Читать книгу Shana, das Wolfsmädchen, und der Ruf der Ferne - Federica de Cesco - Страница 12
ОглавлениеEr ist nett«, sagte Elliot zu mir. Dann zögerte er kurz und warf mir einen Seitenblick zu. »Werdet ihr heiraten?«
Ich wurde ein wenig rot.
»Wir verstehen uns sehr gut, das schon. Aber heiraten? Ich weiß es nicht. Wir haben noch nicht darüber gesprochen.«
»Lebt ihr zusammen?«
»Seit einem halben Jahr. Vorher waren wir ja im Internat.«
»Und seine Eltern?«
»Oh, die sind super!«, rief ich lebhaft. »Du würdest sie auch mögen, denke ich. Sie sind ganz unkompliziert, weißt du? Feine Menschen. Mikes Schwester Carolyn lebt jetzt in London, mit einem Engländer. Ich werde sie besuchen, wenn ich dort bin.«
Er nickte nur und schien abwesend und etwas verlegen. Was hatte er auf dem Herzen? Wir gingen ins Wohnzimmer zurück, wo er mich fragte: »Noch etwas Kaffee?«
»Ja, gerne.«
Ich setzte mich. Die Kanne aus blauer Emaille stand noch auf den Tisch. Auch die Zuckerdose. Elliot brachte zwei Tassen und setzte sich mir gegenüber. Ich goss ihm Kaffee ein, den er schwarz trank, aber drei Löffel Zucker hineinrührte, bevor er einen langen Schluck nahm. Ich ließ die Tasse zwischen meinen Fingern kreisen und wartete. Schließlich brach Elliot das Schweigen.
»Hör zu, Shana. Da wir gerade von solchen Dingen reden… Ich habe eine Frau kennengelernt.«
Es kam nicht unerwartet für mich. Trotzdem spürte ich einen Stich im Herzen. Ich dachte an meine Mutter. Aber ich sagte nichts, wandte nur die Augen ab. Elliot schien zu spüren, was in mir vorging.
»Es tut mir leid. Ich wollte dir nicht wehtun.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Wie heißt sie?«
»Marion Hoffmann, du kennst sie doch.«
In meiner Erinnerung stieg das Gesicht einer jungen Frau auf, mit einer Brille und einem langen Zopf im Rücken. Ihr Haar hatte einen schönen rötlichen Schimmer. Ihr Vater und ihre Großeltern waren Weiße gewesen. Nur die Mutter stammte aus Beaver Creek.
»Ich habe sie lange nicht mehr gesehen«, sagte ich.
»Sie war in Toronto auf der Highschool. Danach hatte sie einen Job in einer Buchhandlung. Jetzt ist sie wieder hier und arbeitet bei der Verwaltung.«
»Will sie bleiben?«
»In Toronto hat sie einen Urban geheiratet. Aber die Ehe ging kaputt, weil der Mann trank.«
»Oh«, entfuhr es mir, »dass will sie sicher kein zweites Mal.«
Kaum hatte ich das gesagt, bereute ich es. Elliot war in diesen Dingen empfindlich. Doch zu meinem Erstaunen lachte er auf.
»Das sagte Marion auch!«
Ich sah ihn perplex an.
»Und?«
»Und da habe ich ihr gesagt, ich gebe mir Mühe, dass es bei mir nicht wieder so weit kommt. Ich will das nicht mehr.«
Ich erwiderte sein Lächeln, denn ich glaubte ihm.
»Habt ihr vor zu heiraten?«
Er schüttelte leicht den Kopf, doch das Lächeln blieb auf seinen Lippen. Halb im Ernst, halb im Scherz antwortete er:
»Zunächst werden wir zusammenleben. Vielleicht gibt es andere Dinge an mir, die Marion nicht mag. Das kann man nie im Voraus wissen, oder?«
Ich nahm einen Schluck und nickte.
»Jaja, da kann man Überraschungen erleben.«
»Klar ist es am Anfang nicht leicht«, sagte Elliot. »Aber allmählich lernt man sich kennen, Tag für Tag ein bisschen mehr. Das ist etwas Schönes. Finde ich jedenfalls.
»Und wie denkt Marion darüber?«
»Sie ist einfach wunderbar«, sagte Elliot.
In Elliots Mund hörten sich diese Worte sonderbar an. Wie in einer Soapopera, dachte ich und hätte fast gelacht.
»Dann darfst du sie nicht gehen lassen.«
Er lächelte. Mir wurde klar, dass er sich vor diesem Gespräch sehr gefürchtet haben musste. Man sah ihm an, dass er sich jetzt besser fühlte.
»Nein«, fügte er bestimmt hinzu. »Sie wird bleiben. Chief Thunder geht es nicht gut, musst du wissen. Das Herz. Marion nimmt ihm viel Arbeit ab.«
»Er ist doch schon alt«, sagte ich.
»Er wird achtundsiebzig.«
»Himmel!«, rief ich. »Will er nicht zurücktreten?«
»Doch. Er soll im kommenden Monat operiert werden.«
»Hat er schon einen Nachfolger?«
»Man spricht von Leona Cooper.«
»Oh!«, rief ich, freudig überrascht, »dann wird sie also Chief?«
»Ja. Der ›Rat der Mütter‹ hat die Wahl bereits gebilligt. Die Sache muss nur noch offiziell bekannt gegeben werden. Aber in Beaver Creek weiß jeder schon Bescheid.«
Ich wusste, dass der »Rat der Mütter« – neben vielem anderen – auch die Aufgabe hatte, den Chief zu bestimmen. Die Entscheidung konnte nur nach mehreren Stunden ernster, sorgfältiger und gerechter Besprechungen gefällt werden. Und kein kanadisches Gesetz war befugt, diese Wahl abzulehnen oder gar zu verhindern.
»Leona und Marion kennen sich schon seit vielen Jahren und arbeiten eng zusammen«, erzählte Elliot. »Verstehst du jetzt, warum sie nicht mehr fortgehen wird?«
Ich nickte. Er betrachtete mich etwas unsicher.
»Dann macht es dir also nichts aus, wenn sie hier wohnt?«
»Nein, überhaupt nicht.«
»Du wirst natürlich dein Zimmer behalten.«
Ich schluckte.
»Vielleicht werdet ihr Kinder haben…«
Er starrte auf das Wachstuch.
»Ja, das kann sein. Würde dir das Probleme machen?«
»Überhaupt nicht!«, erwiderte ich, aber es war nicht ganz ehrlich gemeint. Der Kaffee wurde kalt. Ich nahm trotzdem noch einen Schluck, bevor ich sagte: »Die brauchen dann mein Zimmer. Ich werde ja nicht oft hier sein.«
»Dann bist du also einverstanden?«
Ich antwortete mit einem Kopfnicken. Ein kurzes Schweigen folgte. Nach einer Weile sagte Elliot: »Du bist anders als früher. Eine richtige Lady bist du geworden. Macht das die Musik?«
Ich starrte aus dem regennassen Fenster der Bahn und musste über den Ausspruch meines Vaters lächeln. Als eine Lady hatte er mich gesehen. Doch hier in der Großstadt wirkte ich kein bisschen wie eine elegante Frau. Es kam wohl immer auf die aktuelle Perspektive an. Auch damals zu Hause hatte ich zunächst über die Frage nachdenken müssen.
»Ich glaube schon«, hatte ich schließlich gesagt. »Wer sich mit Musik befasst, wird schnell erwachsen. Mr Castaldi – du weißt doch, mein Lehrer – sagt: ›Die Musik verändert den Menschen. Alles verbessert sich, das Denkvermögen, das Gehör, die Wahrnehmung, die Haltung.‹«
»Aber die Bienen tun das auch!«, rief Elliot. »Marion sagt, sie sind die interessantesten Geschöpfe der Welt.«
Ich lächelte. Wir mussten erst wieder lernen, miteinander umzugehen. Aber mir schien, dass wir schnelle Fortschritte dabei machten.
»Das musst du mir beibringen. Ich versteh nichts von Bienen.«
»Und ich nichts von Musik«, antwortete er. »Aber das ist nicht wichtig. Wichtig ist nur, was uns verändert. Zu besseren Menschen macht. Ich freue mich immer, wenn die Kinder kommen und ich ihnen alles erklären kann. Dann sehe ich das tiefe Staunen in ihren Augen. Sie leben mitten in der Natur und kennen sie trotzdem nicht mehr. Das ist sehr schade. Und ich will etwas tun, damit sich das ändert.«
Meine Gedanken wurden ganz klar, als würde ich sie laut aussprechen: Ich bin stolz auf dich, Elliot! Und Melanie wird es auch sein. Dann sagte ich leise: »Ich danke dir, Elliot.«
Er sah mich überrascht an.
»Ach, wofür denn?«
»Für die Dinge, die du tust. Und die sehr wichtig sind.«
Er nickte.
»Ich mache sie ja auch gerne.«
»Ja, ich weiß…«
Wir tauschten einen langen Blick und dann lächelten wir beide gleichzeitig.