Читать книгу Infiziert : Die ersten zehn Tage - Felix Fehder - Страница 6
Оглавление4: KRANKENHAUS BERGMANNSHEIL, NOTAUFNAHME, DONNERSTAG, 30.07.2013, 21:23 UHR
Dr. Jan Schneider hatte seit fast vierzig Stunden nicht mehr geschlafen und der Patientenandrang in der Notaufnahme wollte kein Ende nehmen. Seit die Behörden vor der Infektion gewarnt hatten, hielten sich immer mehr Leute für infiziert. Jan hatte Hunderte untersucht, vorspielend, dass er wisse, um was für eine Infektion es sich bei dem Unglück handele und dass er sie diagnostizieren könne. Das war völliger Blödsinn, sie wussten überhaupt nicht, mit was für einer Krankheit sie es zu tun hatten.
Bisher war dieses Wissen aber auch nicht nötig. Jan war sicher, dass keiner seiner Patienten wirklich infiziert war. Die Leute hatten einfach die üblichen Wehwehchen – nur hielt jetzt jeder Fieber oder Kopfschmerzen für Anzeichen der Infektion.
Jan war genervt. Das alles stahl ihm die Zeit für seine „richtigen“ Patienten. Er seufzte und drückte den Knopf für die Gegensprechanlage.
„Der nächste bitte.“
Eine blonde Frau kam herein, augenscheinlich hochschwanger.
„Mein Name ist Jan Schneider, bitte setzen Sie sich.“
„Lara Mühler – mit „h“.“
„Also gut, Frau Mühler.“ Jan nahm ein Stethoskop und horchte die Frau ab. Dann sah er sie an.
„Wo brennt‘s denn?“
„Ich – es ist mir etwas peinlich“, stammelte sie.
„Keine Sorge.“
„Also … ich … ich habe Angst.“
Jan sah sie fragend an.
„Weil … also … auf den Straßen ist die Hölle los … mein Freund … er bekam Panik … ist verschwunden … ich … und jetzt …“ Sie brach in Tränen aus.
Jan reichte ihr sehr klischeehaft ein Taschentuch und legte ihr die Hand auf die Schulter.
„Beruhigen Sie sich – wird ja schon alles gut.“
Sie schniefte.
„Und nun ist er also weg, ihr Freund? Was ist mit Ihren Eltern? Familie?“
Sie schüttelte den Kopf. Jan fragte nicht weiter nach. Wenn sie jetzt anfing, ihm ihre Familienprobleme zu erklären, verlor er die Zeit für dreimal „Nein, Sie sind nicht infiziert, das ist nur eine Grippe“.
Sie war jetzt wieder etwas gefasster.
„Wann soll es denn soweit sein?“
„Könnte jeden Moment so weit sein – verstehen Sie, ich will nicht allein sein damit. Wegen der Infektion und allem. Ich mache mir Sorgen. Glauben Sie, mein Baby könnte sich anstecken?“
„Nein, glaube ich nicht, keine Sorge – Moment.“ Jan sah im Computer nach und wundersamer Weise war auf der Geburtenstation tatsächlich ein Bett frei.
„Ok, also Sie können hier bleiben, bis das Baby kommt, wenn Sie wollen. Auf der Gynäkologie wird man Sie nochmal gründlich untersuchen, aber das ist nur Routine. Mit dem Baby ist sicher alles in Ordnung.“
Die Frau nickte hektisch. Jan drückte einen Knopf und eine Schwester erschien.
„Bringen Sie die Dame bitte auf die Gynäkologie. Zimmer 17 B ist frei.“
„Ist gut“, sagte die Schwester, „dann kommen Sie mal mit.“
Die Frau stand auf und folgte der Schwester nach draußen. Jan steckte den Kopf durch die Tür in den Flur und rief: „Der Nächste bitte.“
Es gab ein wenig Gedränge, dann schoben sich zwei Polizisten durch die Menge. Die Frau der beiden trug ihren Kollegen mehr, als dass dieser selber ging, bahnte sich aber entschlossen ihren Weg ins Sprechzimmer, ständig versichernd, dass ihr Kollege ein Notfall sei.
Jan deutete auf die Liege und sie legte den Verletzten keuchend ab. Er sah übel aus. Völlig verschwitzt, so weiß wie die Wand und sein linkes Hosenbein war voller Blut.
„Ich bin Dr. Schneider, können Sie mich verstehen?“
Der Blick des Mannes flackerte unruhig, aber er nickte.
„Was ist passiert?“
„Wir haben die Infizierten bewacht – er wurde gebissen“, antwortete die Polizistin.
Jan starrte sie an. „Gebissen?“
Sie nickte.
„Dann – dann ist es also wahr?“
„Ich weiß nichts Genaues, aber Sie müssen ihm helfen, sofort!“
„Schon dabei.“ Er kramte in einer Schublade nach einer Schere. „Wie heißen Sie?“
„Martina Kraft – das ist Michael Ascher.“
„Angenehm“, grinste der Verwundete und wurde mit einem Hustenanfall bestraft.
Jan nahm sich das Bein vor. „Ich schneide ihre Hose auf, um mir die Wunde anzusehen.“
Vorsichtig glitt er mit der Schere durch den Stoff. Es war tatsächlich eine Bisswunde. Menschliches Gebiss. Drum herum hatte sich eine schwarze Färbung ausgebreitet. Die Stelle roch nach faulendem Fleisch und sonderte ein dunkles Sekret ab. Martina Kraft drehte sich angewidert zur Seite. Jan säuberte die Wunde und zog dann eine Spritze auf. Er musste etwas gegen diese Fäulnis tun.
„Was geben Sie ihm?“
„Kortison und ein Antibiotikum.“
Er beugte sich über das Bein. Sein Patient starrte die Spritze an.
„Das wird jetzt etwas unangenehm.“
Er verabreichte die Injektion. Der Polizist sah zur Seite.
„Fertig.“
Der Polizist fixierte sein Bein. „Ich habe nichts gefühlt“; flüsterte er.
„Wahrscheinlich der Schock“; sagte Jan.
„Optimist“, blaffte Martina.
Er sah sie an.
„Sie waren ja nicht da“, sagte Michael Ascher. Seine Stimme rasselte. „Diese Krankheit – ich spüre sie.“
„Was tun wir jetzt?“, fragte seine Kollegin.
Jan wusste es nicht. Wenn dieser Mann wirklich an der Seuche aus der Fabrik erkrankt war, konnte man nicht viel tun. Er wusste ja nicht einmal, worum es sich dabei handelte.
„Haben Sie Schmerzen?“
„Nein.“
„Was zur Hölle tun wir jetzt?“, fragte die Polizistin nochmal.
„Es war nicht falsch, dass wir geschossen haben“, flüsterte ihr Kollege. „Wir … wir mussten.“
„Schon gut, Michael. Denk jetzt nicht darüber nach.“
„Du musst sie erledigen, hörst du? Alle!“
„Beruhige dich.“
„Nein .. ALLE … diese Sache – das ist schlimmer als wir dachten. Versucht nicht, sie zu retten. Hörst du?“
„Michael – es ist ok.“
„Nein … nicht ok … HÖRST DU!“
Das letzte schrie er, dann brach er zusammen und war ohnmächtig. Jan fühlte seinen Puls, als die Tür aufflog.
„MEIN MANN BRAUCHT BEHANDLUNG“, quietschte eine blondierte, stark geschminkte Frau, ihren Mann am Arm hinter sich herziehend.
„Jetzt nicht.“
Jan ging der Frau entgegen und stellte sich ihr in den Weg.
„Aber er ist INFIZIERT“, kreischte sie.
Jan tat sein Bestes, um ruhig zu bleiben.
„NEIN, Sie müssen jetzt ...“
„HILFE!“
Jan wirbelte herum. Der Polizist auf der Liege bäumte sich auf, seine Kollegin bemühte sich ihn unten zu halten. Sie hatte ihn an den Schultern gepackt und versuchte, ihn auf die Liege zu drücken. Jan sprang zum Schrank, griff eine Spritze und zog ein starkes Beruhigungsmittel auf. Die Polizistin rang mit ihrem Kollegen. Beim Versuch dazwischen zu kommen, bekam Jan einen Ellenbogen ins Gesicht, schaffte es aber schließlich die Nadel in den Arm seines tobenden Patienten zu stechen. Er trat von der Liege zurück und legte die leere Spritze weg. Das sollte genügen.
„Ok, Sie können ihn loslassen!“
Die Polizistin gab ihren Kollegen frei und trat ebenfalls einen Schritt zurück. Michael Ascher saß einen Moment da und wackelte mit dem Oberkörper, als könne er die neue Freiheit nicht glauben. Jetzt fallen ihm gleich die Augen zu. Der Polizist wogte vor und zurück, dann stieß er ein langes Grunzen aus und stürzte aus dem Bett in Richtung Tür.
Die Frau im Rahmen kreischte.
Martina warf sich auf ihren Kollegen und rang ihn zu Boden. Jan ging zur Liege, zog darunter eine Bettpfanne hervor, machte einen Schritt auf die am Boden kämpfenden Polizisten. Und drosch Ascher die Bettpfanne auf den Schädel. Es herrschte sofort Ruhe. Der infizierte Polizist regte sich nicht mehr und seine Kollegin rappelte sich langsam hoch.
Die Frau in der Tür überwand als erste den Schock: „Wie können Sie nur? Ich werde Sie melden.“
Jan hob die Bettpfanne und ging auf sie zu. „Raus hier“, fauchte er. Sie verschwand endlich.
Jan kniete sich neben den Polizisten und fühlte seinen Puls.
„Er ist nur ausgeknockt, keine Sorge.“
Die Kollegin des Bewusstlosen blieb vollkommen ruhig. „Sie müssen mir helfen ihn zu fesseln.“
„Was?“
„So kann ich ihn nicht transportieren und hier kann er nicht bleiben.“ Die Polizistin hatte eine Schublade aufgezogen und holte eine Rolle Verbandszeug hervor.
„Ich habe grade einen Polizisten nieder geschlagen und nun soll ich seiner Kollegin helfen, ihn zu fesseln!?“
„Helfen Sie mir nun oder nicht?“
„Er ist sehr krank. Wo wollen Sie mit ihm hin?“
„Jedenfalls nicht hierbleiben – Sie verstehen das nicht, noch nicht. Er ist eine Gefahr, er wird kränker werden – anders werden – hungrig.“
Sie nahm ihre Handschellen vom Gürtel und fesselte dem Mann die Hände.
„Helfen Sie mir mit den Beinen.“
Sie nahm ein Bein, bog es ihm auf den Rücken und hielt es Jan hin.
„Festhalten.“
Während Jan das Bein hielt, wickelte sie den Verband um die Beine ihres Kollegen und verband die Enden mit der Kette der Handschellen.
„Ist das nicht übertrieben?“, fragte Jan.
„Ich weiß wie stark er ist, glauben Sie mir. – Jetzt der Kopf.“
Ein fragender Blick von Jan.
„Wir brauchen einen Beutel oder sowas.“ Sie riss wieder Schränke und Schubladen auf. Bevor sie alles in Chaos verwandelte, half Jan ihr lieber:
„Sowas?“ Er hielt einen Stoffsack hoch, in dem vorher Schläuche und Kanülen gesammelt worden waren. Die Polizistin nahm ihn und zog ihrem Kollegen den Sack über den Kopf.
„Nur noch festziehen.“ Sie nahm wieder die Verbandsrolle und wickelte sie um Sack und Hals. Dann stemmte sie den Fuß gegen den Kopf und zog mit ihrem ganzen Gewicht an dem Band.
„SIE BRINGEN IHN JA UM.“
Sie stoppte und verknotete das Band. „Keine Sorge. Das ist sein geringstes Problem.“
Jan schüttelte den Kopf und suchte nochmal die Schlagader des Mannes.
„Er hat kaum noch Puls.“
„Können Sie einen Rollstuhl besorgen?“
„Was?“
„Einen Rollstuhl. Schnell, wenn es geht.“
Jan wurde klar, was sie vorhatte und verschwand aus der Tür. Er rannte über den brechend vollen Flur, rempelte fast ein paar Leute zur Seite und fand in einem Lagerraum einen Rollstuhl. Das Teil vor sich her schiebend raste er zurück. Die Polizistin war schon wieder an den Schränken zu Gange und steckte eine Schachtel Tabletten in ihre Jacke. Jan sagte nichts dazu und gemeinsam wuchteten sie den noch immer bewusstlosen Körper in den Rollstuhl. Die Polizistin zog ihre Jacke aus, legte sie über ihren Kollegen um ihn vor neugierigen Blicken zu schützen und wandte sich zur Tür.
„Danke für alles Doktor.“
Sie schob den Rollstuhl auf den Gang und verschwand hinterher. Jan sah ihr nach, wie sie sich durch die Menge der Wartenden schlängelte. Um ihn herum guckte er in erwartungsvolle Gesichter. Er seufzte. „Der Nächste bitte.“
Jan diagnostizierte noch etliche Male „Nicht-infiziert-nur-Grippe/Fieber/etc“. Dann, endlich, endlich erschien ein Kollege, um ihn abzulösen.
„Notaufnahme ist auch nicht mehr das, was es mal war“, gab er ihm als Hinweis mit auf den Weg. Der Arzt verzog resigniert das Gesicht.
Jan fand, er habe sich seinen Feierabend heute wohl verdient, wollte aber vorher noch schnell nach der schwangeren Frau sehen, die er heute aufgenommen hatte. Als er ins Zimmer trat, fand er Lara Mühler aufrecht im Bett sitzend und auf den Fernseher starrend.
„Hallo Frau Mühler – darf ich.“
Sie winkte ihn näher heran und deutete auf den Bildschirm.
„Sie senden nicht mehr.“
Jan sah auf den Fernseher, der ein blaues Bild mir weißer Schrift zeigte.
„Der Sendebetrieb wurde eingestellt. Der Bevölkerung wird geraten, im Haus zu bleiben. Aktuelle Warnungen und Sicherheitshinweise erhalten sie über den Hörfunk.“
„Das ist auf allen Kanälen.“ Lara Mühler schaltete durch ein paar Programme. „Was geht da nur vor sich?“
Jan schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Ich glaube heute tatsächlich jemanden untersucht zu haben, der infiziert war.“
„Also ist es wirklich eine Seuche?“
Jan hob die Schultern. „Was weiß ich schon? Uns informiert ja niemand. Was sagen sie im Radio?“
„Immer dasselbe.“ Sie schaltete nochmal um, diesmal auf den Radiokanal.
„Bitte verlassen Sie das Haus nicht. Die Stadt ist Katastrophengebiet. Sie werden demnächst ein Versorgungspaket erhalten. Bitte versuchen Sie nicht, die Stadt zu verlassen, auf Grund der Verkehrsdichte ist mit Staus von bis zu 12 Stunden Dauer zu rechnen. Das Katastrophengebiet wurde unlängst auf die umliegenden Städte in Nordrhein-Westfalen ausgeweitet. Laut den Sicherheitsbehörden wird die Verkehrs- und Infektionslage in Kürze wieder unter Kontrolle sein. – Bitte verlassen Sie das …“
Lara Mühler schaltete ab. „Jetzt wiederholt er es nur noch.“
„Wie fühlen Sie sich?“
„Wie ich mich fühle? Was glauben Sie?“
„Körperlich, meine ich.“
„Körperlich? … Ganz ok.“
„Sie können hier bleiben, bis das Baby da ist.“
„Haben Sie schon gesagt. Danke.“
„Was ist mit dem Vater?“
„Will ich nicht wieder sehen!“
„Oh.“ Jan ging zum Fenster.
„Will ich auch nicht drüber reden.“
„Schon gut.“ Er starrte auf die Straße. Es war dunkel geworden. Der Ansturm auf die Notaufnahme riss noch immer nicht ab.
„Wann, glauben Sie, kann ich nach der Geburt wieder weg?“
Jan hörte sie kaum. Dort hinten war irgendwas los. Vereinzelte Leute rannten in seine Richtung, Autos rasten in hektischer Fahrt an ihnen vorbei. Die fliehen vor irgendwas. Er riss das Fenster auf, um besser zu sehen und ihm stockte fast der Atem. Diese Leute flohen vor einer Menschentraube, die sich über die ganze Breite der Straße erstreckte und langsam näher kam. Langsam, weil sie sich so seltsam bewegen. Jan sah genauer hin. Sein Doktor in Medizin wäre nicht nötig gewesen, um zu diagnostizieren, was sich da auf sie zu bewegte: Die Straße war voll von Infizierten.
„Mein Gott“, flüsterte er.
„Was?“
Er wirbelte herum.
„Wann Sie weg können? Ich denke, wir müssen genau jetzt los.“ Er deutete hinaus.
Sie stieg aus dem Bett und trat ans Fenster. Sofort klappte ihr Kiefer herunter. Sie schnappte nach Luft und griff sich an den Bauch. Jan zog sie vom Fenster weg.
„Wir müssen Sie hier wegbringen. Ziehen Sie sich an.“
Sie nahm ein paar Sachen von einem Stuhl, ging ins Bad und kam in Leggins und einer Art weiter Tunika, unter der sich ihr Bauch wölbte, wieder heraus.
„Gut, dann los“, sagte Jan und öffnete die Tür. Der Flur lag still vor ihnen. Die Menschenmenge befand sich in der Notaufnahme. Auf der Geburtenstation war wenig los, vor allem am späten Abend. Jan wandte sich nach links.
„Zum Fahrstuhl geht es aber da lang.“
„Ich will noch ein paar Sachen holen.“
Er ging an ein paar Türen vorbei, bis er eine schließlich öffnete. Sie traten in ein kleines Untersuchungszimmer. Jan holte eine saubere Mülltüte hervor und suchte Dinge zusammen, die er bei einer möglichen Geburt außerhalb des Krankenhauses brauchen würde. Als er fertig war, ging die Tür auf.
„Was machen Sie da?“, fragte eine aufgebracht aussehende Schwester Karen, deren Nachnamen Jan sich noch nie hatte merken können.
„Hallo Karen, ich bin‘s.“
„Jan? Was machen Sie da? Haben Sie nicht unten Dienst?“
„Karen, ich habe keine Zeit für Erklärungen. Wir müssen das Krankenhaus verlassen. Alle. Die Infizierten kommen hierher. Viele.“
„Was reden Sie da?“
„Aber er hat Recht“, sagte Lara Mühler.
„Sehen Sie auf der anderen Gebäudeseite aus dem Fenster!“ Er schob Frau Mühler an Schwester Karen vorbei. „Hier lang.“
Jan rannte den Gang runter bis zur Schwesternkabine. Dort drückte er etwas herum, dann erklang seine Stimme über die Krankenhauslautsprecher.
„HIER SPRICHT DR. SCHNEIDER. IM KRANKENHAUS HERRSCHT INFEKTIONSGEFAHR. WIR MÜSSEN ALLE PATIENTEN UND SÄMTLICHES PERSONAL SOFORT EVAKUIEREN. ICH WIEDERHOLE: INFEKTIONSGEFAHR.“
„Glauben Sie, das reicht?“, fragte seine Begleiterin.
Er zuckte die Schultern.
„WER DIESES KRANKENHAUS NICHT BINNEN MINUTEN VERLÄSST, BEFINDET SICH IN LEBENSGEFAHR.“
„Das sollte reichen.“ Jan sprang auf. „Kommen Sie, kommen Sie.“
Lara Mühler versuchte Schritt zu halten.
„Eine von uns ist schwanger, vergessen Sie das nicht.“
Jan rannte weiter den Flur entlang und bestellte den Aufzug. Es dauerte ewig. Dann kam er zeitgleich mit seiner Patientin an. Sie stiegen ein und Jan drückte auf den untersten Knopf.
In der Tiefgarage war niemand zu sehen. Jan führte sie zu seinem Volvo SUV, hielt seiner Patientin die Beifahrertür auf und nahm dann hinter dem Steuer Platz. Er blickte zur Seite.
„Alles klar?“ Sie sah erschöpft aus, nickte aber.
„Dr. Schneider?“
Er sah sie fragend an.
„Danke.“
Er winkte ab. „Schon ok. Und ich bin übrigens Jan.“ Er streckt ihr die Hand hin.
„Lara.“
Von oben hörten sie Schreie. Vielleicht die Menschenmenge auf der Flucht. Oder die Infizierten hatten das Krankenhaus erreicht. Jan startete den Motor und setzte zurück. Mehr und mehr Leute kamen nun in die Tiefgarage, um auf dieselbe Art wie Jan und Lara das Krankenhaus zu verlassen. Sie erreichten das Tor der Garage und es hob sich scheppernd vor ihnen in die Höhe. Auf der Straße dahinter war so viel los wie noch nie. Überall rannten Menschen durcheinander, dazwischen sah man ein paar torkelnde Gestalten – Infizierte. Lara keuchte entsetzt. Wer konnte, schrie nach Leibeskräften. Links vom Tor hatten zwei Männer eine infiziert aussehende Frau zu Boden geworfen und traten auf sie ein. Für Jan sah es so aus, als würden ihre Lippen das Wort „Hilfe“ formen, er war sich aber nicht sicher. Rechts von ihnen entdeckte jemand das offene Tor, brüllte etwas und sofort strömte die Menge ihnen entgegen und drückte sich am Jeep vorbei in die Garage.
Jan schlängelte den Wagen durch die Massen, in dem er sich energisch den Weg frei hupte. Vor ihnen fiel eine Frau hin. Sofort hatten zwei Infizierte sie erreicht, stürzten sich auf sie und bissen an ihr herum. Die Frau schrie als große Teile ihres Fleisches mit infizierten Zähnen von ihrem Körper gerissen wurden. Wenn ich jetzt versuche zu helfen, gehen wir hier drauf. Jan umkurvte das Grüppchen. Er verschloss sein inneres Auge vor dem Grauen um sie herum und steuerte den Volvo weiter durch die Menge. Es war eine regelrechte Massenpanik. Jan kam sich vor wie in einem Kriegsgebiet. Woher waren diese Infizierten gekommen? Trotz der chaotischen Lage schätze Jan, dass sich auf der Straße vor dem Krankenhaus nur eine Handvoll Infizierte befanden. Und wenn die schon so eine Panik verursachten... Und wenn es tatsächlich stimmte, dass Bisse die Krankheit übertrugen...
Lara schrie auf als eine Mutter mit ihrem Kind an der Hand vor den Volvo purzelte. Jan stieg auf die Bremse, die beiden vor dem Auto rappelten sich hoch und hetzten weiter.
„Ich habe Angst“, flüsterte Lara.
Irgendwie kamen sie schließlich durch und fanden sich auf einer freien Straße wieder. Nach dem Lärm kam es ihnen unglaublich still vor. Als wäre mit dem Erlöschen der Straßenlaternen auch der Ton in der Stadt abgedreht worden. Jan gab Gas, stadtauswärts, der Volvo beschleunigte leise surrend und gaukelte seinen Insassen Sicherheit vor.