Читать книгу F&%K THE CRISIS - Fox Hardegger - Страница 7
ОглавлениеBoom!
Nachdem wir in Singapur eine Zeit lang in einem Service Apartment, einer hotelartigen Wohnung gelebt hatten, mietete ich beim Neustart eine Vier-Zimmer Wohnung im Tanglin Park an. Möbel besassen wir keine mehr. Unser Hab und Gut hatten wir in Australien zurückgelassen. Wir waren teuer und sehr aufwendig eingerichtet gewesen. Vom schönen Korkenzieher bis zum vollen Weinregal, vom massangefertigten Sofa bis zum Bett samt passender Bettwäsche: Der Liquidator hat sicher ein gutes Geschäft gemacht. Nur weg aus down under: Zu diesem Zeitpunkt war ich unendlich müde, mochte nicht mehr, wollte Australien und die dortigen Erfahrungen so schnell als möglich hinter mir lassen. Eineinhalb Jahre lang hatten wir daraufhin praktisch aus dem Koffer gelebt. Gewohnt sehr viel Geld zu verdienen, war jetzt Sparkurs angesagt, da ich unsere Ersparnisse für die Firmengründung verwenden wollte. Also statteten wir dem schwedischen Einrichtungshaus einen Besuch ab und innert weniger Stunden war ein kompletter Haushalt zusammengestellt.
In Sachen Umzug bin ich ein Profi: In meinem Leben wechselte ich mehr als fünfzig Mal das Domizil. Es kostete mich keine Mühe und auch die Neuanfänge in neuen und bisweilen exotischen Ländern fielen mir stets leicht. Lange Zeit spürte ich beim Weiterziehen ein Gefühl der Befreiung oder um es in den Worten von Janis Joplin zu sagen: «freedom is just another word for nothing left to lose». Freiheit ist nur ein anderes Wort für den Umstand, dass man nichts mehr zu verlieren hat. Ebenfalls empfinde ich es als befreiend, Materielles – manchmal freiwillig, manchmal erzwungen – hinter mir zu lassen, um zu neuen Ufern aufzubrechen: In der Zwischenzeit zusammen mit meiner kleinen Familie, die ähnlich denkt und fühlt wie ich, was mich mit Stolz und Dankbarkeit erfüllt.
Reichtum bewegt mich nicht, war nie die Hauptmotivation für meine Aktivitäten. Viel Geld bringt nicht mehr Glück. Allerdings und das ist sicher ein nicht zu unterschätzender Aspekt, lässt sich mit Geld eine gewisse Unabhängigkeit erkaufen: Die Freiheit tun und lassen zu können, was man will. Viel zu verdienen, heisst auch, dass man sich Gedanken zum verantwortungsvollen Umgang mit Geld macht und sich nicht einzig und allein darüber definiert, wie viel man besitzt. Nur dumme Leute bilden sich etwas auf ihren Reichtum ein und Dummheit ist der Boden auf dem Arroganz und Leichtsinn wachsen. Am Geld hielt ich nie fest, aus diesem Grund kam es mir vielleicht auch immer wieder abhanden, waren viele Neuanfänge nötig und natürlich haben mich die damit gemachten Erfahrungen als Mensch und Unternehmer geprägt.
Ob ich gerade viel oder weniger Geld verdiente, änderte nichts an meiner Reiselust. Doch nun war ich froh in Singapur eine feste Bleibe gefunden zu haben, die auch meiner Frau und Jenny, meiner damals 2-jährigen Tochter, entsprach. Beim Tanglin Park handelte es sich um eine gemütliche Wohnanlage, zu der auch ein Swimmingpool und ein Tennisplatz gehörte. Diese von Ausländern bewohnten Gelände sind im Vergleich mit jenen Wohnungen, die die Einheimischen anmieten dürfen, teuer. Mit einer Miete von 6’500 Singapur-Dollar – knapp 6’000 Franken – hatten wir ein eigentliches Schnäppchen gemacht.
Am Abend sass ich auf der Veranda und dachte nach: Obwohl unser Auftritt vor der CapitalLand-Belegschaft Oscar-würdig ausgefallen war und die Produkte, die wir präsentierten als erstklassig beurteilt wurden, konnte ich nicht absolut sicher sein, wie sich die Herren entscheiden werden und in schwachen Minuten fragte ich mich, ob die hohen Kosten und meine ganze Kraft, die ich bereits in dieses Projekt investiert hatte, vielleicht doch vergeblich gewesen sind. Doch nach einiger Zeit lag eine Nachricht vor: Es handelte sich um ein Angebot für eine 16 m2 grosse Lokalität, die im zweiten Untergeschoss neben der Rolltreppe lag: «Plaza Singapora» ist eine sehr gut frequentierte Mall mit einer eigenen U-Bahn-Station und mein zukünftiger Shop war mit 8’000 Singapur-Dollar Miete pro Monat auch noch bezahlbar. Endlich! Meine Freude war grenzenlos. Nach vielen Monaten harter Arbeit und vielen Kämpfen würde ich bald mein erstes Geschäft eröffnen.
Wochen später folgte der Umbau des Lokals nach meinen Plänen. In Singapur geht ein solches Unterfangen in Windeseile über die Bühne, da alles andere umsatzschädigende Auswirkungen hat. Die Arbeiter fielen wie ein Heuschreckenschwarm auf Kommando über die Baustelle her und innert weniger Tage war der Spuk vorüber, die Verschalung wurde entfernt und vor uns lag ein wunderschönes und perfekt eingerichtetes Ladengeschäft. Anfänglich produzierte ich mithilfe von Mario in seiner Schulungsküche und transportierte die verschiedenen Sorten in Styroporkisten verpackt mit meinem Privatauto. Diese Art der Lieferung war verboten, aber erst Jahre später realisierte ich, dass solche Aktionen mit drakonischen Strafen geahndet werden. Am Tag der Eröffnung türmten sich pastellfarbene Eisberge in den Auslagen. Traditionelle Sorten wechselten sich mit experimentellen Geschmackskombinationen ab. Zweiunddreissig verschiedene Aromen – also über zweihundert Kilogramm Eis – mussten im Vorfeld produziert werden. Mit Nüssen, kandierten Früchten und anderen kulinarischen Leckereien verziert, erinnerte meine Eisdiele an die Toskana, an Rimini, an Italien. An Leichtigkeit, Genuss und Glück.
Noch vor der offiziellen Öffnungszeit näherte sich die erste Kundin. Sie blieb vor der Vitrine stehen. Während sie telefonierte, zeigte sie mit dem Finger auf zwei Sorten. Als hätte ich in meinem Leben noch nie etwas anderes gemacht, griff ich zum Eiskugelmacher und Sekunden später lag die Köstlichkeit in einem Becher. Sie bezahlte mit einem 10-Dollar Schein. So gemächlich der erste Tag gestartet war, so schnell nahm er an Fahrt auf. Kurz nach der Lunch-Zeit gab es einen ersten Ansturm und gegen Abend – Gelato verkauft man übrigens am Abend und nicht am Nachmittag – standen die Kundinnen und Kunden in drei Reihen auf der ganzen Breite des Ladens Schlange. Boooom! Das hat eingeschlagen. Am ersten Tag erwirtschafteten wir in unserem winzigen Kiosk zu dritt – mehr Angestellte fanden beim besten Willen keinen Platz hinter dem Tresen – einen Tagesumsatz von 2’580 Singapur-Dollar.
Spätnachts drehte und wendete ich den ersten 10-Dollarschein, den ich Stunden zuvor mit meiner Eisdiele erwirtschaftet hatte. Ich versah ihn mit Datum und dem Firmenstempel, würde ihn einrahmen lassen und als Erinnerung an die Anfänge auf meinen Schreibtisch stellen, der sich zu diesem Zeitpunkt in unserem Schlafzimmer befand.
An diesem Abend dachte an die Höhen und Tiefen der vergangenen Jahre und nahm – wie so oft – das wunderbare Buch der australischen Sterbebegleiterin Bronnie Ware zur Hand und gelangte schnell zu jenem Kapitel, das Auskunft gibt, was sterbende Menschen am meisten bereuen. Die grosse Mehrheit antwortete: Dinge nicht getan und Chancen nicht genutzt zu haben. Die Angst vor dem Risiko lässt Menschen zu wenig erleben. Sie erleben manches, aber zu vieles nicht, weil sie auf jene Sicherheiten nicht verzichten wollen, die der Existenz auch Halt bieten. Doch das Leben besteht in meinen Augen nicht aus dem Erreichten, sondern aus dem Erlebten.
Ich habe fast immer alles versucht und das beinhaltete natürlich auch die Kraft, um Krisen und Rückschläge zu bewältigen. Scheitern, untergehen, durch den Dreck robben und dabei Staub schlucken: Das habe ich erlebt. Tiefschläge sind die Essenz aller Erfahrungen, sie machen das Leben aus und schaffen eine Erkenntnis: Dass man fast alles überlebt, auf jeden Fall aber viel mehr als man denkt. Wer aufsteht, sich den Staub von den Kleidern klopft, die Krone richtet und weiterläuft, weiss auch: Der Unterschied zwischen einem Verlierer und einem Gewinner ist einfach, dass der Gewinner einmal mehr aufsteht.
Wer gut verliert, gewinnt auch gut und die schlechten Erfahrungen relativeren später riesige Erfolge, sorgen aber auch dafür, dass man den Bezug zur Realität nicht verliert. Zu viele unerfüllte Träume trüben die Seele. Die Zukurzgekommenen! Sie sind keine angenehmen Zeitgenossen. Wer viel wagt, steckt allerdings auch viel ein. Manche Fehlschläge, von denen einige erst noch kommen sollten, waren schmerzhaft, von anderen glaubte ich mich nicht mehr zu erholen und einige machten sogar das Weiterleben zu einer Qual. Doch im Nachhinein betrachtet, waren all diese Erfahrungen wichtig für mich. Sie trugen dazu bei, wer ich heute bin. Jenem Menschen, den ich so gut kenne, mit all seinen guten und schlechten Seiten, kann ich heute im Spiegel mit gutem Gewissen in die Augen blicken, denn Selbstrespekt findet man erst, wenn man die eigenen Fehler überlebt und dabei etwas lernt.
Was noch alles auf mich zukommen sollte, wusste ich nicht, als ich an den kommenden Tagen vor meinem Glacé-Laden mit Namen «Gelateria Italia» stand: Klein und bescheiden, wie ein Neuanfang nach dem totalen wirtschaftlichen Crash zu sein hat. Trotzdem war ich der glücklichste Gelato-Verkäufer der Welt. Nach allen Dramen und Anstrengungen der zurückliegenden Zeit war ich endlich wieder im Geschäft! Viele andere hatten dieses Projekt für eine Spinnerei gehalten. Ich antwortete: «Wenn man versucht, seine Träume in die Realität umzusetzen, spielt es keine Rolle, ob man scheitert. Hauptsache, man hat es versucht.» Der Versuch hatte sich offensichtlich gelohnt. Noch ahnte ich nicht, dass sich unsere Produktion bald auf 15 Tonnen pro Monat belaufen würde und jeden Tag Zehntausende von Eiskugeln über die Ladentheken unzähliger Lokale gehen würden, die ich in Singapur betreiben würde.
Voll motiviert stürzte ich mich in die neuen Aufgaben. Van Gogh schien ebenfalls Spass zu entwickeln und natürlich waren seine Produkte in jeder Hinsicht erstklassig. Obwohl ich über seine schwierige Persönlichkeit im Bild war, bot ich ihm bald eine Beteiligung an meiner Firma an. Als Gegenleistung wollte ich die Rechte an seinen Rezepten. Er betrieb weiterhin seine Firma, die im Vertrieb und in der Schulung im Bereich der Eisherstellung tätig war, in den anderen Bereichen waren wir nun als Business-Partner aufeinander angewiesen.
Meine Frau und ich arbeiteten bis zum Umfallen. Produzieren, verpacken, laden, fahren, liefern, auffüllen, verkaufen, abrechnen, die Belegschaft schulen: Am Nachmittag fuhr Anh jeweils mit unserer Tochter nach Hause, um mit ihr Zeit auf dem Spielplatz zu verbringen und sie am Abend ins Bett bringen zu können, während ich bis spät in die Nacht weiterarbeitete. Gegen Mitternacht fiel ich ins Bett, um sechs Stunden später wieder aufzustehen. Dieses Programm zog ich an sieben Tagen die Woche viele Monate lang durch. In Australien hatte ich mir geschworen, dass ich mich nie mehr über zu viel Arbeit beschweren werde. Viel Arbeit ist kein Stress, keine Arbeit zu haben, macht Stress. Für Stress sorgte in dieser Situation höchstens Mario «van Gogh». Die Unstimmigkeiten dauerten an und immer häufiger schnitt ich ihm jetzt in Gedanken ein Ohr ab. Doch noch brauchte ich ihn, noch musste ich mich mit ihm arrangieren.
Seine Beleidigungen und Versuche mich zu erniedrigen, rissen nicht ab. Ich versuchte meine Reaktionen zu mässigen und betrachtete es als Schulung meines Charakters, damit klarzukommen. Manchmal erschien mir diese Situation dennoch unerträglich. Zum Glück verfügten wir über finanzielle Reserven und das Business lief gut. Wir konnten einander aus dem Weg gehen, sonst hätte es wohl Mord und Todschlag gegeben. Ich versuchte mich in dieser Zeit auf das Positive in meinem Leben zu konzentrieren, mein Kind, meine geliebte Frau, die guten Erträge, die ich erwirtschaftete. Es herrschte Aufbruchsstimmung! Rückblickend war es eine fast sorglose Zeit. Hart aber gut.
Der grosse Erfolg unserer winzigen Gelateria blieb auch CapitalLand nicht verborgen. Bald lag ein Angebot für eine zweite Lokalität vor. Die «JCube-Mall» existierte zwar erst auf dem Reissbrett, schien aber das Mass aller Dinge zu sein. Als Highlight sollte im zweiten Stock eine Weltklasse-Eishockey-Arena mit Eisfeld und Sitzplätzen für ein paar tausend Zuschauer entstehen, die bei ständigen Aussentemperaturen von 35 °C in Scharen in die Mall strömen würden. Uns wurde ein Ladengeschäft bei der Rolltreppe angeboten. Rolltreppen sind verkaufstechnisch gesehen immer gut, denn sie bedeuten stetige Frequenz. Dieses Objekt würde erst nach der einjährigen Bauzeit zur Verfügung stehen. Wir unterschrieben den Vertrag und leisteten, wie immer in dieser Stadt, auch ein Mietzinsdepot, das in diesem Fall mit rund 80 000 Singapur-Dollar zu Buche schlug.
Auch anderswo hatte sich unser Erfolg herumgesprochen: Die renommierte Takashimaya-Mall – sie gilt als besonders elegante und exklusive Adresse – meldete sich bei uns. Mister Yap, der Leasing Manager bot mir eine Fläche an. Ab diesem Zeitpunkt landeten in schöner Regelmässigkeit Top-Angebote auf meinem Tisch, denn jetzt wollten auch andere Vermieter das erfolgreiche Gelato-Italia-Konzept in ihren Einkaufszentren wissen. Ich konnte auswählen und wählte das Beste: die Takashimaya-Mall. Die Gegend ist mit dem Zürcher Paradeplatz vergleichbar. Wenn einem Gastronomen dort eine Eck-Lokalität mit Aussensitzplätzen angeboten wird, sagt er auch nicht «Nein». Später sollten wir allein an der Orchard Road vier Shops betreiben, doch bereits zu diesem frühen Zeitpunkt bedeutete das prestigeträchtige Angebot eine grosse Anerkennung unserer Arbeit.