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Kapitel 63: In memoriam

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In Erinnerungen schwelgen. Sechs Jahre ist das jetzt her, und es kommt mir vor, als wär’s eine Ewigkeit – vielleicht meinen sie das ja mit ihren Tausend Nazi-Jahren, daß es uns nach den zehn Jahren, nach denen sie hoffentlich abtreten werden, vorkomme, als wär’s eine Ewigkeit von Tausend Jahren gewesen. Ein ganzes Volk aus der Zeit gefallen. Oder meinen sie vielleicht, das deutsche Volk hätte auch dann Tausend Jahre an ihnen zu knabbern, käme für Tausend Jahre von ihnen nicht los, auch wenn sie schon nach sieben, acht, neun, zehn, fünfzehn Jahren die Macht abgeben, abgeben müßten? Auf daß wir uns für immer und ewig mit ihnen werden beschäftigen müssen. Wegen ihrer Verbrechen. Wegen den Verbrechen, die sie schon begangen haben und von denen wir nur noch nichts wissen, oder denen, die sie noch zu begehen vorhaben. Aber glaube ich wirklich, daß ihr Ende nahe ist? Oder hoffe ich das bloß? Ein paar Jahre gebe ich ihnen noch – wenn ich nur wüßte, was ihrem Regime ein Ende machen könnte. Ein Aufstand der Deutschen? Nie und nimmer.

Speedy ist jetzt – ich muß mir das immer erst ausrechnen, ich kann mir keine Zahlen merken, keine Jahreszahlen und Telephonnummern schon gar nicht: sie ist 1902 geboren und demnach jetzt im Jahre 39 schon 37 Jahre alt und bewegt sich auf die 40 zu. 12 Jahre Altersunterschied zwischen uns, und der bleibt ja immer gleich, und den habe ich auch immer im Kopf, ich hätte es also auch von da aus, von meinen 49 Jahren aus berechnen können, Speedys Alter. Bei mir naht die 50, und das wird ein trauriger Geburtstag werden, weil man ja einen solchen runden Geburtstag gern in großer Runde feiert, mit einer Riesenparty, ich werde aber mit Speedy ganz allein sein an diesem Tag und Geburtstag – vorausgesetzt, ich bin dann schon raus aus dem Knast. Oder ich werde ihn allein in meiner Zelle feiern, diesen Geburtstag. Manchmal komme ich mir vor, als wäre ich schon ein alter Mann, verbraucht, ein Greis, als läge das schon alles hinter mir. Das Leben. Was natürlich auch damit zu tun hat, daß Speedy so deutlich jünger ist als ich und immer noch wie knapp Anfang 30 wirkt. Als altere sie nicht, als bliebe sie dort stehen in dem Alter, wo sie die ihr gemäße Lebensform, Lebensweise gefunden hat, die unnationalsozialistische: verheiratet und Männergeschichten. Wie konserviert kommt sie mir oft vor, frisch wie grad aus dem Kühlhaus, aber auch so, als entwickele sie sich nicht weiter, als würde sie nicht reifer. Geistig. Körperlich unversehrt, die Jahre scheinen spurlos an ihr vorüber zu gehen. Nur ihre Brüste hängen ein bißchen mehr, wenn auch der Unterschied zu früher nur minimal sein dürfte. Doch für mich natürlich, der sie länger kennt und mittlerweile sind das ja auch schon 12 Jahre, deutlich sichtbar, aber ich mag das ja, Hängetitten, besonders, wenn sie so klein sind wie die kleinen von Speedy, für mich erhöht das nur ihren Reiz – da merke ich eben, daß ich damals, als ich Speedy kennenlernte, so alt gewesen bin wie sie jetzt. Aber ich glaube, ich war auch damals schon sehr viel älter. Älter, weil vom Leben enttäuschter. Und als Künstler eine so zerquälte Seele.

33, da war ich 43 – bei mir rechnet sich das ja immer leicht, ich muß nur zur Jahreszahl einen Zehner mit dazuzählen. Natürlich wüßte ich das gerne, wie Speedy und ich damals 33 gewirkt haben mögen, auf diese Verkäuferinnen zum Beispiel, die jungen Dinger – ob ich für die schon als alter Knacker gegolten haben werde. Auch, ob ich für die wenigstens eine Sekunde lang als Frau durchgehen konnte in meiner weiblichen Unterwäsche – wie man sich selbst da sieht, das ist ja was anderes, man betrügt sich doch so gern. Und man schaut in den Spiegel, schaut sich aber nicht ins Gesicht dabei, will nur das sehen, was einem zum Weibe macht. Selektive Wahrnehmung, sehr selektive. Selbstbetrug, das ist der häufigste, der am weitesten verbreitete Betrug und er wird nicht geahndet, nicht strafrechtlich verfolgt, und wenn ich was zu sagen hätte, wenn das meine Diktatur wäre, die der Nazis, bei mir bekäme man einen Orden dafür, für den erfolgreichen Selbstbetrug – aber was rede ich da? Bei den Nazis bekommt man doch einen Orden dafür, das ist sozusagen die Geschäftsgrundlage des ganzen Regimes: massenhafter Selbstbetrug, staatlich geförderter, staatlicherseits ja auch geforderter Selbstbetrug eines ganzen Volkes. Nur fürs Mutterkreuz muß man, beziehungsweise frau, wenn diese Schreibweise in der deutschen Rechtschreibung möglich wäre, die Kinder wirklich und wahrhaftig geboren und in die Welt gesetzt haben – das ist das einzig Reale in diesem irrealen Rummel hier, in dieser Geisterbahn. Das Gitter vor meinem Zellenfenster ist aber auch real, das wollen wir mal nicht vergessen. Aber Fluchtmöglichkeiten, die gibt’s natürlich. Die Flucht zum Beispiel, die ich jetzt wieder antreten werde, die Flucht in die Erinnerungen, die schönen, die aufregenden.

Nein, das funktioniert diesmal nicht, das mit der Flucht – wenn’s nur peinliche Erinnerungen wären, die in mir hochkommen, wär’s ja nicht schlimm, peinlich ist ja gut für mich – je peinlicher, je besser. Als würde da dann alles von mir abfallen, wenn’s richtig peinlich für mich wird, weil der Druck einfach zu stark ist. Die bei mir exzessiven Schamgefühle so überfordert, daß sie zerreißen und im Nichts verschwinden, der Körperpanzer wie aufgesprengt, frei. Frei aufgrund von Peinlichkeit, Schmach, Schande, Scham. Aber jetzt geht es um etwas anderes, wenn ich von diesem Tag weitererzählen will und zu dem dritten Laden kommen, dem eigentlichen Korsett-Spezialgeschäft – ich muß ja nicht, niemand zwingt mich, aber die Erinnerungen sind schon da, die schlimmen an die dritte Station meiner Passion. Wie sie bannen? Wie sie verscheuchen? Zu spät – geht nicht, nicht mehr. Ich muß da durch. Erinnerungen sind das, denen ich doch lieber eigentlich entfliehen wollte, als sie heraufzubeschwören. Es ist dieser eine Moment, dieser große Schreck, dieser Schock, und was darauf folgte: die Nervenattacke, mein Zusammenbruch, psychisch, aber auch physisch: unkontrollierte, unkontrollierbare Zuckungen am ganzen Körper, Herzrasen und dann das Weinen, das hemmungslose Schluchzen, das nicht aufhören wollte – furchtbar und wäre nicht Speedy bei mir gewesen, sondern jemand anderes, der mich nicht so kennt, er hätte wohl den Arzt geholt, in Herzberge angerufen, mich in die Nervenklinik, ins Irrenhaus verfrachtet. Allein nur der bloße Gedanke daran, ohne daß ich mich noch einmal wirklich in diesen Moment hineinversetze, löst Schwindelgefühle bei mir aus, läßt die Panik noch einmal hochkommen. Ein Stein flog plötzlich, ohne daß sich dies durch irgendetwas angekündigt hatte, völlig unvermittelt, in das einzige, gar nicht mal große Fenster des im Souterrain gelegenen Ladens rein. Ein paar Stufen führten da herunter, und dieses Fenster, es war nur zur Hälfte über Straßenniveau – man mußte da also ganz schön genau zielen, wollte man da mit Wucht das Glas treffen, oder ohne Hemmungen und die Angst davor, bei diesem Steinwurf von irgendjemand gesehen zu werden, einem möglichen Zeugen dieser Straftat, direkt vor dem Laden stehen, damit einem dies gelingt. Und es war ja richtig heftig, wie dieser Stein durch das Fenster flog, ein Riesenkrach, und dann schwirrten die Glassplitter umher, und ein paar von ihnen bohrten sich richtig in den hölzernen Ladentresen, andere staken wie Pfeile, wie Geschosse im Boden, und plötzlich auch fegte ein winterkalter Luftzug in den Laden, als wollte der Wind uns alle wegtragen, an die Wand schleudern. Und das war nicht nur, was diesen Stein betraf, gut gezielt, das konnte auch nur eine ganz gezielte Attacke gewesen sein, von jemanden, der den Landen kannte, der es genau auf dieses Korsett-Spezialgeschäft abgesehen haben mußte. Das war eine Nebenstraße, wo er sich befand, eine Nebenstraße, wo es außer einem Tante-Emma-Laden an der einen Ecke gar keine weiteren Geschäfte gab, und das Ladenschild war klein, gar nicht weiter auffällig, und auf Laufkundschaft konnte so ein Geschäft doch gar nicht setzen, nicht in dieser Gegend, nicht bei dieser Korsett-Spezialität, auf die es sich spezialisiert hatte – die Damenwelt, die dort in diesem Laden Kundin war, sie kam gezielt dorthin und allein nur wegen diesem Laden in diese eher tote Gegend. Stammkundschaft und auf Empfehlung oder wegen diesen Annoncen, die sie immer wieder regelmäßig schaltete, die Inhaberin dieses Ladens, kleine Annoncen in gutbürgerlichen Zeitungen, wie sie uns später erzählte – also für mich war das klar, sofort klar, schlagartig klar, daß das nur der Nazi gewesen sein konnte, der diesen Stein geworfen hatte – deshalb ja dann auch diese Panikattacke bei mir, die sich ja nicht einfach nur durch den Schreck erklären ließ und auch dadurch nicht, daß meine Nerven sicher ganz runter waren nach dieser so unruhig verbrachten Nacht und diesem Morgen voller Angst: der Reichstagsbrand, das verzweifelte Warten auf Speedy im Wald und dann die Fahrt nach Berlin, die Furcht in eine Razzia zu geraten und dann all das Hochnotpeinliche, das ich schon in diesen beiden Miederwarengeschäften erlebt hatte, der Neger, die 3 Zentimeter, meine 3 Zentimeter. Das brach sicher alles mit durch, und die Assoziation, sie war sofort da und für mich unabweislich, die mit dem SA-Trupp und seinem Gegröle, vor dem sie schnell die Jalousien runtergelassen hatten im Chris – der Trupp war noch vorbeigezogen, hatte sich damit begnügt und daran vergnügt, Furcht und Schrecken zu verbreiten, nun hatte er zugeschlagen, der Nazi. Deshalb diese Panik bei mir, der Nervenzusammenbruch, das Herzrasen, das Zittern, das Schluchzen, das nicht aufhören wollte, und ich hatte doch das Korsett schon an, das Speedy für mich ausgesucht hatte, und nicht mehr, als nur dieses Korsett.

»Das waren doch sicher nur ein paar Jungs aus der Nachbarschaft, ein Kleiner-Jungs-Streich, mehr nicht«, sagte Speedy, um mich zu beruhigen, nachdem ich in meiner wahnsinnigen Angst den Nazis schon hatte ins Geschäft zu uns eindringen gesehen. »Du siehst Gespenster«, sagte Speedy, während sie mich zusammen mit der Inhaberin des Ladens in einen Hinterraum brachte, der halb Lager war, halb eine kleine Werkstatt mit einer Nähmaschine, einer Schneiderpuppe und wo es für mich dann einen Stuhl gab, auf den ich mich setzen konnte. »Nein, Ihr Mann hat schon recht, das war ein Nazi«, sagte die Inhaberin des Ladens ganz sicher und bestimmt, »ein Nazi hier aus der Gegend, ein Fanatiker, den ich schon kenne.« »Nun lassen Sie mal gut sein, und meinen Mann sich erst einmal beruhigen«, erwiderte Speedy scharf, um der Frau erstmal das Maul zu stopfen, die sich das auch ohne Widerspruch gefallen ließ und wirklich verstummte. Speedy stellte sich schützend vor mich, ich vergrub meinen Kopf zwischen ihren Schenkeln, mein Atem ging schwer, ich japste richtig nach Luft und fast wäre ich vom Stuhl gefallen, wenn mich Speedy nicht gehalten hätte, in so einer Berg-und-Talfahrt ging es mit meinem Kreislauf rauf und runter. Dann kniete sie sich vor mich hin, nahm mich am Kinn und zwang mich, ihr in die Augen zu gucken, in ihre Augen, die weit geöffnet waren, die mich geradezu aufsogen. »Ich bin doch da«, sagte sie, »deine Frau ist bei dir. Es wird alles wieder gut, ich verspreche es dir.« Sie redete mit mir wie mit einem Kind, so wie meine Mutter mit mir hätte sprechen sollen, wenn ich meine Attacken hatte von Wut und Verzweiflung – wie sie es aber nie getan hat, meine Mutter schimpfte stattdessen auf mich ein, machte alles nur noch schlimmer dadurch. Wunderbare Speedy – auch wenn sie natürlich eigentlich an allem schuld war, mich in diese Situation gebracht hatte mit ihrer idiotischen Idee, grad dieser Tag, dieser Nazi-Tag wäre der richtige für uns, mich mit schönen Dessous auszustatten. Ich glaube, das erst war der Moment, wo ich das wirklich für mich realisierte: die Nazis haben nicht nur die Regierung, sie haben wirklich die Macht übernommen – deshalb auch dieser Zusammenbruch. Die ganzen Illusionen waren weg, vollkommen weg, die ich mir natürlich, wie wahrscheinlich viele andere auch, gemacht hatte: daß das wie ein Spuk vorüber gehen würde, das mit den Nazis. Reichskanzler Adolf Hitler, das war es noch nicht, auch der Reichstagsbrand nicht, dieser Stein war es, der mir das klarmachte.

Unterbrechung durchs Mittagessen – was für ein Fraß, da war ja die Bockwurst, die Speedy und ich an dem Tag, in den ich mich zurückflüchte, bei einem Imbiß-Stand in Steglitz verdrückt haben, nahrhafter. Ich falle vom Fleische, ich werde immer dünner, das Gefängnis bekommt mir also gut: wie eine Schlankheitskur.

Man stelle sich mich rülpsend vor – wie ein Schwein, das grad vom Trog kommt. Ein Schwein – von mir aus, aber kein Nazischwein. Wo war ich grad stehen geblieben, an welcher Stelle meiner Flucht unterbrochen worden? Wo’s um den Nazi geht, von dem eben ich Hysteriker nicht nur alleine annahm, daß nur er allein diesen Stein geworfen haben könne, sondern auch sie, die Korsagiere, die Korsagefrau – für mich war das der Nazi, abstrakt, allgemein, die ganze Bande zusammengenommen, die nationalsozialistische Bewegung, die Partei. Für sie war das anders, sie meinte einen ganz bestimmten Nazi, einen Nazi, den sie kannte, einen Nazi aus ihrer Umgebung, aus der Straße, der ein paar Häuser weiter wohnte, den Nachbar-Nazi, den Nazi-Nachbarn. Und sie erzählte uns dann von dem, was für ein verrückter Zeitgenosse das sei, was für ein Fanatiker. Sozial natürlich Abschaum, unfähig, einer geregelten Arbeit nachzugehen – als sie das sagte, zuckte ich doch zusammen: das hatte die gleiche Verachtung wie in der Nazi-Sprache. Das war die Frau, die es geschafft hatte, die kleine Ladenbesitzerin, und in dem Moment war mir der zu einer geregelten Arbeit Unfähige, der Nazi mit dem Stein und sicher der großen Wut im Bauch, der Fanatiker, der Abschaum, der Asoziale dann doch näher als diese Kleingewerbetreibende. Der Mann käme immer wieder in ihren Laden und würde sie vollquatschen, mit seinen obskuren Ideen behelligen, mit völlig wirrem Zeugs, das aber überhaupt nichts mit dem zu tun habe, was man so im Völkischen Beobachter lesen könne oder im Stürmer – solche Zeitungen las sie also, und für einen Moment, angewidert noch von ihrem Abschaum, wollte ich ihr auch das ungünstig auslegen: die Nazi-, von wegen Arbeiterpartei, in Wahrheit eine von aufgescheuchten Kleinbürgern, die fürchten, zu Proleten herabzusinken, die Partei der Kleingewerbetreibenden, die nicht wissen, wie sie sich der großen Industrie erwehren sollen und plötzlich meinen, der mittelalterliche Ständestaat, wo die Welt, ihre Welt der Zünfte noch in Ordnung war, ließe sich wiederbeleben, die Partei der kleinen Ladenbesitzer, die sich am liebsten gegen das große, neue Karstadt-Kaufhaus am Hermannplatz zusammenrotten würden. Aber das war falsch vermutet und auch ungerecht, diese Korsettistin mit dem Souterrainladen, so ergab sich das aus dem, was sie weiter erzählte, sie hatte diese Schmutz- und Dreckschleudern und besonders dieses Scheißhausblatt des Stürmers nur gelesen, weil ihr Privat-Nazi immer mal wieder Exemplare davon dagelassen hatte, damit auch sie sich von der wunderbaren Nazisache überzeugen könne, und sie, politisch eigentlich desinteressiert, hatte diese ganze Scheiße nur deshalb gelesen, weil dieses durchgedrehte Typchen sie beunruhigte und mit ihm, durch ihn und wegen ihm dann die ganze Nazi-Bewegung und was unserm Deutschland womöglich durch sie drohe. Der Mann habe sie eigentlich aber für die NSDAP gewinnen wollen, auch wenn er jedesmal bei ihr ausgerastet sei und sie beschimpft hätte, sowie er gemerkt habe, daß daraus wohl nichts werden könne – ein echter Fanatiker, der Anhänger gewinnen will, die Menschen auf den richtigen Weg bringen, sie erlösen aus der Wirrnis ihres Lebens, ihrer geistigen Verwirrung, und bei ihr habe sich die geistige Verwirrung für ihn an der Korsage festgemacht. Da wäre er völlig dagegen, gegen Korsetts, gegen alles, was einschnürt, das deutsche Weib beenge und ihm dadurch die Fruchtbarkeit raube. Sein eigentliches Thema, das, worauf er immer wieder zurückkomme, das sei aber die moderne Ernährung. Wir wären alle chemisch verseucht, davon sei er vollkommen überzeugt, wir würden uns nicht mehr natürlich ernähren, und daran kranke Deutschland. Natürliche Ernährung und natürliche Kleidung, das würde ganz eng zusammengehören. Die Deutschen müßten sich radikal und konsequent vom Französeln frei machen – radikal und konsequent, das seien seine Lieblingswörter, die benutze er ständig, ohne radikal und konsequent komme bei ihm keine Aussage aus. Und auf sein Französeln, das er so vehement ablehnt, scheint er ganz besonders stolz zu sein, und in diesem Stil ginge es ohne Unterlass, und wenn sie ihn dann durch Widerworte provoziere, dann fange er an zu schreien und steigere sich zu einem Quatsch wie diesem, daß er sage, ob sie denn das nicht wisse, daß das Korsett eine jüdische Erfindung wäre, worauf sie dann immer erwidere, das sei aber eine sehr gute jüdische Erfindung, und wenn es sich dann so gesteigert habe, dann ziehe er mit Flüchen von dannen und der Prophezeiung, sie würde noch ihr blaues Wunder erleben, wenn die echten Deutschen erst die Macht hätten – nun haben sie die Macht, sagte sie und, dann wollen wir doch mal sehen, was aus diesem wirren Fanatiker wird, wenn er sich erstmal hat austoben können. Sie wundere dies nicht, daß eine solche Bewegung, die so von unten kommt, aus der Gosse, von den Zukurzgekommenen her, all die Wirrköpfe, die kleinen Propheten, die Erfinder von irgendwelchen Zaubermitteln zur Rettung der Menschheit, die Wunderheiler, kurzum alle Verrückten, die im Deutschen Reich so rumliefen, anziehen würde, sie glaube das aber nicht, daß die Oberbonzen von den Nazis auf Dauer solche Spinner dulden würden, und dies nun aber nicht etwa deshalb, weil sie vernünftiger wären, sondern nur deshalb, weil sie ihre eigenen Wahnideen hätten und doch nur die gelten ließen, sich doch von so einem kleinen Kläffer darin nicht stören lassen würden – interessanter Standpunkt, damals für mich verblüffend, und es dürfte sich ja mittlerweile als eine sehr klarsichtige Prophezeiung erwiesen haben. Das Bild der Bewegung, des nationalsozialistischen Staates, das ist ja jetzt neben dem verrückten Führer und seinem aufgepeitschten Adlatus Goebbels mehr von solchen rational kalkulierenden Machern wie diesem Speer bestimmt. Sie haben sich ihre ausführenden Organe rangezüchtet, was natürlich dann die Frage aufwirft, was aus den Tausend Jahren werden soll, die sie sich vorgenommen haben, wenn die wahnhaften, wahnsinnigen Antreiber erstmal weg sind, gestorben und aus- und weggestorben.

Speedy sagte: »Ihr Nazi-Mann, der wird einfach unglücklich verliebt in Sie sein.«

Darauf sie, die Korsett-Tante: »Das wird’s sein – aber das ist bei mir vollkommen vergebens.«

Und diese Antwort, die bot ja schon mal einen interessanten Hinweis, wenn man denn hellhörig für so etwas ist und überall gerne etwas Abartiges wittern möchte – also für Leute wie Speedy und mich, und Speedy war sehr schnell mit ihrer Schlußfolgerung fertig, und sie äußerte sie dann auch sehr direkt, was ich natürlich niemals getan hätte. Nennen wir’s Feigheit, nennen wir es eine ganz grundsätzliche Feigheit von mir, die Angst vor der Wirklichkeit. Vor der Enttäuschung. Irgendwie abzuschätzen ist das ja für mich nicht, wieviel Perverse es wohl in einem Land wie Deutschland geben mag. Manchmal denke ich, ich wäre der Einzige und selbst meine Speedy nicht dazuzurechnen, manchmal denke ich, wir müßten Hunderttausende sein, wenn nicht Millionen, und manchmal denke ich sogar, alle wären irgendwie pervers und besonders die, die’s nicht sein wollen, sexuell nicht sein wollen und bei denen sich das dann auf andere Gebiete verlagert und dadurch dann wirklich abartig wird und auch gefährlich. Mal so, mal so, ich schwanke da völlig hin und her, Speedy aber, Speedy ist mutig, Speedy ist direkt, Speedy sorgt für Klarheit, und deshalb erlebt sie ja wohl auch viel mehr.

Und dann sprudelte es aus ihr heraus – als wäre sie froh, endlich mal ihre Geschichte erzählen, sich andern Menschen anvertrauen zu können: daß sie ihren Beruf von der Pike auf gelernt habe, daß sie eine immerhin versierte Fachkraft sei, daß sie jahrelang in diesem Laden, in dem wir vorher waren, gerackert hätte, immer in Treue zum Geschäft, den Inhabern, fast ohne Fehlzeiten, eine Verkäuferin, auf die man sich verlassen konnte, daß sie es geschafft habe, sich zur Abteilungsleiterin hochzuarbeiten, sie wäre für die Korsetts zuständig gewesen, das war schon immer ihre besondere Spezialität – deshalb dann auch dieser Laden, dieses auf Korsetts spezialisierte Miederwarengeschäft. Daß sie aber immer gern einen eigenen Laden gehabt hätte, ihr größter Traum sei gewesen: die eigene Chefin zu sein, nicht mehr abhängig von Leuten, die im Büro sitzen und das Tagesgeschäft gar nicht mehr kennen, die nicht wissen, wie mit der Kundin von heute umzugehen sei. Sie habe da über die vielen Jahre hinweg sehr genaue Vorstellungen entwickelt, wie so ein Laden zu führen, wie so was zeitlos, nicht im traditionellen Stil, aber auch nicht so modisch, wie das immer mehr üblich wird, aufzuziehen sei – richtig groß, nicht das, was sie hier dann in ihrem kleinen Laden im Souterrain habe verwirklichen können. Doch natürlich habe sie als Verkäuferin, als bloße Angestellte niemals auch nur die geringste Chance gehabt, diesen Traum verwirklichen zu können und von den Banken dafür einen Kredit zu bekommen. Sie habe jahrelang Lotto gespielt, um sich selbstständig machen zu können, doch natürlich vergebens, Illusionen seien das gewesen, sie habe nur Geld verloren dabei. Ihre Eltern aber wären Hausbesitzer gewesen, dieses einen Hauses, in dem sie nun doch ihren eigenen Laden hat eröffnen können. Sie gebe es zu, sie habe auf den Tod ihrer Eltern gewartet, habe ihr Ableben herbeigesehnt, habe sie ins Grab gewünscht und darauf spekuliert, dieses Haus verkaufen zu können und dabei genug Geld in die Hand zu bekommen, daß sie ihr eigenes Geschäft aufmachen kann. Sie habe dann innerlich Luftsprünge gemacht, als sie ihre Mutter, die natürlich, die Weiber sind zäh, zäher als die Männer, länger gelebt habe als ihr Herr Vater, endlich verbuddeln konnte. Sie habe danach sofort ihre Arbeitsstelle gekündigt, da habe es für sie kein Halten mehr gegeben, aber davor, das Haus zu verkaufen, sei sie dann doch zurückgeschreckt. Sie sei einfach für den großen Wurf schon zu alt, zu verbraucht gewesen, habe sich nicht den Verkaufs-, den Vertragsverhandlungen gewachsen gefühlt und da erst gemerkt, daß sie auf diesen Teil des Geschäftlichen viel zu wenig vorbereitet gewesen sei, sie habe ja noch nicht mal die doppelte Buchführung beherrscht. Und sich einem Makler anvertrauen, das habe sie nicht wollen, das seien doch alles Gangster, und die Immobilienpreise, sie seien in dieser Zeit auch gerade im Keller gewesen. Aber sie habe das Haus in seinem Wert von einem amtlich bestellten Gutachter taxieren lassen, und da sei es für sie erst herausgekommen, daß das Haus mit Hypotheken belastet ist, mit Hypotheken, die sie noch über Jahre hinweg abstottern müsse. Sie habe also das Haus behalten, behalten müssen, das an Miete, wenn man all die Unkosten für immer mal nötige Reparaturen abziehe und auch die regelmäßig fälligen Hypothekenzahlungen, gerade soviel abwerfe, daß sie davon ganz gut leben könne – sehr viel mehr aber auch nicht. Reich werde man durch ein Mietshaus nicht. Natürlich sei sie sehr enttäuscht gewesen, als sie gemerkt habe, sie kann ihren Traum nicht verwirklichen, und Wäsche, Miederwaren, das sei doch ihre große Leidenschaft, sei es immer schon gewesen, schon als sie noch Mädchen war, habe es damit angefangen. Fast wäre sie nach dieser maßlosen Enttäuschung wieder als Verkäuferin arbeiten gegangen, aber nur fast, denn leben könne sie wegen dem Haus auch ohne das, und noch einmal Untergebene sein, nein, das habe sie sich nicht zumuten wollen, nicht mehr, das wäre die schlimmste Niederlage ihres Lebens gewesen. Zum Glück sei ihr dann die Idee gekommen, sich im leer stehenden Souterrain ihres eigenen Hauses einen kleinen Laden einzurichten – wenigstens einen kleinen, einen, der ihr gehört, wo sie schalten und walten kann, wie sie will. Natürlich, so gut habe sie sich doch in dem Metier ausgekannt, würde ein Laden, der so klein ist und sich in einer so gottverlassenen Gegend wie dieser hier befinde, nur dann Chancen haben, jemals Gewinn abzuwerfen, wenn er eine Marktnische bediene, wenn er sich als Spezialgeschäft zu etablieren suche – dies sei ihr völlig klar gewesen, und es sei dann auch ganz schnell für sie klar gewesen, welche Nische das sein müßte, in der sie nur ihren kleinen Laden ansiedeln könne, worauf sie zu setzen habe: auf die aus der Mode kommenden Korsetts, für die es natürlich auch weiterhin Bedarf gebe. Sie habe also die Korsetts aus geschäftlichem Kalkül gewählt, aber natürlich auch, weil sie sich mit Korsetts gut auskenne, und weil sie doch selber auch gerne Korsetts trage.

Der Anfang für ihren Laden sei natürlich schwierig gewesen, und ohne das Mietshaus im Hintergrund, durch das sie regelmäßige Einnahmen habe und wegen dem sie ja schließlich auch keine Miete für ihren Laden aufbringen müsse, hätte sie diese schwere Zeit sicher nicht durchhalten können. Doch es sei ihr dann mit der Zeit gelungen, sich einen zwar kleinen, aber treuen Kundenstamm zu gewinnen, Frauen, die immer wieder bei ihr einkaufen kämen, und sie habe dies erstmal nur dadurch geschafft, daß sie immer ein bißchen von ihrem Geld in Werbung investiert habe, in kleine Annoncen, die sie regelmäßig erscheinen lasse. Da komme es auf Ausdauer an, erst denke man, das sei rausgeschmissenes Geld. Das habe sie lernen müssen, aber richtig losgegangen mit ihrem Laden sei es erst dann, als sie anfing, ihren Kundinnen auch noch einen besonderen Service anzubieten, den, die Korsetts, die sie haben wollen, dann ihrem Körper anzupassen – ein Korsett müsse ja sitzen, sonst bringe das ja nichts. Dafür habe sie dann, auf Honorarbasis, eine Schneiderin eingestellt und sich diese Werkstatt im Hinterzimmer eingerichtet. Und aus dieser Änderungsschneiderei sei dann mit der Zeit und aufgrund ihrer wachsenden Erfahrung und auch der ihrer Schneiderin, die mittlerweile richtig gut sei, fachlich wirklich kompetent, so etwas wie eine Maßschneiderei für Korsetts geworden, auch wenn der bloße Verkauf von Fertigware natürlich weiterlaufe, die ja dann auch nicht so teuer sei. Sie würde vorgegebene Modelle kopieren, an die jeweiligen Maße ihrer Kundinnen angepaßt, sei aber auch dazu übergegangen, eigene Modelle zu entwerfen – wenn auch in bescheidenem Umfang, aber das sei es nun, was ihr richtig Spaß bringe und weshalb sie dann auch gar nicht mehr darüber traurig sei, daß das mit dem richtig großen Laden nicht geklappt habe.

Letzteres ließ Speedy aufhorchen, das mit den selbstentworfenen Korsetts, den Eigenkreationen – sie fragte, ob sie so ein Korsett denn mal sehen könne, das sie selbst entworfen habe. Die wären natürlich alle verkauft, sie mache das immer nur im Auftrag, antwortete sie, fing dann aber zu lachen an und sagte, eines ihrer eigenen Modelle habe sie aber doch, das sie Speedy zeigen könne, das nämlich, das sie für sich selber entworfen habe. »Ich würde es gern sehen«, sagte Speedy und zur Antwort bekam sie, etwas verschämt, doch auch nicht ohne Stolz: »Ich trage es am Leibe.« Darauf Speedy, nun auch lachend: »Dann entblättern Sie sich doch für mich.« Und das tat sie dann, sich für Speedy zu entblättern, und sie verschwand dafür hinter einem Paravent, der ansonsten natürlich für ihre Kundinnen bestimmt war – vielleicht wollte sie den großen Auftritt, wer weiß. Vielleicht aber auch war ihr das einfach peinlich, andere dabei zusehen zu lassen, wie sie sich auszieht. Wie dem aus sei: was wir beide, Speedy und ich, denn ich war schließlich auch noch anwesend, da dann zu sehen bekamen, als sie hinter ihrem Paravent hervortrat, das war doch wirklich erstaunlich, ich jedenfalls hatte ein vergleichbares Korsett noch nie gesehen. Nicht so eins – ich versuche es mal zu beschreiben, dieses SpezialKorsett der Korsett-Spezialistin, aber, ich merke eben, daß ich dies noch gar nicht getan habe, ich muß auch sie etwas beschreiben, etwas näher charakterisieren: sie war eine Frau, die sicher schon auf die Fünfzig zuging, groß, hochgewachsen, eigentlich schlank, wenn da nicht dieser große Busen gewesen wäre, der so gar nicht zu ihrem sonstigen Körperbau passen wollte – ich weiß nicht, ob das der Grund war, warum sie diese weite, wallende Bluse trug, die ihre enorme Oberweite doch recht erfolgreich verdeckte, sie nur erahnen ließ. Aber sie trug auch einen Rock, der vom Stil her zu ihrer Bluse paßte, plissiert mit vielen Falten, lang und fast bis zu ihren Fußknöcheln reichend – beides, Rock und Bluse, die Bluse etwas dunkler als der Rock, übrigens in Violett, was nun überhaupt nicht meine Farbe ist, eine Farbe, die meist auch aus einem Bild vollkommen herausfällt. Aber Rock und Bluse hatte sie ja abgelegt, als sie mit ihrem Korsett allein am Leibe hinter dem Paravent hervortrat – doch, um hier, wo ich schon bei der Farbe bin, gleich auch die Farbe ihres Korsetts zu nennen: Weinrot war es, Purpur, und übrigens sehr gut zu ihrer bleichen Hautfarbe passend, die ich auf einem Bild von ihr dann nahezu weiß gemalt hätte. Aber ich war ja eigentlich bei ihren Brüsten, und diese Brüste, sie waren nicht nur groß, sehr groß sogar, sie hingen auch herunter, richtige Hängetitten waren das, schwer und voll, und bösartig ausgedrückt, hätte man sagen können, sie hingen ihr bis zum Bauchnabel herab – das bleibt natürlich nur eine Vermutung, denn ihr Bauchnabel war ja nicht zu sehen, war ja unter ihrem Korsett verborgen. Ihr enormer Vorbau aber nicht, und das war natürlich schon mal sehr erstaunlich, daß sie das Korsett nicht nutzte, ihre Titten zu heben und von zwei Körbchen tragen zu lassen, wie sie das im Barock, im Rokoko gemacht hätten. Nein, sie ließ sie hängen, ihre Hängetitten, ließ sie extra aus ihrem Korsett heraushängen, wie man vielleicht sagen könnte, denn ein Unterbrustkorsett war es ja nicht, sondern eines, bei dem der feste, glänzende Stoff bis direkt unter ihre Brüste geführt war und dort dann ihre beiden Rundungen nachformte. Und dieser Eindruck, daß sie aus ihrem Korsett heraushängen, diese schweren Hängetitten, er wurde ganz wesentlich dadurch verstärkt, daß da in der Mitte zwischen ihren Brüsten das Korsett in einem Steg bis zum Hals geführt war, den es dann auch noch in einem breiten Band umschloß – erstaunlich, erstaunlich, fast etwas monströs zu nennen. Und natürlich war das dann das erste, worauf sich der Blick fixierte, wenn man sie ansah: diese heraushängenden, aus dem Korsett wie herausquellenden Brüste, und sie wußte das natürlich, und sie berührte also ihre Brüste, ihre großen, schweren Hängetitten, hob sie etwas an und ließ sie dann wieder herabsinken, was nicht ohne eine gewisse Magie war. Und sie kommentierte das auch, diese Merkwürdigkeit und Eigenart ihrer eigenen Kreation, und ihr Kommentar war der, daß sie sagte: »Eine Frau soll zeigen, was sie hat, soll mit ihrem Pfund wuchern, und meines sind nun mal diese großen Hängetitten.« Und das war natürlich verblüffend und nahm mich sehr für sie ein, das muß ich sagen, daß sie ihre Hängetitten selber auch Hängetitten nannte. Ich bewundere das ja, wenn eine Frau zu einer realistischen Selbsteinschätzung fähig ist, wenn sie das, was als ihr körperlicher Makel gelten könnte, nicht mit irgendwelchen Tricks aus der Welt zu schaffen oder wenigstens zu verdecken sucht. Genau dies tat sie mit diesem Korsett nicht, sie tat das Entgegengesetzte: sie stellte ihre Hängetitten aus, sie ließ sie durch den Schnitt ihres Korsetts vielleicht sogar noch gewaltiger, noch monströser erscheinen – Chapeau, die Dame, ich ziehe den Hut, das gefällt mir, das ist Mut, der Mut einer Frau.

Unten dagegen war es sehr weit heruntergeführt, ihr Korsett, soweit, daß es den Ansatz ihrer Beine bedeckte – ihrer Beine, auf die sie eigentlich hätte stolz sein können, so schlank, wie sie waren, schlank auch an den Oberschenkeln. Im Stehen jedenfalls, und wir sahen sie ja auch nur stehend, vor uns stehend, war von ihrem Geschlecht nichts zu sehen, und der Blick war dazu auch noch von etwas anderem gefesselt, von den insgesamt acht sehr breiten Strapsen, auf jeder Seite vier und es waren kurze Strapse, kurz wegen der Länge ihres Korsetts, und viel Fleisch und nackte Haut gab es da also nicht zu sehen zwischen dem Korsett und ihren Strümpfen, ihren übrigens schwarzen Strümpfen – auch zu den vielen Strapsen hatte sie einen Kommentar abzugeben und dieser Kommentar, er lautete in etwa so: »Ich liebe nun mal Strapse über alles, an ihnen die Strümpfe festzumachen, das ist jedes Mal erregend für mich.« Und da das für mich, für mich als Mann allerdings, doch genauso ist, so erregend, hörte ich dies natürlich von dieser Frau sehr gerne.

Die eigentliche Sensation bei ihrem Korsett allerdings, das war die Taille – eine so enge, so schmale Taille hatte ich noch nie gesehen, und habe es auch danach nie wieder bei einer andern Frau, außer eben auf den Bildern aus der Zeit des Barock und mehr noch des Rokoko, aber da dachte ich doch immer, die Malerkollegen übertreiben’s ein bißchen und malen mehr das, wovon die Damen ihrer Epoche geträumt haben werden. Aber es gibt das wirklich, es ist wirklich möglich, eine Taille so eng zu schnüren, daß man das dann eine Wespentaille nennen kann – erstaunlich, aber wahr, und auch Speedy sagte mir im Nachhinein, daß sie so was eigentlich nicht für möglich gehalten habe. Und Speedy ging es mit dieser extrem schmalen Taille wie mir, daß sie nicht wußte, ob sie’s noch für reizvoll halten sollte oder als eine Monstrosität für sich werten – aber faszinierend war’s natürlich, hochgradig faszinierend sogar. Und Zeichen einer Konsequenz, die bei so einer Frau, einer früheren Verkäuferin, einer bloßen Geschäftsfrau, natürlich wegen ihrer Radikalität etwas Bewundernswertes hatte – darin waren wir uns einig, Speedy und ich. Pervers auf eine ganz besondere Art, und also mußte in diesem zusammengeschnürten Körper ein interessanter Geist wohnen, ein starker Geist auch, denn eine solche Taille, das konnte ja nur das Ergebnis jahrelanger Bemühungen darum sein, einfach mal so ein Korsett eng schnüren, das hätte es doch nicht gebracht. Und wahrscheinlich hatte es auf dem Wege dorthin einige, weniger taillierte Vorgängermodelle gegeben, sodaß da wirklich von einer wirklichen Leidenschaft, Korsett-Leidenschaft die Rede sein konnte – wie sie dies ja auch von sich behauptet hatte, nur war weder Speedy noch mir in dem Moment, als sie von dieser ihrer Leidenschaft sprach, klar, wie stark die war, wie weit die ins Extrem ging. Wir waren wirklich beide baff, Speedy und ich, und sie, die wir mit großen Augen anstarrten, wußte natürlich, was uns so baff machte. Sie drehte sich um und wie breit ihre Hüften wegen dieser schmalen Taille wirkten, das wurde bei der Rückenansicht noch einmal mehr deutlich. Und dann ihr Hintern: geradezu ausladend, voluptuös, und das Fleisch war weich, richtig was zum Reingreifen. Und faszinierend auch diese Schnüre des Korsetts, die sie viel länger gelassen hatte, als eigentlich nötig, die dann an ihrem Arsch herunterhingen, als wär’s ein Schwanz, ein Pferdeschwanz.

Während sie mit dem Rücken zu uns stand, sagte sie: »Glauben Sie nicht, daß ich das allein schaffen würde, mich so eng zu schnüren – meine Näherin kommt jeden Tag am Morgen hier bei mir vorbei und macht das für mich.« Und da war sie also wieder: ihre Schneiderin – nun in einer anderen Funktion.

Speedy – Skizzen

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