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1. Kapitel

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Wie soll ich darüber sprechen?, überlegt Yingzhi.

Sie sitzt aufrecht gegen die Wand gelehnt. Der Putz ist übersät mit schmutzigen Flecken in allen Farbschattierungen, eine Schicht über der anderen. Immer wenn sie den Horror der vergangenen Tage aus ihrem Gedächtnis bannen will, starrt sie auf diese Flecken und versucht, sie zu enträtseln. Wer hat die ersten hinterlassen? Sind sie aus Achtlosigkeit entstanden oder das Ergebnis von Gefühlsausbrüchen? Dass keine der Frauen, die hier Zeit verbracht haben, in heiterer Gemütsverfassung war, versteht sich von selbst.

Sie blickt auf die Zeile tiefroter Schriftzeichen auf der Wand ihr gegenüber. Sie sind mit Blut geschrieben worden. Krumm und schief, als sei jedes von ihnen Teil eines zerstückelten Menschen. Warum hast du mich nicht geliebt?, fragt die Wand.

Ach, eine, die sich nicht aus den Klauen der Liebe befreien konnte, denkt Yingzhi seufzend. Aus Liebesgründen zu sterben, ist hinnehmbar, wenigstens war man mal glücklich gewesen. Aber warum trifft es mich?

Die neben ihr schlafende Schwester1 Yu hat ihr erzählt, dass die Schriftzeichen von einer gewissen Fen Ping stammen. Deren Freund hat sie in den fünf Jahren ihres Verhältnisses viermal zu einer Abtreibung genötigt, um ihr dann eines Tages aus heiterem Himmel und leichthin mitzuteilen, er hätte sie nie geliebt. Im Zorn hat sie ihm Gift ins Essen getan. Der Kerl starb daran, im Sterben verfärbte sich sein Gesicht grünlich. Fünf Monate hat Fen Ping in dieser Zelle auf ihre Hinrichtung gewartet, bevor sie exekutiert wurde. Es sei an einem Frühlingstag geschehen, alle hätten darüber geredet, wie herrlich jetzt draußen wohl alles in Blüte stehe, auch Fen Ping beteiligte sich, erzählte davon, wie sehr sie am Hennastrauch hinter der Hofmauer ihres Hauses hing. Mittendrin seien Leute erschienen und hätten sie abgeführt. Allen war klar, dass sie nie wieder zurückkommen würde.

Oben an der Wand, knapp unter der Decke, befindet sich ein Fenster. Tagsüber verfärbt es sich grauweiß, als hätte jemand ein Papier draufgeklebt. Es ist für Yingzhi unmöglich, den Weg der Sonne zu verfolgen. Sie ist sich nicht sicher, ob ihre Augen nicht grundsätzlich die Fähigkeit verloren haben, das Sonnenlicht wahrzunehmen.

Nacht für Nacht überfällt Yingzhi das Gefühl, von Flammen verfolgt zu werden. Von einem rasenden Feuerball, dessen Flammen hoch in den Himmel schlagen. Kommt ein Windstoß, stieben die Funken alle in eine Richtung. Zuckende Feuerzungen verformen sich zu furchterregenden Mäulern. Seltsame Schreie tönen daraus hervor, und von allen Seiten der Wildnis hallt schmerzvoll das Echo wider.

Das seien Albträume, sagt Schwester Yu. Alle, die hierherkommen, hätten Albträume. Und jeder Albtraum sei erfüllt von Angst und Schrecken. Aber Yingzhi weiß, dass das nicht die ganze Wahrheit ist.

»Ich muss alles loswerden«, sagt sie. »Von Anfang an.«

Als sie den Mund öffnet, schießen ihr die Tränen in die Augen. Sie hat den Impuls, ihre Geschichte zu erzählen, aber es fühlt sich an, als würde ihr Inneres von Messern zerfetzt. Doch sie begreift, dass sie sprechen muss, sonst erlischt dieses Feuer niemals, selbst nach ihrem Tod nicht.

Wütendes Feuer

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