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Kurzeinstieg in die Baumkontrolle

Rechtliche Grundlagen der Verkehrssicherungspflicht

Definition der Verkehrssicherungspflicht {Verkehrssicherungspflicht}

Eine gesetzliche Regelung oder Definition der Verkehrssicherungspflicht existiert nicht. Der Begriff wurde durch die Rechtsprechung, ausgehend vom allgemeinen Schädigungsverbot des § 823 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) entwickelt:

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs[1] ist derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Verkehrssicherungspflichtig ist auch derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine eingetretene Gefahrenlage andauern lässt.

Verkehrssicherungspflichten folgen v. a. aus der Verantwortlichkeit für den eigenen Herrschaftsbereich. Sie können sich aufgrund einer Verkehrseröffnung, wie z. B. bei Straßen, ergeben. Darüber hinaus gibt es eine Zustandshaftung, die an der Verfügungsgewalt z. B. des Eigentümers über eine Sache anknüpft.

Adressat der Verkehrssicherungspflicht {Verkehrssicherungspflicht, Adressat der}

Die Verkehrssicherungspflicht trifft denjenigen, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage für Dritte schafft oder andauern lässt und in der Lage ist, die Gefahr abzuwenden. Für die Verkehrssicherheit {Verkehrssicherheit, von Bäumen} von Bäumen ist demnach derjenige verantwortlich, der die tatsächliche Sachherrschaft über den Baum hat, also grundsätzlich der Eigentümer oder dinglich Berechtigte, daneben aber auch der Besitzer als Inhaber der tatsächlichen Gewalt, wie z. B. der Pächter einer Gaststätte.

Für den öffentlichen Verkehr gewidmete Straßen ist diejenige juristische Person verantwortlich, die den Verkehr eröffnet hat bzw. andauern lässt. Dies ist i. d. R. der Straßenbaulastträger, bei z. B. Gemeindestraßen also die Gemeinde. Dabei erstreckt sich die Verkehrssicherungspflicht des Straßenbaulastträgers grundsätzlich nur auf die sog. Straßenbäume {Straßenbäume} und nicht auf Bäume auf benachbarten Grundstücken. Straßenbäume sind solche Bäume an einer Straße, die nach der Verkehrsauffassung der Straße unmittelbar zugerechnet werden können[2]. Maßgeblich ist das äußere Erscheinungsbild, nicht das Eigentum. Der Straßenbaulastträger hat zwar keine generelle Kontrollpflicht für Nachbargrundstücke, aber er ist verpflichtet, gegen bekannte konkrete Bedrohungen der Verkehrssicherheit durch Bäume auf benachbarten Grundstücken ggf. straßenrechtlich einzuschreiten (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 2 FStrG).

Bei öffentlichen Grünanlagen, Freischwimmbädern, Spiel- und Sportplätzen usw. ist die jeweilige Gemeinde verkehrssicherungspflichtig.

Die Verkehrssicherungspflicht für mit Waldbäumen bestockte Grundflächen trägt grundsätzlich der jeweilige Waldeigentümer.

Für Bäume im Hausgarten ist der private Grundstückseigentümer verantwortlich.

Bei einem Grenzbaum ist jeder Grundstückseigentümer für den ihm gehörenden Teil des Grenzbaums in demselben Umfang verkehrssicherungspflichtig wie für einen vollständig auf seinem Grundstück stehenden Baum (§ 923 BGB)[3].

Umstritten ist, ob die Verkehrssicherungspflicht bei einem als Naturdenkmal {Naturdenkmal} geschützten Baum beim Eigentümer verbleibt oder auf die Naturschutzbehörde übergeht (§ 28 BNatSchG). Soweit der Eigentümer aufgrund der Verbotsregelungen in der Unterschutzstellungsverordnung nicht mehr in der Lage ist, seine Verkehrssicherungspflicht wahrzunehmen, geht diese nach der Rechtsprechung[4] mit Unterschutzstellung auf die Naturschutzbehörde über. Zu beachten ist aber, dass einige Bundesländer ausdrücklich anderslautende Regelungen in ihre Landesnaturschutzgesetze aufgenommen haben (vgl. z. B. § 14 Abs. 10 Satz 2 NatSchAG M-V).

Bei Bäumen, die einer Baumschutzsatzung/-verordnung unterliegen, trägt die Verkehrssicherungspflicht grundsätzlich der Eigentümer. Er behält regelmäßig die Verfügungsgewalt über den Baum. Zum Teil enthalten die Baumschutzregelungen Freistellungsklauseln, die Maßnahmen zur Verkehrssicherung und zur Gefahrenabwehr von vornherein von den Veränderungsverboten ausnehmen. Im Übrigen besteht die Möglichkeit, Ausnahmen bzw. Befreiungen zu beantragen. Die Behörde haftet nur, wenn sie dem Baumeigentümer zu Unrecht eine Fäll- oder Behandlungserlaubnis verweigert.

Die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht ist eine Rechtspflicht. Bei der öffentlichen Hand müssen hierfür die finanziellen Mittel sowie eine ausreichende Personal- und Sachausstattung vorhanden sein. Allgemeine Finanzknappheit ist kein Entschuldigungsgrund für eine unterbliebene Verkehrssicherung.

Haftungsgrundlagen bei der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht {Verkehrssicherungspflicht, Haftung}

Die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht kann sowohl zu einer zivilrechtlichen Haftung (Schadensersatz) als auch zu strafrechtlichen Folgen (Geld- oder Freiheitsstrafe) führen.

Zivilrecht

Die Verkehrssicherungspflicht ist privatrechtlicher Natur und hat ihre rechtliche Grundlage in § 823 Abs. 1 BGB. Erforderlich ist die Erfüllung eines der Tatbestände des § 823 Abs. 1 BGB, d. h., die Verletzung eines der dort aufgeführten absoluten Rechte, wie z. B. Leben, Gesundheit oder Eigentum. Eine Haftung besteht nur, wenn die Verkehrssicherungspflicht schuldhaft verletzt wurde. Dabei ist zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit zu unterscheiden. Vorsatz setzt Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung voraus. Das bedeutet, dass die Herbeiführung der Schädigung wenigstens billigend in Kauf genommen wird. Vorsatz spielt deshalb bei Baumunfällen in der Praxis keine Rolle.

Im Vordergrund steht der Begriff der Fahrlässigkeit. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (vgl. § 276 Abs. 2 BGB). Der danach nicht näher bestimmte Sorgfaltsmaßstab bedarf der Konkretisierung. Einschlägige Richtlinien, DIN-Normen sowie Unfallverhütungsvorschriften sind zwar keine rechtsverbindlichen Gesetze. Sie sind aber grundsätzlich zur Bestimmung des nach der Verkehrsauffassung Gebotenen geeignet und können eine faktische Bindungswirkung haben[5]. Dies gilt jedoch nur, soweit sie tatsächlich den anerkannten Regeln der Technik[6] entsprechen.

Im Zusammenhang mit Bäumen sind v. a. nachfolgende Fachnormen und Regelwerke zu nennen:

Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für die Baumpflege (ZTV-Baumpflege {ZTV-Baumpflege} 2017[7]
DIN 18920 Schutz von Bäumen, Pflanzenbeständen und Vegetationsflächen bei Baumaßnahmen 2014[8]
RAS-LP 4 Richtlinie für die Anlage von Straßen, Teil: Landschaftspflege, Abschnitt 4: Schutz von Bäumen, Vegetationsbeständen und Tieren bei Baumaßnahmen (1999)[9]
Baumkontrollrichtlinien – Richtlinien für Baumkontrollen zur Überprüfung der Verkehrssicherheit (2020)[10]
Baumuntersuchungsrichtlinien {Baumuntersuchungsrichtlinie} – Richtlinien für eingehende Untersuchungen zur Überprüfung der Verkehrssicherheit von Bäumen (2013)[11]
Unfallverhütungsvorschriften, wie z. B. Regel Waldarbeiten (DGUV Regel 114-018)[12]; Unfallverhütungsvorschrift Gartenbau, Obstbau und Parkanlagen (VSG 4.2)[13]

Ferner:

Merkblatt DWA-M 162 Bäume, unterirdische Leitungen und Kanäle[14]
Merkblatt DWA-M 616 „Verkehrssicherung an Fließgewässern“
Richtlinien für die Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen (RSA 95)[15]

Im BGB gilt kein individueller, sondern ein objektiver Sorgfaltsmaßstab. Es ist nicht entscheidend, was der Verantwortliche tatsächlich für Kenntnisse hat, sondern ausschließlich, welche er seiner Position entsprechend hätte haben müssen. Die Sorgfaltsanforderungen sind zudem nach dem jeweiligen Verkehrskreis zu bestimmen. So kommt es bei der öffentlichen Hand hinsichtlich des Sorgfaltsmaßstabs auf die für die Ausführung der Aufgabe objektiv notwendigen Rechts-, Verwaltungs- und Sachkenntnisse an, die der Bedienstete sich verschaffen muss.

Voraussetzung der Fahrlässigkeit ist die Vorhersehbarkeit der Gefahr. Vorkehrungen für alle abstrakt denkbaren Schadensrisiken können regelmäßig nicht verlangt werden, sondern nur die Vorsorge gegen eine konkrete Gefahr. Diese liegt vor, wenn ein Schadenseintritt mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Eine rein theoretische Gefahr, dass ein Dritter durch einen Baum geschädigt werden kann, reicht zur Begründung einer Handlungspflicht nicht aus.

Kein Verschulden liegt vor, wenn der durch einen Baum eingetretene Schaden auf höhere Gewalt zurückzuführen ist. Darunter versteht man ein unabwendbares Ereignis, das auch durch Anwendung äußerster, den Umständen nach möglicher und dem Betreffenden zumutbarer Sorgfalt nicht zu vermeiden war. Es handelt sich um ein unvorhersehbares Wirken von Naturkräften, das dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen ist. Dabei beruhen Schäden durch Bäume, die bei stürmischem Wind der Stärke neun nach Beaufortskala[16] umstürzen, nicht automatisch auf höherer Gewalt. Dies ist nur dann der Fall, wenn das Umstürzen des Baums ein nicht vorhersehbares Ereignis darstellt, dem mit angemessenen und zumutbaren Mitteln nicht rechtzeitig begegnet werden konnte. Entscheidend ist daher, dass zuvor keine verkehrsgefährdenden Schadsymptome {Schadsymptome, verkehrsgefährdend} erkennbar waren. Nach dem LG Köln[17] ist einer Kommune die lückenlose Kontrolle des Stadtgebiets innerhalb weniger Tage nach einem Sturm nicht zumutbar. Dagegen trifft nach dem OVG Münster[18] den Verkehrssicherungspflichtigen für einen Behördenparkplatz die Pflicht, bei einem Druckzwiesel nach einem Sturm unverzüglich eine fachmännische Untersuchung durchzuführen.

Rechtsfolge der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ist ein Schadensersatzanspruch des Geschädigten in Geld, der den Vermögensschaden und ggf. auch einen Schmerzensgeldanspruch umfasst. Dieses zivilrechtliche Haftungsrisiko ist versicherbar.

Amtshaftung {Amtshaftung}

Ein Hoheitsträger wie der Staat oder die Gemeinde haftet bei der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht grundsätzlich wie eine Privatperson nach § 823 Abs. 1 BGB. Soweit der Hoheitsträger jedoch hoheitlich tätig wird, haftet er nach den Regeln der Amtshaftung (§ 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG). Voraussetzung hierfür ist, dass die Verkehrssicherungspflicht durch einen gesetzlichen Organisationsakt ausdrücklich als hoheitliche Aufgabe qualifiziert wurde. Alle Bundesländer außer Hessen haben in ihren Landesstraßengesetzen die sich aus der Überwachung der Verkehrssicherung ergebenden Aufgaben als öffentlich-rechtliche Amtspflicht geregelt. In diesen Fällen greift daher die Amtshaftung.

Bei der Amtshaftung haftet im Außenverhältnis zum Geschädigten nur der Hoheitsträger und nicht der Bedienstete persönlich. Nur im Innenverhältnis (Hoheitsträger – Bediensteter) ist der Rückgriff des Hoheitsträgers bei vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Verhalten des Bediensteten möglich (Art. 34 Satz 2 GG). Grobe Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn dasjenige außer Acht gelassen wird, was sich einer umsichtigen, verständigen Person aus dem Verkehrskreis des Handelnden hätte aufdrängen müssen. Es ist von einem hohen Maß an unentschuldbarer Pflichtverletzung auszugehen.

Strafrecht {Strafrecht}

Neben der Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz kann auch eine strafrechtliche Haftung, d. h., die Verurteilung zu Geld- oder gar Freiheitsstrafe in Betracht kommen. Die maßgeblichen Straftatbestände sind die fahrlässige Körperverletzung (§ 22 StGB) und die fahrlässige Tötung (§ 222 StGB). Fahrlässig im strafrechtlichen Sinne handelt, wer einen Straftatbestand, wie z. B. eine Körperverletzung, rechtswidrig verwirklicht, ohne dies zu wollen oder zu erkennen, aber wenn ihm dies vorwerfbar ist. Ob sich ein Bediensteter im Zusammenhang mit der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht strafbar gemacht hat, entscheidet sich danach, ob er die erforderliche Sorgfalt nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen außer Acht gelassen hat. Es kommt – anders als im BGB – nicht auf das in dieser Stellung allgemein geforderte Wissen an, sondern darauf, welche Einsichts- und Handlungsfähigkeit ihm persönlich zugemutet werden konnte. Die strafrechtliche Verantwortung ist immer höchstpersönlich, sie lässt sich weder auf Dritte abwälzen noch versichern.

Fußnoten:

[1]

BGH NJW 2013, 48 m. w. N.

[2]

BGH NZV 1989, 346; vgl. im Einzelnen Hilsberg BayVBl. 2012, 492

[3]

BGH NJW 2004, 3328

[4]

OLG Celle NJW 1957, 1637; OLG Frankfurt NJW 1989, 2824; VG Frankfurt (Oder), Urt. v. 29.04.2003, Az.:7 K 300/00

[5]

BGH NJW 2001, 2019; NJW 2004, 1449

[6]

Voraussetzung: Die Regel ist in der Fachpraxis erprobt und bewährt; maßgebend ist die Durchschnittsmeinung, die sich in Fachkreisen gebildet hat.

[7]

Herausgegeben von der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V. (FLL)

[8]

Herausgegeben vom Deutschen Institut für Normung e.V. (DIN)

[9]

Herausgegeben von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. (FGSV)

[10]

Herausgegeben von der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V. (FLL)

[11]

Herausgegeben von der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V. (FLL)

[12]

Herausgegeben von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV)

[13]

Vorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz (VSG), herausgegeben von der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau - SVLFG

[14]

Herausgegeben von der Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. (DWA)

[15]

Die RSA sind Bestandteil der VwV-StVO (Ziffer I VwV-StVO zu § 43 Abs. 3 Nr. 2).

[16]

Nach der Beaufortskala liegt Sturm erst ab einer Windstärke von neun Beaufort vor; OLG Brandenburg, Urt. v. 22.10.2015, Az.: 5 U 104/13, ließ allerdings bereits eine Windgeschwindigkeit von acht Beaufort ausreichen.

[17]

LG Köln, Urt. v. 05.05.2015, Az.: 5 O 409/14

[18]

OVG Münster, Beschl. v. 13.07.2016, Az.: 1 A 1194/15

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