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Z Je crois les étreindre encore

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In jener Nacht Ende Juni, so sagte Vince Corso später aus, habe er geträumt, dass ein Schwarm Nachtfalter aus dem Portal der Basilika Santa Maria Maggiore strömte und die Straßen Roms heimsuchte. Ein unwichtiges Detail, aber es war das erste, was ihm einfiel, als er sämtliche Ereignisse jenes Tages nacheinander erzählen sollte. Er hätte damit beginnen müssen, dass die Diebe zwischen Mittag und zwei Uhr nachmittags in seine Wohnung eingedrungen waren, und dass die Tür auf den ersten Blick keine Spuren von Gewaltanwendung zeigte. Das Namensschild war an seinem Platz, die Tür nur angelehnt. Das Türschloss – eines von herkömmlicher Machart, das weder Signora Doliner noch die Vormieter je ersetzt hatten – war mit einem Multipick-Dietrich geöffnet worden, ein einfacher, lautloser Vorgang. In dem Mietshaus hielten sich um diese Zeit nur wenige Rentner und zwei Familien aus Bangladesch auf. Die Hausmeisterloge war geschlossen, das Treppenhaus menschenleer, alle Fenster lagen im Schatten der Mittagsruhe.

Das und nichts anderes hätte er sagen sollen: sich damit begnügen, das mutmaßliche Zeitfenster der strafbaren Handlung anzugeben, die Umstände darzulegen, unter denen er die Tat entdeckt hatte, den Zustand, in dem Unbekannte nach ihrem unerklärlichen Raubzug seine Wohnung hinterlassen hatten, präzise zu beschreiben. Doch statt sich strikt an die Tatsachen zu halten, sprach Corso von Träumen und Vorahnungen.

Für ihn hatte die Geschichte mit dem verstörenden Auftauchen dieser Myriade von Nachtfaltern eingesetzt, die seinen Schlaf empfindlich gestört hatte, bevor jemand ein paar Stunden später in seine Wohnung eingedrungen war, um sie zu verwüsten. Ihre Flügel waren aschgrau mit langen, messerförmigen Enden, und ihr Schlagen – das Schlagen Hunderter winziger, mit Zeichnungen geäderter, grauer Häute – hatte eine Welle aus Staub und Wind rings um den Schwarm aufgewirbelt. Sogar die Bäume am Ende der Via Merulana hatte sie erfasst, die Pflanzen auf den Fensterbrettern hatten sich gebogen, die Straßenlaternen entlang der Fußgängerwege waren erloschen.

Um der Genauigkeit willen hätte er hinzufügen müssen, dass die Stadt am Abend zuvor nach zwei Tagen drückender Hitze von einem tropischen Wolkenbruch verheert worden war: Die Fahrbahnen und Gehwege waren überschwemmt, Metrostationen, Unterführungen und Keller vollgelaufen, Bäume entwurzelt, Ampeln und die Straßenbeleuchtung lahmgelegt. Doch das hielt er für überflüssig, denn der Geruch des Regen hatte die Luft so intensiv erfüllt, dass er in die Träume vieler Menschen eingedrungen war. In seinem erschien der Asphalt noch nass und glänzend, das Licht schwach, wie auf manchen alten Schwarzweißfotos. In diesen verunstalteten Straßen hatte sich der Flug der Insekten ohne erkennbares Ziel fortgesetzt, hysterisch, aber als geschlossener Schwarm, und erst als auch der letzte Nachtfalter verschwunden war, hatte Corso endlich seine Schritte in den leeren Eingeweiden des Viertels widerhallen hören, aber es war ein hinkender Gang, der Gang eines Menschen, dem plötzlich etwas genommen war.

Beim Aufwachen hatte ihn die heftige Sehnsucht nach Feng wieder als physischer Schmerz erschüttert. Jede Einzelheit der letzten Nacht, in der sie bei ihm geschlafen hatte, bevor sie abreiste, hatte er tagelang immer wieder durchlebt: der Druck ihrer Hüften im rosigen Licht des Sonnenaufgangs, die Silhouette ihres Rückens, ihre Art zu küssen. Trotzdem hatte er sie dann gehen lassen.

Nichts von ihr war in dieser Wohnung geblieben. Kein Ring, kein Geschenk. Ihre Beziehung war von so kurzer Dauer, dass sie dafür keine Zeit gehabt hatten. Wenn er etwas, was ihnen gemeinsam gehörte, an dieses Museum in Zagreb hätte schicken wollen, wo unbedeutende Gegenstände und Spuren gesammelt werden, die ein Paar nach seiner Trennung zurückgelassen hat, hätte er nicht gewusst, was er schicken sollte. Wie viel Zeit war vergangen seit dem Sommer, als er dieses Museum besucht hatte? Er erinnerte sich nur, dass er bei der Gelegenheit ein neues Schreibheft eingeweiht hatte, das Notizbuch der abgebrochenen Beziehungen. Auf den ersten Seiten hatte er sorgfältig einige der Ausstellungsstücke in diesem seltsamen Ort vermerkt: die Beinprothese, die ein Kriegsveteran seiner Ex-Frau geschickt hatte; die Tischleraxt, mit der eine Frau aus Berlin die Möbel ihrer Wohnung in Stücke gehauen hatte; ein Brautkleid; ein Schiffsmodell; ein roter Slip; eine angeschlagene Tasse; ein Schlüssel. Dieses Museum war ein Tribut an die Ambivalenz jeder Erinnerung. Nein, es gab keine Spur von Feng in seiner Dachwohnung, kein vergessenes Kleid, kein Buch, kein Foto. Er hätte sie auch nie wiedersehen können, und nichts hätte ihren vorübergehenden Aufenthalt in seinem Leben bezeugt.

Er hatte sich mit fast tauben Gliedmaßen erhoben und überlegt, was er am Vorabend gegessen, wie sehr er sich den Mund und die Kehle mit Tabak vergiftet hatte. Doch sein Unwohlsein war anderer Art.

Einmal hatte seine Mutter ihn, er war noch klein, zu einer übergewichtigen, bizarren Dame gebracht, die die Zauberin genannt wurde und in der Nähe von Antibes wohnte. Sie hatten ein Zimmer betreten, in dem es nach Weihrauch roch. Mein Sohn erkrankt manchmal an Traurigkeit, hatte seine Mutter gesagt. Die Zauberin hatte seine Hände genommen, dann hatte sie ihn und seine Mutter angeschaut, den Mund zu einer mitleidigen Grimasse verzogen.

Er zündete das Gas unter der Espressokanne an. Doch weder ein doppelter Kaffee noch eine Schallplatte von Charles Trenet konnten seine Nervosität lindern. Er stellte sich unter die Dusche, dann lieferte er sich, zusammen mit Django, wieder dem Stadtviertel aus, in das es ihn verschlagen hatte und das er längst als eine Heimat und ein Versprechen empfand.

In der Hausmeisterloge ordnete Gabriel gerade die Post. Er öffnete die Fensterluke, um ihm einen Brief zu übergeben.

»Die Hausnummer ist falsch, aber jetzt wissen ja sogar die Boten wo du wohnst.«

Corso steckte ihn ungesehen ein und überflog die Schlagzeilen der Tageszeitung, die aufgeschlagen auf dem Tisch lag.

»Auch die Chinesen ziehen von hier weg«, sagte Gabriel mit seinem unverwechselbaren südamerikanischen Akzent.

Corso zog eins der letzten Päckchen Gitanes aus der Tasche, aber es war leer. Gabriel gab ihm ein bisschen Tabak und ein Zigarettenpapier. Bevor er ging, sagte er wie zur Warnung: »Der Brief da, der kommt aus einem Gefängnis.«

Die Eingangstür fiel mit einem Ruck zu, der ihn zusammenzucken ließ, Django schnüffelte an den Reifen eines Mofas, dann gingen sie langsam in Richtung Piazza Vittorio, mischten sich unter die vielen Passanten.

Das hier war ein Hafenviertel. Es hatte den typischen Geruch der Häfen, nach faulendem Obst, Bratküchen und orientalischen Gewürzen. Jeder Gehweg ein Marktstand: Hier verkaufte einer enorme Stoffbahnen, dort schnitt ein anderer Haare, wieder einer kämmte sie, manche spielten mit Würfeln auf der Straße, es war ein ständiges Kommen und Gehen samt Koffern und Stimmen. Ein Ort zum Ankern und zum Entladen, der sich am Morgen füllte und am frühen Nachmittag leerte. Viele standen untätig in merkwürdigen ethnischen Gewändern an der Straßenkreuzung, warteten, dass irgendein Kapitän ihnen eine Arbeit als Schiffsjunge oder Matrose auf dem nächsten Schiff anbot. Andere, in weißen Jacken mit orientalischem Schnitt, rauchten vor einem Kiosk, dann verschwanden sie in einer indischen oder chinesischen Spelunke oder tauchten in den Gängen der Metro unter. Den Neuankömmlingen wurden Legenden aufgetischt: Diese Stadt hätte sieben Könige gehabt, so viele wie ihre Hügel, und über dreihundert goldene Kuppeln, und abends würde sie mit bunten Lampen erleuchtet. Nur das Meer fehlte, sein salziger Vorbote hinter den Häusern, oder wenigstens das breite Delta eines Flusses, wenn nicht gar ein Ozean. Trotzdem ahnte man, dass ein ganz anderes Panorama in Reichweite war, man musste nur ein paar hundert Meter hinabgehen und die gewaltige weiße Zollstation des Bahnhofs durchqueren, um sich vor dem Horizont der Gleise und ihrem Netz aus Trossen, Stangen und Großmasten wiederzufinden. Dieses Viertel hätte Genua oder Lissabon oder Buenos Aires heißen können – mit seiner langen Reihe Landungsstege begrenzte Termini es wie eine Küste. Wie in den Häfen am Wasser war hier alles ein einziges Pulsieren zwischen dem, was abfährt, und dem, was zurückkehrt oder stillsteht; auch die Zeit staute sich, zusammen mit den Pfützen. Hierher kam man nicht, um zu entdecken, wer man geworden war, sondern wer man schon immer war.

Eine Frau mit einem Einkaufswagen ging um Geld bittend vor ihm vorbei, doch Corso hatte keine Münzen und entfernte sich, Entschuldigungen murmelnd. Er überquerte wieder die Straße und setzte sich auf eine Bank. Ohne Besatzung, allein war er hier angekommen, wie man an einer Anlegestelle oder an einer Bucht ankommt, und jetzt fühlte er sich müde, müde auch all dieser Einsamkeit. Doch dies war die Stadt des Vergessens, Leute frühstückten im Caffé del Portico, jemand holte Geld an einem Bankautomaten, das Neonschild der Apotheke blinkte.

Er bemerkte erst jetzt, dass er gegenüber dem Haus der alten Schwestern saß, die vor zwei Monaten niedergemetzelt worden waren. An die Hauswand hatte jemand mit weißer Farbe eine Ente gemalt, und auf der anderen Seite war das Graffiti eines Mädchens mit langen Wimpern. Alle Fenster des Hauses gingen auf den Park hinaus. Er betrachtete sie, während aus einem riesigen, quer geparkten Lastwagen eine automatische Leiter bis zum ersten Stock hinauffuhr. Es musste ein lang geplanter Umzug sein, doch das Auf und Ab der Möbel und Stühle auf einer mechanisch bewegten Plattform klang in seinen Ohren schaurig und endgültig wie die Räumung einer Wohnung, die ihre Besitzer verloren hat.

Wieder suchte er seine Taschen nach einer Zigarette ab, fand aber nur den Briefumschlag, den Gabriel ihm ausgehändigt hatte. Der Brief kam aus der Strafanstalt Regina Coeli, Via della Lungara 29. Er riss ihn mit den Zähnen an einer Ecke auf; der Umschlag enthielt einen handgeschriebenen Zettel.

Sehr geehrter Vince Corso, bitte entschuldigen Sie die Kürze dieser Nachricht, aber ich komme nicht gut zurecht mit dem Italienischen. Ich heiße Queequeg und habe meine Nachricht einer freiwilligen Sozialarbeiterin von L‘Aquilone überlassen, die mir geholfen hat, Ihnen zu schreiben, und die alle meine Fehler korrigiert hat. L‘Aquilone ist die Kooperative, die sich um unsere Freizeit kümmert, eines der wenigen Dinge, an denen es im Gefängnis ja nicht mangelt. Ich gestehe, dass ich mit Ihnen über viele und dringende Fragen sprechen muss. Fragen, die mit Büchern zu tun haben, aber nicht nur. Meine einzige Möglichkeit, dem Gefängnis zu entkommen, ist das Lesen, und vor kurzem habe ich von dem Beruf erfahren, dem sie nachgehen, und wie er in den Strafanstalten anderer Länder ausgeübt wird. Darum wollte ich Sie fragen, ob es möglich ist, dass wir uns in der kleinen Bibliothek meiner Abteilung treffen. Ich wünsche Ihnen, dass Sie achtsam mit Ihrer Zeit umgehen. Kümmern Sie sich auch um sich, nicht nur um Ihre Patienten. Queequeg

Am unteren Rand des Zettels stand eine Telefonnummer. Corso faltete den Zettel zusammen und steckte ihn zurück in den Umschlag. Er wunderte sich. Wie hatte sein Name die Mauern eines Gefängnisses durchdringen können? Und dann diese Unterschrift … Was waren diese vielen und dringenden Fragen, über die der Unbekannte mit ihm sprechen wollte? Und was meinte er mit diesem Kümmern Sie sich auch um sich?

Ein Windstoß bewegte die Dattelpalmen und Granatapfelbäume im Park. Er hatte nicht die geringste Lust, einen Behandlungsraum in einem Gefängnis aufzumachen. Dieser Brief war eine Falle. Er steckte den Umschlag in die Hosentasche, löste die Hundeleine, und Django sprang auf, um sich an seinen Beinen zu reiben. Eine Gruppe indischer Frauen ging vorüber, musterte ihn neugierig. Hinter ihnen, unter den Arkaden, entfernte sich die magere, dunkle Gestalt eines Kommissars.

Ich töte wen ich will

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