Читать книгу Im Zeichen des Fuchses - Felix Käfer - Страница 3
Prolog
ОглавлениеEine Gestalt stapfte durch den Schnee, in den Armen hielt sie ein Bündel, das sie sich eng an den Leib presste. Ihr Umhang war steif vom Frost, die Kapuze tief ins Gesicht und der Schal bis über die Nasenspitze gezogen. Ihre Stiefel knirschten, als sie einen Hügel hinaufstieg. Ein paar Strähnen ihres kastanienbraunen Haares rutschen dabei aus ihrer Kapuze und tanzten leicht in einer frischen Brise.
Weit und breit war kein anderes Lebewesen zu sehen. Nebelbänke waberten über das Land, verschluckten Berge, Wälder und Täler. Dunkle Tannen ragten zu ihrer linken in die Höhe, rechts von ihr lag ein zugefrorener Fluss, so breit, dass man ihn mit einem Schiff hätte befahren können. Ihr Herzschlag beschleunigte sich bei diesem Anblick. Sie spähte ans andere Ufer.
Mochte die Gegend auch noch so verlassen und trostlos wirkend, sie wusste, dass es hier Leben gab. Aus der Dunkelheit und dem weißen Nebel wehte es Schneeflocken auf sie herab, die ihr ins Gesicht flogen und die Sicht erschwerten. In der Ferne heulte ein einsamer Wolf.
Sie ließ den Blick weiter schweifen und plötzlich leuchteten ihre dunklen Augen auf, die dem Verlauf des Flusses gefolgt waren. Nördlich von ihr meinte sie Lichter durch den Nebel hindurch glimmen zu sehen und sie wusste, die Rettung war nahe.
Die junge Frau drückte sich das Bündel enger an die Brust und begann den beschwerlichen Weg über das Eis. Bald, so dachte sie, wäre sie an einem sicheren Ort. Man würde ihr etwas Warmes zu essen auftischen und sie freundlich willkommen heißen.
Da drang ein Geräusch an ihre Ohren, das sie augenblicklich innehalten ließ. Der Feind hatte sie gefunden! Hinter ihr schlug etwas laut auf und wurde mit einem kratzenden Geräusch über das Eis gezogen.
Das Bündel in ihren Armen regte sich leicht. Sie schlug den Stoff ein wenig zur Seite, so dass der Kopf eines kleinen Mädchens zum Vorschein kam. Es hatte bereits dichtes, dunkelbraunes Haar und besaß die gleiche rehbraune Augenfarbe wie die Mutter. Die Frau murmelte dem Kind beruhigende Worte zu und drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange, bevor sie das Mädchen, dick verpackt wie es war, mit dem Gesicht nach oben vorsichtig ablegte.
Aus den Augenwinkeln sah sie etwas Dunkles und spürte etwas Kaltes über ihren Nacken streichen. Aus der Hocke fuhr sie hoch und hielt bereits ihre Kurzschwerter in Händen. Die Klingen zerschnitten die Luft, doch das Wesen hatte sich bereits mit einem Satz in Sicherheit gebracht.
Es landete einige Schritte entfernt, die Hände aufs Eis gestützt. Ein schwarzer Umhang verhüllte es, doch als es den Kopf hob, rutschte der Stoff ein wenig zurück und offenbarte zwei tiefrote Augen, die sie hungrig anstarrten. „Gib uns das Kind, Weib!“, zischte eine Stimme, die alles andere als menschlich klang.
Sie stellte sich kampfbereit hin und hob drohend ihre Schwerter. „Eher sterbe ich!“
Ihr Gegenüber kicherte, während zwei Gnolle, hässliche humanoide Wesen mit Hyänenköpfen aus dem Nebel traten und die Gestalt flankierten. Weitere bewaffnete Kreaturen schälten sich aus der Dunkelheit als würden sie geradewegs aus dem Boden sprießen und bildeten einen lockeren Kreis um sie.
„Das wird ohnehin bald der Fall sein.“
Die Frau ließ ihren Blick schweifen. Es waren mindestens ein dutzend Feinde. Zu viele als das sie darauf hoffen durfte allein gegen sie zu bestehen. Sie rammte eines ihrer Schwerter ins Eis, nahm ein Horn, das an ihrem Gürtel baumelte und blies hinein.
Ein lang gezogener Ton erklang. Er hallte über den Fluss und verlor sich in der Dunkelheit. Einen Moment lang geschah nichts und sie glaubte schon ihr Ruf bliebe ungehört, als ein dumpfes Dröhnen aus dem Nebel drang. Ihre Augen weiteten sich. Hastig stieß sie abermals ins Horn, so fest sie nur konnte.
Das Wesen, das die Gruppe anführte, fing an zu lachen. „Ruf nur um Hilfe. Bis jemand hier ist, bist du längst tot und das Mädchen in unserer Gewalt, meine Liebe. Vielleicht töten wir noch ein paar dieser Leute, bevor wir abziehen und braten sie zusammen mit deiner Leiche über einem schönen Feuer.“ Nadelspitze Zähne glänzten in der Dunkelheit. „Es ist zu lange her, dass ich das letzte Mal Mensch gegessen habe. Manche mögen euer Fleisch roh und blutig, aber ich bevorzuge es gut durch, mit etwas Pfeffer und Zwiebeln gewürzt, da verbreitet es einen unwiderstehlichen Duft.“ Seine rote Zunge fuhr aus seinem Mund und leckte durch die Luft, sie war in der Mitte gespalten, wie bei einer Schlange.
Die Frau ließ das Horn sinken. „Verrecke, du Scheusal!“ Ihre Spucke verfehlte seine Stiefel nur um Haaresbreite.
„Das war nicht nett“, meinte er und wischte einen Tropfen von seinem Umhang. „Ein wenig Anstand sollte doch gewahrt bleiben. Außerdem“, er spuckte einen grünen Batzen in einen Schneehaufen, der daraufhin zu zischen anfing und sich auflöste, „wäre das ein ziemlich ungleicher Zweikampf.“
Die Frau zog das Schwert aus dem Eis. „Bist du fertig mit deiner Vorführung?“
Der Dämon grinste. „Nicht ganz. Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Meine Mutter sagte mir immer, es gezieme sich nicht, jemandem umzubringen ohne demjenigen seinen Namen genannt zu haben.“ Er machte eine spöttische Verbeugung. „Sanguin, die schwarze Schlange.“
Als die Frau schwieg, seufzte Sanguin theatralisch. „Wie mir scheint, hast du noch nicht von mir gehört. Oder du verbirgst es ziemlich geschickt unter deinem hübschen Gesicht. Vielleicht schneide ich es heraus und fertige daraus eine Maske an. Wie fändest du das?“ Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern fuhr in seinem spöttischen Tonfall fort. „Ich nehme es dir auch nicht übel, dass du uns deinen Namen nicht nennst. Er ist mir bereits bekannt. Aber für alle, die es noch nicht wissen“, nun sprach er in die Runde, an die versammelten Unholde gerichtet „dies ist Lia Nelkenblum aus dem Dorf Nebelheim, ein Ort, an dem Drachenjäger und Vagabunden gleichermaßen hausen. Oder es vielmehr getan haben. Erinnert ihr euch? Wir haben es niedergebrannt und seine Einwohner gefressen. Bis auf diese Schlampe da!“ Er deutete auf sie. „Doch dieses Blümchen werden wir auch noch zerrupfen.“
„Nelkenblume?“ Einer der Gnolle legte den Kopf schief und schnüffelte. „Diesen Namen habe ich schon mal gehört. Die Menschen nehmen ihn oft in den Mund.“
Sanguin tat als klatschte er Beifall. „Richtig. Sie ist ein Nachfahre einer berühmteren Nelkenblum, dieser Nebelhexe, die vor über tausend Jahren ihr Unwesen trieb.“ Sanguin verzog das Gesicht. „Noch so ein Luder, das es verdient hatte zu sterben.“
Er fasste Lia ins Auge. „Du weißt weswegen wir gekommen sind. Nun händige uns das Kind aus. Und wenn du anschließend noch schön die Beine breit machst, gewähre ich dir einen schmerzlosen Tod.“
„Niemals.“
„Bedauerlich.“ Sanguin schüttelte traurig den Kopf. „Wenn das so ist, werden wir dich zuerst töten und sobald du aufgehört hast zu zucken, sehen wir uns an, was von der Blume zwischen deinen Beinen noch übrig ist.“
Die Kreaturen zogen den Kreis enger.
Lia ließ ihren Blick über die versammelten Feinde schweifen, um abschätzen zu können, wer von ihnen zuerst angreifen würde. Es waren einfach zu viele … Bis auf ihren Anführer und die Nachtschatten, deren Beschaffenheit dies nicht zuließ, da sie aus einer schwadenartigen Substanz zu bestehen schienen, trugen ihre Verfolger schwarze Rüstungen, auf deren Brust ein blutrotes Zeichen prangte. Es sollte wohl einen Raben symbolisieren. Lia nahm an, dass auch Sanguin unter seinem Umhang eine derartige Panzerung trug.
Was ihr am deutlichsten auffiel war die Vielfalt unter ihren Feinden. Vier Gnolle, zwei Werwölfe, ein Vampir und drei Nachtschatten. Bei dem Rest konnte sie nur Vermutungen anstellen, um was für Kreaturen es sich dabei handelte. Eines schien menschlicher Natur zu sein, aber auf seinem Rücken befand sich eine Art Buckel und es gab gurgelnde Laute von sich. Zwei schienen der Statur nach Menschen zu sein, allerdings waren ihre Gesichter verhüllt. Ein weiteres Wesen war zu groß für einen Menschen, das andere zu klein, beide hatten ihre Gesichter unter Helmen verborgen. Alles in allem, war mit Ausnahme des Vampirs, keiner von ihnen nett anzuschauen. Lia entschied, dass einer der Werwölfe als erstes angreifen würde, jener, dessen lange und todbringende Klauen so unruhig hin und her zuckten. Eine Sekunde später wusste sie, dass sie richtig gelegen hatte, denn der Werwolf schoss auf sie zu. Doch er war nicht der einzige, wie auf ein unsichtbares Zeichen hin hatte sich einer der Gnolle ebenfalls in Bewegung gesetzt und sprang mit einem Satz nach vorn, wobei er eine doppelschneidige Axt durch die Luft schwang.
Lia wich der Axt seitlich aus und vollführte eine blitzschnelle Drehung. Die Axt, die auf ihre Taille gezielt hatte, schoss um Haaresbreite an ihr vorbei und traf dem Werwolf ins Gesicht, während ihre Schwerter durch den Hals des Gnolls schnitten, um Kopf und Rumpf unwiederbringlich voneinander zu trennen. Eine Blutfontäne spritzte aus dem gespalteten Schädel des Wolfs und der Körper des Gnolls kippte um wie ein nasser Sack. Noch ehe einer der beiden den Boden berührte, hatte Lia bereits wieder ihre Verteidigungsstellung eingenommen.
Ein leises Klatschen ertönte. Es klang seltsam fremd in der ansonsten stillen Nacht.
Lia wandte sich um. Sanguin hatte seine Handschuhe abgestreift und schlug leicht die Hände aneinander. Offenbar gefiel ihm dieses Spiel. Der Kopf des Gnolls war ihm direkt vor die Füße gerollt und er hatte seinen Stiefel auf ihn gestellt. „Nicht schlecht. Gar nicht schlecht. Das verspricht noch unterhaltsam zu werden. Vor allem, da ich mehr als genug von diesem Ungeziefer mitgebracht habe.“ Er kickte den Kopf zu seinen Artgenossen hinüber, die leise knurrten, jedoch galt ihr Zorn Lia statt ihrem Anführer.
Lia richtete eines ihrer Schwerter auf Sanguin. „Ihr kommt auch noch an die Reihe!“
Sanguin hielt inne. „Das bezweifle ich doch.“ Er blickte in die Runde. „Na los, worauf wartet ihr noch, ihr Aasgeier? Schaut doch nicht tatenlos zu, wie sie mein Leben bedroht!“ Sein Lächeln strafte seine Worte Lügen. „Schnappt euch endlich diese Hexe, aber rührt das Mädchen nicht an. Wir brauchen es lebend!“
Lia sah sich gehetzt um, schloss die Augen und murmelte ein einzelnes Wort. „Nebloxia.“ Sogleich waberte Nebel um sie herum auf und wurde immer dichter, bis er für die Augen der Unwissenden undurchdringlich erschien, doch für sie war es, als rufe sie einen alten Freund um Hilfe an. Sie konnte die Gestalten ihrer Feinde deutlich erkennen, während die Unholde dümmlich in der Luft schnupperten um ihren Geruch aufzunehmen.
„Natürlich, musste ja so kommen“, ärgerte sich Sanguin. Lia konnte sehen, wie seine Augen den Nebel nach ihr absuchten. „Aber noch mal entkommst du uns nicht auf diese Weise.“ Es klang als ob auch er schnüffelte. „Dort ist sie!“ Sein Finger zeigte direkt auf Lia.
Auf sein Kommando hin setzten sich die Kreaturen in Bewegung. Das Geplänkel war vorbei, der Kampf hatte begonnen. Nun galt es für Lia den Umstand auszunutzen, dass ihre Feinde nicht einmal die Hand vor Augen sahen. Und noch einen weiteren Vorteil konnte sie der Überzahl an Feinden entgegensetzen: ihre Schnelligkeit.
Der erste Feind stolperte durch den Nebel auf sie zu, Metall traf auf Metall, Lia tötete die vermummte Gestalt, bevor die anderen sie fanden und brachte eine weiteren Angreifer aus dem Gleichgewicht, als ihr eine seltsam bucklige Kreatur in den Weg trat. Sie schlitzte dem Monstrum den Bauch auf, doch kaum war sie an ihm vorbei, hörte sie ein knackendes Geräusch und als sie über die Schulter blickte, sah sie den Buckel aufplatzen wie eine überreife Frucht und mehrere weiße, madenartige Wesen so lang wie ein menschlicher Arm und so breit wie ein dünner Baumstamm, auf das Eis klatschen. Lia zerstampfte zwei der Wesen und spießte ein drittes auf, das sie dem angreifenden Vampir entgegenschleuderte. Dieser stieß einen spitzen Schrei aus, als der Wurm sich um seinen Hals schlang und seine Fühler auf sein Gesicht presste.
Lia zerschnitt den dunstigen Leib eines Nachtschatten, einer Kreatur, die nicht ganz stofflich und doch nicht gasförmig war und wich den Hieben mehrere Feinde aus, parierte einen Schlag, tauchte tiefer in den Nebel ein und attackierte zwei Gegner, die ihr soeben den Rücken zuwandten, als unvermittelt der kleinste der Feinde neben ihr auftauchte. Anstatt sie mit einer Waffe anzugreifen, sprang er sie geradewegs an, wobei er außerordentliche Sprungkraft bewies. Da sie bereits eines ihrer Schwerter in seine Richtung gelenkt hatte, spießte er sich selbst auf, was ihn jedoch nicht daran hinderte, ihr eine Ladung grüner Galle ins Gesicht zu speien. Augenblicklich spürte sie einen brennenden Schmerz und für nur wenige Sekunden war sie blind, da sie reaktionsschnell die Augen zusammengepresst hatte. In dieser Zeit bekam sie einen heftigen Stoß in den Rücken und einer der Nachtschatten kreischte ihr in die Ohren, während sie versuchte, sich mit einem Ärmel das Zeug aus den Augen zu wischen. Sie stolperte vorwärts und zwang sich, die Augen zu öffnen. Ihr Blick war verschwommen, da ihre Augen tränten. Lia stieß das Wesen, das noch immer auf ihrem Schwert aufgespießt war, zu Boden, wobei es seinen Helm verlor und ein spinnenartiger Kopf zum Vorschein kam. Es schlug verzweifelt mit Händen und Füßen um sich und öffnete den Mund, um ihr eine weitere Ladung entgegenzuschleudern, doch das verhinderte Lia, indem sie ihre zweite Klinge in dem offen stehenden Rachen versenkte.
Es blieb ihr noch genug Zeit sich umzuwenden, einen der Nachtschatten zu zerschneiden, dessen kalte Klauen drohten, sich um ihren Hals zu schließen und einem Keulenschwinger die Schwertspitze ins Herz zu treiben.
Lia blinzelte und wischte sich den Rest der Galle aus dem Gesicht. Suchend sah sie sich um, froh nach dieser Attacke ihr Augenlicht behalten zu dürfen. Die verbliebenen Gnolle flankierten den Dämon und versuchten Lias Witterung aufzunehmen, während der Rest der Bande, der lediglich aus einem Werwolf, einem Nachtschatten und einer vermummten Gestalt bestand, durch den Nebel auf sie zu schlich.
Mit einem Schrei ging der Vermummte zum Angriff über und verriet ihr dadurch sein Vorhaben. Trotzdem gelang es ihr nicht, seinem Schlag, mit einem Morgenstern geführt, vollends zu entgehen. Er traf sie an der Schulter und riss sie fast von den Beinen. Sie stach nach ihm, um sich dafür zu revanchieren, doch es gelang ihm der Attacke auszuweichen und im nächsten Augenblick drängte sich der Werwolf knurrend zwischen sie. Er versuchte ihr in den Hals zu beißen, doch stattdessen zerbiss er lediglich ein paar Strähnen ihres Haares und begrub sie mit seinem massigen Leib unter sich. Warm lief sein Blut durch ihre Kleidung, denn sie hatte ihm den Bauch aufgeschlitzt. Mühsam schob sie ihn von sich hinunter und wollte sich erheben, als sie plötzlich einen heftigen Schlag gegen den Oberschenkel bekam. Sie knickte ein, der Schmerz raubte ihr kurzzeitig den Atem, das Bein musste zerschmettert sein. Der Vermummte tauchte vor ihr auf, mit dem Morgenstern zum finalen Schlag ausholend. Halb wahnsinnig und ohne lange zu überlegen versenkte sie eine ihrer Klingen in seinem Fuß. Die Zeit, in der der Verwundete aufschrie, reichte um ihre zweite Klinge von unten her durch seine Maskierung zu rammen.
Der letzte Nachtschatten zog sich zurück, dafür brachte sich ein anderer Feind brüllend in Erinnerung. Zweihänder schwingend rannte der Hüne auf sie zu, der ihr irgendwie entgangen war.
Lia warf sich zur Seite und die Waffe, die auf ihren Oberkörper zielte, zerschnitt die Luft über ihr. Mit einem Tritt ihres gesunden Beines holte sie den Angreifer von den Füßen, der schwer aufs Eis schlug. Sie warf sich mit gezücktem Dolch auf ihn, den sie ihm geradewegs in den Leib bohrte. Der Mann versuchte sich trotz seiner Last aufzurichten und so stach sie wieder und wieder zu bis der massige Leib endlich aufhörte sich zu regen.
Keuchend hielt sie inne. Das Tuch, in das sie ihre Tochter gewickelt hatte, lag neben ihr. Das Bündel schien unversehrt.
Stiefel liefen übers Eis. Lia hob den Blick und sah wie Sanguin bösartige Worte zischte. Ein jäher Wind kam auf, der den Nebelschleier davon trieb.
„Da bist du ja.“ Er lächelte, schlenderte wie ein alter Freund auf sie zu und zog dabei eine schwere mit Stacheln besetzte Kugel hinter sich her. „Du hast gut gekämpft!“, drang seine unheilvolle Stimme unter der Kapuze hervor. „Zu gut für ein einfaches Mitglied des Arkanums. Das waren ein dutzend der bösartigsten Kreaturen, die man im Dunkelwald auftreiben kann. Du magst zwar an der Universität studiert haben, doch deine wahre Leidenschaft scheint dem Klingentanz zu gehören.“ Er blickte zu den flackernden Lichtern im Nebel. „Sie werden bald hier sein. Und wenn die Soldaten des Fuchses nur halbwegs so gut mit ihren Schwertern umgehen wie du, wäre es ratsam, mich in die Schatten zurückzuziehen. Den Fuchsbau werden wir ein andermal niederbrennen.“ Er machte eine hilflose Geste, die man auch als Entschuldigung deuten konnte. „Mir sind nun mal die Gefolgsleute ausgegangen.“
Lia ließ ihn nicht aus den Augen, die Augen schmerzerfüllt und ihre Zähne zusammengebissen, derweil ihre Hände das zertrümmerte Bein betasteten. Sie sprach einen Heilzauber, es gab ein hellblaues Leuchten und der Knochen war geheilt.
„Das ist unfair“, maulte Sanguin. „Hexen, die mit Schwertern kämpfen und gebrochene Knochen innerhalb von Sekunden heilen, was soll man da als einfacher Dämon ausrichten?“
Lia kämpfte sich auf die Beine, über und über mit Blut bespritzt. Sie fiel nicht auf sein Geschwätz herein. Der Kampf war noch nicht beendet. Ihr keuchender Atem stieg als Dunst vor ihrem Gesicht auf. Verflucht! Sie musste ihre Tochter an einen wärmeren Ort bringen!
Sanguin schlich wie ein Geist um sie herum, als würde er ihre Gedanken zu lesen verstehen. „Du sorgst dich um deine Tochter. Die Kälte ist nicht gut für sie. Das Eis ist kalt. Menschen sterben an Erkältungen, was tust du, wenn das Eis bricht? Nicht einmal du selbst könntest darin schwimmen. Glaubst du ein kleines Mädchen überlebt einen solchen Winter ohne ein prasselndes Kaminfeuer, das ihr Angst und Kälte aus den Gliedern treibt?“ Sanguin fuhr sich nachdenklich mit der Zunge über die Lippen. „Hm. Die Sorgen einer Mutter. Aber um andere scheinst du dich nicht groß zu scheren. Deine Begleiter haben wir bereits vor Wochen abgemurkst und doch hat es deinen Eifer uns zu entkommen nicht gebremst. Durch den unendlichen Nebelwald und die finsteren Dickichte des Dunkelwalds haben wir dich gehetzt, jeden Reisenden, der unseren Weg kreuzte und den du hättest um Hilfe bitten können, haben wir verblutend im Schnee zurückgelassen, jedes Gasthaus in dem du hättest Zuflucht finden können in Brand gesteckt. Warum erzähle ich dir das? Die Leben fremder Menschen scheinen dir nichts zu bedeuten, sonst hättest du uns nicht an diesen Ort geführt. In diesem Punkt ähneln wir uns, Hexe. Wir beide sind bereit andere für uns zu opfern. Doch warum willst du dein Leben für dieses Kind geben? Deine Tochter hin oder her, wir wissen beide, dass sie verflucht ist. Und wer weiß, vielleicht wirst du noch einige andere Bälger auf die Welt pressen? Kinder mit reinerem Blut. Sind das die Instinkte einer Mutter, die dich gegen eine ganze Horde antreten lassen, anstatt das Kind einfach liegen zu lassen wo es ist und um dein Leben zu laufen? Oder ist es schlichtweg Trotz, dass du dich weigerst, mir das Kind anzuvertrauen?“
„Sie ist meine Tochter! Niemals würde ich sie Hunden wie euch überlassen oder …“
„Einem Ungeheuer wie ihrem Vater“, vollendete er den Satz. „Aber, woher weißt du, Lia“, und dabei nahm seine Stimme eine samtigweiche Tonlage an „das es nicht ein und dasselbe ist?“ Er schlug die Kapuze zurück.
Lia starrte ihn an. Ihre Knie wurden weich und sie fiel nach hinten. „Das kann nicht sein.“
„Überraschung.“ Sanguin jauchzte vor Freude. „Wir Dämonen sind Meister der Illusion und Täuschung.“
Die roten Augen waren blauen gewichen und als der Dämon seine Kapuze lüftete, kam das Gesicht eines hübschen jungen Edelmannes zum Vorschein. Auch die Schlangenzunge war nicht länger gespalten, als er sich damit über die geschwungenen Lippen leckte.
Lia wurde schlecht.
„Die Nacht mit dir war aufregend. So herrlich feucht.“ Er trat näher, kniete sich bei ihr nieder und strich mit einem seiner langen Finger zärtlich über ihre Wange.
„Weg mit dir, du Scheusal!“ Sie wich kriechend vor ihm zurück.
„Eine Meute bis an die Zähne bewaffneter Söldner kann dich nicht in die Knie zwingen, aber diese Erkenntnis bringt dich um den Verstand.“ Sanguin legte den Kopf in den Nacken und brüllte vor Lachen.
„Wahnsinnig. Was auch immer du bist …“ Lias Stimme zitterte.
Sanguin legte den Kopf schräg. „Was anders als ein Mensch soll ich denn sein? Nun, ich gebe zu … Ich habe mich verändert in den letzten Jahren. Ein wenig mit bösartigen Zaubern experimentiert und ja, mein Dämonenblut etwas deutlicher zu Tage treten lassen. Aber tief in meinem Inneren habe ich auch etwas Menschliches. Und dieses etwas verlangt nach seinem eigenen Fleisch und Blut.“ Er streckte die Hand nach dem schlafenden Mädchen aus. „Die Herrin wartet auf dieses Kind!“
Lia biss sich auf die Lippen bis sie anfingen zu bluten. „Niemals, niemals, niemals werde ich zulassen, dass mein Kind unter ihrer Hand aufwächst!“
Sanguin sah zum Firmament auf. Ein paar Sterne schimmerten durch den Nebelvorhang. „Weißt du, ich mag Nächte wie diese. Stille Nächte, in denen sich die Natur ruhig verhält. Es sind Nächte wie diese, in denen ich gerne Menschen sterben sehe. Mehr noch als sonst.“ Er grinste sie an. „Es wird mir eine Freude sein, dich heute Nacht zu töten!“
Sanguin schwang die Eisenkugel über seinem Kopf und ließ sie auf die Frau zuschießen. Hastig duckte sich Lia. Mit einem dumpfen Krachen schlug sie ins Eis. Verärgert zog Sanguin an der Kette und die schwere Kugel schlitterte über die Oberfläche. Sanguins Blick richtete sich auf das Bündel zu ihren Füßen und Lia konnte förmlich den diabolischen Gedanken fühlen, der ihm durch den Kopf gehen musste. „Nun, wenn ich sie nicht haben kann …“ Schlagartig wusste sie, dass er es ernst meinte. Wie eine Viper schnellte sie vor, während die Kugel auf das am Boden liegende Bündel zuschoss. Sie verpasste ihm einen leichten Stoß und das Bündel schlitterte davon. Mit einem Krachen schlug die Kugel dort ein, wo das Kind kurz zuvor noch gelegen hatte.
„Das ist nicht deine Tochter!“, kreischte Lia. „Elendiger Lügner!“
Eine Sekunde später stand sie vor ihm und rammte eines ihrer Schwerter durch die Kette ins Eis. Das dunkle Wesen stieß ein Knurren aus und der schwarze Umhang bauschte sich auf. Mit einer raschen Bewegung schoss Sanguin vor. Sie warf sich ihm mit all der Wut und der Verzweiflung, die sie fühlte, entgegen.
Ihr Feind erwies sich als unglaublich flink. Als er ihren Hieben auswich, sah sie nicht viel mehr als seinen Umhang, der zu einem Gewirr aus dunklen Falten verschwamm. Da spürte sie einen Stich in die Seite und ein heftiger Schmerz durchzuckte ihren Leib. Sie schlug nach dem Dämon, doch er brachte sich rasch in Sicherheit. Lia sank auf ein Knie. Mit einem Stöhnen zog sie einen Dolch aus ihrer Hüfte. Blut quoll in großer Menge aus der Wunde.
Die zwei verbliebenen Gnolle schienen nun ihre Chance gekommen zu sehen, denn sie wagten sich nun in ihre Reichweite.
Lia biss die Zähne zusammen, denn sie wusste, dass sie ihnen nicht mehr viel entgegenzusetzen hatte. Notdürftig versiegelte sie die Wunde mit Magie, ihre Kraftreserven waren fast aufgezehrt.
Einer der Gnolle hob sein Schwert, hielt jedoch augenblicklich inne als etwas Zweige und Äste zerschmetternd, aus dem Wald brach. Die Gnolle tauschten Blicke. Auf ein stilles Einverständnis hin traten beide den Rückzug an.
Lia glaubte nicht, dass das Donnern in ihrem Rücken etwas Gutes bedeuten konnte. Etwas Großes und Schweres näherte sich knirschend über das Eis. Und Lia ahnte, dass es jetzt genau hinter ihr stand.
Das Brüllen des Monsters riss sie aus ihrer Trance. Sie rollte sich zur Seite, als etwas durch die Luft pfiff. Ein Troll stand vor ihr. Mindestens fünfzehn Fuß hoch. Als wäre seine Größe nicht Schutz genug, trug er eine dichte schwarze Panzerung und einen gehörnten Helm, die mit Schutzzeichen versehen waren. In den Händen hielt er eine riesige Keule, mit der er gerade ein tiefes Loch in das Eis geschlagen hatte.
Unsicher wich sie einen Schritt zurück und entging so einem Armbrustbolzen, der sich vor ihr in die Eisschicht bohrte. Sie hob den Blick und sah auf der Schulter des Trolls eine kleine Gestalt sitzen, die ihre Armbrust nachlud. Unter ihrem Helm lugten lange ledrige Ohren hervor.
„Irgendwann reicht es!“, sagte sie mehr zu sich selbst als zu irgendjemand sonst.
Der Kobold, der den Troll ritt, erteilte ihm einen schnatternden Befehl und deutete auf das Bündel. Der Troll setzte sich in Bewegung.
Lia warf sich herum und rannte los. Der Troll war schnell für ein Wesen seiner Größe, doch brauchte er eine Weile, um seine volle Geschwindigkeit zu entfesseln. So gelangte sie als Erste bei dem Bündel an, packte es im vollen Lauf und rannte weiter, während hinter ihr das Eis unter den Schritten des Trolls erbebte.
Die zwei verbliebenen Gnolle versuchten ihr den Fluchtweg abzuschneiden. Ohne zu zögern hielt sie auf die beiden zu. An den entsetzten Mienen der Kreaturen konnte man ablesen, dass ihnen eben erst wieder einfiel, was ihr das auf den Fersen war, doch zu spät. Der Troll, der mittlerweile stark aufgeholt hatte schwang seine Keule. Lia duckte sich unter dem Schlag hinweg und stattdessen traf es einen der Krieger. Sein Kamerad wollte zur Seite hechten, rutschte jedoch auf dem eisigen Untergrund aus und wurde, als er sich aufrichten wollte, vom Troll niedergetrampelt. Doch auch Lia geriet ins Rutschen als sie durch eine Blutlache hechtete.
Sie fiel hart und schlug sich dabei den Kopf an, Schwert und Bündel entglitten ihr. Für einen Moment lang war sie benommen, angstvoll sah sie sich nach ihrer Tochter um. Das Bündel lag ein paar Schritt entfernt und regte sich nicht. Lia wandte sich dem Troll zu. Er schlurfte gemächlich auf sie zu, glaubte sie als sichere Beute.
Die Kapuze war Lia mittlerweile heruntergerutscht und das Mondlicht erhellte ihr Antlitz. Langes kastanienbraunes Haar fiel ihr in Wellen über die Schultern, Sommersprossen zeichneten ihr Gesicht. Ihre Augen blitzen zornig auf, als sie ihre Hände hob. Magie sammelte sich um sie herum und hüllte ihre ganze Gestalt ein.
Der Troll zögerte und stieß einen verwirrten Grunzlaut aus.
Die Magie schoss auf ihn zu und traf das Zeichen auf seiner Rüstung. Gleißendes rotes Licht erfüllte für ein paar Sekunden die Luft. Unter der Wucht des Aufpralls stolperte der Troll zurück. Rauchschwaden waberten auf. Ein Loch von der Größe eines Wagenrads klaffte in seinem Brustpanzer.
Das Untier brüllte sie an, Geifer sprühte ihr entgegen. Lia hob ihr verbliebenes Schwert auf und trat dem Troll gemessenen Schrittes entgegen. Der Troll brüllte abermals und hob seine Keule. Lia warf sich unter seinem Schlag hindurch, rutschte bis zu seinen Beinen. Sie blickte den massigen Körper hinauf und sah, wie der Kobold sich vorlehnte, um freies Schussfeld auf sie zu haben. Lia stach dem Troll in den großen Zeh. Unwillkürlich verlagerte dieser sein Gewicht, eben in dem Augenblick, da der Kobold abdrückte. Der Bolzen verfehlte sie um Haaresbreite und traf dem Troll in den anderen Fuß. Der Troll stieß einen Wutschrei aus, packte seinen kleineren Kumpan und warf ihn zu Boden. Dann fing er an, auf ihm herumzustampfen.
Lia nutzte die Gelegenheit, um hinter den Troll zu gelangen. Der trat unterdessen weiter auf seinen Gefährten ein, bis das Eis brach. Sie hangelte sich an seinem Rücken hinauf und versenkte ihre Klinge zwischen seinen Schulternblättern. Der Troll schlug um sich, verlor in seiner Panik das Gleichgewicht und stürzte vornüber. Mit einem Sprung brachte sie sich in Sicherheit, während der Troll aufs Eis schlug, das bereits angeknackst war und aufriss. Innerhalb weniger Sekunden, in denen er verzweifelt versuchte sich am Rand festzuhalten, versank er in den Fluten, wobei sein eigenes Körpergewicht und die schwere Rüstung ihn in die Tiefe zogen.
Mit der Linken griff Lia unter ihren Umhang, wandte sich um und hob eine geladene Pistole. Der Dämon hielt das Bündel mit einer Hand ausgestreckt vor sich, während sich unterdessen in seiner anderen Hand schwarze Magie sammelte. Ein Schuss knallte. Der Schatten wankte.
Lia ließ Schwert und Radschlosspistole fallen und rannte los. Als der Dämon das Bündel fallen ließ, warf sie sich hin, wobei sie auf die verletzte Seite fiel. Doch sie fing es auf.
„Alles in Ordnung, meine Kleine. Ich hab dich.“
Etwas knisterte. Lia sah, wie die schwarze Magie sich ins Eis entlud. Es brach. Sie rappelte sich auf, presste das Bündel wieder an ihre Brust und rannte. Hinter ihr sprang die Eisschicht. Risse zogen an ihr vorbei und das Eis vor ihr zerfiel in einzelne Schollen. Lia beschleunigte ihren Lauf und mit einem Satz sprang sie durch die Luft. Sie landete auf einem Steg und als sie sich umwandte, sah sie, dass die gesamte Eisfläche eingebrochen war.
„Da haben wir noch mal Glück gehabt“, keuchte sie und spürte zugleich unheilvolle Schmerzen. Das Mädchen öffnete ihre Augen. Liebevoll blickte es sie an.
Ein Lichtschein fiel auf sie. Lia blinzelte und hob den Blick. Sie war zu schwach sich zu wehren. Gestalten kamen in großer Zahl den Hügel hinab, unzählige Fackeln erhellten die Finsternis.
Lia sah rotweiße Waffenröcke und einen Hauptmann, der einen Fuchs auf seinem Schild trug. Erleichterung überkam sie.
„Keine Sorge. Ihr seid in Sicherheit“, sagte der Hauptmann. An die Soldaten gewandt befahl er: „Los, sichert das Flussufer!“
Lia wollte etwas sagen, doch da verließen sie die Kräfte. Schlagartig wurde ihr schwarz vor Augen.
Vom Waldrand aus sah der Namenlose dabei zu, wie Lia Nelkenblum und ihr Kind von den Soldaten in Sicherheit gebracht wurden. Drei Gestalten traten aus dem Schatten des Waldes und flankierten ihn.
„Sollen wir eingreifen, Gebieter?“, fragte ein Mann, dessen Gesicht von einer Rabenmaske verdeckt wurde.
„Nein, tut nichts. Uns das Mädchen zu bringen war Sanguins Aufgabe, doch er hat kläglich versagt.“
Ein Kopf tauchte aus dem Fluss auf. Es war der Dämon, der sich schwerfällig ans Ufer schleppte. Wie ein getretener Hund taumelte er auf die Wartenden zu, bibbernd vor Kälte und blutend.
„Sagt uns, Meister, ist er wirklich der Vater?“, wollte ein Mann wissen, dessen Gesicht von einer weißen Maske verhüllt wurde, die rote Tränen weinte. „Oder war das nur ein böser Streich, den er Nelkenblum spielte?“
„Wer oder was das Mädchen zeugte, tut nichts zur Sache“, sprach der Namenlose. „Seid euch nur gewiss, dass sie von außerordentlichem Interesse für mich ist.“ Er wandte sich an eine junge Frau, die bislang geschwiegen hatte. „Ich habe eine neue Aufgabe für dich. Du wirst über das Kind wachen. Sorge dafür, dass ihr kein Leid geschieht.“
„Meister … Ich verstehe nicht“, antwortete diese verwirrt. „Sanguin ist gescheitert. Die Mutter wird mich nicht in ihre Nähe lassen.“
„Lia Nelkenblum wird sterben. Sie weiß es nur noch nicht. Sanguins Klingen sind stets vergiftet. Es wirkt innerhalb von wenigen Stunden. Das Kind bleibt demnach, wo es sich nun befindet.“
„Aber wer wird sich um sie kümmern …“
„Barmherzigkeit und Nächstenliebe sind mir zwar zuwider, aber es müsste sich im letzten Jahrhundert einiges geändert haben, wenn es sich bei diesen Menschen ebenso verhält. Die meisten Menschen haben es nun mal an sich, kleine Mädchen nicht vor die Tür zu setzen, schon gar nicht, wenn sie kürzlich ihre Mutter verloren haben und dazu noch mitten im Winter.“
„Ihr glaubt, sie nehmen das Mädchen bei sich auf?“
Der Namenlose sah seiner Untergebenen in die Augen. „Nachtigall, du solltest die Menschen besser kennen als ich. Schließlich lebtest du einst unter ihnen.“
„Was ist mit ihm?“, krächzte es unter der Rabenmaske hervor und sein Besitzer deutete mit gekrümmtem Finger auf den gescheiterten Dämon.
Sanguin fiel auf die Knie, er spuckte Wasser und Blut. „Meister … bitte … vergebt mir …“
Der Namenlose blickte kalt und gleichgültig auf ihn herab. Er schnippte mit der Hand und grüne Flammen hüllten den Dämon ein. Sanguin schrie. Innerhalb von Sekunden war nichts außer Asche von ihm geblieben.
„Was soll mit ihm sein?“, fragte der Namenlose und wandte sich ab. Er konnte das Entsetzen fühlen, das seine Anhänger um ihn herum empfanden, während er durch ihre Reihen hindurch schritt, tiefer in den Wald hinein. „Hoffentlich erinnert es die Unfähigeren unter euch daran, mich niemals zu enttäuschen.“ Nebel umwaberte seine Gestalt, mit jedem Schritt verschwand er tiefer in der Finsternis. Seine Anhänger lösten nach und nach den Blick von den Überresten des Dämons und folgten ihm. „Ich habe Zeit zu warten“, erklang seine melodiöse Stimme aus Dunkelheit und weiter Ferne. “Also warten wir.“