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5. Kapitel
ОглавлениеDer Achtundzwanzigste des Monats vor dem Neujahrsfest11 war trübe und finster, es sah nach Neuschnee aus. Sobald man die Haustür aufmachte, schlug einem die eisige Luft entgegen. Dazu wehte ein stürmischer Wind. Bei jedem Windstoß ein Geheul, als zöge ein Rudel Wölfe vorbei, das Geräusch jagte einem unwillkürlich Schauer über den Rücken. Und eben an diesem Tag heiratete Yingzhi im Alter-Tempel-Dorf. Das Kind in ihrem Bauch war schon drei Monate unterwegs, die Heirat war unausweichlich. Bedrückt von tiefen Ohnmachtsgefühlen war es ihr unmöglich gewesen, weiter um ihre Aussteuer zu feilschen.
Auch Guiqings Familie hatte die gesamte Mannschaft der San-Huo-Band engagiert. Nachdem San Huo geseufzt und beklagt hatte, Yingzhi sei dabei, ihre Zukunft zu ruinieren, reduzierte er den Preis um nahezu die Hälfte des Üblichen. Die San-Huo-Band sang den ganzen Tag. Gegen Abend fuhr Yingzhi auf einem von Guiqing geliehenen Traktor unter dem Trommeln und Pfeifen der Hochzeitskapelle im Alter-Tempel-Dorf ein. Schon am Dorfeingang hörte sie die ihr vertrauten Klänge, und sofort schossen ihr die Tränen in die Augen.
Guiqing betrank sich in dieser Nacht. Sturzbetrunken betrat er das Brautgemach, er wusste kaum, wo er sich befand, und war natürlich außerstande, ihr irgendwelche Zärtlichkeit zu bezeugen. Sie lag in dem nach Alkohol stinkenden Brautbett lange wach, und während sie rekapitulierte, wie ihr Weg bis hierher gewesen war, durchnässten ihre Tränen das Kopfkissen.
Guiqings Eltern waren über diese Schwiegertochter, die sie sich ohne großen finanziellen Aufwand ins Haus geholt hatten, keineswegs begeistert und begegneten ihr entsprechend kühl. Als Yingzhi das bemerkte, war sie ebenso erstaunt wie verärgert. »Ich habe deiner Familie doch einen Haufen Unkosten erspart, warum sehen sie mich so schief an?«, fragte sie Guiqing. »Papa sagt, eine Frau, die sich so billig hergibt, ist vermutlich minderwertige Ware«, antwortete er. »Und Mama sagt, du hast womöglich eine Krankheit, wenn du dich so billig wegschmeißt. Ich hab es ihnen wieder und wieder erklärt, aber sie glauben mir nicht.«
Seine Erklärung versetzte Yingzhi derart in Wut, dass sie fast Blut gespuckt und am liebsten Gift geschluckt hätte. Sie schlug gegen den Bettrand und begann sich mit Guiqing zu streiten. »Ich bin also minderwertige Ware? So viel Geld, wie ich verdient habe, haben deine Eltern in ihrem ganzen Leben nicht gesehen. Dass ich in deine Familie geheiratet habe, verpfuscht mein ganzes Leben. Mein Pech, dass ich dich getroffen habe und mich so billig wegschmeißen muss. Sind deine Eltern zu blöd, das zu kapieren? Wer so redet, hat keinen Anstand und kein Gefühl.«
»Was streitest du dich mit mir? Ich hab mich doch für dich ins Zeug gelegt. Es sind eben alte Leute. Wenn sie sehen, dass die eigene Schwiegertochter anders ist als die anderer Leute, gibt es immer ein bisschen Gerede. Der Familie von meinem Onkel geht es sogar besser als uns, aber als mein zweiter Cousin geheiratet hat, haben die Leute seiner Frau unbedingt verlangt, dass meine Cousine im Gegenzug in ihre Familie heiratet. Meine Eltern haben sich wegen meiner Heirat riesige Sorgen gemacht, sie haben nur zwei Mahlzeiten am Tag gegessen, um Geld für mich zurückzulegen. Wenn es nicht anders geht, haben sie gesagt, müssen sie meine Schwester im Tausch hergeben. Ist noch mal gut gegangen, ich bin dir begegnet, und du warst einverstanden, mich zu nehmen, ohne viel dafür zu verlangen. Ist alles ein bisschen plötzlich gekommen, meine Eltern haben die Kurve noch nicht gekriegt. Sie kapieren nicht, warum du mich genommen hast, ohne einen Haufen Geld zu verlangen. So einfach ist das, was ist daran schwer zu verstehen?«
Yingzhis Wut steigerte sich bis zur Weißglut, aber sie konnte sich nicht verständlich machen, stattdessen zeterte und schimpfte sie ohne Ende. Guiqing verlor die Lust zu weiteren Erklärungen, versuchte auch nicht mehr, sie zu besänftigen, gab nur hier und da träge Antworten und zeigte deutlich, wie angeödet er war. Yingzhi schrie und schimpfte, bis sie heiser und erschöpft war. Sie spürte ein leichtes Ziehen im Bauch, und aus Angst, dem Kind zu schaden, wagte sie nicht, weiterzustreiten. Als sie ihren Mund schloss und keinen Laut mehr von sich gab, überkam sie plötzlich das Gefühl, dass Heiraten eine schrecklich trostlose Angelegenheit war. Dass Guiqing noch tausendfach öder war, als sie es sich je vorgestellt hatte, und die Schwiegereltern sich auf einen Schlag in Todfeinde verwandelt hatten.
Auf der Bühne konnte Yingzhi schauspielern, im Alltag gelang ihr das nicht. Ihr Widerwille gegen die Schwiegereltern spiegelte sich überdeutlich auf ihrem Gesicht, wann immer sie aufeinandertrafen. Ihre Gespräche verliefen meistens einsilbig und unfreundlich. Jedes Hühnergackern und Hundegekläff im Dorf war für sie ein Anlass, vor die Tür zu rennen, um nachzusehen, was los war. Kam sie ins Haus zurück, trällerte sie einen ihrer »Ich liebe dich, du liebst mich«-Schlager vor sich hin, begleitet von einer Haltung, die deutlich zu verstehen gab, wie wenig ihr die Schwiegereltern bedeuteten.
Die merkten das natürlich. Sie waren schließlich die Altvorderen und erwarteten von einer neu ins Haus gekommenen Schwiegertochter, dass sie ihnen mit scheu gesenktem Blick zu Diensten war. Eine rechte Schwiegertochter hatte den Herd zu heizen, Essen zu kochen, Wasser zu schöpfen, Holz zu hacken, die Schweine und Hühner zu füttern. Sie hatte im Haus und im Hof herumzuwirbeln und ihnen zu jeder Zeit ihren Respekt zu erweisen, Tee zu servieren, ihnen die Schüssel für das Waschen von Händen und Füßen zuzubereiten. Wozu holte man sich schließlich eine Schwiegertochter ins Haus? Nur damit sie Junge warf? Das konnte ein Sohn, der was taugte, mit jeder beliebigen Frau hinkriegen. Sie waren schließlich eine Familie, und die bestand aus Schwiegervater, Schwiegermutter, einem Sohn und einem Mädel. Was erlaubte sich diese frischgebackene Ehefrau, sich derart hochnäsig und unverschämt aufzuführen? Erfüllt von diesen Gedanken zogen die Schwiegereltern verdrießliche Gesichter und ließen Yingzhi ihren Unwillen spüren. Sie mochten gerade noch mit ihrer Tochter vergnügt gequatscht und herumgealbert haben, sobald die Schwiegertochter auf der Bildfläche erschien, zogen sie lange Gesichter. Eines Nachts bemerkte Yingzhi zu Guiqing: »Jedes Mal, wenn ich aus der Tür gehe, muss ich an diesen zwei Pferden vorbei.«
»Seit wann gibt es denn Pferde bei uns?«, fragte Guiqing.
»Siehst du nicht, dass die Gesichter deiner Eltern noch länger sind als Pferdemäuler?«
Mehr als »Scheißdreck!« fiel Guiqing dazu nicht ein. Es war unklar, ob sich das auf Yingzhis Sarkasmus oder auf die Pferdegesichter seiner Eltern bezog.
Der Sommer war gerade vorüber, als Yingzhis Kind zur Welt kam. Ein Sohn. Mit riesigen Augen und durchdringendem Gebrüll. Vor Begeisterung über den hinzugekommenen Enkel überschlugen sich die Schwiegereltern in blinder Geschäftigkeit. Als sie jedoch in die Klinik kamen, um den Enkel zu besichtigen, ließ ihn Yingzhi nicht aus den Armen, und ihre Pferdegesichter schrumpften zusammen. Ihre grau gesprenkelten Häupter beugten sich mit freudig aufgerissenen Mündern über den Winzling, ihre groben Hände fuhren über sein Gesichtchen. Nach wie vor beachtete Yingzhi sie demonstrativ nicht. Wollen doch mal sehen, ob ihr euch noch immer traut, mich schief anzuschauen, jetzt, wo ich euch einen Enkel geboren habe, dachte sie bei sich.
Am dreißigsten Tag nach der Geburt veranstaltete Guiqing ein Gelage. Nun, da er einen Sohn hatte, konnte er sich im Dorf mit einigem Stolz präsentieren. Diesen Stolz äußerte er Yingzhi gegenüber auf besondere Weise. Als er sich abends vollgefressen und betrunken halb aufgerichtet auf der Bettdecke lümmelte, sagte er mit seinem durchtriebenen Grinsen im Gesicht, während er sich die Essensreste aus den Zähnen pulte: »So einen tollen Sohn hättest du nie zustande gebracht, wenn ich’s nicht draufgehabt und mit einem Schuss voll ins Schwarze getroffen hätte, oder etwa nicht?« Yingzhi antwortete kurz angebunden: »Du Schwein.«
Guiqing sagte nichts. Bei sich dachte er: Schwein oder nicht, zu so was gehören immer zwei. Zum Glück bin ich so ein Saukerl und hab es geschafft, dich in die Finger zu kriegen und dir den Sohn in den Bauch zu stopfen. Als anständiger Kerl hätte ich womöglich bis heute noch keine Frau an Land gezogen. Dieser Gedanke erfüllte ihn mit wachsendem Stolz, er kam sich einigermaßen großartig vor.
Die Zeit der obligatorischen Rückkehr Yingzhis ins Elternhaus rückte heran12. Es war ihre erste Heimkehr nach der Geburt des Kindes. Yingzhi wollte keinen allzu frustrierten Eindruck machen, daher puderte und schminkte sie sich mit Sorgfalt und machte sich ordentlich zurecht. Obwohl inzwischen Mutter, war sie noch keine zwanzig Jahre alt. Ihr Gesicht war frisch und rotwangig, und abgesehen von ihrem wegen des Stillens prallen Busen sah sie noch immer aus wie ein junges Mädchen. Sie betrachtete sich wohlgefällig im Spiegel, konnte aber bei längerem Betrachten einen Seufzer nicht unterdrücken. Sie hatte sich eine lange und fröhliche Jugendzeit ausgemalt, während der sie mit der San-Huo-Band durch die Dörfer gezogen wäre und überall gesungen hätte, vielleicht wäre sie ein populärer Schlagerstar geworden. Aber selbst wenn daraus nichts geworden wäre, hätte sie noch mehr Gelegenheiten gehabt, sich zu verlieben, es waren schließlich nicht wenige Männer hinter ihr her gewesen. Es hätte sicher einen Riesenspaß gemacht, durch die Straßen der Stadt zu bummeln und zu flirten … Aber nun … aber nun war es so weit gekommen, dass sie sich hirnlos von Guiqing hatte schwängern lassen. Aus purer Gedankenlosigkeit hatte sie ihre Jugend weggeworfen. Sie fuhr sich übers Gesicht, in ihr kämpften die widersprüchlichsten Gefühle.
Während ihr diese Gedanken durch den Kopf schwirrten, begann ihr Sohn zu weinen. Das Kind hieß Qianhuo, Ramschware, den Namen hatte ihm der Schwiegervater gegeben. Zu Beginn hatte sich Yingzhi dagegen gewehrt, sie hätten kein Recht, das Kind so zu nennen, doch der Großvater hatte geringschätzig geantwortet: »Ob du es kapierst oder nicht, bei uns ist es seit jeher üblich, dass ein Kind einen minderwertigen Namen trägt, solange es klein ist. Wenn du ihm einen wohlklingenden Namen gibst, wird es zu Schaden kommen.« Die Schwiegermutter pflichtete ihm bei: »Unser Guiqing hieß als Kind Kartoffelkopf, erst als er achtzehn wurde, haben wir ihn in Guiqing13 umgetauft, und schau nur, was für ein stattlicher Bursche aus ihm geworden ist.« Yingzhi biss vor Zorn die Zähne zusammen und wollte sich mit ihnen anlegen. Aber die Angst, ein wohlklingender Name könnte dem Kind tatsächlich schaden, war stärker. Daher nahm sie ihn hin. Doch blieb die Empfindung, in zu enge Schuhe gezwängt zu sein, in die man zusätzlich grobe Sandkörner gestreut hatte, die sie beim Gehen entsetzlich quälten.
Qianhuo plärrte ununterbrochen, Yingzhi wusste, dass er die Windeln vollgepinkelt hatte. Der Junge pinkelte enorm viel, im ganzen Raum hing der Gestank seines Urins. Als Yingzhi zu ihm ging, um die Windeln zu wechseln, schimpfte sie vor sich hin: »Kack, kack, kack, kackst dich noch zu Tode, so ein Haufen Windeln! Wirklich echte Ramschware.« Beim Windelwechseln überkam sie heftiger Überdruss, sie war drauf und dran, den kleinen Hinterbacken ein paar Klapse zu verpassen, sie hob die Arme, doch als sie niedersanken, wurde ein Streicheln daraus. Sein Fleisch fühlte sich weich an wie ein Schwamm, es zu berühren, war überaus angenehm, sie fuhr zweimal darüber, und die Lust zu schlagen war ihr vergangen.
Guiqing kam ins Zimmer. »Hier stinkt’s«, sagte er. »Yingzhi, ich muss was mit dir bereden.«
»Wird nichts Gutes sein, schieß los!«, antwortete sie missgelaunt.
»Ich glaube, eher doch. Also, meine Eltern haben lange auf einen Enkel gewartet, und sie freuen sich wie verrückt darüber, dass du einen in die Welt gesetzt hast. Sie wollen sich gemeinsam mit uns um Qianhuo kümmern. Was hältst du davon?«
Bisher seid ihr immer gegen mich gewesen, dachte Yingzhi, und jetzt kommt ihr an und bettelt. Euch einen Gefallen tun? Den Teufel werd ich!
Nach kurzer Überlegung sagte sie: »Kommt nicht infrage, das Kind habe ich auf die Welt gebracht, warum soll ich es ihnen überlassen? Wenn sie sich um Kinder kümmern wollen, sollen sie selber welche in die Welt setzen.«
Guiqing lachte: »Meine Mutter wollte einen Sohn, und den hat sie bekommen. Sie kann doch nicht noch einen Enkel in die Welt setzen. Das kannst nur du hinkriegen.«
Yingzhi lachte nicht, sie war nur darauf aus, ihren Schwiegereltern keinen Gefallen zu erweisen. »Was gehen mich eure Söhne und Enkel an, um mein Kind kümmere ich mich selbst. Sie sollen ihre Finger von ihm lassen.«
»Sei doch nicht so stur! Spart uns doch nur Scherereien, wenn sich meine Eltern um den Jungen kümmern. Wenigstens stinkt es hier dann weniger. Dieser kleine Köter pisst ohne Ende.«
»Er ist mein Kind, egal, wie viel er pisst. Mir gefällt’s, hast du was dagegen?«
Dass Yingzhi ihn derart abblitzen ließ, machte Guiqing sauer: »Schon gut, schon gut, wie du willst. Aber eins sag ich dir, wenn du dich mit dem Gör übernimmst, schrei bloß nicht nach mir. Ich geh abends Karten spielen. Wir meinen’s nur gut mit dir. Deine Sache, wenn du dich dagegen sperrst. Mutter von einem Stück Ramsch, genau das bist du, verdammte Scheiße!«
Yingzhi bereitete sich auf die Heimfahrt vor, daher hütete sie sich, mit Guiqing Streit anzufangen. Als zerstrittenes Paar ins Elternhaus heimzukehren, machte einen schlechten Eindruck. Daher schwieg sie, gab nur ein Schnauben von sich, packte das Kind und verließ das Haus. Beim Hinausgehen wandte sie sich um, um zu sehen, ob Guiqing ihr nachkam, dabei sah sie ihre Schwiegereltern im Eingang stehen und ihr mit starren Blicken nachschauen. Die Enttäuschung war ihren Gesichtern deutlich anzusehen. Yingzhi verstand, dass sie dem Kind nachtrauerten, und Stolz stieg in ihr auf. Sie umschlang das auf ihrem Arm sitzende Kind und drückte auf sein kleines Gesicht zwei weithin schallende Küsse, dann richtete sie sich auf, reckte die Brust heraus und ging, ohne sich weiter um die Schwiegereltern zu kümmern, aus dem Dorf.
Als sie und Guiqing in ihrem Elternhaus ankamen, war es bereits Mittag. Ihre Eltern und die Schwägerinnen kamen ihnen entgegen, um das Kind zu begutachten, und waren sich einig, dass der Name des Kleinen zwar minderwertig klang, dass aber seine Nase und Augen Glück verhießen. Guiqing und Yingzhi strahlten übers ganze Gesicht. Auch San Huo kam herbei und überreichte hundert Kuai, das sei für Qianhuo, ein Geschenk anlässlich der ersten Begegnung. Als Yingzhis Eltern das sahen, luden sie ihn eilig ein, mit ihnen gemeinsam zu essen.
Eine große Familie hat viele hungrige Mäuler, daher fand die Mahlzeit in der guten Stube statt, wo man zwei Tische aufgestellt hatte. Guiqing begann sofort, mit Yingzhis Brüdern anzustoßen, herumzukrakeelen und die Stimmung anzuheizen. Er gehörte zu denjenigen, die jede Art von Alkohol von weitem riechen, keinem Glas widerstehen und nicht aufhören können, bevor sie nicht restlos betrunken sind. Mit zunehmender Trunkenheit verwirrte sich sein Hirn, und er gab unzusammenhängendes und sinnloses Zeug von sich, was bei den Anwesenden nicht endendes Gelächter hervorrief. Yingzhi, die am anderen Tisch saß und zuhören musste, wie Guiqing drauflosbrabbelte, war angewidert, konnte ihn aber nicht bremsen.
San Huo gehörte zu den Älteren und trank zudem keinen Alkohol, daher saß er mit Yingzhi und ihren Eltern an einem Tisch, wo sie sich beim Essen angeregt unterhielten. Yingzhi erkundigte sich unaufhörlich nach der San-Huo-Band, wann, wie oft und wo sie aufgetreten waren, wie viel Geld sie eingenommen hatten und dergleichen. Dabei stieß sie von Zeit zu Zeit kleine Seufzer aus. San Huo gab mächtig an, aber nachdem er kräftig auf den Putz gehauen hatte, seufzte auch er über Yingzhis vorzeitigen Abgang. Yingzhis Eltern allerdings waren am Repertoire der San-Huo-Band völlig uninteressiert, sie wollten stattdessen alles über die neu hinzugekommene Verwandtschaft wissen. Yingzhi beklagte sich über die Schwiegereltern und fand kein Ende. Nachdem sie ihrer Erbitterung Luft gemacht hatte, vergaß sie natürlich nicht, zu erwähnen, dass die Schwiegereltern die Pflege des Kindes übernehmen wollten. »Aber ich lasse nicht zu, dass sie das Kind anrühren. Sollen sie doch vor Wut verrecken!«
»Jetzt hör mir mal zu, Yingzhi«, sagte San Huo. »Dauernd machst du so blöde Geschichten. Schon deine überstürzte Heirat und die Geburt des Jungen war eine Riesendummheit. Und dass du jetzt auf Teufel komm raus deine Schwiegereltern daran hindern willst, sich um das Kind zu kümmern, ist die nächste.«
»Was ist daran dumm? Auf keinen Fall gönne ich ihnen diese Freude.«
»Willensstärke ist eine gute Sache, aber man sollte nicht vergessen, ob sie einem nützt. In dieser Sache bringt dir deine Sturheit nichts. Wenn du nicht willst, dass sich deine Schwiegereltern um Qianhuo kümmern, musst du es selbst tun. Du rackerst dich ab und bist außerdem ans Haus gefesselt, wie ein angeleintes Schaf. Und die Leine heißt Qianhuo.«
Yingzhi wurde nachdenklich: »Aber sie behandeln mich wie Dreck, warum sollte ich ihnen die Freude machen?«
»Betrachte die Sache mal anders. Entscheidend ist doch nicht, ob sie sich freuen, sondern dass du dich freust. Wenn sie sich um das Kind kümmern, kannst du dich nach Herzenslust außerhalb des Hauses amüsieren, niemand und nichts kann dich davon abhalten. Dir geht es gut, und wenn du willst, kannst du in meiner Band singen und dir ein paar Kröten dazuverdienen, was hindert dich daran?«
San Huos Worte brachten in Yingzhi etwas zum Klingen. Stimmt eigentlich, was geht es mich an, ob sie sich freuen oder nicht, dachte sie. Genügt doch, wenn ich mich freue. Und kriege ich nicht meine verlorene Jugend zurück, wenn ich wieder in der San-Huo-Band singe?
»Kann ich denn wieder in die Band zurück?«, fragte sie aufgeregt.
»Na klar!«, sagte San Huo. »Deine Stimme hast du nicht verloren, und dein Gesicht ist immer noch jung und hübsch. Nur um die Hüfte musst du ein bisschen abnehmen, dann bist du wieder wie früher.«
Yingzhis Gesicht lief vor Begeisterung rot an. »Wirklich? Ist das wahr? Wirklich wahr?«, wiederholte sie mehrfach.
San Huo gab sein dröhnendes Gelächter von sich. »Ob das wahr ist, entscheide nicht ich. Frag deine Eltern.«
»Unsere Yingzhi ist ein Schmetterling, auch nach der Schwangerschaft sieht sie aus wie ein junges Mädchen, nicht wie eine verheiratete Frau«, sagte Yingzhis Mutter.
Der Vater dagegen hatte Einwände: »Ich finde das unpassend. Sie ist schließlich verheiratet und muss sich nach ihrer neuen Familie richten. Ihre Schwiegereltern werden nicht erfreut sein, wenn sich die Schwiegertochter draußen herumtreibt. Lass das lieber bleiben.«
»Ist mir doch egal. Sie wollten meine Heirat nicht, und ich will, dass sie sich ärgern.«
Guiqing war bereits so betrunken, dass er nicht mehr gerade stehen konnte, selbst seine Fähigkeit, dummes Zeug zu schwätzen, hatte er verloren. Yingzhi rief ihre Brüder, sie stützten ihn, brachten ihn in ihr Zimmer und legten ihn aufs Bett. Offenbar war ihm übel, er gab Grunzlaute von sich. Yingzhi warf ihm einen verächtlichen Blick zu und beachtete ihn nicht weiter. Sie öffnete die hölzerne Truhe, wo sie ihre Dinge von früher aufbewahrte, und kramte die Kleider hervor, die sie bei den Gesangsauftritten getragen hatte.
Obwohl nur ein paar Monate vergangen waren, rochen die Kleider bereits modrig, die Farben hatten aber nichts von ihrem ursprünglichen Glanz verloren. Trotz der Eiseskälte konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, sie anzuprobieren. Als sie sich ihrer wattierten Jacke und ihres Pullovers entledigt und ihre wollene Unterwäsche bis auf den Büstenhalter ausgezogen hatte, begann sie vor Kälte zu zittern. Bibbernd streifte sie ein Kleid über und betrachtete sich von vorne und hinten im Spiegel. Ihre Brust war noch voller, sodass der Spalt zwischen ihren Brüsten noch tiefer wirkte, was nach Yingzhis Überzeugung die Wirkung noch steigerte. Um die Hüfte spannte das Kleid etwas, aber das störte nicht sehr. Sie sah nach wie vor außergewöhnlich hübsch darin aus. Sie machte vor dem Spiegel ein paar aufreizende Bewegungen, setzte ein betörendes Lächeln auf und probierte verschiedene Posen.
Mit einem Mal kehrte ihr Selbstvertrauen zurück. Ich werde ihnen Qianhuo überlassen, dachte sie bei sich, ich werde meinen eigenen Spaß haben.