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IV
ОглавлениеViele Straßen durchlaufen das Land über Berg und Tal, schlüpfen tief durch Schluchten und Hohlgänge, steigen hoch, zu Gipfeln empor. Straßen gibt es, die breit sind, ausgezeichnet zu befahren, gepflegt, mit festem Unterbau, glatt gewalzt, und noch mehr geglättet von den Pneumatiks der vielen Automobile, die drüber hinsausen. Straßen, die sich wie weiße oder gelbe Bänder durch das Grün der Hügel hinziehen, die, von ferne schon, wie feine Adern den Leib dieser Erde mit verästelten Linien durchschimmern. Straßen, die sich gleich Schlangen um die vorgewölbte Brust eines Berges ringeln. Dann sind verlassene, alte Straßen da, grasbewachsen, schwer zu finden und schwerer noch zu benützen, verkrustet und überwuchert vom Boden wuchs wie verjährte Narben im Fell eines alten, vielgejagten Tieres. Alle diese Straßen, die jetzt noch vortrefflichen und die verschwindenden, haben Juden und Römer gebaut, Syrer, Araber, Kreuzfahrer, Türken und andere, viele andere. Fast alle Völker der alten Welt sind hier im Land gewesen, um es zu erobern, um es zu besitzen, um es aufzurichten und um es zu zerstören. Im Namen ihres Glaubens, im Zeichen ihres Gottes, auf Betreiben ihrer Priester, ihrer Könige, gespornt von ihrem Ehrgeiz, von ihrem Fanatismus, gepeitscht von unbelehrbarer Dummheit oder von erbarmungsloser Gier nach Reichtümern gehetzt. Fast alle Völker haben sich in das offene Buch dieses Landes eingezeichnet. Man liest die Geschichte ihres Charakters von den Befestigungen, die sie hinterließen, von den Ruinen ihrer Burgen und aus den Zeilen der Straßen, die sie bauten. Immer noch kann man auf diesen Straßen des Nachts, auch am hellichten Tag überfallen oder von einer Kugel aus dem Hinterhalt ausgelöscht werden, wenn man allein im Auto fährt, weshalb denn auch die Chauffeure hier nur ungern mit einem Einzelpassagier losziehen oder gar ihre Rückfahrten ohne Passagier machen. Sehr oft sind es ganz gewöhnliche Räuber, die solch einen Überfall vollführen, manchmal sind es Politiker. Aber es gibt Fälle genug, in denen der Räuber mit dem Politiker identisch ist, Fälle wieder, in denen man schwer entscheiden könnte, wo der Politiker aufhört und der Räuber anfängt. Das ist übrigens nicht bloß in den arabisch-levantinischen Ländern so!
Die Berge von Judäa sind hoch. Bis zu tausend Metern und darüber. Ineinander getürmt liegen sie gewaltig da, bilden tiefe Talrinnen und grüne Wiesenbetten zwischen ihren Erhebungen, tragen die Häupter stolz in den blauen Himmel gehoben, steinerne, kahle Köpfe oder Hochplateaus mit zerklüfteten Abhängen. Fast ganz verkarstet, geben sie den Eindruck majestätischer Öde. Sie sehen aus wie einsame Vulkane, denen die herabgeronnene Lava den ganzen Leib verbrüht hat. Nur spärlich deckt da und dort ein dünner Graswuchs das Gestein, wie Schorf die wunde Haut eines Menschen überzieht.
Ja, dieses Land, einst das gelobte, dieses Land der Verheißung, darin Milch und Honig floß, es ist nun lange schon öde, verkarstet und wund. Das Gebirge von Judäa ist nicht vulkanisch; es hat einst, vor vielen Jahrhunderten, herrliche, dichte Wälder auf seinem breiten Rücken getragen, darinnen viel Wild lebte, Gazellen, Bären und der edle Hirsch. Üppige Matten breiteten sich talwärts in sanften Lehnen und auf ihnen weideten die Rinder, Schafe und Ziegen, furchte der Pflug den fetten Boden. Ein Volk, das unruhig, streitbar und stolz war in seinem Geist, lebte hier glücklich, auf eigener Scholle. Unausdenkbar, wenn dieses Volk niemals vertrieben, niemals hingestreut worden wäre über die ganze Erde, wenn es hätte weiterleben dürfen in seiner Heimat. Unübersehbare Perspektiven ins Banale, in eine Reihe von Jahrtausenden, die nur Ereignisse, aber kein Schicksal enthalten hätten. Doch dieses Volk gab der Welt einen Gott, gab ihr den göttlichen Gedanken einer unsichtbaren Allmacht und gab ihr etwas von der eigenen Unruhe. Dies Land hier ist, auf dieser Hemisphäre, das vulkanische Gebiet der Menschheit gewesen. Die Feuerströme, die sich über die Erde ergossen, sind hier hervorgebrochen, aus den Herzen derjenigen, die in Judäa und Galiläa geboren waren. Und wenn heute der Boden hier von den Gipfeln bis zu den Tälern verbrannt ist, rührt das nicht von der glühenden Lava her, die aus dem Innern der Erde aufsprang, sondern von den Seelengluten der Menschen, die den Erdkreis entzündet und erleuchtet und darüber ihr eigenes, kleines Land verloren haben.
Dieses Land, seit sein eingeborenes Volk aus den Wurzeln gerafft und verschleudert wurde, ist immerfort nur Beute gewesen; Beute, die man errungen hat, oder Beute, die man erjagen will. Und man hat es so wenig geschont, so wenig gepflegt, wie man eben eine Beute, von der man nicht weiß, wie lange man sie behalten wird, schont oder gar pflegt. Gleich einem Stück Knochenfleisch, um das sich wütende Hunde raufen, ist dieses Land zerzaust, zerbissen, zerrissen und zerfetzt worden.
Mehr als tausend Jahre lang hat hier niemand einen Baum gepflanzt. Nur gefällt hat man Bäume, ganze Wälder hat man niedergeschlagen. Berg um Berg wurde des dichten, kostbaren grünen Mantels beraubt, der die Erde schützte. Man hat das Dickicht der hohen, alten Stämme vernichtet und das Dickicht von Busch und Strauch zerstört. Langsam wurde der Reichtum dieser weithin gedehnten Wälder zu einer kahlen, öden Armut gewandelt; es wich der kühle Schatten herrlicher Bäume, darin Menschen und Tiere sich ergingen, und immer mehr breitete sich die Wehrlosigkeit entblöster Hänge, die der glühenden Sonnenschein verbrannte, die der Sturm mit ungehemmter Kraft durchwühlte und auf die der wütende Regen niederpeitschte.
Dieses arme, von habsüchtigen Händen bis zur Nacktheit ausgezogene Land konnte nicht widerstehen. Der Regen wusch in Jahrhunderten den fetten Humus von den Lenden, Schultern und Rücken der Berge so gründlich, bis das Urgestein zum Vorschein kam. Wer Griechenland gesehen hat, die kahlen Heiden um Konstantinopel, Kleinasien und Palästina, der versteht den Ausdruck „türkische Wirtschaft“, der jetzt hoffentlich für alle einst von den Türken beherrschten Gebiete wie für die Türken selbst der Geschichte angehört.
Nichts mehr ist dieses Land, als der leergeräumte Boden für eine Aufgabe. Nichts anderes ist es, wie die Stätte für einen Anfang. Nur die Aufforderung, die Gelegenheit, der Mahnruf, der Notschrei, der Alarm zur Arbeit.
Die Jugend Israels arbeitet hier. Sie arbeitet so hart wie einst unter der Herrenfaust des Pharao. Vielleicht härter noch und schwerer. Aber diese jungen Menschen arbeiten freudig, aus freiem Entschluß, mit dem Feuerfunken der Hoffnung im Herzen. Sie klopfen Steine und bauen Straßen. Sie stehen bis an die Knie im Schlick und ziehen Gräben, um Sümpfe zu trocknen. Und sie tragen, in Handkörben, den Humus wieder die Berge hinauf, bedecken die wunde, unfruchtbare Nacktheit der steinigen Wände wieder mit guter Scholle. Sie pflanzen wieder Bäume, überall. Sie pflanzen den Eukalyptus in den Niederungen, weil er das Grundwasser wegtrinkt und weil er schnell wächst. Sie setzen Ölbäume und Maulbeer- und Obstbäume und Palmen an die Berglehnen, damit von ihren Wurzeln das Erdreich gehalten und vom Regen nicht mehr niedergeschwemmt werde. Ach, es ist noch wenig zu sehen, obwohl sehr viele Bäume gesetzt wurden. Aber alles, was bis zum Jahre 1914 schon seine Wipfel hob, hat dann der Krieg unerbittlich niedergehauen. Auch seit dem Krieg ist viel gepflanzt worden und vieles wieder zur stattlichen Höhe gewachsen. Doch in diesem baumlosen Land, in diesem verkarsteten Gebirge sieht das nach gar nichts aus, kaum wie der Anfang eines Anfanges, und die Kahlheit ringsumher tritt nur noch erschreckender, nur verzweifelter noch hervor. Steht irgendwo, am Bergesabhang, ein Grüppchen Bäume, dann zeigt Ghaim Mandelbaum, der Chauffeur, stolz darauf hin und sagt schon: „Ein Wald!“ Er kennt jeden Baum im ganzen Palästina und liebt ihn. Er weiß, wie er gedeiht, und beobachtet sein Wachstum. Er hat alle die Bäume gekannt, die lebendig waren, als der Krieg ausbrach und die dann gefällt wurden. Er zeigt die Plätze, an denen sie standen, und er trauert um sie, wie man um Kriegsgefallene trauert. Chaim Mandelbaum ist nicht der einzige. Alle jüdischen Menschen hier kennen jeden Baum im Lande und sprechen davon wie von Angehörigen, die man liebt, wie von Kindern, die man pflegt und hütet.
Nun beginne ich, den Sinn zu begreifen, den einzigen Sinn, den die Verwüstung Palästinas haben kann, und ich bin nicht mehr so entsetzt, bin gar nicht mehr so verzweifelt über den trübseligen Zustand des Bodens, wie in den ersten Tagen. Dieses Land ist niedergetreten, ausgeplündert, mißhandelt worden und es ist verschmachtet, als es sein Volk verloren hatte. Aber auch das Volk hat man niedergetreten, geplündert und mißhandelt, seit es von seiner gottgegebenen Scholle verjagt wurde und es ist verschmachtet seither. Wohin sollte dieses verfolgte, dieses verstoßene Volk sich wenden, was für ein Ziel könnte es in dieser Welt noch haben, was für einen Halt und was für einen Daseinswillen, wenn dieses Land nicht daliegen und warten würde? Nichts bliebe dem Judenvolk übrig, als die vollkommene Auflösung, als das Untergehen im Meer aller anderen Völker. Längst wäre der Untergang schon hereingebrochen, längst die restlose Auflösung schon vor sich gegangen, und Israel wäre spurlos verschwunden im Orkan von neunzehn Jahrhunderten, in diesen Stürmen, von denen es umhergeschleudert wurde, ein Wrack, ohne Segel und Steuer.
Aber das Land lag da und wartete. Das Land hatte sich niemals wieder erholt, seit ihm die eingeborenen Kinder weggerissen wurden, entwurzelt, wie ihm nachher der Wald mit allen Bäumen von der Brust der Gebirge gerissen worden ist. Das Land lag da, es litt und wartete. Es tat genau dasselbe wie die Juden: Leiden und Warten, neunzehn Jahrhunderte lang. Aber neuzehnhundert Jahre sind keine zu lange Zeit für dieses Land! Und es zeigt sich, daß neunzehnhundert Jahre auch für das Volk nicht zu lange sind.
Dieses Volk ist in der Verbannung städtisch geworden und ... Einen Augenblick! Die Verbannung umnebelt uns mit so vielen Lügen, daß man sie beinahe nachspricht wie ewige Wahrheiten.
Die Juden sind also städtisch geworden; sie sind dem Handel ergeben und jedem Schacher, der Geld bringt, denn sie lieben das Geld über alles? Nun ja, man hat sie in Städte eingepfercht, hat ihnen in den Städten besondere Quartiere anbefohlen und sie im Ghetto gehalten. Man hat ihnen den Besitz von Boden untersagt und ihnen das freie Wohnen auf freier Scholle verboten. So sind sie städtisch gewordenI Ihnen war der Zugang in die arbeitenden Berufe, in die Zünfte des Handwerks gesperrt und so mußten sie sich dem Handel ergeben. Aber da war einmal in Kastilien irgendein König, Alfonso oder so ähnlich, der emanzipierte die Juden eines Tages und sofort hingen, siebzig von hundert, die Männer ihren Handel an den Nagel, um die Universitäten des Landes zu beziehen, darunter Fünfzigjährige. So leidenschaftlich sind die Juden dem Handel ergeben! Es war ein Ausbruch, eine Explosion der vulkanischen Volksseele und der Lügennebel des Ghettos wurde davon entzweigerissen. Aber vor vielen Jahrhunderten, und nur für einen Moment.
Dieses Volk liebt das Gold? Doch wohl nicht viel stärker als alle anderen Völker am Golde hängen, nach Golde drängen. Unter der Bauernschaft, den Grundbesitzern und Reichen der ganzen Welt ist es eine ganz besondere, eine ganz vereinzelte, eine ganz seltsame Ausnahme, wenn einer je die ideale Gelehrsamkeit, die Künste, die Wissenschaft, die Weisheit höher achtet, als den eigenen Reichtum, wenn er sie so sehr verehrt, daß er sein Geld und sein Tagewerk diesen idealen Gütern dienstbar macht. Doch bei den Juden, soweit sie von der Angleichung ihren Traditionen noch nicht entfremdet, in ihrer Wesensart noch nicht entfärbt sind, gilt Wissen und Weisheit mehr als Besitz. Geld ist gut, denn Geld kauft ein Stückchen Daseinsrecht, kauft Licht und Luft, besonders in den Ländern, bei deren Beamtenschaft solche Dinge bis vor kurzem käuflich waren und morgen vielleicht wieder zu kaufen sein werden. Die anderen freilich haben dieses Daseinsrecht, haben das bißchen Sicherheit selbstverständlich umsonst. Doch der Jude muß alles bezahlen, was er haben, was er bewahren, was er erhalten will. Er muß ja auch in den sogenannten freien Ländern den Umgang mit Vornehmen, die gesellschaftliche Stellung bezahlen. Oh, wie lache ich in den Fluren Palästinas über die gesellschaftliche Stellung so vieler arrivierter Juden, über den Ehrgeiz dieser sonst so begabten Männer, über den Snobbismus ihrer Frauen. Ich rechne mir aus, wieviel Bäume hier im Lande gepflanzt werden könnten um all das Geld, das diese Leute opfern, damit ein paar Aristokraten zu ihnen ins Haus kommen oder damit sie in den nobeln Klubs geduldet, damit sie zu den großen Soireen geladen werden. Ich denke mir aus, wieviel Bäume... und schon bedecken sich alle diese verarmten Berge hier mit rauschenden Wäldern. Ich stelle mir vor, wieviel Geld täglich von diesen Verblendeten hingeschüttet wird, nur aus heißer Sehnsucht, ihr Judentum vergessen zu machen oder wenigstens Vergebung zu erlangen für das jüdische Blut, das einem doch keiner je vergißt oder vergibt; ich überlege,, wieviel Dunam Ackerboden man dafür kaufen, wieviel Arbeiter man ansiedeln könnte für dieses sinnlos verschwendete Geld, und schon sehe ich im Geiste das ganze Land vor mir, emsig bewirtschaftet, aufblühen in segensreicher Fruchtbarkeit. Da vergeht mir das Lachen.
Diese Juden, die auf allen ihren Wegen Flüchtlinge des eigenen Blutes sind, wissen nichts mehr vom Judentum. Und die Christen wissen erst recht nichts davon. Sie wissen nicht, daß ein jüdischer Vater sich’s zur höchsten Ehre, seiner Tochter zum höchsten Glück anrechnet, ihr einen Gelehrten zum Manne zu geben. Er plagt sich gerne, dieser Vater, den Schwiegersohn, die Tochter und die Enkelkinder zu ernähren, denn er hält sein Haus nun für geadelt, weil er das Heim ist für selbstloses Denken, für Forschen, Erkennen und Weisheit. Viele Ehen werden im Volk, das diesen Namen noch verdient, derart geschlossen, daß der Reiche den armen Philosophen als Tochtermann ins Haus nimmt. Auch in der Demokratie, die dem jüdischen Volke eigen ist, die ihm von altersher in den Instinkten sitzt, verschafft weder Besitz noch Macht den Adel, sondern es ist einzig der Geist, der adelig sein läßt. Aber was weiß man in gewissen großstädtischen Salons davon?
In ihrem Ghetto sind die Juden Handwerker und Arbeiter, sie sind Lastträger und Schmiede, Schlosser und Tischler, wie sie Uhrmacher und Juweliere sind. Wo sie mit dem Boden je Zusammenkommen durften in der Verbannung, sind sie tüchtige Landwirte, Viehzüchter und Weinbauern. Die Güter, die in Ungarn von Juden verwaltet wurden oder gepachtet oder als Eigentum betrieben, beweisen es. Und ein Fürst Urussow, der in den Achtzigerjahren Gouverneur der Ukraine war, in einem Gebiet, in dem die Juden Land besitzen durften, wundert sich in seinen Memoiren maßlos über den Ackerbau wie über den Weinbau der Juden, der nach seinen eigenen Worten dem Weinbau am Rhein in nichts nachsteht. Er ist als Russe der herrschenden Klasse kein Judenfreund gewesen, dieser Fürst und Gouverneur, dennoch meint er, es wäre vielleicht vorteilhaft, den Juden die Erlaubnis zu geben, sich auch in anderen Gegenden des großen Rußland anzusiedeln, damit die Trägheit der russischen Bauern durch ihr Beispiel befeuert werde. Und er sagt das alles mit einem Erstaunen, das ganz ohne Wohlwollen ist.
Kein Mensch wundert sich, wenn von den Juden das Schlechteste behauptet wird; aber jeder gerät in sprachloses oder stotterndes Staunen, wenn er ein Gutes an ihnen bemerkt. Die Juden wissen von ihrem eigenen Volk nur sehr, sehr wenig; die anderen aber ahnen nichts vom jüdischen Wesen und so ist es gekommen, daß die Juden unter allen Völkern fast gar nicht gekannt und am meisten gehaßt werden. Richtiger: sie werden am meisten gehaßt, weil sie gar nicht gekannt werden.
Jetzt ist Palästina die große Gelegenheit für die Juden, ihre wahren Kräfte zu zeigen. Ihr Rhodus ist es; hier müssen sie beweisen, wie sie tanzen können, müssen es für sich beweisen und für die ganze Welt. In diesem Land, das so lange gelitten und gewartet hat, wird niemand gebraucht, der sich nur auf die Listen und Kniffe des Ghetto, auf die Schliche der Diaspora versteht, niemand, der nur den Kuhhandel der Angleichung kennt. Aber jeder ist nötig, der die Bereitschaft hat, mit seiner Hände Arbeit zu helfen, daß der Boden hier wieder fruchtbar werde, jeder, der den Opfermut mitbringt, sein Leben hinzugeben dafür, daß diese Äcker wieder Ernten tragen und auf den Berghängen wieder Wälder rauschen. In dieser übermenschlich mühevollen Arbeit wird dem Volk wieder diejenige Schichte erzogen, die ihm so lange gefehlt hat: die im Erdreich Wurzelnden, die mit ihrem Körper und mit ihren Muskeln Schaffenden, die Einfachen, die Unhysterischen, die Beständigen.
Niemand sonst vermag es, dieses Land zu retten. Die Araber besitzen unermeßlich weite Gebiete, und der Entwicklungsweg, den sie zurücklegen müssen, ehe sie zur Höhe intensiver Wirtschaft gelangen, ist noch sehr, sehr lang, obwohl sie intelligent und fleißig sind. Aber sie gebieten über riesengroße Länderstriche, sie haben Zugänge zum Mittelmeer, die bessere Hafenplätze bieten als die an Buchten arme und an Klippen reiche Küste von Palästina. Sie können überdies noch an das Rote Meer und an den Indischen Ozean. Das kleine Palästina ist ihnen keine Lebensnotwendigkeit. Und wenn sie nicht verhetzt sind, sehen sie Palästina auch gar nicht als Lebensnotwendigkeit an.
Die Christenheit der ganzen Welt wäre nicht imstande, das Heilige Land wieder in ein Land zu wandeln, das dem Gelöbnis Gottes keine Schande machen würde.. Denn um diese Wandlung zu vollziehen, braucht es Dezennien, braucht es vielleicht ein Jahrhundert angespanntester Arbeit, und zur Anspannung wie zur Stetigkeit solchen Wirkens gehört ein großer, einheitlicher Wille, aus der Seele eines einzigen, einheitlichen Volkes.
Aber die Christenheit zerfällt in viele Nationen, die einander, manchmal blutig, bekriegen und die auch in Friedenszeiten leider nicht davon lassen, miteinander zu rivalisieren. Außerdem ist die Christenheit durch viele Bekenntnisarten getrennt, die sich gegenseitig immerfort bekämpfen. Es gibt zwischen römischen Katholiken und orthodox Rechtgläubigen, wie sich die russisch-griechischen Konfessionen nennen, zwischen Katholiken und Protestanten wohl keinen offenen Krieg, aber auch niemals einen Frieden. Und gerade auf dem Boden von Palästina gerät dieser Gegensatz jedesmal in Brand, ist gerade hier eigentlich beständig im Glimmen. Die Flammen des Zankes jedoch haben noch immer jedes Haus, das feindliche Parteien miteinander bauen wollten, in Asche gelegt, ehe es vollendet war.
Die Juden dagegen sind von Urzeiten her mit Palästina verknüpft und verbunden. Es ist ihr Land, ihre Wurzelerde und da zwei Jahrtausende die Fäden nicht zerreißen konnten, mit denen Volk und Land Zusammenhängen, wird Palästina immer das Land und die Wurzelerde der Juden bleiben, in Ewigkeit. Amen.
Alle Nationen der Erde haben in einem offiziellen Akt diesen Zusammenhang anerkannt. Der große Wille zum Wiederaufbau lebt glühend in dem Volk, das über die ganze Welt zerstreut ist. Aus allen Himmelsrichtungen zieht die Sehnsucht dieses Volk hieher, eilen die Arbeitsfreudigen, die Opferwilligen herbei. Palästina vereinigt Wille, Sehnsucht, Denken, Hoffen und Schaffensdrang der Juden, wie das Brennglas die Strahlen der Sonne.
Den Arabern, die im Lande und rings um das Land in großen Gebieten wohnen, sind die Juden stammverwandt; und wenn sie nicht politisch verhetzt sind, werden die Araber erkennen, wie viel Antrieb und Ankurbelung ihren eigenen motorischen Kräften durch die Arbeit der Juden zuteil wird, welch ein Aufschwung ihren eigenen Ländern durch die geordnete Arbeit der Juden in Palästina bevorsteht. Von europäischen Einflüssen auf die Dauer nicht zu stören noch zu hindern, wird sich die Verbrüderung mit den Arabern vollziehen, wird sich vollziehen müssen als die einzige, wirklich feste Grundlage für das Bestehen Palästinas wie für das Bestehen eines freien Arabien.
Dieses winzige kleine Fleckchen Boden wird man den Juden, die hierher kommen, um es mit ihren Händen zu bebauen, mit ihrem Schweiß zu tränken und mit den Leibern ihrer Toten zu düngen, wohl gönnen müssen, da man ihnen doch sonst jede andere Scholle auf der großen weiten Erde als Heimat verweigert. Auch die Heiligtümer wird man in ihre Obhut geben müssen, da man sie doch so lange in der Obhut der Türken lassen mußte! Man darf gewiß sein, sie werden ebenso viel Pietät zeigen wie die Türken und sie werden die Priester nicht stören. Daß für die christlichen Stätten Schließung zu besorgen wäre, wenn die Juden einmal zu reden haben, ist törichte V erleumdung.
Sie sind ja aus ihnen, aus den jüdischen Heiligtümern entstanden, diese geweihten Stätten des Christentums, sie sind aufgebaut auf den Trümmern jüdischer Heiligtümer und sie sind gar nicht zu denken, wenn diese nicht vorher gewesen wären. Niemand vermag das Land zu retten als die Juden, und durch nichts in der Welt kann das Judentum gerettet werden als durch dieses Land.
Nun bin ich auf der Straße gefahren, die aus dem Gebirge sacht hügelabwärts niederleitet zur Ebene. Bei Amwas, dem Dorf, kam ich vorbei, das vor Zeiten Emmaus geheißen hat, und wo Juda Makkabäus siegreich kämpfte. Mein Auto saust durch die Ebene Schephela, vor mir glänzen wie goldene Seide die fernen Dünen, blitzt in Sonnenfunken das Meer auf, um mich her grünen die Felder, weit hinter mir blauen die Berge von Judäa.
Mir zittert das Herz, so stark fühle ich hier den ungeheuer andauernden Zusammenhang, der in zwei Jahrtausenden nicht zerreißen konnte. Es ist das Land der Verheißung, immer noch!
Es ist das Land, das verdorrte, weil es wartend lag; das wieder aufblühen will. Laßt es nicht warten!
Rechts und links der Straße sehe ich die grünen Matten und gelben Äcker gesprenkelt mit weißen, beweglichen Tupfen; das sind die Männer der ersten Hilfe, das sind die Jünglinge, die den wunden Boden hier heilen und in ihrer Seele gesund werden an dem Heilungswerk, das sie vollbringen. Das sind die jungen Brüder, die ihr Leben einsetzen und die verloren sind, wenn nicht wir alle zu ihnen halten, wenn nicht wir alle wenigstens halbwegs unsere Pflicht tun, da sie doch mehr, weit mehr tun als bloß ihre Pflicht.
Mit einemmal denk ich des reichen Mannes in Kairo wieder, der mir gesagt hat: „Es ist nichts los in Palästina.
Und ich lächle.