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Eine Tochter

Zeit war ein Faktor, der fließend wie Wasser an den Wesen Erandôlas vorüberzog und sie langsam, aber sicher vergessen ließ. Alles, was sie erlebt hatten, was sie gepeinigt hatte, erschien ihnen wie ein schrecklicher Albtraum, aus dem man eines Nachts hochschreckt, um ihn in den nächsten Augenblicken wieder zu verdrängen und gänzlich zu vergessen – einzig das Gefühl, was ein solcher mit sich bringt, ließ die Herzen der Völker flattern wie die Flügel eines jungen Kolibris.

Niemand, außer den weisesten Magiekundigen unter ihnen, wusste genau, wer die Welt gerettet hatte, und so begannen sich Legenden und Mythen über tapfere Helden in glänzender Rüstung zu ranken, die sich mutig dem Bösen entgegenstellten und es schließlich besiegten.

Die vier Heldinnen störte dieser Umstand wenig, sie und ein paar wenige kannten schließlich die Wahrheit und würden sie an ihre Kinder weitergeben, damit diese nicht mit der Unwissenheit aufwachsen mussten, die andere fortwährend predigten.

In dem Glauben, dass ihre Aufgabe erfüllt sei und das Böse niemals wieder einen Weg zurück nach Erandôla finden würde, vertrauten sie ihre Kristalle dem Zirkel des Mondes an und nahmen Abschied voneinander, um fortan ein normales Leben zu führen.

Mit gemischten Gefühlen entließ der Großmeister die vier Frauen und blickte ihnen lange nach, als sich ihre Wege trennten und jede ein anderes Leben begann …

Schreie hallten durch das sonst so friedliche Herrenhaus, welches leicht versteckt zwischen den Bäumen eines mit Rosen bewachsenen Waldes lag und mit seinem imposanten Antlitz nahezu jeden Adligen, der es einmal besuchte, vor Neid erblassen ließ.

Von einem großen, mit allerlei seltenen und teilweise auch exotischen Blumen bestückten Garten führten mehrere verwinkelte und von Kieseln gesäumte Wege um das Anwesen herum. Sie offenbarten mit jeder neuen Verwinkelung wunderschöne Bereiche, wie zum Beispiel einen kleinen, im Mondlicht grünlich schimmernden Teich, auf dem Glühwürmchen ihre kleinen, leuchtenden Hinterteile im Rhythmus des Windes tanzen ließen. Es waren kleine, auf den ersten Blick unbedeutende Orte, die hinter dichtem Blattwerk verborgen waren und doch voller Schönheit zu strahlen schienen.

So konnte man sich, wenn man sich mit wachsamen Augen umsah, kaum an der Vielfalt, die sich einem bot, sattsehen. Besonders hiesige Künstler schätzten diesen atemberaubenden Anblick und baten häufig um Einlass, um das Gesamtbild als Inspiration und Muse auf sich wirken zu lassen. Viele Kunstwerke waren dort schon entstanden und wanderten von Hand zu Hand in der kunstliebenden Gesellschaft Erandôlas.

Doch an dem heutigen Abend, an dem der Himmel mit dunklen, Unheil verkündenden und schnell dahinsausenden Wolken verhangen war und kein einziger Stern es wagte, sein Erscheinungsbild zu präsentieren, herrschte rege Betriebsamkeit in den oberen Stockwerken. Nach einer gefühlten Ewigkeit war es nun endlich so weit; die Herrin des Hauses war bereit, das Leben, was ihrem Leib schon viel zu lange innewohnte, der Welt zu schenken.

Mit besorgten Mienen vernahmen die Dienerschaft und auch der Hausherr selbst, wie qualvoll die Geburt vonstattenging. Es war auch ein wirklich ungewöhnlicher Umstand, dass das Kind so lange auf sich warten ließ. Normalerweise glichen bereits neun Monate einer Tortur, aber mit dreizehn Monaten hatte wirklich niemand gerechnet.

Man hatte wirklich alles versucht, um dem Kind auf die Welt zu verhelfen, doch alle Kräutermischungen, Wehen stimulierenden Salben und Massagen hatten nicht geholfen. Nun lag es einzig und allein an der werdenden Mutter, ob sie die Kraft besaß, dieses kleine Wesen gesund und munter auf die Welt zu bringen.

Schreiend wälzte sich die Herrin mit schweißverklebtem Haar unruhig in einem riesigen, von einem dunklen Baldachin geschützten Bett umher und versuchte, die Schmerzen, die ihren Leib in Kaskaden überwältigten, zu ertragen.

„Ihr schafft das, Herrin“, rief eine ältere Frau mit lauter Stimme, die weder beruhigend noch ermutigend klang.

Elenór hätte ihr am liebsten den Kopf für ihre herzlosen Äußerungen abgerissen, doch leider war ausgerechnet diese Frau im Augenblick die einzige Hebamme, die ihr zur Verfügung stand.

Man hatte sogleich nach ihr geschickt, als Elenór sich vor Schmerzen kaum auf den Beinen halten konnte und die Anzeichen der Geburt sich überdeutlich auf dem Brokatteppich abzeichneten.

Die als Hexe verschriene Frau hatte auch nicht lange gezögert und war herbeigeeilt, um dem – hinter vorgehaltener Hand verfluchten – Dämonenbalg genannten Kind einen möglichst glimpflichen Start zu ermöglichen.

Und nun war sie hier und bereitete mit der werdenden Mutter seit Stunden alles vor. Selbst der gestandenen Frau merkte man die Strapazen an, unter denen sie beide zu leiden hatten.

„Herrin, hört mich an“, rief sie alsbald aus und blickte die bleiche Frau über ihren gewölbten Bauch hinweg an.

„Das Kind ist zu groß, um es natürlich auf die Welt zu bringen. Ich denke, wir sollten …“

„NEIN“, brüllte Elenór dazwischen, denn sie ahnte mit bangem Herzen, was die Hexe ihr vorschlagen wollte. „Ich werde mein Kind nicht gefährden, indem Ihr mir den Leib aufschneidet … Ich schaffe das auch so“, japste sie und krümmte sich zugleich vor Schmerz, als eine neue Wehe sie erschütterte.

Die Hexe schwieg und betrachtete mitleidig die Frau, ehe sie sich seufzend wieder ihrer Aufgabe zuwandte und dem Geheiß Folge leistete.

„Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als das Kind aus Eurem Leib zu pressen …“

Ohne Elenór zu erklären, was genau sie damit meinte, stemmte die Alte ihre langen, knochigen Finger auf den Bauch und begann mit aller Macht, das Kind aus dem Leib zu schieben.

Immer lauter und verzweifelter wurden die Schreie Elenórs, während sie die schlimmste Tortur ihres Lebens über sich ergehen ließ.

„Es kommt“, rief die Alte keuchend, während sie weiterhin den Bauch unbarmherzig knetete und bearbeitete.

Beinahe besinnungslos nahm Elenór wahr, wie ein zartes Stimmchen an ihr Ohr drang und die Alte ihr zögernd ein in Tücher gewickeltes Bündel in die Arme legte.

„Eure Tochter“, flüsterte sie ebenfalls mit Tränen in den Augen und wandte sich ab, als die Herrin das Kind freudestrahlend betrachtete und an sich drückte. Vergangen waren sogleich Kummer und Schmerz.

„Ich gehe und hole den Herrn“, sagte die Alte und lief bereits Richtung Tür davon.

„Wartet … Stimmt etwas nicht?“, fragte Elenór und richtete sich etwas weiter in den blutgetränkten Laken auf.

„Meine Herrin …“, begann sie, doch sie schüttelte sogleich den Kopf. „Es ist nichts. Ich beglückwünsche Euch zu Eurem Nachwuchs, auf dass sie gesund und kräftig werde …“

Geschwind huschte sie aus dem Zimmer und gab den Weg für Elenórs Ehemann und die Bediensteten frei, die bedächtig das Zimmer betraten, um Mutter und Kind nicht zu erschrecken.

Vorsichtig näherte sich ihr ihr Mann und ließ sich behutsam auf der Bettkante nieder.

„Seht, mein Geliebter“, flüsterte Elenór stolz. „Eure Tochter!“

Mit Tränen in den Augen bewunderte er seine kleine, nahezu perfekte Tochter, die friedlich schlafend in den Armen ihrer Mutter ruhte.

„Wie ist ihr Name?“

„Aleríà …“ wisperte Elenór und blickte in die aufgerissenen großen, runden Babyaugen, die für einen winzigen Augenblick rot zu glühen schienen, ehe sie ein sattes Grün annahmen.

Währenddessen eilte die Hexe die Stufen des Anwesens hinunter und riss sich enorm zusammen, um nicht in einen schnellen Sprint zu verfallen. Sie schwor sich, dass sie das Dorf so schnell wie möglich verlassen würde, denn in dem Kind, welches soeben die Welt erblickt hatte, wohnte ein Geist der Alten Zeit ...

Schattenkristalle

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