Читать книгу Lumen - Florian Schäfer - Страница 3
Prolog
ОглавлениеWarum sind wir immer noch hier? Was hält uns noch immer zusammen?
Sarah war zusammen mit ihrem Freund auf dem Heimweg. Der starke Regen prasselte wie Hagel gegen die Windschutzscheibe des Autos, wodurch Shape of You von Ed Sheeran im Radio eher wie ein Rocksong klang.
Der Mond hatte die Straße bereits in helles Licht getaucht, durch das die vorbeifahrenden Autos darin gespiegelt wurden.
Max hatte dunkelbraunes Haar und einen durchschnittlichen Körperbau. Seine neongrünen Augen und ein herzförmiges Muttermal an seinem Hals waren die Merkmale, die ihn für Sarah einzigartig machten.
Einige Stunden zuvor hatte er darauf bestanden, dass sie ihn zur Geburtstagsparty eines Freundes begleiten sollte. Jedoch war sie von dieser Idee wenig begeistert gewesen.
Seit dem Beginn ihrer Beziehung hatte sie nie viel von seinen Freunden gehalten. Die meisten von ihnen zogen ihn damit auf, dass er es bereits so lange mit „so einer“ aushalten konnte. Die anderen hatten in den letzten 22 Monaten mehrmals versucht, sie für sich selbst zu gewinnen. Genauso war es auch wieder heute verlaufen. Während sie auf das Ende der Feier gewartet hatte, hatte Max sich durchgehend mit seinen Freunden amüsiert.
Sarah hatte ihn erst in den letzten Jahren ihrer Schulzeit kennengelernt, obwohl sie zuvor schon einige Jahre in dieselbe Klasse gegangen waren.
Überraschend schnell hatten sie sich gut verstanden und wurden beste Freunde. Durch regelmäßige Kinobesuche und Telefonate bis in die Nacht hinein war die Freundschaft immer enger geworden. Auch nach ihrem Schulabschluss hielten sie weiterhin fast ununterbrochen Kontakt, obwohl sie damit begonnen hatte, an einer Hochschule Medieninformatik zu studieren, während er durch das Medizinstudium seinem Traum, eines Tages Arzt zu werden, ein großes Stück näher gekommen war. Um über die Runden zu kommen, kellnerte Sarah am Wochenende in einer nahegelegenen Kneipe.
Irgendwann war ihr bewusst geworden, dass sie neue Gefühle für Max entwickelte. Als er ihr einige Zeit später seine eigenen Gefühle gebeichtet hatte, hatte sie sich einige Monate lang in seiner nahezu ständigen Anwesenheit wie der glücklichste Mensch auf der ganzen Welt gefühlt.
Die darauf folgende, fast ständige Anwesenheit von Max verlieh ihr ein Gefühl, welches mit einer Art Rauschzustand vergleichbar gewesen war. Dieses war heute jedoch längst verflogen.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie die nachlassende Wirkung eines Mittels durch häufigen Gebrauch lediglich bei Aspirin-Tabletten feststellen können.
Seit dem Tod seines Vaters hatte er sich jedoch verändert.
„War doch ein netter Abend Schatz, findest du nicht auch?“, fragte Max plötzlich, nachdem er bisher auf der gesamten Fahrt noch kein einziges Wort mit ihr gewechselt hatte.
„Ja, war ganz in Ordnung“, antwortete Sarah.
Außer dass ich stundenlang darauf gewartet habe, dort endlich zu verschwinden. Merkst du denn nicht, wie ich mich dabei fühle?Sie band sich, wie so oft wenn sie sich schlecht fühlte, angespannt war oder sich in einer Stresssituation befand, ihre langen blonden Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen.
Dies hatte sich bei ihr in den letzten Jahren zu einer Angewohnheit entwickelt. Nur für den Fall, dass jemand auf ihrem nahezu nicht vorhandenen Selbstbewusstsein herumtrampeln sollte, wodurch sie meist eine kaum zu ertragende Unsicherheit empfand. Aufgrund dieses Gefühls versuchte sie mithilfe des ihrer Ansicht nach perfekt gebundenen Pferdeschwanzes weitere Unsicherheiten zu vermeiden und die Aufmerksamkeit auf ihre nun ordentlich hergerichteten Haare zu lenken, welche nun nicht mehr wie zuvor lediglich auf ihren dünnen Schultern lagen. Ebenfalls war Sarah sich im Klaren darüber, dass der gefühlte Unterschied, welchen ihre Haare für sie bezwecken sollten, lediglich eine Art Placebo-Effekt darstellte.
Ihre zarte helle Haut und ihre hellblauen Augen standen in einem völligen Kontrast zu ihrem Kleidungsstil, der sich meist aus den Farben schwarz und grau zusammensetzte. Mit ihren eins sechsundsiebzig war sie beinahe so groß wie Max.
„Hast du eigentlich mal daran gedacht zu heiraten?“, wollte Max darauffolgend von ihr wie aus dem Nichts wissen.
„Unsere Beziehung bricht immer mehr auseinander, merkst du das denn nicht? Bevor einer von uns an eine Hochzeit denkt, sollten wir zuerst einmal unser Zusammenleben wieder in Ordnung bringen“, entgegnete sie. Wider erwarten akzeptierte Max ihre Antwort kommentarlos.
Warum sind Menschen nur so scharf darauf zu heiraten? Nur um sich später wieder scheiden zu lassen? Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, welche versucht, das Leben von anderen zu beeinflussen und sie dieses ohne darüber nachzudenken führen sollen. Ich möchte nicht eingeredet bekommen, einen guten Schulabschluss machen zu müssen, danach einen ordentlichen Beruf zu erlernen und ausreichend Geld zu verdienen, um später eine Familie zu gründen, welche damit versorgt werden kann. Irgendwann finde ich vielleicht einen akzeptablen Mann, bei dem ich das Gefühl habe, es eine Weile mit ihm aushalten zu können, heirate ihn, bekomme Kinder von ihm und führe ein pseudoglückliches Leben, welches früher oder später von Ehestreits und Misstrauen geschwängert ist. Irgendwann steht man vor der Frage, ob man sich scheiden lässt oder dieses typische Leben bis zu seinem Tod aufrecht erhält und nach außen hin eine funktionierende Beziehung vorspielt.
Wenn ich mir den Gang zum Altar vorstelle, erkenne ich, wie ich mir mein komplettes Leben schon jetzt verbauen würde... Kinder, Porzellanservice, Grillen am Sonntag, …
Diese Einstellung hatte Sarah durch die vielen Trennungen in der Vergangenheit in ihrem Umfeld entwickelt. Aufgrund ihrer Unsicherheit war es ihr jedoch nicht möglich, ihre eigene Meinung nach außen hin zu vertreten. Ihr fehlte das Selbstvertrauen, um sich von der Menge abzuheben. Deshalb hatte sie bisher immer versucht, sich anzupassen.
Plötzlich wurde Sarah durch ungleiche Bewegungen aus ihren Gedanken gerissen. Blitzschnell realisierte sie, dass Max am Steuer keine Reaktion mehr zeigte und der Wagen ins Schleudern geraten war. Er starrte einfach nur durch die Windschutzscheibe des Wagens nach draußen, wie in eine andere Welt. Während sie ihn so laut sie konnte anschrie und mit der linken Hand an ihm rüttelte, versuchte sie mit der rechten das Lenkrad zu stabilisieren. Jedoch vergeblich. Kurz darauf prallten sie auf einen entgegenkommenden Bus und ihr Wagen überschlug sich mehrmals.
Lebe ich?
Sarah kam im auf der Beifahrerseite liegenden Wagen wieder zu sich. Sie hatte starke Kopfschmerzen und ihre Schulter schmerzte schrecklich.
Dieser verdammte Sicherheitsgurt. Was ist mit Max?
Erst jetzt machte sie sich Gedanken um ihren Freund und versuchte, ihren Kopf nach links zu drehen. Die dadurch entstandenen Nackenschmerzen brachten sie dazu, sich auf die Unterlippe zu beißen, um sich dadurch von diesen abzulenken. Dies stärkte in ihr die Hoffnung, sich in dieser nahezu aussichtslosen Situation doch noch nützlich machen zu können.
Max hing regungslos neben ihr in dem Sicherheitsgurt des Fahrersitzes und sie erkannte sofort die Wunde auf der linken Seite seiner Stirn.
Ist er mit dem Kopf gegen das Lenkrad geprallt? Ich muss Hilfe holen. Warum wurde der Airbag nicht ausgelöst?
Sofort suchte sie nach ihrer Handtasche.
Ich muss Hilfe rufen.
Hektisch durchsuchte sie den Fußraum des Autos. Doch ohne Erfolg. Da sie weder die Handtasche noch ihr Handy finden konnte, versuchte Sarah mit aller Kraft nach Hilfe zu rufen. Jedoch konnte nicht einmal sie selbst in diesem Schockzustand ihren eigenen Hilferuf hören. Ihr Kopf dröhnte und sie hörte einen unangenehmen Piepton auf beiden Ohren.
Die Straße, von der sie kurz davor abgekommen waren, war einfach viel zu laut und ihre von dem erlittenen Schock beeinflusste Stimme viel zu leise. Darauf begann sie damit, das Handy ihres Freundes zu suchen. Dieses fand sie nach wenigen Sekunden unter ihrem Sitz. Das Display des Smartphones war vollkommen zerstört. Es zeigte auch nach mehreren Versuchen keine Reaktion und somit lies sie es hoffnungslos fallen.
In diesem Moment bemerkte sie den grellen blauen Lichtstrahl, der durch die zersplitterten Scheiben des Wagens schimmerte. Sie versuchte ihren Blick in die Richtung, in welcher sie die Lichtquelle vermutete, zu richten und bemerkte mit Entsetzen, dass über ihnen der Himmel aufbrach. Es wirkte, als würde das Licht durch eine Wand aus blauem Stoff brechen. Die Wolkendecke über ihnen war nahezu vollständig in blaues Licht getaucht und genau in der Mitte der Lichtfläche befand sich ein Objekt, das von Sekunde zu Sekunde größer wurde.
Was zur Hölle ist das? Träume ich?
Sie drehte ihren Kopf erneut zu Max in der Hoffnung, ein Anzeichen dafür zu finden, dass sich dies alles lediglich in ihrer eigenen Traumwelt abspielte.
Die Schmerzen in Kopf und Oberarm vermittelten ihr jedoch das Gefühl, dass dies die Realität war und sie nicht die Möglichkeit hatte, einfach wieder aufzuwachen und in ihr gewohntes Leben zurückzukehren.
Als letztendlich auch die Häuser und Felder neben der Straße in blaues Licht getaucht waren, verlor sie erneut das Bewusstsein.