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Kapitel 3

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„Hammer“, sagte Dominik.

„Ich weiß“, antwortete Bianca und schaute sich stolz die Wand an, die sie gerade in Leilas neuem Zimmer gestrichen hatte.

Dominik musste schmunzeln, Bianca hatte ihn offensichtlich falsch verstanden. „Ich meine: Ich brauche einen Hammer“, präzisierte er. Bianca sah ihn an, reagierte aber nicht sofort. Sie stand wohl auf dem Schlauch.

„Vergiss es“, winkte er belustigt ab. Mit einem Nagel machte er einen kleinen Punkt in die Wand und holte sich dann selbst das Werkzeug, das direkt neben Bianca auf dem Boden lag.

„Ach so …“, machte Bianca jetzt, als der Groschen zu fallen schien.

Während Dominik den Setzkasten aufhängte, in dem Leila ihre Sammlung von Natursteinen aufbewahrte, legte Bianca ihren Pinsel weg.

„Schief“, sagte sie. Dominik warf einen Blick über seine Schulter. Bianca hatte sich mit verschränkten Armen in die Mitte des Zimmers gestellt und sah prüfend den Setzkasten an der Wand an. Dominik ging einen Schritt zurück und tat es ihr gleich. Dann nahm er die Wasserwaage und legte sie auf den oberen Rand des Kastens.

„Nö. Perfekt gerade“, stellte er zufrieden fest.

„Das kann nicht sein, der ist total schief!“, beharrte Bianca.

Dominik legte Waage und Hammer beiseite. Bianca hatte einen sehr guten Blick für solche Dinge, das wusste er. Sie hatte früher viel gezeichnet, und Dominik war immer beeindruckt gewesen, wie sie es dabei verstanden hatte, gerade die Details festzuhalten, die die Realität ausmachten. Die Feinheiten zum Beispiel, die nicht ganz perfekt geraten waren: ein Riss, eine Falte, Staub oder Schmutz. Aber auch immer das, was man gar nicht recht greifen kann. Es war, als würde sie Dinge sehen, die andere höchstens spürten oder erahnten, ohne sie jemals an einer konkreten Sache festmachen zu können. Also schaute er jetzt noch einmal genauer hin. Und dann sah er, was sie so störte.

„Die Decke hängt herunter“, sagte er. „Dadurch ist die Linie am Fenster ungerade, und das verwirrt dein Auge. Der Kasten sitzt – für sich genommen – richtig.“

„Was?“ Bianca machte einen Schritt zurück und schaute sich die Decke und das Fenster an. „Das gibt’s doch nicht!“, hauchte sie. Dominik beobachtete sie und strich sich über den Bart. „Tja. Manchmal kommt einem etwas falsch vor, aber es ist gar nicht falsch, nur das komplette Drumherum stimmt nicht.“

Bianca sah ihn skeptisch an. „Wo ist mein Bruder, und was hast du mit ihm gemacht?“, fragte sie dann mit einem leichten Schmunzeln.

Dominik zuckte zweimal mit den Augenbrauen, als hätte er sie gerade sehr beeindruckt. „Ich bin älter geworden“, stellte er lässig fest.

„Und soooo weise!“, zog Bianca ihn auf.

„Aber hallo weise“, pflichtete Dominik ihr bei.

Bianca sah wieder zur schiefen Decke hoch. „Kann die runterkrachen?“, fragte sie, plötzlich wieder ganz ernst.

„Nein, natürlich nicht“, sagte Dominik überzeugt. „Glaube ich“, schob er dann ein wenig unsicher hinterher.

„Oh, Mann!“ Bianca fuhr sich durch die langen braunen Haare.

Dominik grinste. „Jetzt bist du gelb auf dem Kopf.“

„Oh, nein!“ Bianca sah sich ihre farbverschmierten Hände an und griff sich noch einmal vorsichtig ins Haar, als könne man Farbe fühlen oder gar auf diese Weise entfernen.

„Genau, mach noch mehr rein, dann fällt es weniger auf.“ Dominik kam nah an sie heran und schaute auf ihren Scheitel. „Gelb im Haar – das sieht echt nicht gut aus.“ Das hätte er wohl lieber nicht sagen sollen. Bevor er sich umsah, hatte er Biancas Hände auf seinem Kopf.

„Nicht! Ich habe heute noch Vorstellung!“, schrie er. Aber Bianca lachte nur schallend. Dominik konnte gar nicht anders, er musste auch lachen. Trotzdem sah er sie noch einmal scheltend an. „Du bist doch die Vernünftige von uns!“, sagte er. Da bekam Biancas Lachen einen bösen Unterton. „Wieso? Du bist doch jetzt so weise geworden. Dann kann ich ja mal der Lausebengel sein.“ Jetzt griff Dominik sich selber in die Haare, wie sie gerade, vorsichtig tastend, als würde das irgendetwas bringen.

„Dominik hat Pipi-Haare!“, sang Bianca. Dominik schüttelte zwar den Kopf, musste aber nach wie vor grinsen. Ihre gute Laune war ansteckend. Jetzt biss sie sich allerdings plötzlich auf die Lippe und betrachtete noch einmal seine Haare, als würde sie das Ganze doch gern wieder rückgängig machen. „Gott, so etwas habe ich schon lange nicht mehr gemacht“, sagte sie.

„Früher hast du so etwas dauernd gemacht“, erinnerte sich Dominik. Bianca lächelte versonnen, und Dominik hätte gern gewusst, ob sie eigentlich immer noch verrückt war und es nur absichtlich unterdrückte, weil sie das erwachsener und angebrachter fand, oder ob sie mit der Zeit wirklich einfach … normal geworden war. Er beobachtete, wie sie wieder in ihren eifrigen Arbeitsmodus verfiel. Geschickt räumte sie das Malervlies zur Seite und presste mit viel Druck den Deckel auf ihren Farbeimer.

„Ich habe noch so viel Farbe übrig“, meinte sie dann, „ich mache noch unten den Eingang frisch, was meinst du?“

„Gern“, sagte Dominik.

Schon machte sich Bianca mit Pinsel, Farbe und Malervlies auf den Weg nach unten. Dominik sah ihr nach und fasste sich noch einmal belustigt in die Haare.

Während Bianca auf der Leiter stand und die Wand über der Haustür strich, klingelte ihr Handy in der Hosentasche. Mit dem Pinsel in der Hand war es etwas kompliziert, aber sie schaffte es, dranzugehen.

„John!“, sagte sie.

„Mama.“

„Was geht ab?“

„Sag nicht ‚was geht ab‛“, korrigierte sie ihr Sohn.

„Okay. Dann sag du nicht mehr ‚fuck‛ in alltäglichen Situationen.“

Kurz herrschte Stille. „Wie auch immer“, ging John dann über sie hinweg, „der Bus kommt nicht.“

„Was?“

„Der Bus kommt nicht. Falls du es vergessen hast: Ich gehe jetzt auf die Landeier-Schule und bin auf einen einzigen Bus angewiesen, der gerade nicht kommt, weswegen ich hier gestrandet bin.“

„Dann … keine Ahnung … lauf halt!“

„Mama! Das sind bestimmt dreißig Minuten! Mindestens!“

„Na und?“

„Ey, die lauf ich doch nicht.“

„Ich kann dich jetzt nicht abholen, falls du darauf hinauswolltest“, sagte Bianca und war ein bisschen irritiert, dass sie anscheinend Kinder großgezogen hatte, die es schlimm fanden, mal eine halbe Stunde laufen zu müssen. „Papa hat das Auto.“

„Ich kann sie abholen“, sagte Dominik, der plötzlich unter der Leiter auftauchte und Bianca damit einen Schrecken einjagte. Sie hielt sich die Hand auf die Brust.

„Wo kommst du denn her?“, fragte sie.

„Äh … von der verfickten Schule, Mama, sag ich doch!“, antwortete John am Telefon.

„John!“, rief Bianca streng.

„Ich habe nicht ‚fuck‛ gesagt.“

„Ach, John ist es“, murmelte Dominik unter ihr, während er sich seine Lederjacke überstreifte. „Also ich kann ihn abholen“, verbesserte er seinen vorherigen Satz.

„Ist das Onkel Dominik?“, fragte John. „Kann er mich abholen?“

„Nein“, sagte Bianca.

„Ich hole ihn mit dem Bike ab“, sagte Dominik. „Wo ist er denn?“

„Äh … an der Bushaltestelle.“

„Alles klar!“, sagte Dominik und war schon aus der Tür raus.

„Moment … !“, rief Bianca. „Was ist mit Helm und so?“ Aber die Tür war schon ins Schloss gefallen, und Dominik hörte sie nicht mehr. „Scheiße.“

„Du sollst nicht fluchen, Mama!“, klang John durchs Telefon. Bianca musste lachen.

„Dominik holt dich ab“, sagte sie.

„Danke.“

„Hab dich lieb“, sagte sie.

„Tschüss“, sagte John.

Bianca hielt noch eine Weile das Handy ans Ohr, obwohl John schon längst aufgelegt hatte und der Lautsprecher nichts mehr von sich gab. Dann, als wäre sie plötzlich wieder eingeschaltet worden, stieg sie schnell von der Leiter und rannte hinter ihrem Bruder her. Er hatte sein Motorrad schon aus dem Vorgarten gerollt und wollte losfahren.

„Dominik!“, schrie sie. „Du hast doch gar keinen Platz! Wo soll der Junge denn sitzen?“

Dominik nahm die Sonnenbrille ab, die er sich gerade erst aufgesetzt hatte, und sah sie ungläubig an. „Ich habe doch eine Zweier-Sitzbank!“, sagte er.

„Hä? Wo denn?“ Bianca hob die Arme zu beiden Seiten und blieb mehrere Meter vom Motorrad entfernt stehen, um es sich komplett ansehen zu können. Da war doch nur ein Sitz auf dem dämlichen Motorrad und direkt dahinter eine Art Mini-Rückenlehne, die sich eiförmig nach hinten zuzog. „Meinst du das da?“ Sie zeigte auf das Ei.

„Das ist ein Höcker. Der drückt sich flach, wenn man draufsitzt …“

„Du willst mich doch verarschen!“, rief Bianca.

„Also ich hatte schon so manche Sozia hier drauf, und es hat sich noch nie eine beschwert.“

Bianca machte schon den Mund auf, um zu antworten, da sah sie aus dem Augenwinkel jemanden neben sich und drehte sich überrascht um. Es war Marina, die Arme vor der Brust verschränkt.

„Sie schreien schon wieder hier rum“, stellte sie fest.

Bianca konnte im ersten Moment gar nicht antworten. Sie war zu sehr von Marinas Frisur abgelenkt: Eine umständliche Mischung aus Dutt und französischem Zopf, bei dem Marina – das sah man recht deutlich – künstliche Haarteile mit eingeflochten hatte.

Marina bemerkte Biancas Blick und fasste sich verunsichert an die Haare. „Ich probiere etwas aus. Ich habe ein Date heute Abend. Deswegen muss ich mich auch konzentrieren!“

„Auf deine Haare!? Deswegen sollen wir leise sein?“ Bianca konnte es nicht fassen. „Hör mal zu jetzt, wir wohnen und leben hier, und wir sind ganz normale Menschen. Wir werden ab und zu in den Vorgarten kommen und sprechen und lachen und meinetwegen auch mal etwas rufen. Du kannst da nicht jedes Mal aus deiner Wohnung gestöckelt kommen und uns zurechtweisen, als wärst du …“

Marina hob die Hand direkt vor Biancas Gesicht, sodass sie irritiert innehielt. Was sollte das denn jetzt? Sie warf einen fragenden Blick zu ihrem Bruder herüber, der aber nur wissend lächelte. Er hatte sich auf seine angebliche Zweiersitzbank gesetzt und weit zurückgelehnt, als würde er eine gute Show genießen.

„Schreien Sie mich nicht an!“, sagte Marina hinter ihrer ausgestreckten Hand. „Ich schreie ja auch nicht.“

Bianca war so verdutzt, dass es ihr vorübergehend die Sprache verschlug. Sie hatte nicht geschrien. Aber jetzt hatte sie große Lust, genau das zu tun! In ihr brodelte es, eine unglaubliche Wut baute sich auf, und sie fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Durch zusammengebissene Zähne fragte sie: „Bin ich jetzt hier beim Kundenservice von irgend so einem Scheiß-Riesenunternehmen, wo jeder nur dumm aus seinem lebensfernen Handbuch abliest, oder steht mir ein Mensch aus Fleisch und Blut gegenüber, der selber denken kann?“

Marina ließ ihre Hand fallen und biss sich auf die Unterlippe. „Genau wie der Bruder!“, sagte sie dann. „Keinen Respekt!“

„Immer mit dem Respekt, Mann … Was ist dir denn passiert?“, konterte Bianca genervt. „Wir respektieren dich, okay? Mach dir darüber mal keine Sorgen. Hier, bitte schön, ganz viel Respekt!“ Pantomimisch übergab sie Marina ein durchsichtiges Paket. „Ehrlich mal, du musst dich unbedingt ein bisschen entspannen! Lass uns doch versuchen, nett zusammenzuwohnen!“

„Wir wohnen nicht zusammen! Ich bin die Mieterin! Das hier“, sie wedelte mit dem Zeigefinger zwischen sich und Bianca hin und her, „sollte ein professionelles Verhältnis sein!“ Sie warf Dominik einen vernichtenden Blick zu. „Aber zu so etwas scheint diese Loser-Familie ja nicht fähig zu sein.“

„Hey!“, rief Bianca scharf. „Jetzt lass aber mal gut sein, okay? Wir sind ganz normale Vermieter. Dominik kümmert sich seit Jahren um das Haus …“

„Ach ja?“, fragte Marina mit zickigem Ton und stemmte eine Hand auf die Hüfte, um mit der anderen hinter Bianca auf den verwilderten Garten zu zeigen. „Und was ist das?“

Bianca drehte sich um, dabei wusste sie schon längst, wie der Vorgarten aussah. Langsam drehte sie sich wieder zurück. „Das soll so sein“, sagte sie, ohne die Miene zu verziehen. „Wenn dir das nicht gefällt: Pech gehabt. Über Geschmack lässt sich nicht streiten. Oder steht in deinem Mietvertrag, dass du aus deinem Fenster auf einen englischen Rasen gucken wirst?“ Ganz leicht schob sich Biancas rechter Mittelfinger über den danebenliegenden Zeigefinger. Hoffentlich steht nicht irgendetwas über den Vorgarten in ihrem Mietvertrag!

Aber Marina blieb stumm. Es stand wohl nichts im Vertrag. Sie schien fieberhaft zu überlegen, was sie antworten könne, und schüttelte dann nur den Kopf. „Das ist nicht der Punkt“, sagte sie und streckte das Kinn vor.

„Hm. Geh mal zurück in deine Wohnung und schau dir deine Haare an. Und wir vergessen das hier einfach.“

Marina sah zerknirscht aus. Sie fand das offensichtlich keinen guten Ausgang des Gesprächs. Außerdem hatte Bianca sie wieder an ihre Haare erinnert, und sie machte erneut eine Geste, die zeigte, wie verunsichert sie deswegen war. Bianca überlegte schon, ihre Hilfe anzubieten – das sah ja auch wirklich vollkommen grotesk aus, was die Frau da auf dem Kopf hatte! Aber da wandte Marina sich schon ab. „Unmöglich“, murmelte sie und stapfte dann zurück in ihre Wohnung.

Bianca sah zu Dominik herüber, der ausgesprochen fröhlich aussah. Er zog seinen Helm auf und gab ihr dann ein Daumen-hoch-Zeichen.

„Hast du auch einen Helm für John?“, rief Bianca. Aber ihre Frage ging in dem Lärm unter, den die Maschine beim Anlassen machte.

„Na ja, wird schon gut gehen“, sagte sich Bianca. Ein bisschen nervös sah sie ihrem verantwortungslosen Bruder zu, der jetzt davonbrauste, um ihren Sohn abzuholen.

Dominiks Neffe schaute genauso ratlos wie seine Mutter, als er sich den Sitz vom Cafe Racer anschaute. „Wo soll ich denn da drauf?“, fragte er.

Dominik tappte hinter sich auf den Höcker seiner Sitzbank. „Das ist ein Sitz. Vertrau mir. Aber erst“ – er machte eine Pause und zog aus seinem Rucksack einen kleinen Oldtimer-Helm, der aussah wie eine halbierte Bowling-Kugel, „ziehst du noch den an.“ John sah nicht besonders glücklich aus. „Was denn?“, fragte Dominik verständnislos. „Der wird bestimmt passen!“

„Hellblau? Wieso hat der so eine Babyfarbe?“

„Weil ich den nicht für meinen unglaublich coolen, fünfzehnjährigen Neffen gekauft habe, sondern für die Chicas.“ Dominik sagte das ganz entspannt und selbstbewusst, wie nur ein Mann es tun kann, wenn er in diesem Bereich seines Lebens nichts zu meckern hat. Und das hatte er nicht.

Ein kleines Lächeln umspielte jetzt auch Johns Lippen. Das passierte nicht oft, und Dominik freute sich. Endlich nahm sein Neffe jetzt auch den Helm entgegen und zog ihn auf. Zögerlich setzte er sich dann auf den Cafe Racer, direkt hinter Dominik.

„Alles klar?“, rief Dominik und ließ den Motor an.

„Klar“, sagte John.

Dominik kurvte mit großer Leichtigkeit durch den Ort, wissend, wo welche Ampel sich wie verhielt oder wo einen ein Fußgängerüberweg überraschen konnte. Immerhin war das seine Heimat. Er war nur für kurze Zeit von zu Hause ausgezogen, als er nach der Schauspielschule das Gefühl hatte, er müsse einfach mal weg, weil man das eben so machte, weil man sonst nicht eigenständig oder frei oder rebellisch genug war. Aber schon nach zwei Jahren dieses angeblich so erstrebenswerten Lebens war er wieder nach Hause zurückgekehrt, wo er sich genauso frei fühlte wie in der Welt der Alleinlebenden, nur glücklicher. Was man ist, ob frei, wild, konservativ, verklemmt, erwachsen oder stehen geblieben – das alles, fand Dominik, entschied sich in einem selbst. Nicht dadurch, dass man seinen Körper an einen bestimmten Ort schleppte – oder von einem bestimmten Ort weg. Und er hatte es nie bereut, wieder bei den Eltern eingezogen zu sein. Erst recht jetzt, zurückblickend, war es die beste Entscheidung gewesen. So hatte er noch viel Zeit mit ihnen verbracht, bevor sie, viel zu früh, viel zu plötzlich, aus dem Leben getreten waren.

„Fahren wir nicht nach Hause?“, rief John, als Dominik den Cafe Racer vor einem Bolzplatz parkte. Dominik schaltete den Motor aus und nahm den Helm ab. „Nein. Oder willst du nach Hause?“

John zog etwas umständlich die halbe Bowlingkugel vom Kopf. „Nein“, sagte er entschieden und rutschte von der Sitzbank. Schüchtern zupfte er sich die langen Ponyhaare wieder auf die Stirn, die vom Helm platt gedrückt und zur Seite geschoben worden waren. „Was machen wir?“, fragte er und sah sich um.

„Körbe werfen.“ Dominik stieg ebenfalls vom Motorrad, zog seine Jacke aus und warf sie über die Sitzbank. Der hintere Teil beulte sich jetzt schon wieder aus. Unterschätztes Kerlchen, dachte Dominik und lächelte in sich hinein.

„Und der Ball?“, fragte John, als Dominik mit leeren Händen auf den Platz marschierte. Aber Dominik antwortete nicht, woraufhin er mal wieder dieses Seufzen hinter sich hörte, mit dem John gern kommunizierte, wie schwierig es war, diese nervige Welt auszuhalten und vor allem ihre unmöglichen Bewohner, ganz speziell die, mit denen er meist zu tun hatte. Trotzdem kam der Junge offensichtlich hinter ihm her.

„Ich habe nicht die richtigen Schuhe an“, sagte er dann allerdings in einem mäkeligen Ton. Dominik blieb stehen und sah an ihm herunter. Seine eng sitzende Jeans hörte über den Knöcheln auf, die nackt hervorlugten, sodass die perlweißen, vollkommen sauberen Turnschuhe darunter besonders zur Geltung kamen. Dominik wusste, was sein Neffe sagen wollte, aber er stellte sich dumm. „Du hast doch Sportschuhe an!“, sagte er.

„Na ja … schon … aber die sind nicht zum Sportmachen“, gestand John etwas unsicher.

„Sportschuhe, die nicht zum Sportmachen da sind? Sondern? Zum Angucken?“

„Schon“, gab John zu. „Wenn die dreckig werden …“

Dominik lachte. „Das sind Schuhe!“

John war offensichtlich hin- und hergerissen. Dominik wusste, dass er für ihn der coole Onkel war. Aber jetzt gerade sagte er genau dasselbe, das auch seine Schwester – in Johns Augen wahrscheinlich die uncoole Mutter – sagen würde. Und das machte es dem Jungen schwer. Er wollte sich wehren, konnte das aber nicht damit vereinen, dass er zu Dominik eigentlich aufschaute.

„Hör zu“, machte Dominik es ihm leicht. „Dann werden das jetzt eben deine Sneaker, die dreckig werden dürfen, okay? Und ich schenke dir ein neues Paar für den Alltag. Als Einzugsgeschenk.“

John sah ihn skeptisch an. „Die kosten über hundert Euro“, sagte er vorsichtig.

„Was?“, rief Dominik spontan aus. „Alter! Bist du wahnsinnig?“

John zuckte mit den Achseln. „Deswegen. Die sind nicht zum Sportmachen.“

Dominik lachte. Erst nur ein bisschen und mit dem Versuch, es vor seinem Neffen zu verstecken. Er hielt sich den Handrücken vor den Mund, hustete, wenn ein Lachen aus ihm herausbrach und versuchte, sich zusammenzureißen. Aber es klappte nicht. Er musste einfach lachen. Er sah auf die Schuhe und lachte aus voller Brust. Ihm kamen die Tränen, er wurde lauter und lauter und bekam regelrecht Atemnot. John hielt lange stand. Eine Weile lächelte er nur betreten, aber sein Lächeln wurde beim Anblick von Dominik dann doch zunehmend breiter, bis ihm auch ein kleines Kichern entfloh. Und noch eins. Bis er auch einfach losließ und lachte, richtig, ehrlich lachte.

„Das sind Sportschuhe. Aber man kann keinen Sport mit ihnen machen“, sagte er, die Stimme ganz verzerrt durch das Lachen. Auch ihm kamen jetzt Lachtränen.

„Weil sie so weiß sind!“, quietschte Dominik zurück. Er beugte sich vor Lachen.

Also spielten sie kein Basketball. Stattdessen fuhren sie mit dem Cafe Racer zur Eisdiele und bestellten sich zwei Eisbecher.

„Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so einen Eisbecher gegessen habe“, sagte John. „Das ist so etwas aus der Kindheit. Wir machen das jetzt gar nicht mehr.“

Dominik verkniff sich den naheliegenden Spruch, dass John immer noch ein Kind sei. „Ich finde auch. Bianca ist eine Rabenmutter“, sagte er stattdessen nur scherzhaft und aß genüsslich sein Spaghettieis. Im selben Moment brummte sowohl sein als auch Johns Handy.

John war schneller und schaute schon aufs Display. „Die Rabenmutter“, klärte er Dominik auf. „Fragt, ob wir noch leben.“ Er legte das Handy wieder weg, ohne zu antworten.

Dominik holte sein eigenes Handy hervor und tippte schnell ein Lebenszeichen ein, um es seiner Schwester zu schicken. Dann schüttelte er mit gespielter Enttäuschung den Kopf. „Sag ich doch: Ganz falsche Prioritäten. Denkt nur an sich.“

John schien nicht zu wissen, was er dazu sagen sollte, und wechselte das Thema: „Ehrlich mal. Wo wäre der Ball hergekommen?“

„Was?“ Dominik war abgelenkt. Er versuchte, die Kellnerin zu hypnotisieren, um ein zweites Spaghettieis zu bestellen.

„Am Basketballplatz“, meinte John. „Wo wäre da der Ball hergekommen?“

„Ach so.“ Dominik gab auf. Alice hatte heute Schicht. Die war immer noch sauer, weil er vor zwanzig Jahren mit ihrer Cousine ausgegangen war – und nicht mit ihr. Dabei ist eine Cousine schon ziemlich weit entfernt, fand Dominik. Hätte er während der Schulzeit nie etwas mit einem Mädchen angefangen, das mit einer anderen Interessierten irgendwie verbandelt war, wäre er bis zum Abitur ungeküsst geblieben. Die Überschaubarkeit des Ortes kombiniert mit der Größe seiner Beliebtheit hatte ihn damals vor mehrere solcher doofen Situationen gestellt. Dabei respektierte er sehr wohl die Gefühle anderer! Auch wenn ihm viele Mädchen etwas anderes nachsagten.

Er sah seinen Neffen an. „Der Ball ist vor Ort. Ich habe einen deponiert, schon vor Jahren. Und er ist immer noch da, jedes Mal, wenn ich nach ihm schaue.“

John kratzte sein Glas aus. „Cool“, sagte er anerkennend. „Wann hast du deinen Motorradführerschein gemacht?“, fragte er dann unvermittelt.

„Mit fünfundzwanzig“, sagte Dominik wahrheitsgemäß. „Da warst du schon auf der Welt …“

„Warum nicht früher?“

Dominik erinnerte sich an sich selbst mit achtzehn und spürte direkt Nostalgie in sich aufkeimen. Er sprach schnell weiter: „Ich war nicht der Typ, den man besonders früh motorisieren wollte.“

„Wie meinst du das?“

„Ich war … experimentierfreudig. Vielleicht sogar ein bisschen dumm, von außen betrachtet. Aber so würde ich es selbst nicht formulieren. Ich war eher … offen für Ungewöhnliches. Ich hatte Lust, gefährliche Dinge zu tun. Andere Dinge als die meisten anderen. Ich hatte so einen Drang in mir … zu feiern, zu leben, auszuprobieren, was alles geht. Und am Ende habe ich dabei oft blaue Flecken davongetragen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Aber als ich das Schauspiel für mich entdeckt habe, hat mich das ruhiger gemacht. Ich tobe mich jetzt auf der Bühne aus. Da brauche ich keinen Risikosport mehr, keinen … weiß nicht. Verrückten Kram.“

„Du bist trotzdem immer noch anders“, sagte John, und Dominik entging nicht, dass er das mit großer Anerkennung sagte.

„Danke“, antwortete er entsprechend. Endlich kam Alice doch an den Tisch.

„Noch was?“, fragte sie kühl.

Plötzlich hatte Dominik keine Lust mehr auf einen zweiten Eisbecher. „Nur die Rechnung bitte, Alice, das wäre nett“, sagte er also sanft.

„Nur die Rechnung. Natürlich sonst nichts. Hab ich schon kapiert, Dominik.“ Wütend dampfte sie ab.

„Was war das denn?“, fragte John. Und weil Dominik sich gerade danach fühlte, weihte er ihn also ein, obwohl er normalerweise seine ganzen Mädchengeschichten eher für sich behielt. John nahm Dominiks Worte auf wie ein Schwamm. Es machte richtig Spaß, ihm die Sache zu erzählen. Als würde man einem hungrigen Tier endlich etwas Gutes zu essen geben!

Gut gelaunt und kichernd verließen sie kurz danach die Eisdiele – eine noch wütendere Alice zurücklassend, die das Gefühl haben musste, sie würden sie auslachen. Tut mir leid, Alice, schickte Dominik ihr in Gedanken zu. Aber es war schön, seinen Neffen glücklich zu sehen. Er hätte nicht gedacht, dass sich das so gut anfühlen würde. Auf dem Heimweg nahm er eine besonders spaßige Route und gab mal wieder ein bisschen mehr Gas. John johlte auf dem Soziussitz, und Dominik stimmte mit ein.

Duo war einmal

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