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1.1 Zwischen den Strömen

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Ostpreußen liegt zwischen den Mündungen von Weichsel und Memel in die Ostsee. An deren Ufer schwingen sich zwei konkave Sandbögen nordwärts: die Frische und die Kurische Nehrung. Dazwischen ragt als Eckpfeiler die sich dem Meer entgegenstemmende Nase der Halbinsel Samland. Die beiden Ströme berühren das Land nur mit ihrem Unterlauf. Sie kommen von weither. Die Weichsel hoch von den Beskiden, die Memel aus den Mooren Weißrusslands. Dort singt ihr der Bauer Lieder. Den Litauern ist sie der größte aller Ströme. Dieses Format trug sie dann in das einstige Gebiet des Deutschen Reiches und prägte das Leben der Deutschen. So bedeutsam galt sie denen, dass sie seinen Namen ihrer ersten Nationalhymne eingefügt haben. Obwohl der Fluss sich völlig multikulturell gibt. Die Weichsel hingegen ist als flüssiges Rückgrat Polens strenge Nationalistin. Spät erst, ab Thorn etwa, nimmt sie Kontakt mit den Deutschen auf. Schicksalhaft fast, denn von diesem Ort aus begann die Eroberung des Landes durch den Deutschen Ritterorden.

Das geographische Bild haben die Gletscher gezeichnet. Die weiten Flächen der Grundmoräne im Norden und Nordwesten tragen gute Frucht, bieten aber dem Auge nur wenig Anziehendes. Nur dort, wo sich die wenigen Flüsse von den Masurischen Seen her nach Norden verirrt haben, bieten sich tief eingeschnittene und vielfältig geschwungene Engtäler, romantische Einsprengsel in das sonst strenge Einerlei. Hier ist das Gebiet der Schlösser und Herrensitze. Der Adel wusste, welche Böden ihm standesgemäßes Leben ermöglichten.

Anders dagegen der weitgeschwungene Bogen der Endmoränen. Tausende Seen widerspiegeln das Himmelsblau. Sie können sich lang und schmal dahinziehen, dann sind sie mitunter grundlos tief. Sie können sich aber auch weithin strecken, sodass du das gegenüber liegende Ufer mit Mühe erahnen kannst. Diese Augen des Landes sind in ein grünes Meer eingebettet. Endlose Wälder bedecken Täler wie Höhen. Kilometer- und tagelang kannst du dort laufen, ohne einen Menschen zu treffen, vielleicht einen allwissenden Förster oder eine schweigsame Pilzsammlerin. Siedlungen kannst du ungesehen umgehen, ganz mit dir und der Natur eins. Die Seen senden Flüsse, Fließe, Bäche durch die endlosen Sanderplatten nach Süden, nach Polen hinein.

So gut wie alle verbinden sich mit dem Beskidenfluss. In ihm strömen sie zur See. Masuren ist das romantische Wald- und Seengebiet. Der Name verrät die Herkunft der Bewohner aus dem polnischen Masowien. Adelssitze findest du hier kaum. Ist der Boden lehmig, dann birgt er Steine en gros, ist er sandig, dann ist er bewaldet und wo die Wässer um sich herum Sümpfe geschaffen haben, da muss er trocken gelegt werden, um wenigstens Rinderhaltung zu ermöglichen. Reich konntest du dort nicht werden. Roggen, Rüben und Kartoffeln waren die Ausbeute.

In vielen Dörfern standen noch 1945 die geduckten schwarzen Holzbalkenhütten der Bauern aus dem 19. Jahrhundert. Die Menschen redeten noch bis zum größten aller Kriege ihren aus der Heimat mitgebrachten Dialekt, den Deutschen unverständlich. Selbst wenn sie vor Gericht traten, brauchten die Juristen Dolmetscher. Wie auch bei den Litauern am deutschen Teil der Memel.

Was für eine Mischung: Deutsche, Litauer, Polen, jeder mit seiner eigenen Sprache. Da konnte es geschehen, dass der Autor 1926 in Masuren geboren wurde, aber kein masurisch sprach, wie auch seine Eltern nicht. Die stammten von der Memel, sprachen aber kein litauisch. Welche Sprache die Eltern des Vaters beherrschten, weiß er nicht, deutsch unbedingt, so wie die Eltern der Mutter. Aber deren Mutter, die Großmutter des Autors, sprach bis zur Einschulung nur Litauisch, Deutsch lernte sie im ersten Schuljahr als Fremdsprache hinzu. Deren Mutter wuchs in einer nur litauisch sprechenden Familie auf und ihr unehelicher Vater war Pole aus dem gemischt polnisch-litauischen Gebiet von Vilnius. Der Großvater des Autors stammte aus einer deutschen Familie, beherrschte für den Handel nach Russisch-Litauen etwas von beiden Sprachen. Die Verwandtschaft des Vaters dagegen sprach ausschließlich deutsch. Als der nach Masuren kam, wollte er sich mit seinen Kunden in ihrem Jargon unterhalten können, hat aber das Vorhaben nie realisiert. Die Verkäuferinnen in seinem Laden, alle aus Bauernfamilien, beherrschten die Sprache ihrer slawischen Vorfahren. So ist der Autor im Bewusstsein dieser sprachlichen Vielfalt aufgewachsen, nichts war ihm natürlicher. In welcher Sprache seine Vorfahren auch geredet haben mögen, sie alle fühlten sich als Bürger des Deutschen Reiches. Sie bewiesen das nach 1945. Als der polnische Nachfolgestaat den nach der großen Flucht zurückgebliebenen oder zurückgekehrten Landsleuten den dauernden Aufenthalt anbot, haben die meisten von ihnen das Land verlassen und sind in das deutsche Rest-Reich gefahren.

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