Читать книгу Paulus - Fik Meijer - Страница 16

Paulus’ Suche nach seinem Weg im Judentum

Оглавление

Paulus war nach Jerusalem gekommen, um sich auf seine jüdischen Wurzeln zu besinnen. Er wollte sich bei den Schriftgelehrten in den alten Schriften der Juden unterweisen lassen. Er wusste, dass es verschiedene Interpretationen der heiligen Bücher gab. Die drei Hauptströmungen wurden von den Pharisäern, den Sadduzäern und den Essenern vertreten. Zwar hatte sich Paulus eingehend mit den Auffassungen dieser drei Schulen befasst, doch in seinen Briefen kommt er nicht darauf zurück. Einen summarischen Überblick über die Standpunkte der Vordenker dieser drei Strömungen bietet Flavius Josephus in Der Jüdische Krieg. Während er sich ausführlich über die Essener auslässt, werden den beiden anderen Glaubensrichtungen nur wenige Sätze geschenkt. Vielleicht glaubte er, dass die Essener seinen nichtjüdischen Lesern weniger vertraut waren als |51|die beiden anderen Strömungen und deshalb etwas eingehender behandelt werden sollten.

Bemerkenswerterweise werden die Essener weder bei Lukas noch bei Paulus erwähnt, obgleich sie Josephus zufolge sehr verehrungswürdig waren. Sie beachteten Regeln, die von Eintracht und einem großen Gefühl der Zusammengehörigkeit zeugen. Sie lebten in über Judäa und Galiläa verstreuten Kolonien und wurden in allen Gemeinschaften, die sie auf ihren Reisen besuchten, mit offenen Armen empfangen. Die Mitglieder dieser religiösen Gruppe gingen freundschaftlicher miteinander um als die der anderen Sekten. Kennzeichnend für ihre Lebensweise war die Genügsamkeit; sie hielten Sittsamkeit und die Beherrschung der Leidenschaften hoch. Vergnügen betrachteten sie als eine Quelle der Unruhe. Sie gingen keine Ehen ein, sie lebten zölibatär und adoptierten Kinder anderer Leute, solange diese noch klein genug waren, um für ihre Ideen empfänglich zu sein. Gegen die fleischlichen Lüste schirmten sie sich ab, da sie davon überzeugt waren, dass keine Frau einem Mann die Treue halten könne. Reichtum verachteten sie und keiner von ihnen besaß mehr als der andere. Aller Besitz lag in den Händen der Gemeinschaft.

Um ein vollwertiges Mitglied der Essener zu werden, musste man vier Phasen durchlaufen. Die Anwärter mussten in dieser Zeit Abstand zu den Mitgliedern halten, die bereits alle Initiationsphasen durchlaufen hatten, und durften sie nicht berühren. Vor und während ihrer Arbeit kamen sie regelmäßig zusammen, um Gott zu preisen. Sie beteten nicht nur Gott und die Engel an, sondern auch die Sonne. Jeden Morgen versammelten sie sich bei Sonnenaufgang und wandten das Gesicht nach Osten. Fast alles taten sie gemeinsam, doch wenn es um Barmherzigkeit ging, durften sie auf eigene Initiative handeln. Falls jemand eines Vergehens verdächtigt wurde, trat eine Versammlung aus mindestens 100 Menschen zusammen, um darüber zu urteilen.

Wie bei Josephus nachzulesen ist, hatten sie genaue Vorstellungen über das Leben nach dem Tod:

Sie hegen den festen Glauben, daß der Körper zwar verwese und vergänglich sei, die Seele dagegen ewig fortlebe und daß sie, aus feinstem Äther stammend, durch einen natürlichen Reiz herabgezogen und in den Körper wie in ein Gefängnis eingeschlossen werde. Sobald die Seele aber von |52|den Banden des Fleisches befreit sei, entschwebe sie, wie aus langer Knechtschaft erlöst, selig zur Höhe. Übereinstimmend mit den Griechen lehren sie, den Guten sei jenseits des Ozeans ein Ort beschieden, den weder Regen noch Schnee, noch Hitze belästige, sondern ein beständiger, vom Ozean her sanft wehender Zephyr kühle; den Bösen dagegen weisen sie eine finstere kalte Höhle voll ewiger Qualen zu. […] Damit wollen sie zunächst die Unsterblichkeit der Seele feststellen, dann aber auch zur Tugend mahnen und vom Laster abschrecken, indem sie darauf rechnen, daß die Guten während ihres irdischen Lebens durch Hoffnung auf Belohnung nach dem Tode noch besser, die Anschläge der Bösen dagegen durch Furcht zunichte werden, da sie darauf gefaßt sein müssen, selbst wenn bei Lebzeiten ihre Taten verborgen bleiben sollten, doch im Jenseits ewiger Strafe zu verfallen. Diese Lehre der Essener über die Seele ist das Zauberband, durch das sie die, die einmal ihre Weisheit gekostet haben, dauernd an sich fesseln.26

Paulus hätte sich dieser Gruppe anschließen können. Das hätte seinen späteren christlichen Vorstellungen eine historische Grundlage gegeben, doch soweit wir wissen, hat er nicht versucht, sich diesen anzunähern, ebenso wenig wie der Gemeinschaft, die in Qumran in der Nähe des Nordwestufers des Toten Meeres eine Art religiöse Sekte bildete. Die Vorstellungen und die Lebensweise der gut 300 Mitglieder der Qumrangemeinschaft sind uns aus den Qumranschriften bekannt, die in der Mitte des vorigen Jahrhunderts gefunden wurden. In diesen „Schrift rollen vom Toten Meer“ wurden unter anderem die Regeln dieser Lebensgemeinschaft aufgeschrieben, die denen der Essener ähnlich sind. Die Mitglieder bezeichneten sich als die Einzigen, die dem Gott Israels treu geblieben und deshalb von ihm auserwählt waren. Zweifel über die Richtigkeit ihrer Vorstellungen kannten sie nicht. Ihnen war die Bedeutung von Texten offenbart worden, die die Propheten noch nicht gekannt hatten. Der Bund, den Mose auf dem Berg Sinai mit Gott geschlossen hatte, war, so glaubten sie, in ihrer Gemeinschaft erneuert worden.

Auch zu den Sadduzäern, deren Lehre längst nicht so stringent war wie die der Essener, fühlte Paulus sich nicht hingezogen. Sie akzeptierten das, was in der Tora stand, nicht jedoch die mündlichen Überlieferungen, die neben den heiligen Schriften entstanden waren und zu bestimmten Glaubensvorstellungen geführt hatten. Den Sadduzäern zufolge war der |53|Mensch frei in seinem Tun und Lassen und auch die Wahl zwischen Gut und Böse war eine Sache des freien Willens eines jeden Einzelnen. Gott hatte mit der Willensbekundung des Menschen nichts zu tun. Er interessierte sich nicht dafür und konnte deshalb auch nicht für das Böse verantwortlich gemacht werden. Nach dem Tod blieb das große Nichts. Kategorisch verneinten die Sadduzäer den Fortbestand der Seele oder Belohnungen nach dem Tod. Josephus sagt ausdrücklich, dass sie vor allem unter den „besten Ständen“ Anhänger hatten, bei der großen Masse waren sie unbeliebt.27

Paulus schloss sich, so schreibt er selbst, der dritten großen Strömung an: den Pharisäern. In einem Brief, den er viele Jahre später an die Philipper schrieb, berichtet er, dass er als Pharisäer nach dem Gesetz gelebt habe (Phil 3, 5). Während seines Aufenthalts in Jerusalem unterschrieb er ihre Vorstellungen, die auf einer genauen Exegese und Interpretation des Gesetzes Mose beruhten. Sie schrieben alles dem Schicksal und Gott zu. Sie glaubten zwar, dass es größtenteils an den Menschen selbst liegt, ob sie gut oder schlecht handeln, doch in allem spielte das Schicksal mit. Nach ihrer Auffassung war jede Seele unvergänglich, doch nur die Seele eines guten Menschen ging in einen anderen Körper über, während die Seelen der schlechten Menschen mit ewiger Verdammnis bestraft wurden.28

Ihre Hoffnungen richteten sich auf einen Messias, der das Gesetz richtig auslegen und Gottes Willen offenbaren werde. Dass Paulus, ein Jude mit römischem Bürgerrecht aus einer griechischen Stadt, sich den Pharisäern anschloss, war ein nachvollziehbarer Schritt, denn im Gegensatz zu den Sadduzäern lebten sie mit dem Rest der Gesellschaft in Eintracht. Da sie der Außenwelt mit offenen Augen gegenübertraten, wurden sie von den politischen Führern als Ratgeber geschätzt.

Einer der bedeutendsten Pharisäer in der Zeit, in der Paulus sich in Jerusalem aufhielt, war Gamaliël. Als Ausleger der Tora und Rechtsgelehrter stand er beim ganzen Volk in hohem Ansehen. Vermutlich fühlte Paulus sich stark zu ihm hingezogen, denn, als er geraume Zeit nach seiner Bekehrung, nachdem er bereits drei große Missionsreisen gemacht hatte, in Jerusalem gefangen genommen wurde, weil er Nichtjuden in den Tempel hineingeführt habe, begann er seine Verteidigungsrede mit der |54|Feststellung, er sei ein Jude aus Tarsus, der in Jerusalem erzogen und „zu Füßen Gamaliëls genau nach dem Gesetz der Väter ausgebildet“ worden sei (Apg 22, 3). Es ist schon merkwürdig, dass der Verfasser der Apostelgeschichte diese Aussage aufgenommen hat, während Paulus selbst nur von seiner Geistesverwandtschaft mit den Pharisäern berichtet, Gamaliël aber in keinem seiner Briefe erwähnt. In seinem Brief an die Galater, worin er auch auf seine Zeit in Jerusalem zurückgreift, schreibt er nur, dass er es im Judentum viel weiter gebracht habe als viele seiner Zeitgenossen und dass er sich „mit dem größten Eifer“ für die Überlieferungen seiner Väter eingesetzt habe (Gal 1, 14). Über sein Verhältnis zu Gamaliël schweigt er.

Paulus

Подняться наверх