearbeitet.

Dabei muss erwähnt werden, dass die Simulationsumgebungen so real wie möglich waren. Die 3D-Exoskelette der Auszubildenden simulierten genau alle Bewegungen und Berührungen, leichte Hirnstimulationen trugen dazu bei, dass die Auszubildenden fast glaubten, es sei real, aber eben nur fast.

In der Zwischenzeit waren zwei weitere außerirdische Raumschiffe aufgetaucht, die Kurs auf die Erde nahmen.

Die Zeit drängte!

Die Flotte suchte schnell nach den erfahrensten Piloten, um ihre Schiffe zu bemannen. So fand sich Jay plötzlich als Chefpilot an Bord des Flaggschiffs wieder. Er, der nie für eine militärische Karriere in Frage gekommen war.

Er war so glücklich, dass ihn selbst ein Kampf mit einem außerirdischen Raumschiff nicht erschreckte. Er war voller Adrenalin und konnte es kaum erwarten, zu kämpfen und die Erde zu beschützen. Der Kampf dauerte nicht lange, denn die außerirdischen Schiffe beschleunigten plötzlich und waren früher als geplant in der Erdumlaufbahn. Die Schlacht war ein einziges Chaos.

Die Aliens aktivierten ihre Waffen und zwei Zerstörerbesatzungen starben, als ihre Gehirne explodierten. Jays Schiff wurde teilweise getroffen und die halbe Crew starb. Jay selbst hatte eine Hirnblutung erlitten, er klammerte sich an seinen Stuhl und in seinem Wahn dachte er, er sei der Kapitän und müsse das Alien-Schiff aufhalten. Aus seiner Sicht war alles klar, trotz der Schmerzen kroch er zur Konsole des Waffenoffiziers und wollte die Raketen abfeuern. Aber das Schiff weigerte sich; jemand hatte es gehackt. Dann griff ihn jemand an, aber Jay war ein Kampfsportexperte. Mit zwei Tritten brachte er den Angreifer zu Boden und tippte weiter auf der Konsole, bis er endlich die Raketen abfeuern konnte. Auf dem Bildschirm sah er, wie das außerirdische Raumschiff in einem Feuerball explodierte. Dann wurde er ohnmächtig.

Erst als er nach sechs Monaten aus dem künstlichen Koma erwachte, erfuhr er, was wirklich geschehen war. Die außerirdischen Raumschiffe hatten ihren Angriff sofort abgebrochen, als ein anderer Zerstörer auf sie feuerte. Sofort tauchten sie in den Subraum ab und flohen.

Die Aktion von Jay fand nur 30 Minuten nach dem Angriff statt. Auf den Kameraaufnahmen war ein schwankender Jay zu sehen, der durch die Brücke lief und den anderen Verwundeten befahl, sofort auf das fremde Schiff zu feuern. Als niemand reagierte, manipulierte er die Waffenkonsole, zielte aber nicht auf das fremde Schiff, sondern auf die Phalanx, die gerade Energie erzeugte. Die junge Waffenoffizierin erkannte dies und versuchte, ihn aufzuhalten. Jay brach ihr mit einem Tritt das Genick. Dann gelang es ihm, die Sicherheitsmechanismen des Schiffes außer Kraft zu setzen und die Raketen abzufeuern.

Dabei halbierte er die Energieversorgung der Erde.

Die Preise stiegen dramatisch, es gab überall Engpässe, bis schließlich die Ersatz-Fusionskraftwerke ans Netz gingen.

Johann Jeremias Shakler wurde überall verflucht, nur die Flotte hielt sich zurück. Tatsächlich hatte ein Schlupfloch in der Software dafür gesorgt, dass Jay überhaupt erst Zugang bekam. Er wurde auch nicht des Mordes angeklagt; die Waffenoffizierin hatte eine schwere Hirnblutung erlitten und wäre laut Pathologen ohnehin gestorben.

Der Gipfel der Ironie war jedoch, als sich herausstellte, dass es sich bei den außerirdischen Waffen nicht um Waffen, sondern um einen Funkspruch handelte.

Der Funkspruch lautete in etwa so: "Wir kommen in Frieden, wir sind friedliche Entdecker. Wir wollen euch nichts Böses, wir wollen nur unsere Latrinen leeren und unsere Wassertanks füllen."

Also, die Erde wäre nur eine kosmische Toilette gewesen...

Und so bekamen die Aliens ihren Spitznamen: Klohaus-Aliens!

Jonathan wurde von der Flotte von allen Schuld freigesprochen. Aber das half ihm nicht. Er spürte, dass die ganze Menschheit ihn hasste. Auch das Ändern seines Namens half nicht. Ständige Schmähnachrichten füllten sein Telefon, und seine Familie wandte sich ab und zog weg. Er versuchte, sich umzubringen, aber nicht ernsthaft genug. Er wollte nicht wirklich sterben! Und dann wurde ihm die Lösung angeboten: Er heuerte bei StarMap Ltd. an. Dort war ein Subraumpilot immer willkommen, und man bot ihm die Position des "Kapitäns" an, oder in diesem Fall des Schiffsmanagers.

Dies war die Gelegenheit, der Menschheit und ihrer Ungerechtigkeit zu entkommen.

Als er nach der ersten zehnjährigen Mission zurückkehrte, verspürte er kein Bedürfnis, sich irgendwo niederzulassen und meldete sich sofort für die Mission mit der Abhysal an.

Für Milo gab es keine besonders tragische Geschichte. Milo hatte eine seltene Krankheit; in früheren Jahrhunderten hätte man sie vielleicht fälschlicherweise als Savant-Syndrom eingestuft. Aber mit der modernen Medizin und dem Gehirnscan war nun viel mehr bekannt: Milos Gehirn war auf den Subraum ausgerichtet. Er spürte alle Schwingungen und Impulse. Leider hatte auch die moderne Medizin keine Lösung parat, um ihn zu heilen, aber das war auch nicht nötig. Weder seine Eltern noch die Gesellschaft sahen es als notwendig an, dass Menschen einem sozialen Schema folgen sollten. Er besuchte eine Sonderschule, wo er besonders gefördert wurde. Alles wurde getan, damit Milo seine Talente und Vorlieben ausleben und ein erfülltes Leben haben konnte. Das Wichtigste für Milo war der Subraum. Zusätzlich zu seiner Fähigkeit, den Subraum zu spüren, hatte er auch eine geniale mathematische und physikalische Begabung, und noch vor seinem zwanzigsten Lebensjahr war Milo ein weltbekannter Subraumexperte geworden. Spezielle Pflegeroboter halfen ihm im täglichen Leben, weil er es nicht selbst tun konnte, er hatte auch Schwierigkeiten, sich auf andere Menschen einzulassen. Der Umgang mit vielen Menschen irritierte ihn, machte ihn wütend und unkonzentriert. Er zog es vor, allein oder in einer Familienstruktur zu leben. Da er sich magisch zum Subraum hingezogen fühlte, war es eine natürliche Entscheidung gewesen, bei StarMap zu arbeiten, und der Umgang mit einer kleinen Crew, die fast wie seine Familie war, war für ihn auch absolut ideal. Seine Arbeitsbedingungen waren einfach: Er musste die Befehle des Schiffsmanagers bedingungslos befolgen und das Raumschiff mit künstlicher Intelligenz so sicher wie möglich durch den Subraum navigieren. Im Gegenzug durfte er so viel freie Zeit für seine Forschungen nutzen, wie er wollte, und auch auf alle Sensordaten zugreifen. Natürlich durfte er seine Entdeckungen auch veröffentlichen.

Von seiner ersten zehnjährigen Mission brachte er tausende Seiten bahnbrechende Subraumbeobachtungen mit und auch eine neue Theorie zur Berechnung der Diskontinuität in mehrdimensionaler Form. Er wurde zum Popstar unter den Subraumphysikern und tourte mit seiner Familie durch die vereinigten Planeten, hielt Vorträge und veröffentlichte seine Erkenntnisse. Dabei entdeckte er auch, dass er sein Wissen gerne weitergab. Aber leider waren seine Vorträge völlig chaotisch und alles andere als organisiert. Er schrieb Formeln auf die altmodische Kreidetafel und begann oft zu stottern, so dass ihn niemand verstand. Daher waren seine Vorlesungen meist schlecht besucht, und die wissenschaftliche Gemeinschaft konzentrierte sich hauptsächlich auf seine schriftlichen Arbeiten. Milo hätte sich gut vorstellen können, an einer Universität zu lehren und zu forschen. Aber niemand wollte diesem unorganisierten Genie einen Lehrstuhl anbieten. Das machte Milo sehr traurig, und das Zusammenleben mit vielen Menschen machte ihn reizbar und er konnte sich kaum konzentrieren. Also fragte er StarMap, ob er wieder an einer Mission teilnehmen könnte. StarMap war natürlich sehr begeistert, denn in zwei Jahren würde die große Abhysal-Mission beginnen. Um ihn bis dahin bei Laune zu halten, bekam er ein Büro und eine kleine Wohnung im StarMap-Hauptquartier und durfte alle Subraum-Rohdaten durcharbeiten, die von den Kartierungsschiffen gesammelt wurden.

Milo vermisste es, selbst im Subraum zu sein und konnte es kaum erwarten, dass die Abhysal-Mission begann.

Lexaly war ein Sonderfall; niemand wusste genau, warum sie sich der StarMap angeschlossen hatte. Auf jeden Fall schien sie nicht abenteuerlustig zu sein, und ein tragisches Unglück wie das von Jay konnte man ihr nicht nachweisen. Sie behauptete nur, Geld verdienen zu wollen und den Subraum zu lieben. Sie war Informatikerin und hatte während ihres Studiums die KI-Programmierung entdeckt. KI-Programmierung war das Schwierigste, was es gab, und die Programmierung nur kleiner Teile erforderte Tausende von Arbeitsstunden. Deshalb wurde das Dateninterface entwickelt. Sie wurde in den Hirnstamm implantiert, und Programmierer konnten direkt in der KI arbeiten. Dazu musste man sehr gewissenhaft, perfektionistisch und in der Lage sein, sich stundenlang zu konzentrieren. Natürlich musste man vorher exzellent programmieren können, sonst hatte man bei der komplizierten KI-Programmiersprache keine Chance. Lex erfüllte alle Anforderungen. Sie war immer in sich gekehrt, sehr präzise in ihrer Arbeit, auch sehr ruhig und konzentriert. Die meisten Leute dachten, sie sei schüchtern und ängstlich. Aber in Wirklichkeit arbeitete sie einfach gerne allein und fand Computerprogramme interessanter als andere Menschen. Doch im dritten Jahr ihrer Ausbildung zur KI-Programmiererin kam es zur Katastrophe.

Sie befand sich in der KI-Zentrale in Marrakesch und war wie üblich mit ihrem Implantat mit dem KI-Stuhl verbunden. Gewissenhaft studierte sie die Veränderungen, die sie in der Krankenhaus-KI eines Krankenhauses in Delhi ausführen musste. Die neue vollautomatische Frühgeborenenstation würde bald eröffnet werden, und sie musste einige letzte Anpassungen vornehmen. Routinearbeit. Genau genommen war es nicht ihr Projekt, sondern das von Betty, ihrer Vorgesetzten, die krankgeschrieben war. Aber die Arbeit war so einfach, dass die Programmierfirma beschloss, sie von einem Lehrling erledigen zu lassen. Das Zeitfenster öffnete sich und Lex nahm Kontakt zu der fremden KI auf. Zwei Stunden lang arbeitete sie fleißig, nur eine Korrektur bereitete ihr Schwierigkeiten. Hatte sie richtig programmiert? Sollte sie ihren Chef anrufen? Sie war mit sich selbst im Zwiespalt. Das Zeitfenster würde sich bald schließen, und wenn sie zögerte und die KI nicht rechtzeitig fertig wurde, würde die Firma Strafen zahlen müssen. Außerdem würde es sich negativ auf ihre Bewertung auswirken, wenn sie eine so einfache Routinearbeit nicht selbst erledigen konnte. Ein Scheitern war das Schlimmste, was Lex sich vorstellen konnte. Also beschloss sie, sich noch ein paar Minuten Zeit zu nehmen und die Schritte zurückzuverfolgen. Als sie sich den Code noch einmal ansah, sah er vollkommen in Ordnung aus, und Lex beruhigte sich. Sie beendete die Programmierung und schrieb gewissenhaft ihr Protokoll, bevor sie ihre Schicht beendete.

Der Schrecken folgte drei Monate später. In einem Zeitungsartikel stand, dass in der neu eröffneten Frühgeborenenstation 17 Säuglinge gestorben waren. Der Fehler war eine falsch programmierte Infusionspumpe. Lex hatte noch alle Programmcodes in ihrem Kopf. Sie hatte den Fehler gemacht, jetzt wusste sie es: Sie hatte einen Kommafehler gemacht und die Infusionspumpe hatte falsch dosiert. In Panik wartete Lex die nächsten Tage darauf, dass die Polizei sie verhaftet. Doch nichts geschah. Als sie die Zeitung wieder las, stellte sich heraus, dass der Hersteller der Infusionspumpen angeklagt worden war, weil eine Pumpe tatsächlich einen Fehler gemacht hatte.

Lex war wie gelähmt; jemand würde es herausfinden. Jemand würde sehen, dass die KI-Programmierung falsch war! Spätestens beim Gehirnscan im nächsten Monat würde jeder wissen, dass sie für einen schrecklichen Unfall verantwortlich war!

Aber ein Unfall kam selten allein; ihre Zwillingsschwester starb nur zwei Tage später bei einem Unfall. Lex fiel in eine tiefe Depression, nicht nur der Tod ihrer Schwester, sondern vor allem der Tod der Neugeborenen lastete auf ihr; 17 unschuldige Kinder waren durch ihre Schuld gestorben. Der Gehirnscan zeigte nur Lex' tiefe Zerrüttung, und jeder glaubte, es sei der Tod ihrer geliebten Schwester.

Die KI-Firma bot ihr eine Auszeit an, um zu trauern. Wie in Trance buchte Lex einen Trauerworkshop. Erst als sie in einem alten Kloster übernachtete, wurde ihr klar, dass sie die Auszeit bei Nonnen gebucht hatte.

Doch die Monate dort taten ihr gut. Die Religion war in der modernen Welt völlig in Vergessenheit geraten, und es war das erste Mal, dass Lex etwas von einem Gott hörte. Doch bald fand sie Trost im Glauben, und eines Morgens, als sie in der alten Kirche betete, wurde ihr klar, was sie zu tun hatte. Sie musste für ihre Schuld büßen! Ihr Beichtmutter hörte sich ihr Anliegen an, ohne zu urteilen, und half Lex, eine Lösung zu finden. Lex wusste genau, was sie zu tun hatte: Sie würde ihr Leben als eine Art Eremit verbringen. Sie wollte etwas Gutes für die Menschheit tun. Sie würde sich StarMap anschließen und mit ihren Fähigkeiten zum erfolgreichen Abschluss von Missionen beitragen. In der Abgeschiedenheit des Raumschiffs würde sie alle Zeit der Welt haben, um für die verlorenen Seelen zu beten.

Sie erzählte nie jemandem von ihren Plänen. Es war ihr klar, dass ihr Plan für einen Außenstehenden völlig verrückt klingen würde.

Mit frischem Mut schloss sie ihre Ausbildung ab und heuerte bei StarMap an. Fast erwartete sie, dass die Polizei auf sie warten würde, als sie von ihrer ersten zehnjährigen Mission zurückkehrte. Aber niemand bemerkte den KI-Fehler, und die Krankenhaus-KI war inzwischen ausgetauscht worden. Es gab also keine Beweise mehr für Lex' "Verbrechen". Doch Lex urteilte, dass Gott einen Teil ihrer Schuld bereinigt hatte und sie vor der Schande einer Verhaftung bewahren wollte. Sie fühlte sich in ihrem Handeln bestätigt und meldete sich sofort wieder für die Abhysal-Mission.

Nach ihrer ersten Mission verstand niemand aus ihrer Familie, warum sie wieder wegfliegen wollte. Aber man konnte sehen, wie glücklich und zufrieden sie war, und ihre Familie ließ sie wieder gehen.

Joe war ein klassischer Abenteurerin, wie die meisten Leute, die sich StarMap anschlossen. In ihrer Jugend hatte sie sowohl an Segelregatten als auch an Subraum-Rallyes teilgenommen und konnte von dem Adrenalinrausch nie genug bekommen. Aber ihre Hobbys waren teuer, denn ein Subraum-Rennschiff kostet mehrere Jahresgehälter, also heuerte sie schon früh als Maschinistin auf Subraumkreuzern an. Aber ihr Verdienst war nicht so hoch, und die Urlaubstage reichten nie für ihre geplanten Abenteuer. Also beschloss sie, zehn Jahre lang für StarMap zu arbeiten. Das würde ihr genug Geld einbringen, um für den Rest ihres Lebens zu segeln oder Subraum-Rallyes zu machen.

Ihre erste StarMap-Mission schlug komplett fehl. Zwei Monsterwellen überrollten das Schiff, und sie saßen danach zwei Jahre lang auf einem Riff fest. Joe war die Einzige, die Erfahrung als Pilotin im unerforschten Subraum hatte. Also wurde sie in dem kleinen Shuttle losgeschickt, denn alle hatten die Hoffnung verloren, dass die Rettungsschiffe sie finden würden. Sie brauchte sechs Monate, um sich durch den Subraum bis zur nächsten Straße durchzukämpfen. Aber schließlich wurden sie alle gerettet.

Nach einem solchen Abenteuer schienen all die Subraum-Rallyes und Segeltörns langweilig zu sein, und Joe beschloss einfach, auf eine andere Mission zu gehen. Schließlich war die Entdeckung des Subraums wohl eines der letzten Abenteuer, die man als Mensch erleben konnte.

So kam der kleine, drahtige und draufgängerische Maschinistin an Bord der Abhysal.

Nicolai, oder einfach Nemo genannt, hatte auch eine tragische Geschichte hinter sich. Sein erster Gehirnscan im Alter von acht Jahren bescheinigte ihm schwere pädophile Züge. Ein Schock für die Familie und Unverständnis für Nicolai, der aus der öffentlichen Schule genommen wurde und eine Sonderschule besuchen musste.

Die Gehirnscans ein Jahr und zwei Jahre später zeigten immer noch eine schwere pädophile Störung, und mehrere neurologische Gutachten besagten, es sei nur eine Frage der Zeit, bis diese gefährliche Ader durchbrechen und er sein erstes Sexualverbrechen begehen würde.

Im Alter von 13 Jahren konnte Nicolai Statistiken besser als jeder Mathe-Student. Immer wieder erklärte er Ärzten, Richtern und Psychiatern, dass er ein falsch-positiv sei. Der Hirnscan habe bei ihm nicht funktioniert, sagte er, und er sei einer von fünf Menschen weltweit, die fälschlicherweise beschuldigt worden seien. Aber alle lächelten nur milde.

Sein Schicksal war vorbestimmt, mit 16 Jahren sollte er in die "Plastikmüllmannschaft" verbannt werden. Dort waren all jene, die der Hirnscan als Gefahr einstufte, ohne dass sie jemals ein Verbrechen begangen hatten. Sie lebten in einem Luxus-Resort auf den Kerguelen Inseln, von wo aus sie die Antarktis von tausenden Tonnen Plastikmüll reinigten, den die Menschheit im 20. und 21. Jahrhundert hinterlassen hatten.

Im selben Jahr wurde er für den Sommerurlaub dorthin geflogen. Die Leute waren alle nett und er hatte Gelegenheit, mit den Dutzenden von Männern zu sprechen, die ebenfalls wegen ihrer pädophilen Neigung verbannt worden waren. Sie alle, aber wirklich alle, beteuerten, dass sie unschuldig seien und niemandem etwas antun würden. Sie alle behaupteten, dass der Gehirnscan nicht funktioniert habe und sie falsch positiv getestet worden seien.

Nicolai war entsetzt.

Kaum zurück, hatte er eine Fußfessel bekommen und sich angewöhnt, um jeden Kindergarten und jede Schule einen großen Bogen zu machen. Er schaute sich immer eilig um, um nicht zu nahe an ein Kind heranzukommen. Seine Familie konnte seine Situation nicht ertragen und zog auf einen Bauernhof in den Karpaten. Per Fernstudium absolvierte Nicolai seine Schulpflicht und verbrachte ansonsten die Zeit mit seinen beiden Hunden und seinem Pferd. Er verließ den Hof kaum und mied andere Häuser oder Dörfer wie die Pest. Die Vorstellung, dass er die nächsten 100 Jahre seines erwachsenen Lebens auf einer einsamen Insel verbringen und Plastikmüll sammeln würde, war so absurd, dass sie geradezu surreal wirkte. Aber er konnte auf die Unterstützung seiner Familie zählen. Alle suchten fieberhaft nach einem Ausweg aus dem Exil. Und sie fanden ihn.

StarMap versprach der Polizei, sich in Zukunft um Nicolai zu kümmern. Von nun an würde er sich nur noch in StarMap-Raumschiffen oder zu besonderen Anlässen in der Firmenzentrale aufhalten. Würde er das Gelände aus unbekannten Gründen verlassen, würde sofort die Polizei verständigt werden.

So wurde Nicolai an seinem sechzehnten Geburtstag von StarMap abgeholt, um zum Trainingsraumschiff gebracht zu werden. In der Enge des Schiffes fühlte sich Nicolai so frei wie nie zuvor. Die anderen erwachsenen Besatzungsmitglieder kümmerten sich nicht um seine möglicherweise pädophile Ader, und er wurde schnell zu einem kompetenten und zuverlässigen Schiffsingenieur.

Er begann einen Video-Blog, in dem er immer wieder über das Leben im Subraum und alle möglichen technischen Aspekte schrieb. Außerdem schrieb er Kindergeschichten, die auf der Erde sehr beliebt waren.

Nach vier Missionen und 42 Jahren im Subraum war Nemo, wie ihn alle nannten, eine lebende Legende und der dienstälteste Subraum-Veteran. Zwei Generationen waren mit seinen Geschichten und Abenteuern aufgewachsen. Der Gehirnscan wurde offiziell als "falsch positiv" eingestuft, und Nemo durfte zur Erde zurückkehren.

Aber Nemo wollte nichts mehr davon hören; tief in seinem Inneren brummte ein Hass auf die Menschheit und er schwor sich, nie wieder einen Fuß auf die Erde zu setzen. Genau wie sein Namensvetter aus dem Roman von Jules Verne. Jedenfalls kannte er nichts anderes als den Subraum und den Weltraum, und sobald er auf einem Planeten war, fühlte er sich landkrank.

Also war für ihn klar, dass er für den Rest seines Lebens für StarMap arbeiten würde.

Das Geld, das er verdiente, verteilte er an alle möglichen Wohltätigkeitsorganisationen oder gab es aus, um sich für seine teuren Hobbys auszustatten.

Wie sahen die Besatzungsmitglieder aus und was waren ihre Charaktere?

Im 24. Jahrhundert hatten sich alle Völker stark vermischt und es war kaum möglich, die Herkunft eines Menschen anhand seines Aussehens zu klassifizieren. Auf den Pässen stand "Species: Homo Sapiens" geschrieben und nur der Geburtsort wurde aufgeführt. Doch es war in Mode, zu den eigenen Wurzeln zurückzukehren. Mit Genanalysen, Stammbäumen, alten Geographie- und Geschichtsbüchern versuchten die Menschen, ihre Verwandtschaft zurückzuverfolgen. Die meisten trugen Gene aus allen Ethnien in sich und so konnte sich jeder nach Lust und Laune seine Lieblingsvorfahren aussuchen.

Die Charaktereigenschaften der Menschen an Bord waren nicht extrem ausgeprägt und alle hatten einen sehr ruhigen, friedlichen und gemäßigten Charakter. Eine Crew, die jeden Tag Streit oder Drama hatte, war gut für Film und Fernsehen, aber sicher nicht in der Realität. Bei solchen Langzeitmissionen achtete StarMap sehr genau darauf, dass nur psychologisch absolut stabile Menschen an Bord waren. Denn an Bord ging es darum, im Notfall eingreifen zu können. Jeder musste unter hohem Druck und Lebensgefahr ruhig und effizient arbeiten und durfte unter keinen Umständen in Panik geraten. Speziell entwickelte Psycho-Hypnose-Programme und Atemübungen halfen der Besatzung, sich auf die schlimmsten Notfälle vorzubereiten und auch das Leben in der Abgeschiedenheit zu bewältigen. Alle waren auf ihrer zweiten Mission und nach jahrzehntelangem Psychotraining würde keiner von ihnen in Panik geraten, wenn plötzlich Aliens an Bord stürmen würden. Für solche Fälle gab es auch Medikamente, die die Emotionen dämpfen und die Crew noch leistungsfähiger machen sollten. Aber trotz der allgemeinen Ähnlichkeit der Charaktere an Bord hatte jeder von ihnen seine eigenen Besonderheiten.

Jay war groß und breitschultrig, große Muskeln wölbten sich unter seiner dunklen Haut. Viele Leute hielten ihn für einen Berufssoldaten oder Ringer, weil er so aussah. Wenn er nach seinen Vorfahren gefragt wurde, behauptete er gerne, dass sie Maori-Krieger waren. Er bevorzugte es, militärische Kleidung zu tragen und versuchte, immer und überall korrekt zu sein, ein vorbildlicher Offizier, wie es sich für einen idealen Schiffskapitän gehört. Von Zeit zu Zeit war er wütend über sein Schicksal und träumte davon, sich irgendwie zu rächen. Aber das dauerte meist nur kurz und diese Racheträume waren in den vielen Therapiesitzungen fast völlig verblasst. Er wusste nicht, was er nach der Abhysal-Mission tun sollte. Weiter arbeiten wie Nemo? Oder sich irgendwo zur Ruhe setzen? Gelegentlich träumte er davon, Außerirdische zu treffen und sein Geld als Söldner zu verdienen. Die anderen lachten über seine Träume. Aber die Diskussion über die Begegnung mit Außerirdischen konnte ganze Abende füllen und war ein geschätztes Gesprächsthema. So wie man auch abendfüllende Diskussionen über mögliche Lottogewinne führen konnte.


Auch Joe träumte davon, Außerirdische zu treffen, es war auch einer der Gründe, warum sie sich angeheuert hatte. Der erste Mensch zu sein, der einer neuen Rasse begegnet und sie erforscht! Sie war mittelgroß und hatte braunes Haar, das sie gerne rot färbte. Sie war an den Flanken vom Stromboli im Mittelmeer aufgewachsen, behauptete aber, Vorfahren aus der Wikingerzeit zu haben und erzählte gerne von den Normannen, die um das Jahr 1000 bis nach Sizilien gekommen waren. Sie war drahtig und athletisch. In ihrer Jugend hatte sie an fast allen Segelregatten teilgenommen und hatte sogar die Route de Rhum alleine gesegelt. Die Einsamkeit machte ihr nichts aus und je gefährlicher es wurde, desto besser. Sie war eher der Witzbold der Crew und immer für einen Spaß zu haben.

Lex war das komplette Gegenteil. Sie war eher ein ängstlicher Charakter und hatte ein unübertreffliches Talent, überall Worst-Case-Szenarien zu sehen. Das war ganz praktisch, denn mit ihrem Pessimismus war die Crew auf alle undenkbaren Eventualitäten vorbereitet. Die Begegnung mit Außerirdischen wäre für sie der reinste Horror. Was, wenn sie Kiki zerstören würden?

Wenn man sie nach ihren Vorfahren fragte, antwortete sie nur: "Die Ecke zwischen Korea und Japan oder so." Wie alle in der Crew hatte sie über ein Jahrzehnt exzessives Fitnessraining mit Jay hinter sich, und ihr runder, pummeliger Körper war jetzt schlank und gut definiert. Ohnehin wären viele Menschen auf der Erde neidisch auf die durchtrainierten Körper der Crew gewesen.

Nemo war mit seinen fast 70 Jahren außerordentlich fit und konnte Jay leicht schlagen, wenn sie einen simulierten Marathon laufen würden. Er war grauhaarig. Abwechselnd trug er einen dicken Schnurrbart oder einen buschigen Bart. Er war der einzige, dem man ansah, dass er kaukasische Vorfahren hatte und er behauptete gerne, dass seine Vorfahren aus einer einflussreichen Zaren-Familie stammten. Er war sehr lethargisch und lakonisch. "Mal sehen..." war seine Lieblingsfloskel. Und dieser Charakterzug hatte ihm schon in einigen Situationen das Leben gerettet. Er war genau der Mann, den man an seiner Seite haben wollte, wenn das eigene Raumschiff auseinandergerissen wurde und man auf einem monsterverseuchten Planeten notlandete. Nemo würde immer und überall eine Lösung finden. Er hatte seinen Hass auf die Menschen vor zwei Jahrzehnte beiseite gelegt und liebte es, ein Emerit zu sein. Wenn die Abhysal zurückkehren würde ... wenn ... dann würde er sich einfach für die nächste Mission melden. Immer wieder, bis er irgendwo verunglückte oder in Frieden einschlief.

Milo wurde auf einem kleinen Kolonieplaneten geboren, hatte aber seine gesamte Kindheit in Südamerika verbracht. Auf die Frage, woher seine Vorfahren stammten, sagte er nur: "von der Erde". Er hatte ein südspanisches Aussehen und hätte leicht ein Frauenschwarm sein können. Aber daran war er nicht interessiert. Er war ohnehin extrem schüchtern im Umgang mit Menschen, und es hatte fünf Jahre gedauert, bis er die Crew so gut kennengelernt hatte, dass er sich ihnen anvertrauen konnte, aber jetzt betrachtete er sie als seine Familie. Die meiste Zeit war er wortkarg, aber er konnte leicht stundenlang reden, wenn es um Astronomie oder Physik ging. Er machte auch eine Psychotherapie und die Crew war sich sicher, dass er mit jedem Jahr selbstbewusster und kommunikativer wurde. Der Vorstellung, auf Außerirdische zu treffen, begegnete er furchtlos. "Wenn sie Raumschiffe haben, müssen sie sich mit Physik gut auskennen. Ich wette, das ist aufregend." Milo war noch größer als Jay und musste sich jedes Mal ducken, um unter den Schotten der Raumschifftüren durchzukommen.

Er war der einzige an Bord, der keine Hobbys hatte.

Sternenkarte

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