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VII

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Inhaltsverzeichnis

Wir kommen von Nazareth herunter, auf der schönen alten Straße, die nach Nablus führt und verlassen sie um ostwärts den Feldweg zu nehmen in die Ebene, die sich von da bis an den Jordan erstreckt. Anmutig stilles Gelände, Weidegründe, grüne Flächen, die wieder Felder werden sollen. Die Gutwilligkeit der Natur wird hier überall ganz deutlich, ebenso, wie die lange Zeit, in der sie so arg vernachlässigt und mißhandelt wurde, bis sie ganz und gar in Verarmung fiel. Auch hier. Die Quellen, die von den Bergen springen, sind im Boden versickert und erstickt, der davon durch wühlt ist und Fieber atmet. Gras, Klee und wilde Blumen gedeihen üppig auf dieser übermäßig getränkten Erde, die Reichtum geben kann statt Malaria.

Hier sind junge Kolonien. Eine neben der ändern. Hier werden in einigen Jahren noch mehr Kolonien entstehen und das ganze Emek wird jüdisch sein.

Die Arbeit beginnt hier beim Uranfang, von der Mühseligkeit, den Boden erst einmal zu bereiten, die versumpften Fluren zu entwässern, die Scholle herzurichten, daß sie Saat empfangen und Ernte tragen kann.

Auf diesem Weg, der grasüberwachsen ist, den man oft verliert und nur nach den tief in die nasse Erde gerissenen Radspuren wieder findet, leistet der Wagenlenker Unglaubliches. Das Auto tanzt und stolpert und schaukelt und droht, jeden Moment auseinander zu bersten. Aber es hält brav zusammen, und Chaim Mandelbaum sitzt am Volant neben mir und macht ein so ruhiges, vergnügtes Gesicht, als fahre er über einen asphaltierten Boulevard.

Wir begegnen Reiter, schlanke, schöne Gestalten, auf schönen, feurigen Pferden. Junge Männer, die stolz im Sattel sitzen, den Karabiner über die Schulter geschnallt oder vor sich quer am Sattelknopf befestigt, den großen Browning im Gurt. Das sind die Flurhüter. Sie haben ein schweres, an Gefahren reiches Amt. Und ich erinnere mich eines Buches, darin waren alle verzeichnet, mit ihrem Lebenslauf und ihrem Abbild, die im Kampf für die Sicherheit der Kolonien gefallen sind oder meuchlings ermordet wurden. Es ist ein Buch voll eines Heldentums, das umsomehr erschüttert, je selbstverständlicher und unpathetischer diese Männer dienen, dulden, kämpfen und sterben. Knaben waren unter ihnen, rührend durch ihre einfache Tapferkeit, durch ihren Opferwillen und durch ihre Jugend. Männer um die Fünfzig und Sechzig, denen in Europa bei Pogromen Frauen und Kinder erschlagen worden waren. Sie zogen nach Palästina, nicht mehr fähig, die schwere Feldarbeit zu leisten, aber, wie in ihren Nerven die Erinnerung an all die Inngemordeten Angehörigen wühlte, wie das Gedenken jener gemeinen Überfälle in ihren Seelen brannte, fühlten sie sich entschlossen, die Siedlungen ihres Volkes im Land der Verheißung zu bewachen und mit bewaffneter Hand zu schützen.

Sie haben alle schlicht und ergeben der Stunde entgegengeharrt, die ihnen den Tod bringen mußte, diese Knaben und diese Männer, und sie haben ihr Leben teuer verkauft, ehe die Kugel im offenen Kampf sie streckte oder sie aus dem Hinterhalt einmal zu Boden warf. Keiner von ihnen hat an den Ruhm gedacht, oder an Ehre, oder wie die schönen Worte alle heißen, die so gut klingen, wenn man nachher von diesen Tragödien erzählt; keinem fiel es ein, sich einen Helden zu dünken. Denn was war es schließlich auch gewesen, wenn man solch einen zerschossenen Leichnam irgendwo in aller Stille verscharrte? Eine Rauferei armer Juden mit Arabern, die gleichfalls arm gewesen sind. Aber wenn sie hinsanken und ihr Blut die Erde netzte, die einst Urheimat ihrer Väter gewesen und Heimat ihrer Nachfahren werden sollte, war in ihren sterbenden Pulsen noch ein Wissen, daß ihr kleines Leben nicht vergeblich erlosch, daß der Bund zwischen Land und Volk, den rohe Gewalt vor vielen Jahrhunderten entzweigerissen hatte, mit jedem Blutstropfen wieder gekittet würde, daß jedes Blut, aus Todeswunden zu dieser heiligen Erde verschüttet, Wurzel schlug. Sie haben ehrwürdige Arbeit geleistet, indem sie sich darbrachten, in der Stille. Haben Humus geschaffen in diesem Land, ebenso, wie die Chaluzim, die mit ihren Händen den Humus auf die nackten Berge tragen und sich zum Opfer bringen.

„Schalöm!“ grüßen die Flurwächter, die uns begegnen. Kurz, ernst und reiten vorbei. Manchmal kommt eine ganze Kavalkade. Araber sind dabei, und sie reiten, ohne Waffen, friedlich zusammen, nur an der Kleidung, selten am Typus zu unterscheiden. Söhne zweier Brüdervölker, die nur zu lange getrennt waren, um jetzt schon ganz verbrüdert zu sein. Irgend ein Grenzstreit, oder ein Geschäft führt diese arabischen und jüdischen Flurwächter zusammen, und sie reiten in die Kolonie, die es betrifft, zur gemeinsamen Besprechung.

„Schalöm!“ rufen wir zum Dank. Es ist der alte Judengruß aus Bibeltagen. „Friede“ oder „Friede mit dir“. Die Mohammedaner sprechen: „Salam!“

Der Gruß des Menschen, der vor dem Menschen auf der Hut sein muß! Der Wunsch des Menschen, der weiß, daß der Friede, die Güte und das Verstehen erst beginnt, wenn die Waffen ruhen. Die Sehnsucht des Menschen nach all dem Segen, nach all dem Blühen und Gedeihen, das nur jenseits von Gewalt anheben kann. Die pazifistische Gesinnung eines alten Volkes, das unerhörte Siege und nie erhörte Niederlagen erlebt hat, spricht im lebendigen Herzen dieses Grußes: Schalöm!

Neue Menschen auf alter Erde

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