Читать книгу Milten & Percy - Der Tod des Florian C. Booktian - Florian C. Booktian - Страница 9

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Zurück im Revier setzten sie sich an ihre Schreibtische. Die Bildschirme ihrer Computer waren so aufgestellt, dass sie sich problemlos ins Gesicht sehen konnten. Auf Miltens Schreibtisch herrschte penible Ordnung, während auf Percys zwischen halb ausgefüllten Berichten angebissene Schokoriegel lagen, die sich mit einem Slinky und Gameboy Advance das Durcheinander teilten. In dem Gameboy steckte das Spiel Donkey Kong Country und genau damit wollte Percy die nächste halbe Stunde verbringen.

Er schnappte sich die mobile Spielkonsole und schaltete sie ein. Der Bildschirm blieb schwarz. Die Batterien waren leer. Percy seufzte und warf den Gameboy zurück auf den Schreibtisch. Dann konnte er genauso gut in Sharpytown Bescheid geben, dass die ehemalige Bürgermeisterin getötet worden war. Trotz der gegensätzlichen Schreibtischverhältnisse war es doch er, der regelmäßig die Berichte tippte und einreichte. Milten korrigierte dann seine Rechtschreibfehler und stellte hier und da eine Formulierung um. Das gefiel ihm, denn so wurden die Berichte zu kleinen Geschichten und Percy gab sich Mühe und hatte Spaß daran, alles sachlich aufzuarbeiten. Dass ihm Milten beigebracht hatte, Spaß mit dem Papierkram zu haben, war bewundernswert, denn es war der lästigste Teil seines Berufes. Das Einzige, das er noch weniger leiden konnte, war, einen Angehörigen vom Tod eines geliebten Menschen zu berichten.

Vanessa May, die tote Bürgermeisterin, hatte keine Angehörigen. Jedenfalls wusste Percy von keinem, der freiwillig die Blutsverwandtschaft mit der verräterischen Politikerin eingestehen würde. Aber die Sache mit dem Bilderbuch ließ ihm keine Ruhe.

„Milten?“, sagte Percy. „Könntest du mal mit dem Verlag von Booktian telefonieren? Ich will nur ausschließen, dass sich da in letzter Zeit irgendwas ereignet hat. Irgendwelche verrückten Todesdrohungen oder ein Stalker, der dem Vielschreiberling hinterherstellt.“

„Selbstverständlich“, sagte Milten und legte einen Stapel Papier fein säuberlich in die Schreibtischablage. Dann startete er seinen Rechner und suchte nach der Telefonnummer des Verlags. Als ihm am anderen Ende der Leitung eine junge Dame antwortete, stellte er sich als Detective vor und verlangte, mit demjenigen zu sprechen, der für Booktian zuständig war.

Unterdessen zückte Percy sein Smartphone und suchte in seinen Kontakten nach Rachel. Der attraktiven Frau, die er in Sharpytown aus den Fängen des gefährlichen Walrossbärs gerettet hatte, und mit der er erst vor Kurzem einen traumhaften Urlaub verbracht hatte. Seither wechselten sie sporadisch Nachrichten. Die Beziehung zwischen ihnen war etwas abgekühlt und auf einer freundschaftlichen Ebene stehen geblieben. Und das war Percy ganz recht so. Das Erdmännchen tippte die Nachricht ein.

Hi Rachel, hier ist dein Südsee-Erdmännchen mit einer schlechten Nachricht: Vanessa May wurde ermordet. Die Details erspare ich dir. Melde dich!

Er drückte auf Senden. Mit einer baldigen Antwort war nicht zu rechnen, ihr letzter Nachrichtenwechsel lag schon mehr als eine Woche zurück und Rachel schaute nur gelegentlich auf ihr Handy. Sie gehörte zu den Menschen, die es weder regelmäßig bei sich trugen noch es als schlimm erachteten, wenn der Akku irgendwann im Verlauf der Woche krepierte.

Am gegenüberliegenden Schreibtisch hängte Milten gerade den Hörer auf.

„Was hast du rausbekommen?“, fragte Percy.

„Nicht viel. Eine gewisse Beth betreut Booktian bei TailStripe Ltd. Er ist eine ziemlich große Nummer im Literaturgeschäft, ich habe mich vor dem Anruf mal etwas schlau gemacht. Er hat weit über 200 Bücher geschrieben und sitzt laut Beth gerade an dem, was er als seinen Magnum Opus beschreibt. Sie hat mir versprochen, sich bei mir zu melden, sobald sie mit Booktian in Kontakt getreten ist.“

„Na, das kann ja was werden“, sagte Percy. „Ich habe Booktian bereits einmal getroffen, hab mir eines seiner Bücher unterschreiben lassen. Er ist nett, fast schon freundlich, wenn man bedenkt, dass er durch den Fankontakt davon abgehalten wird, seine Geschichten zu Papier zu bringen. Aber das ist schon eine Weile her. Er soll sich in die Knuppelberge zurückgezogen haben. In eines seiner luxuriösen Anwesen.“

„Ein exzentrischer Künstler?“, fragte Milten.

Percy verzog ungläubig die Mundwinkel und gestikulierte ein soso. „Ich glaube nicht. Er ist sehr besessen von seiner Arbeit und dass er nie alleine ist, wird wohl auch zu seiner Persönlichkeit beitragen.“

„Wie meinst du das, nie alleine?“

„Jedem Vielschreiberling sitzt so eine Kreatur auf dem Bauch, die eigenständig spricht und denkt und sogar ein paar Hände hat. Wie die, die du abgeknallt hast.“

„Wie ein Parasit?“

„In gewisser Weise ist es wohl so, aber meistens ist es eine freundschaftliche Beziehung. Es soll schon Fälle gegeben haben, in denen sich die beiden gegeneinander gewendet haben. Die meisten koexistieren friedlich. Booktian hat mit seinem zusammen an mehreren Bilderbüchern gearbeitet. Das Schnitzelbärbuch, das wir aus Vanessas Rachen gefischt haben, ist das Ergebnis dieser Zusammenarbeit. Der Bäuchling hat das Buch illustriert und Booktian hat es geschrieben.“

Milten hatte so viele Fragen. Ein Lebewesen mit zwei Gehirnen, die unabhängig voneinander fungierten, aber demselben Körper innewohnten. Teilten sie sich ein Verdauungssystem? Welches Hirn regelte den Sexualtrieb und was, wenn der eine in der Nacht aufs Klo musste, der andere aber tief und fest schlief? Wer kontrollierte das einzige Paar Beine? Milten starrte verträumt in den Ventilator an der Zimmerdecke. In seinem Mund steckte der Bleistift, mit dem er sonst seine Ideen notierte. Das arme Schreibgerät kassierte gerade immer mehr Bissspuren, bald würde er ihn bis zur Mine durchgebissen haben.

Percy zog auf der Suche nach Batterien alle Schubladen an seinem Schreibtisch auf. In der obersten befanden sich Heftklammern und Briefumschläge, Druckerpapier und Stifte, von denen die Hälfte keine Deckel mehr hatte. Percy stieß die Schublade zu und zog an der darunter, der Auszug klemmte und er musste mit der zweiten Pfote nachhelfen, um sie aufzubekommen. Dann erkannte er, warum die Schublade geklemmt hatte. Darin lag etwas, das aussah wie eine Pizza, die man mit Moos bepflanzt hatte, in der Hoffnung eine kleine Zivilisation zu züchten. Pilze sprießten aus der Pizza und der Schimmel kletterte die metallenen Wände empor, um auch den Rest des Schreibtischs für die Pizzapilzkolonie zu erobern. Die gesamte Schublade war von einer perligen Flüssigkeit überzogen, die die Scharniere dem Rost preisgegeben hatte. Der Geruch, der dem Erdmännchen entgegenkam, war fremdartig. Was immer in dieser Schublade gerade zum Leben erwacht war, es atmete keinen Sauerstoff. Percy kniff die Augen zusammen und wollte meinen, dass ein fünfbeiniges Insekt sich gerade ein Stück alten Thunfisch mit einer Stubenfliege teilte. Percy schlug die Schublade sofort wieder zu. Hier waren nirgends Batterien für seinen Gameboy. In der nächsten Schublade hätte ihn eine Ansammlung von kleinen Lebewesen erwartet, deren Biomüll basierte Zivilisation gerade lauthals einen feindlichen Cheeseburger eroberte. Aber dazu kam es gar nicht mehr, Percy machte sich lieber auf den Weg in den nächsten Supermarkt. Milten träumte noch immer vor sich hin.

„Was hältst du davon, wenn wir uns nachher daheim treffen?“, schlug Percy vor. „Ich muss noch ein paar Besorgungen machen. Es ist Donnerstag und der Freitag steht schon vor der Tür. Lassen wir es gut sein für diese Woche. Der Fall mit Vanessa ist sowieso so gut wie eingetütet.“

„Es ist gerade mal Mittag, bist du dir sicher, dass wir uns das leisten können?“

„Milten, du musst lernen, deine Freiheiten auszuleben. Wir ermitteln sowieso rund um die Uhr, wenn es ein Fall verlangt. Dieser Fall verlangt momentan nach neuen Batterien.“

„Dreifach A?“, lästerte Milten.

„Doppel“, gab Percy zurück.

„Dein Gameboy.“

„Richtig, mein Gameboy.“

„Na gut. Ich hab sowieso noch etwas, um das ich mich kümmern sollte.“

„Milten, wenn du vorhast, deiner Ex hinterherzustellen ...“

„Keine Sorge“, sagte Milten und packte die nächste Lüge gleich hinterher. Dabei rutschte seine Stimme eine Oktave tiefer wie so oft, wenn er log. „Das werde ich nicht.“

Percy schenkte Milten einen kritischen Blick. „Milten Greenbutton“, ermahnte er seinen Freund, „halte mich nicht für ein Erdmännchen, das mit faulen Tricks arbeitet. Ich will dir nicht vorschreiben, was du zu tun hast, ich will dir helfen.“

„Ich weiß“, sagte Milten und senkte den Blick auf seinen gewienerten Schreibtisch. „Entschuldigung.“

„Weißt du was, du bekommst eine Aufgabe. Hier“, sagte Percy und kritzelte etwas auf einen Zettel. „Das ist etwas, das uns sehr viel Freude bereiten wird. Fahr in die Yellowbuttonstreet Nummer 64. Dort gibt es einen Laden, der heißt Riggle Raggels Play and Blaze. Der Inhaber ist ein Freund von mir, gib ihm diesen Zettel und bezahle, was er dir einpackt. Dann geh nach Hause. Wir treffen uns dort in ungefähr zwei Stunden.“

„Der Name klingt aber nicht so vertrauenerweckend.“

„Vertrau mir“, sagte Percy und lächelte.

„Ist es etwas Illegales?“

„Oh Milten“, sagte Percy und schüttelte den Kopf. „Du hast ja gar keine Ahnung. So viel Spaß, wie wir damit haben werden, sollte es das eigentlich sein. Wir sehen uns später, ich mach mich auf den Weg.“

Percy warf den Zettel auf Miltens Schreibtisch und verabschiedete sich. Der Erfinder faltete ihn neugierig auseinander. Als er erkannte, was Percy darauf notiert hatte, musste er grinsen.

Milten & Percy - Der Tod des Florian C. Booktian

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