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Kapitel 3 - Nächtliche Zweisamkeit

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Auf dem Weg zum Gasthaus hörte Fin einen Nachtwächter die Sperrstunde ausrufen und als er das Wirtshaus Zum Bergmann abermals betrat, hatte sich das Bild deutlich gewandelt. Die Gäste waren verschwunden, bis auf einen Trunkenbold, der seinen Kopf in einer Weinlache liegend, munter vor sich hinschnarchte. Der Wirt war damit beschäftigt den Tresen abzuwischen und das Schankmädchen räumte die letzten Becher ab.

Fin ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen und der Wirt hob den Kopf. „Wir haben geschlossen“, sagte er. „Sperrstunde.“

„Ich weiß. Es ist nur so … Ich bräuchte ein Zimmer für die Nacht.“

„Da kommst du reichlich spät.“ Der Wirt trat mit einem Eimer Wasser hinter dem Tresen hervor. „Alle Betten sind belegt.“ Er kippte den Wassereimer über dem Kopf des Betrunkenen aus.

Prustend sprang dieser auf. „Was zum …“

„Die Feier ist zu Ende. Der Nachtwächter hat bereits einen Blick herein geworfen und missbilligend geschaut. Also mach, dass du dich nach Hause zu deiner Alten scherst, bevor ich wegen dir ein Bußgeld kassiere.“ Er warf Fin einen finsteren Blick zu. „Für dich gilt übrigens das Gleiche.“

Der Trunkenbold wankte zur Tür und hielt sich dabei den Kopf. Fin hielt sie für ihn auf und der Mann stolperte an ihm vorbei.

„Ich könnte auch einfach im Schankraum …“, begann Fin zaghaft einen neuen Versuch.

„Nichts da, niemand schläft in Reichweite des Tresens. Lissy, wirf ihn raus und schließ ab, ich hau mich aufs Ohr!“, knurrte der Wirt an die Schankmagd gewandt und verschwand eine Treppe hinauf. Dielen quietschen und dann fiel eine Tür ins Schloss.

Fin blickte zu der Schankmaid. Es war die gleiche Bedienung wie am frühen Abend, das Mädchen mit den Sommersprossen. Ihre Augen waren tiefgrün und ihr Gesicht wurde von kastanienbraunen Locken umrahmt, die ihr bis zu den Brüsten reichten. Sie sah erschöpft aus, trotzdem lächelte sie.

„Dann troll ich mich mal, bevor dir dieser alte Griesgram noch meinetwegen Probleme macht“, murmelte Fin und wandte sich zum Gehen.

„Nein, warte!“

Er hatte den Fuß bereits im Türrahmen, als Lissy auf ihn zueilte und seinen Arm ergriff. Ihre Schürze war voller Flecken und ihr Gesicht war von der Arbeit gerötet, doch sie wirkte unheimlich hübsch, wie sie so vor ihm stand. Erst da wurde ihm bewusst, dass sie ungefähr in seinem Alter war.

„Du musst nicht gehen. Schlaf bei mir in meiner Kammer.“

Fin zögerte, überrascht von diesem Angebot. „Der Wirt …“

„Wird nicht mehr aus seinem Zimmer kommen, selbst wenn das ganze Gasthaus in Brand stünde. Er ist ein fauler Bock. Meine Kammer ist gleich hier drüben unter der Treppe.“ Lissy zog ihn mit sich und öffnete eine Tür. Fins Blick fiel auf ein kleines Zimmer mit einem Schrank, einem winzigen Nachttisch und einem Bett vor einem dunklen Fenster.

„Na gut, ich könnte es mir auf dem Boden bequem machen“, fing er an, mit Blick auf das Schafsfell, das vor dem Bett ausgebreitet lag.

„Sei nicht albern!“, unterbrach sie ihn. „Das Bett ist breit genug für uns beide.“ Da bemerkte Lissy seinen Blick. „Keine Sorge“, ihre Augen glitten über seinen Leib, in Höhe seines Hosenbundes. „Ich fasse schon nichts an.“ Sie kicherte und reichte ihm eine brennende Kerze. „Ich muss noch kurz die Schenke absperren und die Lichter löschen. Mach es dir schon mal gemütlich.“ Sie eilte davon.

Fin sah sich in dem kleinen Raum um und fragte sich, wie ein Mensch so leben konnte. Das Mädchen tat ihm Leid. Vermutlich schuftete sie von früh bis spät im Gasthaus und diese kleine Kammer war alles, was ihr der Wirt an Bequemlichkeit zugestand.

Er stellte die Kerze auf dem Nachttisch ab, legte seinen Umhang auf den Schrank und zog die Stiefel aus. Nach kurzem Überlegen auch das Hemd.

„Du hast ja noch die Hose an“, schalt ihn Lissy und schloss die Tür hinter sich. Sie hatte eine wunderschöne Stimme, unglaublich sanft und doch ein wenig bestimmend. „Na los, zieh sie aus. Ich weiß, wie Jungs untenrum aussehen.“

Nun lief Fin vollends rot an.

Lissy zuckte die Achseln. „Wie du willst, dann lass sie eben an.“ Sie zog sich ihre Schürze und ihre Kleider aus, bis sie nur noch die Unterwäsche anhatte. Fin betrachtete ihren schlanken Leib und ihm fiel auf, dass ihre Sommersprossen sich nicht nur auf ihr Gesicht beschränkten.

Sie zwinkerte ihm zu. „Da du dich nicht ganz ausziehst, lasse ich eben auch noch etwas an.“ Sie stieß ihn aufs Bett, kletterte über ihn und huschte unter die Decke. „Wärst du so nett die Kerze auszublasen?“

Fin hob ein wenig die Decke, um darunter zu schlüpfen und blies die Kerze aus. Es war stockdunkel.

Eine Weile lagen sie so da, schweigend, doch er konnte fühlen, wie Lissy immer näher an ihn heranrückte. Er lag mit dem Rücken zu ihr und fühlte ihren warmen Atem in seinem Nacken. „Es ist verflucht kalt. Ich habe nicht einmal einen Kamin. Der Wirt meint, ich verbrauche ohnehin zuviel Feuerholz.“

„Warum bleibst du hier?“, fragte Fin „wenn er doch so ein mieser Kerl ist.“

Sie antwortete nicht und Fin dachte schon, sie wäre eingeschlafen oder würde so tun, weil sie keine Antwort geben wollte, als sie schließlich sagte: „Ich habe nichts anderes. Ohne diese Arbeit würde ich verhungern.“

Fin spürte einen Kloß im Hals. „Du bist sehr nett.“

„Kann sein. Höre ich öfter Leute über mich sagen.“

„Und hübsch.“

„Das hat mir jetzt noch keiner ins Gesicht gesagt.“

„Ich schaue dir ja nicht ins Gesicht.“

„Das klang gemein.“

Fin lachte. „Du weißt, wie ich es gemeint habe.“ Er schwieg kurz und fragte schließlich: „Warum tust du das?“

„Warum nicht?“

„Weil …“

„Wir uns nicht kennen? Du bist süß. Ich mag süße Jungs, nur gibt es in Felskliff keine. Nur lauter alte Männer mit Bärten und mir reicht es, dass ich ihnen Bier ausschenken muss.“ Sie rückte noch näher an ihn heran und Fin fühlte ihren Busen gegen seinen Rücken drücken. „Sicher hältst du mich für ein Flittchen.“

„Nein, ich …“

Eine kurze Berührung in seiner Lendengegend ließ ihn verstummen.

„Oh, tut mir leid. Ich wollte nur die Decke etwas zurechtrücken.“ Doch wie sie es sagte, klang es vergnügt.

Fin wurde langsam richtig heiß unter der Decke.

„Hm, du liegst wohl nicht oft mit einem Mädchen im selben Bett?“

Fin blieb ihr die Antwort schuldig.

„Woher kommst du?“, fragte sie unvermittelt.

„Aus einem Königreich im Westen. Es besteht heute nur noch aus Feuer und Asche.“

„Du sprichst von Firn. Wir hören manchmal schreckliche Dinge von dort“, erzählte Lissy aufgeregt. „Ein Bürgerkrieg hat das Land zerrissen und Orks massakrieren ganze Städte und auch das Heer des Königs soll für entsetzliche Gräueltaten verantwortlich sein.“

„Ich weiß von den Zuständen in Firn.“

„Es heißt, alles habe mit dem Tod des jungen Königs und dem Fall des Hauses Follow begonnen. Der Verrat …“

„Es hat viele Verräter in jenen Tagen gegeben“, unterbrach Fin sie schroff. „Manche waren Verräter, andere hielt man nur für solche. Es bringt nichts über die Vergangenheit zu reden. Was zählt, ist einzig und allein die Hoffnung, dass jene, die das Chaos verursacht haben, eines Tages an ihrem eigenen Blut ersticken.“

Lissy fragte nicht weiter. Der Ton in Fins Stimme hatte sie gewarnt. Wenig später hörte er ihre gleichmäßigen Atemzüge. Ihr Tag musste sehr anstrengend gewesen sein, oder sie hatte gemerkt, dass mit ihm nichts anzufangen war. Ein klein wenig schämte er sich dafür, ihr nicht das gegeben zu haben, was sie offenkundig wollte. Etwas Nähe und Zärtlichkeit.

Fin schloss die Augen, doch er lag noch mindestens eine Stunde lang wach. Er dachte an ein Mädchen, das er vor vielen Jahren gekannt hatte. Manchmal erschienen ihm jene Tage so fern wie die Sterne und dann wieder so nah, als hätte er diese Tage erst vergangene Woche durchlebt. Er sah ihre Gestalt vor sich, so deutlich, als hätte er sie an diesem Nachmittag gesehen. Ihr strahlendes Lächeln, der Blick ihrer Augen, der ihn gefangen nahm, wie ihr Haar sich leicht im Wind bewegte und ihr eine Strähne ins Gesicht fiel, ihre liebliche Stimme in seinem Ohr und der Geschmack ihrer Lippen, als sie sich das erste Mal heimlich unter einem Baum küssten. Auch sie war ein Kind des Sommers gewesen.

Am nächsten Morgen fand Fin die andere Betthälfte verwaist vor. Er stand auf, wusch sein Gesicht in einer Schüssel Wasser, die Lissy auf dem Nachttisch abgestellt hatte und zog sich an. Neben dem Schrank hing ein Spiegel. Er war an einer Stelle gesprungen, doch erfüllte er immer noch seinen Zweck. Fin betrachtete sich einen Moment lang, seine dunklen Augen, das widerspenstige Haar. Um seine Lider hatte sich bereits die Dunkelheit eingegraben, Zeugnis vieler nächtlicher Wanderungen. Er zog sich die Kapuze seines Umhangs über und nun kam er sich wie ein Dieb vor, im Wissen, was er gleich tun würde. Dieses schlechte Gewissen ließ ihn zu seiner Umhängetasche greifen. Er stellte sie auf dem Bett ab und fing an in ihrem Inneren zu stöbern. Abgesehen von den Äpfeln, einem Wasserschlauch, einer Flasche, einer Zünderbüchse, der verknitterten Karte, einem Würfelspiel, einer Decke und allerlei anderen Utensilien, die man so auf Reisen mit sich herumschleppte, beförderte er noch zwei Dinge zu Tage: Eine kleine Schatulle, die er auf dem Nachttisch abstellte und ein großes Tuch, in das ein schwerer Gegenstand eingehüllt war.

Fin schlug das Tuch auseinander und breitete es aus. Es zeigte einen Rotfuchs auf weißem Feld. An der einen Seite hing es schon ein wenig in Fetzen. Es war das Banner einer Adelsfamilie, wie man es von Burgen und Schlössern kannte, auf deren Zinnen und Türmen es wehte oder von Rittern, die es mit sich in die Schlacht führten, wenn sie für ihren Lehnsherrn gegen seine Feinde ritten.

Der Gegenstand, der darauf ruhte, war ein schwarzroter Stein, der der Form nach verdächtig nach einem Ei aussah.

Fin klopfte gegen die harte Schale und legte sein Ohr darauf. Es war eiskalt. Mit undeutbarer Miene wickelte er es wieder in das Tuch und stopfte es zuunterst in die Tasche. Nun warf er nacheinander alles hinein, was er entnommen hatte, abgesehen von der Schatulle, die auf dem Nachttisch stand. Diese ließ er bis zum Schluss unangetastet. Erst als er die Tasche verschlossen, sie neben das Bett gestellt und die Bettdecke gemacht hatte, öffnete er den Deckel.

Darin lag eine wunderschöne Rose, die Blüte außen weiß und innen rot. Die Bedeutung dieser Farben war Fin sonnenklar. Vorsichtig nahm er die Blume in die Hand. Der Stiel mit seinen Blättern und Dornen, die Blüte selbst, vollkommen in Takt. Fin wusste nicht, wie viele Tage und Monde verstrichen waren, seit er sie das letzte Mal betrachtet hatte. Er hob sie an die Nase und sogleich stieg ihm ihr Duft entgegen.

Dies war keine gewöhnliche Blume. Es war eine Zauberblume und sie war Jahrhunderte alt. Sie verwelkte nicht, sträubte sich gegen den Willen der Natur. Doch das war noch nicht alles: Sie veränderte ihr Aussehen, sah für jeden der sie betrachtete, nach seiner Lieblingsblume aus, entsprechend dem, was er tief in sich fühlte. Für manche mochte es eine Tulpe sein, eine Nelke, eine Lilie, eine Orchidee, die Möglichkeiten waren grenzenlos, wie das weite Meer der Blumenkunde. Und mit dem Aussehen wechselte sie auch den Geruch. Wäre jemand anderes mit ihm im Raum gewesen, so hätte er wohl einen gänzlich anderen Geruch eingeatmet. Den Duft von Vergissmeinnicht vielleicht oder gar den einer Sonnenblume?

Fin ließ sich auf das Bett sinken, tief in Gedanken versunken. Er fühlte sich unendlich alt, obwohl er noch jung an Jahren galt. Lange vergangen waren die Tage seiner Kindheit, fortgespült in einer Flut aus Asche, Feuer und Blut.

Wie viel Kraft hatte es ihn gekostet, an diesen Schatz zu gelangen? Was hatte er nicht alles dafür riskiert, wie viel geopfert für diese kleine Blume? Er sog ein letztes Mal ihren Duft ein. Die Blüte des Zwielichts, geschaffen von Feywin Feenblut vor Jahrhunderten, für seine Angebetete, die Hexe des Nebels, Nina Nelkenblum.

Fin erhob sich, strich die Bettdecke noch einmal glatt und legte die Rose darauf ab. Es war Zeit, sich von dieser Erinnerung an seine Vergangenheit zu trennen, Abschied zu nehmen und jemanden damit etwas Gutes zu tun. Zwielichtblüte. Die kostbarste Blume der Welt. Mit ihr konnte man sich Zutritt zur Universität von Nachtheim verschaffen, sie für Unsummen von Gold verkaufen oder das Herz einer Dame ein Leben lang für sich gewinnen. Eine Blume für eine Königin, schoss ihm eine vertraute, doch längst vergessene Stimme durch den Kopf.

Fin nahm seine Tasche und ging zur Tür. Leise, aber sorgfältig zog er sie hinter sich zu und ließ seinen Blick durch den Schankraum schweifen.

Lissy war gerade damit beschäftigt, am anderen Ende des Raumes eine Bestellung aufzunehmen. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt. Nun war er froh über seine Kapuze. Rasch, doch ohne überhastet zu wirken, eilte er zu einer Hintertür. Und ohne dass der Wirt, die Schankmagd oder einer der Gäste es bemerkten, entschwand er aus dem Gasthaus Zum Bergmann.

Im Zeichen des Fuchses

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