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Inhaltsverzeichnis

Unter den hohen Eukalyptusbäumen gehen wir spazieren. Mein Begleiter ist ein junger Mensch, fast noch ein Knabe, sehr zart, sehr zierlich und ganz hellblond. Sein Teint hat ein so absolutes Weiß, daß er unter der Sonne hier nicht braun wird, sondern rot brennt. Rot flammen ihm die schmalen Wangen und rot ist seine Brust, wo das offene Hemd sie freiläßt. Er führt mich in der ganzen Farm umher. Die Entstehungsgeschichte dieser großen landwirtschaftlichen Schule interessiert ihn nicht besonders, vielleicht weiß er auch nur wenig davon. Aber die Arbeit, die heute in Mikwe-Israel verrichtet wird, die Arbeit, die gestern geleistet wurde und morgen getan sein muß, hat sein ganzes Interesse gefangengenommen, ihr hat er sein ganzes Wesen mit aller Leidenschaft ohne jeden Vorbehalt hingegeben.

Er freut sich, daß er Mikwe-Israel zeigen darf, daß er alles erklären, alles schildern und besprechen soll. Seine Freude ist ruhig und vollständig im Sachlichen haftend; man merkt sie ihm nur an den Augen an, in denen Bereitwilligkeit strahlt, nur an dem hübschen Gesicht, davon jeder Zug aufrichtig, einfach und jungenhaft herzlich ist.

Mikwe-Israel gleicht einem mittleren Gutsbesitz und die Zöglinge bebauen den Boden unter den Anleitungen der Lehrer. Diese Arbeiten bilden das Praktikum ihrer Lehrzeit; Schulunterricht in den landwirtschaftlichen Fächern erhalten die jungen Leute, wenn kein Feld bestellt, kein Orangengarten gepflegt werden muß. Das ist ja überall in den Farmschulen der Fall. Sie wohnen in einem großen Hause mit den Lehrern beisammen; auch andere Wohnhäuser für Lehrer und Gärtner sind da, ebenso eine kleine Synagoge. Sie steht mit Scheunen, Ställen, Schmiede und Werkstätten am Eingang der Farm. Wenn man, von der großen Straße, die Jaffa mit Jerusalem verbindet, abbiegt, die Allee herauffährt, und das hohe Gittertor passiert, ist man gleich auf dem „Hof“, der weiträumig hügelan sich dehnt. Schon kommt man, zwischen dichtem Grün, zu den Wohnhäusern. Und dann ist man, hier umhergehend, in einer kleinen, eigenen Welt, die ganz für sich abgeschlossen lebt und offenbar zufrieden damit, so ganz für sich zu sein.

Vor bald sechzig Jahren hat ein Mann, der Charles Netter hieß, diese Schulfarm gegründet. Das war die Epoche, die fast überall in Europa den Liberalismus zur Herrschaft schreiten sah. Die Jünglinge, die anno 1848 Revolution gemacht hatten, waren Männer geworden und schickten sich an, nun der Absolutismus auf den Schlachtfeldern zusammengebrochen, keinen erheblichen Widerstand mehr leisten konnte, ihre Ideen zu verwirklichen. Das war die Zeit, in der die Juden überall den Traum einer Versöhnung, einer wirklichen Gleichberechtigung träumten und sich einbildeten, nun, da die Gegensätze der Konfessionen durch das glorreiche Werk der Aufklärung überwunden seien, werde es, könne es nichts mehr geben, das ihr sehnsüchtiges Herz vom Herzen aller anderen trennte. Was würden sie sagen, was empfinden, diese Männer, die alles aufs beste bestellt glaubten, als sie schlafen gingen, wenn sie heute aufwachten, und die gehässige Zerrissenheit sehen würden, die ärger vergiftet ist denn je? Was würden die jüdischen Studenten sagen, die auf dem Pflaster von Wien und Berlin ihr Blut verspritzt haben für die Sache der Freiheit, wenn sie heute an den Universitäten in Deutschland und Österreich statt jener Menschlichkeit von achtundvierzig, die engstirnige Brutalität der deutschnational-aggressiven Gesinnung fänden?

Der treffliche Charles Netter ließ es sich wohl kaum einfallen, daß er einer der ersten Schrittmacher für den Aufbau des jüdischen Palästinas sei, als er vor nun fast sechzig Jahren hierherkam und Mikwe-Israel gründete. Er wollte damals die Jugend im Lande, in Syrien und Kleinasien, die jüdische Jugend des Orients auf dem historischen Boden von Palästina zu Ackerbauern erziehen. Ich denke mir, er hat sich vorgestellt, die Judenschaft, die hier die Scholle bearbeitet, werde dereinst, etwa um 1924, der befreiten, gleichberechtigten Judenschaft Europas würdig sein. Er war voll Enthusiasmus für seine schöne Idee; er drang durch, gründete mit Hilfe und im Auftrag der Alliance Israelite Mikwe-Israel, er war voll Hingabe an sein Werk, das er eingerichtet, in Gang gesetzt und geleitet hat. Aber er starb schon nach wenigen Jahren, ehe noch die ersten Enttäuschungen sich einstellten. Jetzt liegt er hier begraben, auf der höchsten Höhe der breiten Bodenwelle, die Mikwe-Israel einzäumt, nahe der Stelle, wo der Baumgarten, das Buschwerk der Farm sich öffnet zu den Äckern und zum freien Land. Sein Name, der den einfachen Grabstein ziert, sein Leib, der hier in der Scholle modert, ist von einer kleinen Unsterblichkeit umgeben, die, ganz an die Scholle gebunden, mit der Erde ringsumher weiter- -lebt.

Noch war die Zeit nicht erfüllt, als diese Farm hier entstand. Noch war den jungen Menschen, die hierherkamen, um zu lernen, kein gemeinsames Ziel vor die Seele gerückt. Sie fanden sich aus zufälligen Einzelwünschen hier zusammen, nicht gesendet, getrieben, geschleudert vom Pulsschlag einer großen Volksbewegung. Immer hatte Mikwe-Israel Schüler, die Landwirte werden wollten, aber nur wenige von ihnen wurden wirklich Bauern, die meisten verstreuten sich in viele andere Berufe. Nun aber ist seit dem Kriegsende ein einheitlicher Entschluß und Schritt, wie überall in der Bodenarbeit des Landes, also auch hier. Sie lernen in Mikwe-Israel das Feld bestellen, sie ziehen den Pflug durch die Ackererde und säen Weizen. Sie pflanzen Wein, Orangen und ölbäume, sie pflegen Blumen und Zierpflanzen, die im nahen Jaffa nach allen möglichen Teilen des Landes wie der Nachbarländer verkauft werden; sie halten viele Bienenstöcke und gewinnen Orangenhonig, und sie beginnen jetzt auch Tabak zu bauen.

Es sind heute auch nicht mehr die Juden des Orients allein, für deren Jugend diese Farm wirkt. Sie kommen nun von überall hierher, die jungen Männer, und der Jüngling, der mich führt, ist aus Berlin. Ich habe ihn liebgewonnen, diesen braven, tüchtigen Burschen, der achtzehnjährig fort ist aus dem Vaterhaus, weg von den Annehmlichkeiten der Großstadt, weg von blödsinnigen Beschimpfungen, in denen deutsche Studenten ihren nationalen Geist austoben. Er ist erfrischend, dieser sanfte junge Mensch, der nun hier lebt, in der Zwilchhose und im Hemd des Arbeiters, hier unter dem blauen Himmel Palästinas, im Duft der Orangenblüten, im Salzwind des nahen Meeres. Er hat seine Bildung, dieser Junge, denn er hat seine Matura gemacht, ehe er abfuhr von Berlin, er hat seine geistigen Interessen und er hat hier seine schwere körperliche Arbeit. Kerngesund ist er, heiteren Gemüts und seine Klugheit ist beschwichtigt durch die heilsame Berührung mit dem Boden; diese helle Klugheit hat keine Schärfen, wie sie der jüdische Verstand so oft aufweist. Die ätzende Schärfe kommt freilich aus den Wunden, aus den vielen, vielen alten und neuen Wunden, die dem jüdischen Gemüt und dem jüdischen Verstand so tausendfach geschlagen werden. Bei dem Jungen da sind alle Wunden spurlos vernarbt, er hat vergessen, er hat verziehen, ja er versteht kaum noch etwas von dem Haß und Hader, der Deutschland zerfrißt. Unbefangen steht er neben mir auf der Anhöhe von Mikwe-Israel, kennt nur noch das Land, das Heute und Morgen seiner Arbeit, die dem Lande gilt. Er ist das Kind einer neuen Zeit, die eben erst anbricht und er hat die zarte Frische ihrer ersten Morgenstunde.

Der alte Charles Netter, der da vor unseren Füßen in seinem Grabe liegt, würde sich freuen mit dem Jungen, und ihn sicherlich lieben. Denn der Junge verkörpert ein Ergebnis, das alle Hoffnungen, die Charles Netter einst gehegt hat, auch die kühnsten, weit übertrifft.

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