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ZWEIFEL 15. Juli 2012, 22:00 Uhr

Klara: Großartig! Seit Monaten, nein, seit Jahren – mindestens einem gefühlten Jahrzehnt – ordneten Flo, mein Neo-Ehemann, und ich beinahe alles dem Wegfahren unter. Bei wichtigen Entscheidungen begannen die Begründungen für oder gegen etwas meist mit „Wenn wir dann wegfahren. Ob es sich dabei um das unverwüstliche, vererbte Achtzigerjahre-Retrogeschirr im schrägen Grau-Rosa-Muster meiner Eltern handelte, das wir nicht durch neues ersetzten, denn „wenn wir dann wegfahren, müssten wir das neue Geschirr sowieso einlagern, da entsorgen wir das alte lieber vor der Reise“, um die Wohnungswahl („lieber die kleine günstige, nur, bis wir dann wegfahren) oder gar um den Hochzeitstermin („im Mai, dann kommen wir zur warmen Saison nach Island und in die Staaten“), im hintersten Eckchen unserer Gehirnwindungen stand fest: Eines Tages kommt der Zeitpunkt der Abreise!

Nun ja, endlich ist es so weit. Und wir? Lungern übermüdet, strapaziert und mies gelaunt in der Abflughalle. So habe ich mir das aber nicht vorgestellt. Florian sichtlich auch nicht. Jetzt kommen sie, die Zweifel: Lohnt sich der Mega-Aufwand? Wozu tun wir uns das eigentlich an? Hätten wir nicht doch lieber eine Eigentumswohnung samt Golden Retriever kaufen sollen? Ist unsere Ära als hygieneresistente Lowbudget-Radreisende eventuell unbemerkt vorübergegangen? Aber nein, wir plagen uns nicht nur selbst mit diesen Fragen, sondern laden unseren Unmut als Draufgabe auch noch beim anderen ab und machen uns gegenseitig für etwaige Unbehaglichkeiten verantwortlich. Ich frage mich zum Beispiel, ob sich Florian nach unserer Hochzeit (von mir unbemerkt) zum fahrradfetischistischen Pedanten entwickelt hat. Natürlich, er hat die Räder wunderbar und bis ins kleinste Detail auf Vordermann gebracht, aber dass er jetzt so übergenau ist?! Pah … Flo wiederum scheint von mir momentan auch nicht gerade besonders angetan zu sein. Bloß weil ich es nicht einmal hinkriege, das Pedal für den Flug abzuschrauben. Und dann motz ich auch noch blöd?! Ach … Wohin geht die Reise!?

Klara: „Jetzt kann es losgehen“, denken wir uns. Los geht aber vor allem unsere totale Erschöpfung. Wie bei jedem unserer Urlaube – vom kurzen Wochenendausflug bis hin zu eben dieser Weltreise – gestaltet sich die Abreise superchaotisch. Das scheint bei uns zu einer perfekten Reise anscheinend dazuzugehören. Zigmal verabschieden wir uns von unseren Freunden und Familien, verstauen die letzten Habseligkeiten und machen die Räder bis in die frühen Morgenstunden reisefit. Nach einem wirklich allerletzten gemeinsamen Essen mit meinen Eltern (das wir mit einem 50-Euro-Hochzeitsgeschenkgutschein begleichen und das zufällig auf den Cent genau 50 Euro ausmacht) werden just in time auch noch unsere, bei Flos Elternhaus vergessenen Fahrradwimpel in einem ÖBB-Zug von einem verständnisvollen Schaffner nachgeliefert.


Jetzt ist es also so weit? Ganz können wir es noch nicht glauben.

Flo: Abgerackert sitzen wir im Zug zum Münchner Flughafen und kommen uns eher vor, als würden wir, wie unsere zwei bayerischen Sitznachbarinnen, nur auf der Heimreise von einem kurzen Wochenendausflug sein – die vollbepackten Räder einmal weggedacht. Wir kommen schnell mit den beiden ins Gespräch und merken, dass sie sich innerlich bereits auf eine neue Arbeitswoche einstellen. Für uns ist es ein eigenartiges Gefühl zu erzählen, dass wir für lange Zeit nicht jeden Wochentag aufstehen werden, um zur Arbeit zu gehen. Stattdessen würden wir drei Monate durch Island und die USA reisen und nicht genau wissen, wohin es anschließend gehen soll. Wir haben keine Vorstellung davon, was das Ganze tatsächlich mit sich bringen wird. Die Routenplanung ist, wegen aller anderen Vorbereitungen und, um es ehrlicherweise zuzugeben, vor lauter Selbstsicherheit (oder -überschätzung) in puncto Reiseerfahrung einfach unter den Tisch gefallen. Somit wissen unsere Sitznachbarinnen nach einem knapp halbstündigen Gespräch tatsächlich alles, was es über unsere Reisepläne zu berichten gibt. Ein nicht gerade beruhigendes Gefühl!


Etwas mehr als nur Handgepäck …

Klara: Wenigstens die Abflughalle für unseren Flug nach Reykjavik finden wir in Windeseile. Es scheint nämlich einen unausgesprochenen Dresscode für Islandtouristen zu geben, der sich aus der neuesten Ausrüstung, die der Outdoor-Markt zu bieten hat, zusammensetzt. Wir werden mit unseren Wanderhosen und multifunktionellen Windjacken also gleich wärmstens in der Community aufgenommen. Lediglich die Wanderschuhe fehlen uns, dafür tragen wir unsere Radhelme in der Hand (und setzen sie beim Einstieg ins Flugzeug sogar peinlicherweise auf, um eine Hand freizubekommen).

Kurz vor Mitternacht startet unser Flug und noch immer kommt uns vor, als wäre das Ganze nur eine Sache von ein paar Wochen.

Als der Bär am Zelt anklopfte

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