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Erwachen
ОглавлениеVynnland – Das Moor
Wach auf!
Vogelstimmen, das Rauschen des Windes in Blättern, das Summen von Insekten. Ein erdiger Duft, vermischt mit dem von Blüten und nassem, faulendem Laub. Wind ließ ihn erschauern, bis ein Sonnenstrahl ihn erreichte und der Wind etwas nachließ.
Er schrak zusammen, als eine Hand sehr vorsichtig seinen Hinterkopf stützte und etwas Wasser über rissige Lippen in seinen trockenen Mund floss.
„Trink, aber vorsichtig und langsam.“
Als er versuchte, seine Augen zu öffnen, stach das Sonnenlicht zu wie ein Kobold, der auf seinen Lidern saß und nur darauf wartete, ihm kleine Dolche tief in sein Hirn zu rammen. Sofort kniff er die Lider wieder zusammen.
„Wie lange liegst du denn schon hier, hm?“
Die Frauenstimme war angenehm, warm und beruhigend. Er versuchte, sich zu erinnern. Kannte er diesen Klang? Sein Kopf wurde ins Gras zurück gelegt. Vorsichtig öffnete er die Augen, langsam, damit sie sich an das Licht gewöhnten. Verschwommen war da das Gesicht einer Frau, die sich über ihn beugte, dunkle braune Haare, die zu einem Zopf im Nacken gebunden waren, alles andere wirkte grob verzerrt und verwaschen.
„Bösen Schlag auf den Kopf bekommen? Bist du ausgeraubt worden?“
Er konnte sich an keinen Schlag erinnern. Genau genommen konnte er sich im Moment an überhaupt nichts erinnern.
„Verstehst du überhaupt, was ich sage? Hast du einen Namen?“
Name. Wieder drängte diese Leere in seinem Geist, als er versuchte, ihre Frage zu beantworten und trotz aller Anstrengung keine Antwort fand. Er setzte sich behutsam auf. Schwindel erfasste ihn, und er musste sich abstützen. Sie bemerkte seine Unsicherheit und zog ihn unter den Achseln in eine sitzende Position.
Erst jetzt bemerkte er, dass er nackt war. Erschrocken bedeckte er seine Blöße mit den Händen, doch dann wurde ihm bewusst, dass sie ihn längst nackt gesehen haben musste.
„Kannst du sprechen?“ Ihr Gesicht wirkte misstrauisch. Ihre dunklen Augen musterten ihn eingehend. Sie duftete nach Sonne, Wald und Leder.
Er öffnete den Mund, musste sich ein wenig konzentrieren und entrang sich ein krächzendes „Ja“. Es klang, als habe er seine Stimme bereits seit Jahren nicht benutzt.
Sie reichte ihm ihren Wasserschlauch.
„Trink noch etwas. Du hast in der Sonne gelegen, wer weiß, wie lange.“
Er setzte den Schlauch umständlich an den Mund und trank gierig das lauwarme Wasser. Als er ihr den Schlauch zurückgab, wiederholte sie ihre Frage, eindringlicher, so als spreche sie mit jemandem, der ihrer Sprache nicht mächtig sei.
„Verstehst du mich? Wie ist dein Name?“
Wieder tastete er sich durch sein Gedächtnis. Es war ihm, als rufe er in eine riesige, leere Halle hinein. Aber nicht einmal die winzigsten Fragmente oder Bilder aus seiner Vergangenheit antworteten. Hilflos zuckte er mit den Schultern.
„Ich weiß nicht“, murmelte er mühsam.
Sie runzelte die Stirn. Ihre Haut war leicht gebräunt. Das Hemd, das sie trug, war durchgeschwitzt.
„Was soll denn das heißen?“
Jäh kroch Angst wie eine Schlange seinen Rücken hinauf und machte sich in seinem Kopf breit. Tränen der Hilflosigkeit rannen aus seinen Augen.
„Ich kann mich nicht erinnern“, antwortete er zitternd.
„Na, na“, versuchte sie ihn zu beruhigen. Dass er weinte, schien ihr unbehaglich zu sein. Sie zog ein Bündel heran, einen Rucksack mit vielen Taschen und einer zusammengerollten Decke, kramte darin herum, um ihn nicht ansehen zu müssen. „Kannst froh sein, dass ich dich überhaupt gefunden habe. Der nächste Pfad durch das Moor ist zwei Stunden entfernt.“
Etwas landete auf seinen Knien. Eine Hose.
„Sie ist etwas eng, aber das muss reichen. Stiefel hab ich aber keine.“
Er wischte die Tränen ab. Der dunkelbraune Stoff fühlte sich dicht und robust an. Entlang der Beine waren Taschen aufgenäht und ein breiter Gürtel hing in den Schlaufen des Hosenbundes. Mit mechanischen Bewegungen zog er sie an, ein Bein nach dem anderen, zog sie hoch und schloss den Gürtel. Im Schritt quetschte sie ein bisschen seine Hoden zusammen, aber es ging.
„Die Überfälle haben zugenommen“, sagte sie wie zu sich selbst, während sie einen weiten Regenmantel ausrollte. „Ist ja auch kein Wunder, wenn das Korn auf den Feldern verbrennt.“
Er wusste nicht, wovon sie sprach. Mit einer raschen Bewegung warf sie ihm den Regenmantel um und band ihn unter dem Hals zusammen.
„Albastairn ist nicht mehr weit. Kommst aber jetzt alleine klar, ja?“
Unsicher blickte er sich um. Er lag auf einem kleinen Hügel, der aus dem Moor herausragte. Die Wurzeln eines Baumes mit knorrigen Ästen klammerten sich an die schwammige Erde und bildeten eine Mulde, in der er gelegen hatte. Seine Augen hatten sich an die Helligkeit gewöhnt. Einen Moment lang glaubte er, ein feuriges Prasseln zu hören, aber das entsprang wohl seiner Einbildung.
„Albastairn?“, fragte er leise.
Die Frau hielt inne. „Die Kleider kannst du behalten. Lass dich nicht von den Wachen am Tor einschüchtern.“ Sie erhob sich. „Diese Richtung.“ Sie zeigte in die Ferne. „In ein paar Stunden wird es dunkel, also beeil dich.“
Prüfend blickte sie ihn eine Weile an, er starrte zurück und wusste nicht, was er sagen sollte.
„Ach versengt, komm hoch!“, knurrte sie plötzlich, reichte ihm die Hand und zog ihn auf die Beine. „Du musst zu einem Apothekarier. Der wird deinen Kopf schon wieder zusammenflicken.“
Er zuckte die Schultern. Sein Nacken schmerzte, sein Blick war immer noch etwas trübe und in seinem Kopf hallte das Wort „Albastairn“. Kam er von dort? Oder war das sein Ziel?
Sie richtete den Regenmantel, unter dem er im warmen Sonnenlicht augenblicklich zu schwitzen anfing. Dabei fiel ihr Blick auf etwas im Gras. Sie bückte sich und hob ein Stück verschmortes Metall auf, auf dem er die ganze Zeit gelegen hatte.
Sich mit einer Hand an den Baumstamm klammernd, beugte er sich vor und betrachtete es stirnrunzelnd.
„Gehört das dir?“, fragte sie.
Es war schwer, vielleicht zwei Spann lang und sah aus wie unförmig zusammengebackene Kettenglieder. Angewidert schleuderte er den metallischen Klumpen von sich. Plumpsend versank er im nahen Morast.
„Lass uns gehen. Bitte“, murmelte er. Angestrengt lauschte er in sich hinein, hörte das Blut rauschen und spürte das heftige Pochen des Herzens. Wortlos tat er den ersten, unsicheren Schritt.
„Falsche Richtung. Hier lang.“
Sie war ein wenig kleiner als er, schmal und drahtig wie ein gespannter Bogen. Ihre langen, brauen Haare waren mit einer einfachen Metallspange zu einem Pferdeschwanz gebunden, der ihr bis zu den Schulterblättern reichte. Rasch klaubte sie alles zusammen, eine lederne Weste mit vielen Täschchen, Häkchen und Schlaufen, an denen allerlei Habseligkeiten baumelten, den Rucksack, an dem drei große, eingerollte Tierfelle befestigt waren. Erst jetzt bemerkte er, dass sie eine altmodische Büchse auf dem Rücken trug, die fast so lang wie sie selbst war. Ein langes Messingfernrohr zog sich über den mit Tierornamenten verzierten Lauf. Umgebaute Helletier Löwenpranke mit Zweifachmagazin, überlegte er und starrte die Waffe verblüfft an. An seinen Namen konnte er sich nicht erinnern, aber an eine uralte Feuerwaffe, die mit alchemisch behandelten Bleikugeln schoss?
Er hatte Mühe, dieser Frau zu folgen, die schnell und mit weit ausgreifenden Schritten voranging. Die Umgebung war ihm fremd, ein Brei aus Farben, Geräuschen und Gerüchen nach faulem Wasser, den er kaum sortieren konnte. Nicht einen einzigen klaren Gedanken bekam er zu fassen, während er hinter ihr hertrabte, immer wieder entzogen sie sich ihm, entschwanden wie Nebelschwaden im Morgengrauen.
Ein Ast strich durch sein Gesicht, doch er wischte ihn achtlos beiseite. Ständig musste er darauf achten, mit den nackten Füßen nicht auf spitze Äste oder Steine zu treten, die aus dem schwammigen Erdreich ragten. Er wusste nicht, in welche Richtung sie gingen, aber seine Retterin schien sich bestens auszukennen. Ob sie nun nach links und rechts ging, war ihm nicht wichtig. Wie war er hierhergekommen? Er wusste nicht, wie er hieß, was er hier sollte, wo seine Kleider waren, was passiert war. Wo er war. Welcher Tag heute war. Unermüdlich zermarterte er sich das Hirn, versuchte, sich zu konzentrieren. Aber dort, zwischen seinen Ohren, herrschte brütendes Schweigen.
Ein scharfes Zischen seiner Retterin riss ihn aus seinen Gedanken. Sie standen am Rande einer gepflasterten Straße, die mittlerweile nicht mehr durch das Moor, sondern durch einen dichten Tannenwald führte. Er vernahm dumpfes Hufgetrappel, das sich ihnen schnell näherte.
Sie blickte sich hektisch um und schob ihn dann von der Straße.
„Schnell, versteck dich da in den Büschen.“
„Was? Warum?“, protestierte er halbherzig.
„Tu, was ich sage“, knurrte sie.
Er zuckte zusammen. Ihr unwirscher Blick wanderte über seine Kleider.
„Götterverdammt. Warum schleife ich dich eigentlich mit?“, murmelte sie. „Du siehst aus wie ein Strauchdieb. Jetzt verschwinde endlich!“
Er biss sich auf die Lippen, nickte und sprang vom Weg hinab in einen leeren Wassergraben. Dort zwängte er sich in ein niedriges Gebüsch und versuchte, sich so gut es ging zu verbergen. Vorsichtig spähte er durch die Zweige.
Es waren Soldaten, bewaffnet mit Schwertern, schweren Armbrüsten und einigen Büchsen. Als sie näher heran waren, konnte er auf ihren rot lackierten Brustharnischen deutlich ein Symbol erkennen: einen steigenden Greifen.
Ganz vorne ritt ein breitschultriger Mann mit markantem dunklen Bärtchen und silbernen Tressen auf den Schultern. So selbstbewusst, wie er im Sattel saß, hatte er sicher Schneid bei den Frauen. Sein Harnisch glänzte in der stechenden Sonne. Er zog an den Zügeln seines prachtvollen Rappen und brachte das Pferd vor der Frau zum Stehen und bedeutete seinen fünf Begleitern mit einer knappen Geste, ebenfalls zu halten.
Mit einem gewinnenden Lächeln grüßte er sie und deutete eine Verbeugung an, die ihm seltsam erschien. Welcher Soldat würde sich vor einer jungen Frau wie ihr verbeugen, die aussah, als wäre sie im Wald zu Hause?
„Taramaree! Wie schön, dich zu sehen.“ Seine Stimme klang warm, ehrlich und freundlich.
Sie lächelte den Soldaten an, doch etwas verwirrte ihn an diesem Lächeln. Es wirkte, als lächele nur ihr halbes Gesicht, während ihre Augen seltsam leblos blieben.
„Garland“, erwiderte Taramaree etwas steif. „Was treibt dich denn aus der Stadt?“
Garland zuckte die Achseln. „Die Pflichten, meine Liebe. Hast du unterwegs ein paar Reisende gesehen oder ist dir irgendetwas... hm, aufgefallen?“
Sie stemmte die Arme in die Hüften, schien einen Augenblick zu überlegen. „Mir ist vor zwei Tagen ein Trupp Jäger begegnet, die ihre Beute in Thamhaven verkaufen wollten. Ich habe drei Moorpirscher erschossen und bin jetzt auf dem Weg nach Albastairn, aber zwischendurch war nichts. Warum? Wen sucht ihr denn?“
Garlands Pferd tänzelte ein wenig. Der Oberst tätschelte beruhigend den starken Hals des Tieres. „Ein paar Boten. Seine Gnaden will verhindern, dass ihnen etwas passiert, und schickt uns zu ihrem Schutz. Verbringst du die Nacht in Albastairn?“
Sie wiegte den Kopf. „Ist noch nicht sicher. Wenn doch, weiß ich ja, in welchem Gasthaus ich dich finde.“
„Für dich würde ich mir sogar eine Suite im besten Haus am Platze nehmen.“
Garland grinste nun doch etwas anzüglich, während seine Männer auflachten. Dann trieb er sein Pferd näher an Taramaree heran und beugte sich zu ihr hinab. Der Wind trieb seine Worte bis zum Versteck in den Büschen.
„Pass auf dich auf“, flüsterte Garland Taramaree sanft zu, strich ihr mit der eisenbewehrten Hand ein Haar aus der Stirn. Taramaree errötete leicht.
„Weiter!“, rief Garland dann über seine Schulter, und der Trupp setzte sich wieder in Bewegung. Der Soldat zwinkerte ihr noch ein letztes Mal zu und gab dem Rappen die Sporen. Taramaree wartete, bis sie außer Sicht waren. Dann machte sie ein Zeichen in Richtung des Gebüschs.
Ihre Miene war unbewegt. Sie wandte sich ohne ein weiteres Wort um und marschierte weiter. Er folgte ihr und schloss eilig zu ihr auf.
„Taramaree?“
Sie antwortete nicht. Das verwirrte ihn. Er beschloss, trotzdem weiterzufragen.
„Wer war das?“
„Garland“, kam es fast mechanisch zurück. „Der Kommandeur der Eisernen Garde.“
„Was für eine Garde?“
Taramaree seufzte leise und ergeben. „Du hast wirklich alles vergessen, oder? Die Leibwache des Fürsten, diejenigen, die seinen Willen im Land durchsetzen und komische Kerle wie dich jagen.“
Er nickte langsam. Ihm war, als fügte sich die Eiserne Garde und das Wort Albastairn wie ein Puzzle in seinem Kopf zusammen.
„Und warum hast du mich nicht ausgeliefert?“
„Weil...“
Sie hielt inne. Ihr Seufzen war so tief, als laste ihr etwas schwer auf den Schultern.
„Weil ihm nicht zu trauen ist. Weder ihm noch DeCulleon.“
„DeCulleon?“
„Der Grandugh“, antwortete sie. „Garland ist wie ein Hund, der seinem Herrchen folgt.“ Verärgert schüttelte sie den Kopf, als wolle sie diesen Gedanken vertreiben.
„Du scheinst Garland zu mögen.“
Abrupt blieb sie stehen, so dass er fast über sie gestolpert wäre, drehte sich um und blitzte ihn an.
„Das geht dich einen beschissenen Dreck an, hast du verstanden? Garland und ich kennen uns. Mehr gibt es nicht zu sagen.“
Erschrocken über Taramarees plötzlichen Ausbruch senkte er den Kopf, schwieg und trottete hinter ihr her, als sie endlich weiterging. Er dachte eine Weile über das nach, was er gehört hatte. Selbst bei all den Namen und Orten, die sie nannte, kam bei ihm keine Erinnerung auf - nicht einmal das vage Gefühl, etwas davon schon einmal gehört zu haben. Das machte ihm Angst, so sehr, dass ihn trotz der unangenehmen Hitze fröstelte.
Stumm wanderten sie weiter. Der breite, gepflasterte Weg schlängelte sich noch eine Weile durch den Wald. Hin und wieder passierten sie Stellen, an denen die Bäume so dicht beieinander standen, dass keinerlei Sonnenstrahlen bis zum Boden reichten. Das verschaffte ihm in diesem dicken Mantel etwas Kühlung und er fächelte sich Luft zu. Sie mussten Stunden gelaufen sein, als das Rauschen eines Gewässers immer lauter wurde. Am Rande einer Klippe blieb Taramaree stehen.
„Albastairn“, sagte sie knapp und weniger freundlich als noch vor ein paar Stunden.
Sie hatten den Waldrand erreicht und überblickten ein Tal, das sich vor ihnen ausbreitete. Die Sonne stand schon tief und übergoss die Wipfel der Bäume mit rotgoldenem Glanz. Ein träge dahinfließender Fluss trennte sich in zwei Läufe, die eine riesige, tränenförmige Insel umströmten. Auf ihr erhob sich wie eine weiße Herrscherkrone die Silhouette einer Stadt. Die Ufer der Insel schienen mit den gewaltigen Quadern der Stadtmauer zu verschmelzen – schier uneinnehmbar und nur mit vieljähriger Belagerung in die Knie zu zwingen, dachte er unwillkürlich.
Auf den Mauern konnte er Wachen erkennen, die auf und ab patrouillierten. Zwei mächtige Zugbrücken führten von Norden und Süden in die Stadt, auf denen Ochsenkarren, Pferdefuhrwerke und zahllose Fußgänger unterwegs waren. Vereinzelt stiegen Rauchsäulen aus schlanken Kaminen in den Himmel voller Vögel, die gelegentlich ins Wasser stießen, um sich einen Fisch zu schnappen. Im Zentrum der Stadt erblickte er eine weitere Wehrmauer, die einen riesigen Donjon umfriedete. Von diesem massigen, quadratischen Turmbau aus konnte man sicher das ganze Tal und einen Großteil der umgebenden Wälder überblicken. Wahrscheinlich diente diese Festung als letzte Zuflucht, wenn es doch einmal einem Feind gelingen sollte, die äußeren Wehrmauern zu überwinden.
Taramaree setzte sich auf einen umgestürzten Baumstamm und klopfte einladend neben sich auf die Rinde.
„Hör auf, Löcher in die Luft zu starren“, sagte sie unwirsch. Aber in ihrem Gesicht las er, dass sie wieder etwas milder gestimmt zu sein schien. „Lass uns warten, bis es dämmert – dann haben die Wachen genug zu tun und keine Zeit, uns unter die Lupe zu nehmen.“
Er nickte und nahm neben ihr Platz und rieb sich die schmerzenden Füße. Ein paar Augenblicke lang betrachteten sie schweigend den gleißenden Sonnenball, der sich langsam anschickte, hinter dem bewaldeten Horizont zu verschwinden.
Es tat ihm gut, mal eine Weile nicht daran zu denken, wie ausgedörrt sein Hirn zu sein schien. Sein einziger Gedanke war, dass er Taramaree vertrauen musste, wollte er jemals dahinterkommen, was in diesem Moor passiert war. Er hatte Hunger und er war müde. Sie wusste, was zu tun war, und wenn sie manchmal unbeherrscht zu sein schien, machte ihm das nichts aus. Damit konnte er leben. Nicht jedoch mit seiner eigenen Unfähigkeit, sich an etwas zu erinnern.
„Taramaree?“, begann er zaghaft.
„Hm?“
„Warum...“
„Ach, was weiß ich“, fiel sie ihm ins Wort und winkte ab. „Vielleicht, weil ich selten nackte Männer im Wald herumliegen sehe und gespannt auf die Geschichte bin, die sich dahinter verbirgt?“
Er musste schmunzeln.
„Und?“, entgegnete sie.
Er warf ihr einen kurzen Seitenblick zu.
„Was meinst du?“
Sie schürzte die Lippen. „Kannst dich schon an etwas erinnern?“
Müde stützte er den Kopf in die Hände. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie ausgelaugt sein ohnehin dünner Körper war, und dabei waren es nur ein paar Stunden Fußmarsch gewesen. Eines war sicher, ein geübter Läufer war er nicht. Taramaree dagegen sah noch genauso frisch aus wie zuvor.
„Ja“, brummte er leise, und ein gequältes Lächeln konnte er sich nicht verkneifen. „An die ersten paar Stunden meines Lebens.“