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KAPITEL ZWEI

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Lacey war gerade dabei, die Objekte zu schätzen, als Taryn vor ihrem Fenster endlich den großen Van wegfuhr und den Blick auf Toms Geschäft auf der anderen Seite der gepflasterten Straße wieder freigab. Die karierten Wimpel mit Ostermotto waren durch sommerliche Wimpel ersetzt worden und Tom hatte die Auslage mit den Macarons aufgepeppt, sodass sie jetzt wie eine Szene auf einer tropischen Insel aussah. Der Sand bestand aus Zitronen-Macarons, umgeben von einem Ozean in unterschiedlichen Blautönen – türkisblau (Zuckerwattegeschmack), hellblau (Kaugummigeschmack), dunkelblau (Blaubeergeschmack) und marineblau (blaue Himbeeren). Hohe Stapel von Schokoladen-Macarons, Kaffee-Macarons und Erdnuss-Macarons bildeten die Plamen, während die Blätter aus Marzipan geformt worden waren; ein weiteres Lebensmittel, mit dem Tom sehr geübt war. Das Schaufenster war atemberaubend und es lief einem schon beim reinen Anblick das Wasser im Mund zusammen. Ständig versammelten sich davor große Gruppen von aufgeregten Touristen, um es zu bewundern.

Wenn sie durch das Fester neben dem Tresen blickte, konnte Lacey Tom dahinter sehen. Er war damit beschäftigt, seine Kunden mit seinen theatralischen Auslagen zu begeistern.

Sie ließ ihr Kinn auf ihre Faust sinken und stieß ein verträumtes Seufzen heraus. Bisher waren die Dinge wunderbar mit Tom gelaufen. Sie waren jetzt offiziell dabei sich zu „daten“, wie es Tom genannt hatte. Sie würde diesen Begriff niemals wählen. Während ihrer Diskussion über „die Art ihrer Beziehung“ hatte Lacey darauf bestanden, dass dies ein unpassender und kindischer Ausdruck für zwei Erwachsene sei, die eine romantische Verbindung hatten. Tom hatte erwidert, dass es nicht ihre Aufgabe war, die Terminologie anzufechten, sofern sie nicht bei dem Wörterbuch Merriam-Webster arbeitete. Sie gab bei diesem Diskussionspunkt nach, zog jedoch den Schlussstrich bei den Worten „Freund“ und „Freundin“. Sie mussten sich erst auf passende Titel einigen, mit denen sie sich bezeichnen würden und wichen normalerweise auf ‚Schatz’ aus.

Auf einmal sah Tom zu ihr herüber und winkte. Lacey zuckte zusammen und richtete sich auf. Ihre Wangen wurden heiß, als ihr bewusst wurde, dass er sie gerade dabei erwischt hatte, ihn wie ein verliebtes Schulmädchen anzuhimmeln.

Toms winkende Geste wurde zu einer Aufforderung und Lacey bemerkte erst jetzt, wie spät es war. Zehn nach elf, Teezeit! Und sie war bereits zehn Minuten zu spät für ihr tägliches zweites Frühstück!

„Komm schon, Chester“, sagte sie rasch, als die Aufregung einschoss. „Es ist Zeit, Tom zu besuchen.“

Sie rannte förmlich aus dem Laden und erinnerte sich gerade noch, das „Geöffnet“-Schild umzudrehen, damit es „Zurück in 10 Minuten“ anzeigte, und die Tür abzuschließen. Dann hüpfte sie über die gepflasterte Straße in Richtung der Patisserie und ihr Herz klopfte im Rhythmus mit den federnden Schritten, während die Vorfreude auf Tom immer weiter anstieg.

Gerade als Lacey die Tür der Patisserie erreichte, strömte eine Gruppe von chinesischen Urlaubern heraus, die Tom vor einigen Augenblicken noch bedient hatte. Jeder von ihnen klammerte sich an eine große braune Papiertüte voller duftender Leckereien, während sie miteinander plauderten und kicherten. Lacey hielt die Tür geduldig auf, wartete bis sie alle herausgekommen waren. Sie nickten ihr als Dankeschön höflich zu.

Als der Weg endlich frei war, spazierte Lacey herein.

„Hallo, mein Schatz“, sagte Tom mit einem breiten Grinsen auf seinem gutaussehenden, braun gebrannten Gesicht, sodass Lachfalten neben seinen strahlend grünen Augen auftauchten.

„Deine Groupies sind also schon gegangen“, witzelte Lacey, als sie zum Tresen kam. „Und sie haben eine Menge Fanartikel mitgenommen.“

„Du kennst mich“, antwortete Tom und zog seine Augenbrauen hoch. „Ich der erste Konditor der Welt mit einem Fanclub.“

Er schien heute besonders gut gelaunt zu sein, dachte Lacey. Nicht dass er jemals schlecht gelaunt war. Tom war einer dieser Menschen, die einfach so durch das Leben schwebten, ohne sich von dem üblichen Stress herunterziehen zu lassen. Es war eine der Sachen, die Lacey besonders an ihm mochte. Er war so anders als David, der sich schon von der kleinsten Irritation aus dem Konzept bringen hatte lassen.

Sie lehnte sich über den Tresen und Tom stützte sich auf seinen Armen ab, um sie zu küssen. Lacey vergaß alles rund um sich und genoss den Moment, bis Chester aufheulte, unglücklich darüber, ignoriert zu werden.

„Sorry, Kumpel“, sagte Tom. Er kam hinter dem Tresen hervor und bot Chester einen schokoladenfreien Snack aus Johannisbrotkernmehl an. „Hier hast du etwas. Deinen Lieblingssnack.“

Chester schleckte das Leckerli direkt aus Toms Hand, stieß einen großen, zufriedenen Seufzer hervor und sackte auf dem Boden zusammen, bereit für ein Nickerchen.

„Also welcher Tee steht heute auf dem Menü?“, fragte Lacey und nahm auf ihrem üblichen Sessel am Tresen Platz.

„Zichorie“, sagte Tom.

Er ging in die Küche im hinteren Teil des Geschäfts.

„Den hatte ich noch nie“, rief ihm Lacey nach.

„Er ist koffeinfrei“, rief Tom zurück, untermalt von dem Plätschern eines Wasserstrahls und dem Scheppern von Schranktüren. „Und hat einen leicht abführenden Effekt, wenn man zu viel trinkt.“

Lacey lachte. „Danke für die Warnung“, erwiderte sie.

Ihre Worte wurden von dem Klirren und Klappern des Porzellans und dem Blubbern des Teekessels beantwortet.

Dann kam Tom wieder hervor und trug ein Tablett in den Händen. Teller, Tassen, Untertassen, eine Zuckerdose und ein Teekessel aus Porzellan befanden sich darauf.

Er stellte das Tablett zwischen ihnen ab. Immer wenn Tom etwas kochte, waren die Tassen und Teller nicht aus einem Set, sondern komplett durcheinander gewürfelt. Ihr einziges verbindendes Thema war, dass sie alle aus England stammten, als hätte er jedes Stück bei einem anderen Flohmarkt einer patriotischen, alten Dame gekauft. Auf Laceys Tasse befand sich ein Bild von Prinzessin Diana in ihren letzten Jahren. Ihr Teller war mit einem Zitat von Beatrix Potter in einer zarten, kursiven Schrift verziert, daneben befand sich ein Aquarellbild der ikonischen Kinderbuchente Jemima Pratschel-Watschel mit Haube und Schal. Die Teekanne war wie ein bunt dekorierter, indischer Elefant geformt, auf dessen rot- und goldfarbenen Sattel die Worte Piccadilly Circus gedruckt waren. Sein Rüssel war natürlich der Ausguss.

Während der Tee noch im Kessel zog, verwendete Tom eine silberne Zange, um ein paar Croissants aus der Vitrine in der Auslage zu holen, die er auf einem hübschen, blumigen Teller auflegte. Er schob eines zu Lacey, gefolgt von einem Glas ihrer Lieblingskonfitüre aus Aprikosen. Dann schenkte er beiden eine Tasse des gebrühten Tees ein, setzte sich auf seinen Stuhl, hielt die Tasse hoch und sagte: „Zum Wohl.“

Als sie gleichzeitig einen Schluck machten, hatte Lacey ein plötzliches Déjà-vu. Kein echtes, bei dem man sich sicher ist, dass man diesen exakten Moment bereits erlebt hat, sondern ein Déjà-vu, das mit der Wiederholung und Routine kommt, wenn man etwas jeden Tag macht. Es fühlte sich so an, als hätten sie diesen Moment bereits erlebt, weil sie es hatten; gestern und am Tag davor und am Tag davor. Als sehr beschäftigte Ladenbesitzer mussten Tom und Lacey oft Überstunden machen und arbeiteten sieben Tage die Woche. Die Routine, der Rhythmus war ganz wie von selbst gekommen. Aber es war mehr als das. Tom hatte ihr ganz automatisch ein getoastetes Mandelcroissant mit Aprikosenkonfitüre gegeben. Er musste nicht einmal fragen, was sie wollte.

Es hätte Lacey glücklich machen sollen, aber stattdessen fand sie es beunruhigend. Denn genauso waren die Dinge anfangs mit David gewesen. Die Bestellung des anderen lernen. Kleine Gefallen für den anderen erledigen. Kleine Momente von Routine und Rhythmus, die ihr das Gefühl gegeben hatten, zwei Teile eines Puzzles zu sein, die perfekt ineinanderpassten. Sie war jung und dumm gewesen und hatte den Fehler gemacht zu glauben, dass es sich immer so anfühlen würde. Aber das war nur die Anfangsverliebtheit gewesen. Diese ging nach einem oder zwei Jahren verloren und zu diesem Zeitpunkt steckte sie bereits in einer Ehe fest.

War es in der Beziehung mit Tom genauso? Würde die Verliebtheit mit der Zeit nachlassen?

„Woran denkst du?“, fragte Tom und unterbrach ihr nervöses Grübeln.

Lacey spuckte ihren Tee beinahe aus. „Nichts.“

Tom zog eine Augenbraue hoch. „Nichts? Hat die Zichorie so wenig Eindruck bei dir hinterlassen, dass all deine Gedanken aus dem Kopf gefegt wurden?“

„Oh, über den Tee!“, erwiderte sie und wurde rot.

Tom sah nun noch amüsierter aus. „Ja. Was denn sonst?“

Lacey stellte die Diana-Tasse klappernd auf der Untertasse ab. „Er ist gut. Erinnert mich an Lakritze. Acht von zehn Punkten.“

Tom pfiff. „Wow. Ein hohes Lob. Aber nicht ganz ausreichend, um den Assam von seinem Thron zu stürzen.“

„Es würde einen herausragenden Tee benötigen, um den Assam zu entthronen.“

Ihr kurzweilige Sorge, Tom könnte ihre Gedanken lesen, verschwand wieder und Lacey wandte ihre Aufmerksamkeit dem Frühstück zu. Sie genoss jeden Bissen des buttrigen Gebäcks, gemeinsam mit den gerösteten Mandeln und der selbstgemachten Aprikosenkonfitüre. Aber selbst das schmackhafte Essen konnte ihre Gedanken nicht davon abhalten, zu ihrer Unterhaltung mit David zu wandern. Sie hatte seine Stimme nicht mehr gehört, seit er aus ihrem alten Appartement auf Upper East Side mit den Worten gestürmt war: „Du wirst von meinem Anwalt hören!“ Seine Stimme wieder zu hören, erinnerte sie daran, dass sie vor weniger als einem Monat noch eine relativ glücklich verheiratete Frau gewesen war, mit einem stabilen Job, einem Einkommen und ihrer Familie in der Nähe, in einer Stadt, in der sie ihr gesamtes Leben verbracht hatte. Ohne es zu bemerken, hatte sie ihre gesamte Vergangenheit in New York City hinter dicke Mauern in ihrem Verstand geschoben. Es war eine Bewältigungsstrategie, die sie bereits als Kind gelernt hatte, um mit der Trauer über das plötzliche Verschwinden ihres Vaters umzugehen. Es schien als hätte Davids Stimme das Fundament dieser Mauer zum Wackeln gebracht.

„Wir sollten einen Urlaub machen“, sagte Tom plötzlich.

Und schon wieder spuckte Lacey beinahe ihr Essen aus, aber es war Tom offensichtlich nicht aufgefallen, denn er sprach weiter.

„Wenn ich von dem Focaccia-Kurs zurück bin, sollten wir einen Urlaub in der Umgebung machen. Wir haben beide so hart gearbeitet in letzter Zeit. Das haben wir uns verdient. Wir können in meine Heimatstadt in Devon fahren und ich zeige dir all die Orte, die ich als Kind geliebt habe.“

Hätte Tom diesen Vorschlag gestern, vor Davids Anruf, gemacht, hätte Lacey wahrscheinlich direkt angebissen. Aber auf einmal schien es ihr völlig voreilig zu sein, Pläne für die Zukunft mit ihrem neuen Freund zu machen – selbst wenn diese Zukunft nur eine Woche entfernt war. Es gab keinen Grund, weshalb sich Tom Sorgen machen sollte. Aber Lacey war noch nicht lange geschieden. Sie hatte seine relativ stabile Welt betreten, als sich in ihrem Leben jedes kleinste Detail verändert hatte – angefangen von ihrem Job, ihrem Zuhause, ihrem Heimatland und sogar ihrem Beziehungsstatus! Sie wechselte vom Babysitten ihres Neffen Frankie, während ihre Schwester Naomi auf einem weiteren desaströsen Date war, zu einem Leben, bei dem sie regelmäßig Schafe aus ihrem Vorgarten vertreiben musste; von ihrer mürrischen Chefin Saskia in einem New Yorker Innenarchitekturbüro zur Antiquitätensuche in den Londoner Einkaufsstraßen mit ihrer eigensinnigen Nachbarin, die immer Strickjacken trug, und zwei Schäferhunden im Schlepptau. Es waren viele große Veränderungen auf einmal und sie war sich nicht ganz sicher, wie es gerade in ihr aussah.

„Das kommt darauf an, wie hektisch es im Laden wird“, antwortete sie unverbindlich. „Die Auktion benötigt mehr Arbeit, als ich gedacht habe.“

„Klar“, sagte Tom und schien keineswegs zwischen den Zeilen zu lesen. Die Nuancen und Untertöne zu deuten, war keine von Toms Stärken, was sie ebenfalls an ihm mochte. Er nahm alles genauso hin, wie es gesagt wurde. Anders als bei ihrer Mutter und Schwester, die sie stichelten und ihr jedes Wort im Mund umdrehten, versuchte Tom gar nicht erst, etwas zu hinterfragen. Er legte alle Karten auf den Tisch.

Genau in diesem Moment klingelte die Glocke über der Eingangstür der Patisserie und Toms Blick schweifte über Laceys Schulter. Sie sah, wie sich seine Gesichtszüge zu einer Grimasse verzerrten, bevor er seinen Blick wieder auf sie richtete.

„Großartig“, murmelte er leise. „Ich habe mich schon gefragt, wann Dick und Doof endlich vorbeikommen würden. Bitte entschuldige mich.“

Er stand auf und kam hinter dem Tresen hervor.

Gespannt darauf, wer eine solche instinktive Reaktion bei Tom auslösen würde – einem Mann, der dafür bekannt war, immer entspannt und freundlich zu sein – drehte sich Lacey auf ihrem Hocker um.

Die Kunden, die das Geschäft betreten hatten, waren ein Mann und eine Frau, die so aussahen, als kämen sie gerade direkt von dem Set der Serie Dallas. Der Mann trug einen taubenblauen Anzug mit Cowboyhut. Die Frau, die viel jünger war – dies schien die Präferenz der meisten Männer mittleren Alters zu sein, dachte Lacey ironisch – war in einem knallpinken Zweiteiler gekleidet, der hell genug war, um Lacey Kopfschmerzen zu bereiten, und sich fürchterlich mit ihrer gelben Dolly-Parton-Frisur schlug.

„Wir hätten gerne ein paar Kostproben“, keifte der Mann. Er war Amerikaner und seine Schroffheit passte überhaupt nicht in Toms idyllische, kleine Patisserie.

Oh Gott, ich hoffe, ich klinge für Tom nicht auch so, dachte Lacey verlegen.

„Natürlich“, antwortete Tom höflich und sein englischer Akzent schien sich als Reaktion darauf noch verstärkt zu haben. „Was würden Sie gerne kosten? Wie haben Backwaren und…“

„Igitt, Buck, nein“, sagte die Frau zu ihrem Ehemann und zerrte an seinem Arm, in den sie sich eingehängt hatte. „Du weißt doch, dass mich Weizen aufbläht. Frag ihn nach etwas anderem.“

Lacey zog bei dem Anblick des seltsamen Paares eine Augenbraue hoch. War die Frau nicht in der Lage, eigene Fragen zu stellen?

„Haben sie Schokolade?“, fragte der Mann, den sie Buck genannt hatte. Eigentlich klangen seine Worte mit seinem rüpelhaften Ton viel mehr nach einer Forderung.

„Natürlich“, sagte Tom, der es irgendwie schaffte, vor dem Großmaul und seiner Klette ruhig zu bleiben.

Er brachte sie zur Auslage mit der Schokolade und gestikulierte mit einer Hand. Buck nahm ein Stück in seine fleischige Faust und stopfte es sich direkt in den Mund.

Augenblicklich spuckte er es wieder aus. Der kleine, weiche, halb gekaute Brocken klatschte auf dem Boden auf.

Chester, der die ganze Zeit still an Laceys Füßen gesessen hatte, sprang auf und stürzte darauf zu.

„Chester, nein“, warnte sie ihn mit der strengen, autoritären Stimme, bei der er genau wusste, dass er folgen musste. „Giftig.“

Der englische Hirtenhund sah sie an, blickte sehnsüchtig zurück auf die Schokolade und ließ sich mit dem Ausdruck eines verschmähten Kindes wieder an dem Platz bei ihren Füßen nieder.

„Igitt, Buck, da ist ein Hund im Laden!“, klagte die blonde Frau. „Das ist so unhygienisch.“

„Die Hygiene ist sein geringstes Problem“, spottete Buck, als er Tom wieder ansah, dessen Gesichtsausdruck nun etwas beschämt wirkte. „Ihre Schokolade schmeckt nach Dreck!“

„Amerikanische Schokolade und englische Schokolade sind unterschiedlich“, sagte Lacey, die Tom in Schutz nehmen wollte.

„Ach wirklich“, antwortete Buck. „Sie schmeckt schrecklich! Und die Queen isst diesen Mist? Die braucht ein paar ordentliche Produkte aus Amerika, wenn Sie mich fragen.“

Irgendwie schaffte es Tom, weiterhin ruhig zu bleiben, während Lacey bereits brodelte.

Der rohe Kerl und sein dümmliches Wrack einer Frau eilten aus dem Laden und Tom holte ein Taschentuch, um die ausgespuckte Schokolade aufzuwischen, die sie zurückgelassen hatten.

„Die waren so unhöflich“, sagte Lacey ungläubig, als Tom den Boden reinigte.

„Sie wohnen in Carols B&B“, erklärte er auf Händen und Füßen, während er mit dem Tuch über die Fliesen wischte. „Sie hat mir erzählt, dass sie fürchterlich sind. Der Mann, Buck, schickt jede Speise zurück in die Küche, die er bestellt. Natürlich erst, nachdem er schon die Hälfte gegessen hat. Die Frau behauptet ständig, dass ihr die Shampoos und Seifen Ausschläge machen, aber jedes Mal, wenn ihr Carol etwas Neues bringt, sind die alten Flaschen auf mysteriöse Weise verschwunden.“ Er stand auf und schüttelte den Kopf. „Sie machen allen das Leben zur Hölle.“

„Oh“, sagte Lacey und schob sich den letzten Bissen Croissant in den Mund. „Dann sollte ich mich wohl glücklich schätzen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie an Antiquitäten interessiert sind.“

Tom pochte auf den Tresen. „Klopf auf Holz, Lacey. Du willst es doch nicht verschreien.“

Lacey wollte gerade sagen, dass sie nichts für einen solchen Aberglauben übrighatte, aber dann fiel ihr der alte Mann mit der Ballerina ein und sie entschied sich, das Schicksal nicht herauszufordern. Sie klopfte auf die Theke.

„Hier. Der Fluch ist gebrochen. Jetzt sollte ich lieber gehen. Ich muss noch eine Menge Dinge schätzen vor der morgigen Auktion.“

Die Glocke über der Tür klingelte und Lacey blickte hinüber auf die große Gruppe an Kindern, die gerade hineinstürmte. Sie waren alle festlich gekleidet und trugen Hüte. Unter ihnen befand sich ein kleines, pummeliges Kind, das als Prinzessin verkleidet war und einen Heliumballon in der Hand hielt. Ohne sich an irgendjemand Speziellen zu richten, schrie es: „Ich habe heute Geburtstag!“

Lacey drehte sich mit einem Grinsen im Gesicht zu Tom. „Sieht so aus, als hättest du gleich alle Hände voll zu tun.“

Er wirkte überrascht und ein wenig beklommen.

Lacey sprang von dem Hocker herunter, gab Tom einen flüchtigen Kuss und überließ ihn der Gnade der achtjährigen Mädchen.

*

Zurück in ihrem Geschäft machte sich Lacey wieder daran, die nautischen Artikel für die morgige Auktion zu schätzen.

Sie war besonders aufgeregt über einen Sextanten, den sie an einem besonders ungewöhnlichen Ort gefunden hatte: einem Wohltätigkeitsladen. Sie war eigentlich nur hineingegangen, um eine Retrospielkonsole zu kaufen, die sie in der Auslage gesehen hatte – ein Gerät, das ihr computerbesessenen Neffe Frankie mit Sicherheit lieben würde – als sie auf ihn gestoßen war. Ein doppelt gerahmter Sextant mit Mahagoniverkleidung und Elfenbeingriffen aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert! Er hatte dort einfach auf dem Regal zwischen bunten Tassen mit Aufschriften und einigen Teddybären gestanden, die so kitschig waren, dass einem übel wurde.

Lacey hatte ihren Augen kaum getraut. Sie war schließlich noch ein Neuling bei Antiquitäten. Ein solcher Fund musste eigentlich Wunschdenken sein. Doch als sie hinübergeeilt war, um das Stück zu begutachten, hatte sie auf der Unterseite eine Inskription mit den Worten ‚Bate, Poultry, London’ gefunden, die ihre bestätigte, dass sie einen echten, seltenen Robert Bretell Bate in ihren Händen hielt!

Sofort hatte Lacey Percy angerufen, wissend, dass er der einzige Mensch auf der Welt war, der sich genauso darüber freuen würde. Und sie hatte recht behalten. Der Mann hatte so geklungen, als wäre es schon Weihnachten.

„Was wirst du damit machen?“, hatte er gefragt. „Du musst eine Auktion abhalten. Ein so seltenes Objekt kann nicht einfach nur auf eBay gestellt werden. Es verdient eine Parade.“

Während sich Lacey darüber gewundert hatte, dass Percy in seinem Alter noch wusste, was eBay war, hatte sich ihr Verstand bereits an das Wort Auktion geheftet. Könnte sie das machen? Schon so bald nach der ersten eine weitere Auktion abhalten? Davor musste sie eigentlich noch die ganzen viktorianischen Möbel aus einem riesigen Anwesen verkaufen. Sie konnte nicht einfach eine Auktion für ein Objekt abhalten. Abgesehen davon fühlte es sich unmoralisch an, eine echte Rarität in einem Wohltätigkeitsladen zu kaufen, wenn man den wirklichen Wert kannte.

„Ich weiß“, sagte Lacey, der gerade eine Idee gekommen war. „Ich werde den Sextant als Lockvogel verwenden, als die Hauptattraktion für eine allgemeine Auktion. Und alles, was ich bei seinem Verkauf einnehmen kann, werde ich dem Wohltätigkeitsladen zukommen lassen.“

Das würde zwei Dilemmas lösen; das unangenehme Gefühl, etwas unter seinem echten Wert von einer Wohltätigkeitsorganisation zu kaufen, und was sie damit tun sollte, sobald sie ihn besaß.

Und so war der gesamte Plan entstanden. Lacey hatte den Sextanten gekauft (und die Konsole, die sie in ihrer Aufregung fallen gelassen und beinahe vergessen hatte, wieder aufzuheben), sich für ein nautisches Thema entschieden und dann damit begonnen, die Auktion auf die Beine zu stellen und anzupreisen.

Das Geräusch der Glocke über der Eingangstür riss Lacey aus ihren Gedanken. Sie sah auf und erblickte ihre grauhaarige Nachbarin mit Strickjacke, Gina, die gerade mit ihrem Border Collie Boudicca im Schlepptau hereinmarschierte.

„Was machst du denn hier?“, fragte Lacey. „Ich dachte, wir treffen uns zum Lunch.“

„Das tun wir!“, antwortete Gina und deutete auf die große Uhr aus Messing und Schmiedeeisen, die an der Wand hing.

Lacey blickte hinüber. Abgesehen von den anderen Objekten in der „nordischen Abteilung“ war die Uhr unter ihren meist geliebten Dekorationselementen im Laden. Sie war eine Antiquität (selbstverständlich) und sah so als, als wäre sie einst auf der Vorderseite eines viktorianischen Armenhauses gehangen.

„Oh!“, platze Lacey hervor, als sie die Uhrzeit las. „Es ist halb zwei. Schon? Der Tag ist einfach verflogen.“

Es war das erste Mal, dass die beiden Freunde beschlossen hatten, den Laden für eine Stunde zu schließen und ein richtiges Mittagessen miteinander zu verbringen. Und mit „beschlossen“ war viel eher gemeint, dass Gina Lacey an einem Abend mit zu viel Wein abgefüllt und so lange überredet hatte, bis sie eingeknickt war und eingewilligt hatte. Es stimmte, dass fast jeder Bewohner und Besucher von Wilfordshire seine Mittagsstunde in einem Café oder Pub verbrachte, statt die Regale eines Antiquitätenladen zu durchforsten, und so würde die eine Stunde wohl kaum einen großen Einfluss auf Laceys Umsatz haben. Doch seitdem Lacey erfahren hatte, dass dieser Montag ein Feiertag war, zweifelte sie an ihrer Entscheidung.

„Vielleicht ist es doch keine gute Idee“, sagte Lacey.

Gina stemmte die Hände in ihre Hüften. „Warum? Welche Ausrede hast du dieses Mal?“

„Nun, mir war nicht klar, dass heute ein Feiertag ist. Es sind viel mehr Menschen unterwegs als üblicherweise.“

„Viel mehr Menschen, nicht viel mehr Kunden“, sagte Gina. „Denn jeder einzelne von ihnen wird innerhalb der nächsten zehn Minuten in einem Pub oder Café einkehren, genauso wie wir es auch tun sollten! Komm schon, Lacey. Wir haben bereits darüber gesprochen. Keiner kauft Antiquitäten um die Mittagszeit!“

„Aber was, wenn einige von ihnen Europäer sind?“, sagte Lacey. „Du weißt doch, dass sie am Festland alles etwas später machen. Wenn sie um neun oder zehn Uhr Abendessen, zu welcher Zeit haben sie dann ihr Mittagessen? Wahrscheinlich nicht um ein Uhr!“

Gina fasste sie an den Schultern. „Du hast recht. Aber sie verbringen die Mittagsstunde stattdessen mit einer Siesta. Sollte es irgendwelche europäischen Touristen geben, dann schlafen sie in der nächsten Stunde. Um es in Worte zu fassen, die du verstehst: Kein Einkaufen in Antiquitätenläden!“

„Na gut. Also schlafen die Europäer. Aber was, wenn sie von einem weiter entfernten Land kommen und ihre biologischen Uhren noch nicht auf unsere Zeit eingestellt sind. Dann haben sie zur Mittagszeit noch keinen Hunger und wollen stattdessen vielleicht Antiquitäten einkaufen.“

Gina verschränkte ihre Arme. „Lacey“, sagte sie auf eine mütterliche Art. „Du brauchst eine Pause. Du wirst dich noch selbst in den Ruin treiben, wenn du jede Minute jedes Tages innerhalb dieser vier Wände verbringst, egal wie hübsch sie auch dekoriert sein mögen.“

Lacey verzog ihren Mund. Dann stellte sie den Sextanten auf dem Tresen ab und kam in den vorderen Bereich des Ladens. „Du hast recht. Eine Stunde kann doch wirklich nicht schaden, oder?“

Dies waren die Worte, die Lacey schon bald bereuen würde.

Der Tod und Ein Hund

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