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|28|Die Vorgeschichte Tarsus

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Meine Suche nach Paulus’ Spuren beginnt in Tarsus, einer kleinen Stadt im Südosten der Türkei, etwa 15 Kilometer landeinwärts vom Mittelmeer. Die moderne Stadt bietet einen deprimierenden Anblick. Selbst die Sonne, die einen großen Teil des Jahres intensiv scheint, kann daran nichts ändern. Überall beherrschen schmuddelige alte Gebäude und eintönige Wohnblöcke das Bild. Es braucht schon etwas Fantasie, um sich vorzustellen, dass hier kurz nach 3000 v. Chr., vor fast 5000 Jahren, eine beachtliche geschichtliche Entwicklung ihren Anfang nahm. Damals ließen sich die ersten Menschen in der fruchtbaren Ebene in unmittelbarer Nähe des Flusses Kydnos nieder. Sie lebten vom Ackerbau, von der Viehzucht und vom Fischfang. Im 2. vorchristlichen Jahrtausend war Kilikien, die Region, in der Tarsus liegt, durch einen Vertrag mit dem Volk der Hethiter im anatolischen Hochland verbunden. Um 1200 v. Chr. war es mit der relativen Ruhe vorbei. Seevölker aus dem Norden destabilisierten die Länder um das Mittelmeer und zogen eine Spur der Verwüstung. Das Reich der Hethiter zerfiel und auch die alte Siedlung am Kydnos wurde zerstört.

Nachdem allmählich Ruhe in die Region zurückgekehrt war, bauten griechische Kolonisten die Stadt im 9. Jahrhundert v. Chr. wieder auf und nannten sie Tarsus. Neue Feinde, diesmal aus dem Osten, ließen jedoch nicht lange auf sich warten: die Assyrer. Sie eroberten Tarsus und hatten dort bis zum Ende des 7. Jahrhunderts v. Chr. das Sagen. Nach einer kurzen Periode der Unabhängigkeit eroberten die Perser unter König Kyros II. (559–530 v. Chr.) die Stadt. Unter ihnen wurde Tarsus zu einem wichtigen Rastplatz für Reisende auf dem Weg nach Syrien. 333 v. Chr. übernahmen die Makedonen Alexanders des Großen die Macht. Der Tod des jungen Königs, dem es zuvor gelungen war, Ost und West in einem großen |29|Reich miteinander zu verbinden, löste einen Machtkampf zwischen seinen potenziellen Nachfolgern aus. Gut 30 Jahre lang kam Kilikien wieder einmal nicht zur Ruhe. Diese kehrte erst zu Beginn des 3. Jahrhunderts v. Chr. ein, als Tarsus unter die Herrschaft der Könige des neuen Seleukidenreiches geriet. Unter ihnen erlebte die Stadt, strategisch günstig gelegen in nächster Nähe zum Mittelmeer und an den Karawanenstraßen nach Osten, einen großen Aufschwung.

Am Horizont von Tarsus taucht das unfruchtbare Bergland auf. Das Leben war hier schon immer hart. Ackerbau und Viehzucht brachten den Menschen kaum etwas ein und viele suchten ihr Heil als Wegelagerer und Piraten. Im 2. Jahrhundert v. Chr. hatte sich die Piraterie stark ausgebreitet. Die Römer, die aufsteigende Weltmacht im östlichen Mittelmeerraum, zögerten lange, gegen die Piraten vorzugehen: Der Schaden, verursacht durch die Überfälle auf schwer beladene Frachtschiffe, wurde durch die großen Menschenmengen kompensiert, die von den Seeräubern gefangen genommen wurden und über Sklavenhändler schließlich auf die Latifundien der römischen Senatoren gelangten. Zu Beginn des 1. Jahrhunderts v. Chr. wurde es ihnen dann doch zu viel und sie beschlossen, durchzugreifen. 67 v. Chr. schlug ihr Feldherr und Admiral Pompeius die kilikischen Piraten nieder. In der Folge ordnete er die Region neu – das Seleukidenreich war inzwischen zerfallen – und machte Kilikien zu einer Provinz des Römischen Reichs.

Tarsus wurde zum wichtigsten Verwaltungszentrum der Region. Zahlreiche bedeutende Römer beehrten die Stadt mit ihrem Besuch. Dazu gehörte auch Iulius Caesar, der 47 v. Chr. nach Tarsus kam. Die Tarser waren so begeistert, dass sie ihre Stadt (zeitweilig) in Iuliopolis umbenannten. Marcus Antonius, ein Vertrauter Caesars, der nach dessen Tod im Jahre 44 v. Chr. zunächst mit Octavian und Lepidus ein Triumvirat bildete und nach dem Zerfall des Triumvirats einen Machtkampf mit Octavian führte, belohnte die Loyalität, die die Tarser Caesar und ihm gegenüber gezeigt hatten, mit manchen Privilegien – so etwa mit der Steuerbefreiung. Als Kaiser Augustus bestätigte sein Widersacher Octavian später diese Privilegien, sodass Tarsus über längere Zeit eine Vorzugsstellung genoss.

Von der langen Geschichte der Stadt ist heute nur noch wenig zu sehen. Die Überreste der alten Stadt sind unter der modernen Bebauung |30|verschwunden. Nur ein Teil der alten römischen Straße nördlich von Tarsus und eine Straße im Zentrum der Stadt erzählen noch von der fernen Vergangenheit. Wir müssen uns mit den Informationen der antiken Autoren behelfen, die allerdings in ihren Beschreibungen nie ins Detail gehen. Der Athener Xenophon gelangte um das Jahr 400 v. Chr. in die Stadt, da er als Söldnerhauptmann am Feldzug des persischen Prinzen Kyros gegen dessen Bruder Artaxerxes teilnahm, der nach dem Tod des Vaters den Thron bestiegen hatte. Auf dem Weg nach Kunaxa im heutigen Irak, wo der Thronstreit in einer Schlacht entschieden werden sollte, kamen die griechischen Söldner durch Tarsus. Xenophon schrieb begeistert von „einer großen und reichen Stadt“, ohne eine nähere Beschreibung zu geben.11 Dion Chrysostomos ließ sich im 2. Jahrhundert n. Chr. in nahezu gleichlautenden Worten aus,12 obwohl sich Tarsus in den 500 Jahren, die ihn von Xenophon trennten, zweifellos gehörig verändert und ein anderes Gesicht bekommen hatte. Auch die Einwohnerschaft war viel kosmopolitischer geworden. Anfangs hatten dort vor allem Griechen und Phönizier gelebt, doch vom 2. Jahrhundert v. Chr. an hatte es einen großen Zustrom jüdischer Kolonisten gegeben und im 1. Jahrhundert v. Chr. hatten sich auch römische Veteranen dort niedergelassen. Tarsus war zu einer mittelgroßen Stadt mit wohl 50.000 Bewohnern angewachsen. Zu den wichtigsten Pfeilern des Wohlstands gehörten Handel und Gewerbe.

Paulus

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