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EIN BESORGNISERREGENDER TREND

Jeder Deutsche bekommt im Laufe seines Lebens im Schnitt zwei bis drei verschiedene Medikamente gleichzeitig verschrieben. Wie viele nehmen Sie? Gar keine? Ab und an mal eine Ibuprofen? Prima! Aber das bedeutet, dass für jede Tablette, die Sie nicht einnehmen, ein anderer Mensch eine am Tag extra schlucken muss. Rein statistisch. Angesichts der Vielzahl an Tabletten, die sie schlucken, sind viele Menschen verunsichert, und es kommt die Frage auf, ob das nicht auch anders, »sanfter« geht. Das kann man ja auch gut verstehen. Keiner möchte ständig irgendwelche »Chemie« in sich reinwerfen. Dabei wird eine ganz andere Tatsache aber völlig ausgeblendet: Wir Deutschen nehmen nicht nur immer mehr Medikamente zu uns, wir werden auch immer älter. Ob es da möglicherweise einen Zusammenhang gibt …?

Das Spiel mit der Gesundheit

In einer Umfrage von 2018 gaben lediglich 30 bis 50 Prozent der Befragten an, die verschriebenen Medikamente tatsächlich auch einzunehmen. Dazu passt, dass wir Deutschen so viel wie kein anderes Volk zu Homöopathen und anderen Wunderheilern rennen und hoffen, durch die regelmäßige Einnahme von wirkstofffreien Zuckerkügelchen Gesundheit zu erlangen. Unzählige Hobby- und Profisportler lassen sich völlig sinnloses, buntes Klebeband auf Muskeln und Gelenke kleben und der Wunsch, bei Grippe ein Antibiotikum verschrieben zu bekommen, ist jedes Jahr aufs Neue grenzenlos. Diese Absurdität geht mittlerweile so weit, dass selbst die Weltgesundheitsorganisation am Anfang der Corona-Pandemie 2020 davor gewarnt hat, Antibiotika gegen das Virus zu verabreichen. Man mag sich fragen, was um alles in der Welt hier los ist. Schließlich handelt es sich doch um einen der elementarsten Leitsätze der Medizin: Antibiotika helfen gegen Bakterien, aber nicht gegen Viren! Dass sich eine Institution wie die Weltgesundheitsorganisation gezwungen sieht, darauf explizit hinzuweisen, zeigt, dass medizinische Fake News oftmals einen höheren Stellenwert haben als simple Fakten.

Sinn und Zweck unseres Buches ist es also, Ihnen, lieber Leser, studienbasierte Informationen an die Hand zu geben, die Ihnen helfen sollen, sich in der komplexen Welt der Medizin besser zurechtzufinden und nicht auf Heilsversprechen von drittklassigen Wunderheilern hereinzufallen. Dabei ersetzen die nächsten Seiten natürlich auf keinen Fall einen Arztbesuch! Wir möchten aber darauf hinweisen, dass es deutlich besser ist, sich in die Obhut eines wissenschaftlich arbeitenden Mediziners zu begeben, als sich im netten Ambiente einer alternativen Praxis Lügen und Falschinformationen einimpfen zu lassen (ja, einimpfen, das Wort ist bewusst gewählt).

Medizin wird auch heute noch in vielen Bereichen deutlich zu erfahrungsbasiert betrieben. Das heißt, es werden manche Therapien in die Wege geleitet oder bestimmte diagnostische Maßnahmen angeordnet, einfach weil das schon immer so gemacht wurde. Mit dieser Herangehensweise wollen wir nun endgültig aufräumen, wollen Ihnen zeigen, was gesichert ist und welche Therapien eigentlich schon seit Jahren nicht mehr durchgeführt werden sollten. Wussten Sie zum Beispiel, dass die »altbewährte« Schmerzspritze gar nicht mehr gegeben werden dürfte, ja, dass Berufsvereinigungen explizit vor ihr warnen? Um Ihnen hier die bestmöglichen Antworten zu geben, haben wir unzählige Publikationen durchforstet und alles, was als gesetzt gilt, auf den Prüfstand gestellt. Dabei kamen auch wir zu überraschenden Erkenntnissen. Wir zeigen Ihnen auf den nächsten Seiten, dass der alte Satz »Wer heilt, hat recht« nicht nur falsch, sondern sogar brandgefährlich ist.

Medizin ist ein Fach, bei dem heute das Wissen von gestern schon veraltet sein kann. Wir müssen daher mit größter Vorsicht an Altbewährtes herangehen und uns täglich fragen, ob unser Wissen noch auf dem neuesten Stand ist. Für medizinische Laien ist das ganz und gar unmöglich. Sie vertrauen auf die in Deutschland in der Regel außerordentlich hohe Kompetenz des ärztlichen Fachpersonals. Allerdings nimmt dieses Vertrauen ab und Menschen wenden sich Wunderheilern, Alternativmedizinern, Heilpraktikern und Homöopathen zu – ein besorgniserregender Trend. Denn tatsächlich ist es wirklich schwer und hochgradig aufwendig, Dinge zu hinterfragen, die sich im öffentlichen Bewusstsein etabliert haben – und seien sie noch so falsch.

Ein Beispiel: Im Jahr 2018 wurde ein Rote-Hand-Brief (Warnung vor bisher unbekannten Nebenwirkungen) über das Medikament Hydrochlorothiazid, kurz HCT, herausgegeben. Der Wirkstoff wurde über Jahrzehnte erfolgreich bei Bluthochdruck und Herzschwäche angewandt und stand nun im Verdacht, weißen Hautkrebs zu begünstigen. Die Empfehlungen waren klar: Das Medikament sollte, wo möglich, durch Alternativen ersetzt werden. Aber noch heute sieht man viele Patienten, die mit HCT therapiert werden.

Aber natürlich ist auch das Wissen in diesem Buch nicht in Stein gemeißelt. Denn in der Naturwissenschaft ändert sich die Fakten- und Erkenntnislage manchmal. Das ist erlaubt und sogar gut. Denn nur so ist, im Vergleich zu dogmatischen Theorien wie beispielsweise der Homöopathie, Fortschritt möglich. Wir können also heute nur schreiben, was wir heute wissen! Wir haben uns mit etlichen Experten und Fachleuten unterhalten, sodass es uns möglich war, einen breiten Überblick nicht nur der Literatur, sondern auch der angewandten Spitzenmedizin zu bekommen.

Am Ende eines jeden Kapitels räumen wir mit einer Volksweisheit auf, die viele Menschen als gegeben hinnehmen, die aber wissenschaftlich nicht haltbar ist. Und welche böte sich an dieser Stelle besser an als die Folgende?

Falk Stirkat, Lars Bräuer

Der belogene Patient

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