Читать книгу Ein Werdender - Dritter Band - Fjodor M. Dostojewski - Страница 8

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In diese Erregung wurde ich durch einen unerwarteten Besuch von Darja Onisimowna, der Mutter der verstorbenen Olla, versetzt. Ich hatte von Mama bereits gehört, daß sie während meiner Krankheit zweimal dagewesen war und sich sehr für mein Befinden interessiert hatte. Ob diese »gute Frau«, wie Mama sie immer nannte, eigentlich meinetwegen gekommen war, oder bloß nach einer früheren Gewohnheit Mama besucht hatte, – danach hatte ich nicht gefragt. Mama pflegte mir immer von allen Vorgängen im Hause zu erzählen, wenn sie mir die Suppe brachte und mich fütterte (als ich noch nicht selber essen konnte), – sie tat das, um mich zu zerstreuen: ich aber bemühte mich, demgegenüber jedesmal zu zeigen, daß ich mich für diese Nachrichten wenig interessierte; so hatte ich sie auch wegen Darja Onisimowna nicht nur nicht näher ausgefragt, sondern überhaupt kein Wort darüber gesagt.

Es war so gegen elf Uhr; ich hatte gerade aus dem Bett aufstehen und mich in den Lehnstuhl am Tische setzen wollen, als sie ins Zimmer trat. Ich blieb absichtlich im Bette. Mama war oben mit irgend etwas sehr beschäftigt und war nicht heruntergekommen, sie zu begrüßen; deshalb war ich auf einmal allein mit ihr. Sie setzte sich mir gegenüber auf den Stuhl am Fußende; dabei lächelte sie und sagte kein Wort. Ich sah eine Art Gesellschaftsspiel, wer am längsten schweigen könne, voraus; überhaupt hatte ihr Kommen mich höchlichst geärgert. Ich nickte ihr nicht einmal zu und sah ihr starr in die Augen: aber sie sah mich gleichfalls starr an.

»Langweilen Sie sich nicht allein in der; Wohnung, seit der Fürst fort ist?« fragte ich plötzlich: ich hatte die Geduld verloren.

»Nein, ich bin jetzt gar nicht mehr in der Wohnung. Anna Andrejewna hat mir jetzt die Pflege des Kindes verschafft.«

»Welches Kindes?«.

»Des Kindes von Andrej Petrowitsch«, brachte sie in vertraulichem Flüstertone hervor und schaute sich nach der Tür um.

»Aber ich dächte doch, Tatjana Pawlowna . . .«

»Ja, auch Tatjana Pawlowna und Anna Andrejewna, alle zwei, und Lisaweta Makarowna auch, und Ihre liebe Frau Mama . . . alle. Alle nehmen sie Anteil daran. Tatjana Pawlowna und Anna Andrejewna sind jetzt sehr befreundet miteinander.«

Das war eine Neuigkeit. Sie wurde ordentlich munter beim Sprechen. Ich sah sie haßerfüllt an.

»Sie sind sehr munter geworden, seit Sie das letztemal bei mir waren.«

»Ach ja.«

»Sie haben auch zugenommen, glaube ich?«

Sie sah mich mit sonderbarem Ausdruck an:

»Ich habe sie sehr liebgewonnen, sehr.«

»Wen denn?«

»Ja, eben Anna Andrejewna. Sehr lieb. So ein edles Fräulein, und so gescheit . . .«

»Na also! Na, und sie, wie geht's ihr!«

»Anna Andrejewna ist sehr ruhig, sehr.«

»Ruhig war sie ja immer.«

»Ja, immer.«

»Wenn Sie mir mit Klatschgeschichten kommen,« schrie ich plötzlich, – ich konnte mich nicht mehr halten – »so merken Sie sich, daß ich mich um nichts kümmre, ich habe mich entschlossen, mich . . . um nichts, um niemand mehr zu kümmern, mir ist alles gleich – ich gehe auf und davon! . . .«

Ich verstummte, weil ich wieder zu mir kam. Mich deuchte es eine Erniedrigung, ihr gleichsam meine neuen Pläne mitzuteilen. Aber sie hörte mich ohne Staunen und ohne Erregung an; dann folgte wieder das Schweigespiel. Plötzlich stand sie auf, ging zur Tür und schaute ins Nebenzimmer. Als sie sich davon überzeugt hatte, daß sich dort niemand befand, und daß wir allein waren, kam sie ganz ruhig wieder zurück und setzte sich auf ihren früheren Platz.

»Das machen Sie gut!« lachte ich plötzlich auf.

»Werden Sie Ihre Wohnung bei dem Herrn Beamten behalten?« fragte sie auf einmal, beugte sich ein wenig zu mir vor und senkte ihre Stimme, genau, als wäre das die wichtigste Frage, wegen der sie eigentlich gekommen war.

»Meine Wohnung? Ich weiß nicht. Vielleicht ziehe ich auch um . . . Wie soll ich das wissen?«

»Ihre Wirtsleute warten mit Sehnsucht auf Sie; der Herr Beamte ist ordentlich ungeduldig, und seine Frau auch. Andrej Petrowitsch hat ihnen versichert, Sie kämen bestimmt wieder.«

»Ja, aber was interessiert Sie denn das?«

»Anna Andrejewna wollte das auch gern wissen und äußerte ihre große Zufriedenheit damit, daß Sie bleiben wollten.«

»Aber woher weiß sie denn so genau, daß ich ganz bestimmt in der Wohnung bleibe?«

Ich wollte hinzufügen: »Und warum interessiert sie das?« – aber ich unterdrückte diese Frage aus Stolz.

»Auch Herr Lambert hat es ihr versichert.«

»Wa–a–as?«

»Herr Lambert hat es auch Andrej Petrowitsch ganz bestimmt versichert, daß Sie bleiben würden, und hat es auch Anna Andrejewna versichert.«

Es schüttelte mich ordentlich. Was für wundersame Begebenheiten! So kannte Lambert also schon Wersilow, Lambert hatte sich an Wersilow heranmachen können, – Lambert und Anna Andrejewna, – er hatte sich auch schon an sie heranmachen können! Eine Hitze überflog mich, aber ich schwieg. Ein ungeheurer Strom von Stolz überflutete mein Herz, von Stolz, oder was weiß ich wovon. Aber ich sagte in dem Augenblick plötzlich zu mir selber: »Wenn ich jetzt nur noch ein Wort der Erklärung verlange, dann verwickle ich mich wieder in diese Welt und komme nie dazu, mit diesen Leuten entschieden zu brechen.« Der Haß kochte in meinem Herzen. Ich beschloß mit aller Kraft zu schweigen und lag, ohne mich zu rühren; sie blieb gleichfalls eine ganze Minute stumm.

»Was macht Fürst Nikolaj Iwanowitsch?« fragte ich plötzlich, als hätte ich den Verstand verloren. Die Sache war die, daß ich natürlich fragte, um das Thema zu wechseln, dabei stellte ich aber wiederum gerade die Hauptfrage und kehrte damit wie ein Irrsinniger selber wieder in die Welt zurück, der zu entfliehen ich so krampfhaft entschlossen war.

»Der Fürst ist in Zarskoje-Selo. Der Fürst ist nicht ganz wohl, und in der Stadt herrschen um die Jahreszeit ja diese Fieber; alle haben ihm geraten, nach Zarskoje zu ziehen, in sein eignes Haus dort, weil die Luft dort so gut ist.«

Ich antwortete nicht.

»Anna Andrejewna und die Frau Generalin besuchen ihn jeden dritten Tag!« Ich schwieg hartnäckig.

»Und so befreundet sind die beiden jetzt, und Anna Andrejewna äußert sich so freundlich über Katerina Nikolajewna . . .«

Ich schwieg immer noch.

»Und Katerina Nikolajewna hat sich wieder in die Welt ›gestürzt‹, ein Fest nach dem andern, Katerina Nikolajewna glänzt förmlich; man sagt, sogar die Herren bei Hofe sollen alle in sie verliebt sein . . . und mit Herrn Bjoring ist es ganz aus, und aus der Hochzeit wird nichts; das sagen alle . . . seitdem damals die Sache war.«

Das hieß also: seit Wersilows Brief. Ich zitterte am ganzen Leibe, sagte aber kein Wort.

»Anna Andrejewna bedauert die Sache mit Fürst Sergej Petrowitsch so sehr und Katerina Nikolajewna auch, und alle meinen, er wird freigesprochen werden, und der andre, der Stebelkow, verurteilt . . .«

Ich sah sie voll Haß an. Sie stand auf und beugte sich plötzlich über mich:

»Anna Andrejewna hat mir besonders aufgetragen, mich nach Ihrem Befinden zu erkundigen«, flüsterte sie mir ganz leise zu, »und mir dringend aufgetragen, ich soll Sie bitten, gleich zu ihr zu kommen, sobald Sie nur ausgehen können. Leben Sie wohl! Werden Sie nur gesund, ich werde es ihr schon sagen . . .«

Sie ging. Ich setzte mich im Bette auf, der kalte Schweiß trat mir auf die Stirn, aber ich fühlte keinen Schrecken: die mir unbegreifliche, ungeheuerliche Nachricht über Lambert und seine Ränke zum Beispiel erschreckte mich durchaus nicht, wenn ich es mit dem vielleicht unsinnigen Entsetzen verglich, mit dem ich während meiner Krankheit und der ersten Tage meiner Genesung an meine Begegnung mit ihm in jener Nacht zurückgedacht hatte. Im Gegenteil, in jenem wirren ersten Augenblick, damals im Bette, gleich nachdem Darja Onisimowna gegangen war, hielt ich mich beim Gedanken an Lambert gar nicht auf, sondern . . . am meisten hatte mich die Nachricht über sie ergriffen, über ihren Bruch mit Bjoring, über das Glück, das sie in der Welt mache, über ihre Feste, ihren Erfolg, ihren »Glanz«. »Katerina Nikolajewna glänzt förmlich«, klangen mir Darja Onisimownas Worte in den Ohren. Und ich fühlte auf einmal, daß ich mit allen meinen Kräften nicht aus diesem Wirbel hinauskonnte, obgleich ich so stark gewesen war, zu schweigen und Darja Onisimowna nicht auszufragen, nachdem ich ihre sonderbaren Geschichten vernommen hatte. Ein unbezwinglicher Durst nach diesem Leben, nach dem Leben der andern hatte mein ganzes Inneres ergriffen und . . . und noch ein andrer wollüstiger Durst, der sich in meinem Gefühl bis zum höchsten Glück, bis zum quälendsten Schmerz steigerte. Meine Gedanken wirbelten gleichsam im Kreise, aber ich ließ sie wirbeln. »Was soll ich da groß überlegen!« sagte mein Gefühl. »Aber sogar Mama hat mir verschwiegen, daß Lambert da war,« dachte ich in zusammenhanglosen Gedankenbruchstücken, »das hat ihr Wersilow beigebracht, daß sie schweigen sollte . . . Und wenn ich sterben muß, ich frage Wersilow nicht nach Lambert!« – »Wersilow,« ging es mir wieder durch den Kopf, »Wersilow und Lambert, oh, wieviel Neues sich da angesponnen hat! Ein famoser Kerl, der Wersilow! Er hat diesem Deutschen, dem Bjoring, einen gesunden Schrecken eingejagt mit seinem Briefe; er hat sie verleumdet, la calomnie . . . il en reste toujours quelque chose, und dieser deutsche Höfling hat eine Heidenangst vor dem Skandal – hahaha . . . ihr ist's auch eine gute Lehre!« – »Lambert . . . hat sich Lambert nicht am Ende auch an sie heranmachen können? Kunststück! Warum sollte sie sich auch nicht mit ihm ›einlassen‹?«

Und dann schob ich auf einmal alle diese unsinnigen Gedanken beiseite und wühlte meinen Kopf verzweifelt in die Kissen. »Das kann ja nicht sein!« rief ich mit plötzlicher Entschlossenheit, sprang aus dem Bette, zog Pantoffeln und Schlafrock an und begab mich direkt in Makar Iwanowitschs Zimmer, als wäre da der Blitzableiter für alle Versuchungen, der Rettungsanker, an den ich mich klammern könnte.

In der Tat ist es möglich, daß ich diesen Gedanken damals aus tiefster Seele empfand; weshalb wäre ich denn sonst so unaufhaltsam und plötzlich aus dem Bette gesprungen und in dieser Gemütsverfassung zu Makar Iwanowitsch gerannt?

Ein Werdender - Dritter Band

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