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Der Geburtsort des Paulus

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Wie viele andere Städte der antiken Welt wäre vermutlich auch Tarsus in Vergessenheit geraten, würde es nicht mit zwei berühmten Persönlichkeiten der Weltgeschichte in Verbindung gebracht werden: Kleopatra und Paulus. Die ägyptische „Femme fatale“ kam nur auf eine Stippvisite nach Tarsus. 41 v. Chr. entflammte hier die Liebe zwischen der ägyptischen Königin aus dem ruhmreichen Geschlecht der Ptolemäer und dem römischen Feldherrn Marcus Antonius. Acht Jahre zuvor hatte sie sich in Alexandria, in einen Teppich eingerollt, Iulius Caesar präsentiert, drei Jahre nach seinem Tod segelte sie auf einem Schiff mit goldenen und |31|silbernen Relings und Segeln aus purpurner Seide in den Hafen von Tarsus ein. Die Mitglieder der Besatzung waren als Eroten und Nereiden herausgeputzt. Die Tarser strömten in Massen auf die Kais, um einen Blick auf dieses wundersame Schauspiel zu erhaschen, das am Beginn einer Liebesbeziehung stand. Leider war dieser kein gutes Ende beschieden, da das Liebespaar den Machtkampf gegen Octavian verlor. Octavian wurde A lleinherrscher im Römischen Reich, Kleopatra und Antonius nahmen sich das Leben.

Dass der Name der Stadt im Gedächtnis der Menschen geblieben ist, hat Tarsus an allererster Stelle einem anfänglich völlig unbekannten Juden zu verdanken. Zu Beginn des 1. Jahrhunderts n. Chr. konnte keiner der Bewohner der Stadt auch nur ahnen, dass ein junger Mann in ihrer Mitte lebte, dessen Name in späteren Zeiten Millionen Menschen ein Begriff sein sollte. Er hieß Saulus/Paulus und wird häufig als „der Mann aus Tarsus“ bezeichnet, da für gewöhnlich davon ausgegangen wird, dass er dort das Licht der Welt erblickte.

Wie sich später noch häufig zeigen wird, liegt vieles im Leben des Paulus im Dunkeln; auch sein Geburtsort ist keineswegs genau bekannt. Auf den ersten Blick gibt es keinen Grund daran zu zweifeln, dass er in Tarsus geboren wurde. Lukas war jedenfalls fest davon überzeugt; er legte Paulus diese Worte in den Mund: „Ich bin ein Jude, geboren in Tarsus in Kilikien“ (Apg 22, 3). Paulus selbst hat sich in seinen Briefen nicht explizit über seinen Geburtsort geäußert, was merkwürdig scheint, weil er mehrere Male auf seine jüdischen Wurzeln zu sprechen kommt. In seinem Brief an die Philipper (3, 4–5) schrieb er: „Ich wurde am achten Tag beschnitten, bin aus dem Volk Israel, vom Stamm Benjamin, ein Hebräer von Hebräern.“ In seinem zweiten Brief an die Korinther ließ er wissen, er gehöre zu den Israeliten und sei ein Nachkomme Abrahams (2 Kor 11, 22). Kein Wort über Tarsus.

Die Aussagen in den Briefen an die Philipper und die Korinther werden für gewöhnlich als ein Hinweis darauf verstanden, dass Paulus sich als Jude in der Diaspora mit den Juden in Israel eng verbunden fühlte. In den Anspielungen auf seine Herkunft wird nicht mehr gesehen als die Bestätigung, dass er sich seines jüdischen Ursprungs voll bewusst war und ihn öffentlich bezeugen wollte. In fast allen Abhandlungen über Paulus |32|ist zu lesen, oft ohne nähere Erläuterung, dass Paulus in Tarsus als Sohn einer jüdischen Familie mit römischem Bürgerrecht geboren wurde. Wie sein Vater an dieses Bürgerrecht gekommen war, wird nicht gesagt. Man geht einfach davon aus, dass Paulus einer der wenigen angesehenen jüdischen Familien in Tarsus entstammte.13

Meiner Meinung nach ist es gar nicht so selbstverständlich, dass Paulus ein in Tarsus geborener Diasporajude war, dessen Familie seit geraumer Zeit bereits das römische Bürgerrecht besaß. Falls er tatsächlich aus einer angesehenen Familie stammte, hätte er sicherlich davon gesprochen, denn der Besitz des römischen Bürgerrechts war innerhalb der jüdischen Gemeinschaften in den griechisch-römischen Städten nur wenigen vorbehalten. Seine expliziten Äußerungen über Hebräer und Israeliten sind meines Erachtens darauf zurückzuführen, dass er sich seiner Herkunft aus ihrem Land bewusst war – nicht als Nachkomme von Juden, die schon vor langer Zeit ihr Land verlassen hatten, sondern als in Judäa oder Galiläa geborenes Kind, das irgendwann nach Tarsus gekommen war. Diese Annahme ist freilich spekulativ, da in den Texten aus dem 1. und 2. Jahrhundert keine entsprechenden Anspielungen zu finden sind. Sie beruht einzig und allein auf zwei Aussagen, die Hieronymus gegen Ende des 4. Jahrhunderts traf und die noch nicht einmal völlig übereinstimmen.14 Im Jahr 388 schrieb dieser Kirchenvater in einem Kommentar zu Paulus’ Brief an Philemon:

Es heißt, dass die Eltern des Apostels Paulus aus Gischala stammten, einem Landstrich in Judäa, und dass sie, als die ganze Provinz von den Römern verwüstet wurde und die Juden sich über die Welt verbreiteten, nach Tarsus verbracht wurden, einer Stadt in Kilikien. Der junge Paulus teilte das Los seiner Eltern. Nun begreifen wir auch, was er von sich selbst sagt: „Sie sind Hebräer – ich auch. Sie sind Israeliten – ich auch. Sie sind Nachkommen Abrahams – ich auch.“ [2 Kor 11, 22] Und an anderer Stelle: „Ein Hebräer [geboren] von Hebräern“, [Phil 3, 5] und an anderen Stellen wieder andere Dinge, die vermuten lassen, dass er eher ein Judäer denn ein Tarser war.15

Fünf Jahre später wiederholte Hieronymus diese „Enthüllung“ noch einmal in einem Buch mit Biografien berühmter Persönlichkeiten. Dort erzählt der Kirchenvater:

|33|Der Apostel Paulus, der vorher Saulus hieß, nicht zur Zahl der zwölf Apostel gehörig, kam aus dem Stamm Benjamin und aus Gischala, einem Ort in Judäa; nachdem dieser von den Römern eingenommen worden war, wanderte er mit seinen Eltern nach Tarsus aus.16

Diese beiden Aussagen können natürlich als Fiktion beiseitegeschoben werden, da sie gut drei Jahrhunderte später als die Apostelgeschichte niedergeschrieben wurden und Hieronymus sich insofern nicht gut informiert zeigt, als er Gischala in seinem ersten Text als einen Landstrich bezeichnet, im zweiten dagegen als eine Stadt, die er noch dazu nicht in Galiläa, sondern in Judäa ansiedelt. Doch dann stellt sich die Frage, welches Interesse Hieronymus daran gehabt haben könnte, eine von der gängigen Auffassung abweichende Darstellung zu geben und sich auf eine offenbar schon alte Überlieferung zu stützen, der zufolge Paulus nicht in Tarsus, sondern in Gischala geboren wurde.17

Die Texte des Hieronymus werfen auch ein Licht auf Paulus’ Geburtsdatum und seine ersten Lebensjahre. Über beides lässt sich nichts Sicheres sagen. Zwischen der frühesten Datierung seiner Geburt ins Jahr 6 v. Chr. und der spätesten ins Jahr 15 n. Chr. liegt eine Differenz von 20 Jahren. Sollte Paulus erst 15 n. Chr. zur Welt gekommen sein, wäre er um das Jahr 30, als Christus in Jerusalem gekreuzigt wurde, ein etwa 15 Jahre alter Junge gewesen, der sich zu jener Zeit dort aufgehalten hätte. Der 6 v. Chr. geborene Paulus wäre um diese Zeit ein Mann in den besten Jahren gewesen, der auf eine lange Ausbildung in Tarsus und in Jerusalem zurückblicken konnte. In diesem Fall wäre seine Bekehrung zum Glauben an Christus wenige Jahre später keine fixe Idee eines ungestümen Jugendlichen.

Meiner Meinung nach spricht alles für das frühere Geburtsdatum, im Jahr 6 v. Chr. oder kurz danach, weil dann all das, was Paulus selbst über seine Herkunft (und seine frühe Jugend) erzählt, in einen historischen Rahmen eingefügt werden kann, auch seine Bemerkung im Brief an Philemon (Vers 9) von 53, dass er ein presbytés, ein älterer Mann, sei. Er war damals ungefähr 59 Jahre alt.18

Hieronymus’ Aussage, Paulus sei zusammen mit seinen Eltern in Gischala gefangen genommen und nach Tarsus verschleppt worden, passt gut zu den Geschehnissen des Jahres 4 v. Chr. Nach dem Tod Herodes’ des |34|Großen, des Königs der Juden, brachen überall in Judäa und Galiläa Unruhen aus. Es herrschte Chaos. Laut Flavius Josephus, der die alte Geschichte der Juden und ihren Krieg gegen die Römer ausführlich dargestellt hat, hatte sich in diesem Jahr eine Reihe von machtgierigen Leuten zu Thronprätendenten aufgeworfen. Sie kamen aus den untersten Bevölkerungsschichten, waren Sklaven oder Schafhirten. Ihr Charisma oder ihre ansehnliche Erscheinung hatte ihnen Autorität und großen Zulauf verschafft. Plündernd und brandschatzend zogen sie als Räuber durch das Land und verursachten den Römern gewaltigen Ärger. Einer von ihnen war Judas, der Sohn des Ezechias, der lange Zeit Galiläa unsicher machte. Bevor er die Macht an sich zu reißen konnte, sandte Varus, der römische Statthalter von Syrien, ein Heer aus, um die Unruhen niederzuschlagen. Judas musste bald das Feld räumen. Römische Truppen nahmen die Stadt Sepphoris ein und legten sie in Schutt und Asche. Die Bewohner wurden von den Soldaten versklavt.19

Was mit ihnen geschah, ist schwer zu rekonstruieren, doch es ist wahrscheinlich, dass ein Teil der Gefangenen aus Sepphoris (und anderen Städten wie etwa Gischala, denen ein ähnliches Los widerfuhr) von den Soldaten auf einen der großen Sklavenmärkte verschleppt wurde. Der kleine Paulus, damals noch Saulus, wurde in diesem Fall zusammen mit seinen Eltern und vielen anderen Gefangenen im nächstgelegenen Hafen, Ptolemais (dem heutigen Akko im Norden Israels), an Bord eines Sklavenschiffes gebracht. Das Ziel dieses Schiffes wird Antiochia im Süden der heutigen Türkei gewesen sein, wo die Soldaten ihn und seine Eltern auf dem Sklavenmarkt an einen Händler verkauften, der sie dann in Tarsus feilbot.

Die Sklaverei war in der Antike ein als selbstverständlich betrachtetes Phänomen und der Mann, der Saulus und seine Eltern kaufte, höchstwahrscheinlich ein römischer Bürger, handelte nicht anders als viele seiner wohlhabenden Mitbürger. Er ließ sie dann nicht auf seinen Latifundien schuften – das Schicksal der meisten Sklaven –, sondern nahm sie als Haussklaven in seine Familie auf. Anders als die Sklavenhalter auf dem Land ließ er sie ein menschenwürdiges Leben führen und der Abstand zwischen ihm und seinem „Besitz“ verringerte sich mit der Zeit immer mehr. Irgendwann gelangte er dann zu der Überzeugung, dass Paulus’ |35|Eltern ein besseres Los verdient hatten. Da der Vater dem Kriterium der Lex Aelia Sentia aus dem Jahr 4 n. Chr. genügte, wonach für eine manumissio (Freilassung) mit Zuerkennung des römischen Bürgerrechts ein Mindestalter von 30 Jahren vorgeschrieben war, stand der Freilassung nichts mehr im Wege; mit ihr ging der Status des Besitzers auf seinen vormaligen Sklaven über. So erhielt Paulus’ Vater das römische Bürgerrecht, das er an seinen Sohn vererbte. Vermutlich erhielt er damals auch den lateinischen Namen Paulus, der dem hebräischen Namen Saulus besonders nahekam.20 So lässt sich die Bemerkung in Apostelgeschichte 22, 27–28 erklären, dass Paulus durch Geburt das römische Bürgerrecht besaß.

Paulus

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