Читать книгу F&%K THE CRISIS - Fox Hardegger - Страница 9
ОглавлениеEine rebellische Jugend
Wer hätte gedacht, dass aus mir ein erfolgreicher Unternehmer wird, jedoch auch ein glücklicher Ehemann und Familienvater? Mein Grossvater! Er traute mir alles zu und in diesem Zusammenhang erinnerte ich mich an das Weihnachtsfest im Jahr 1987. Ich war siebzehn Jahre alt und verkörperte nicht gerade das, was man von einem wohlerzogenen Jungen aus gutem Haus erwartet hätte. Als Jugendlicher wollte ich die Welt verändern, wollte anders sein und machte jede Menge Ärger. Das Gefühl nicht in ein bürgerliches Dasein zu passen, entsprach meinem umtriebigen Charakter, war aber auch dem Wunsch nach Aufmerksamkeit geschuldet, wie ich heute weiss. Sicherheit und Geborgenheit: Beides fehlte mir in meiner Kindheit mit Eltern, die sich scheiden liessen, mit einem Vater, der als Unternehmer vielbeschäftigt war, und einer Mutter, die zwar ihr Bestes gab, bisweilen aber doch arg gefordert, zeitweise auch überfordert war.
Bereits als 12-Jähriger war ich oft emotional komplett auf mich allein gestellt. Ich lebte in einem separaten Mansardenzimmer, das Bestandteil des Appartements meiner Mutter war. Da meine Behausung über einen separaten Schlüssel und Eingang verfügte, agierte ich allerdings autonom. Während meine Mutter und meine Schwester zusammen eine Frauen-WG bildeten, trug meine vermeintliche Freiheit nicht zu meinem Glück bei.
Ich konnte tun und lassen, was immer ich wollte. Meine Mutter kam mit ihrer Arbeit und der Situation als alleinerziehende Mutter oft an ihre Grenzen während ich Halt suchte und einen Vater vermisste, der mir auch einmal die Grenzen aufzeigen konnte. Obwohl ich tun uns lassen konnte was ich wollte, oder gerade deswegen, fühlte ich mich oft einsam, versuchte die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken in dem ich einen Lebenswandel führte, der nicht meinem Alter entsprach und oft auch die Grenzen des Erlaubten sprengte. Je älter ich wurde, desto abenteuerlicher wurden meine diesbezüglichen Aktionen. Mein rebellisches und bisweilen anstrengendes Verhalten wurde vordergründig zwar beklagt, es wurde Besserung verlangt, was mich aber in meiner rebellischen Phase der Jugend wenig beindruckte. Meine Mutter war zu stark mit sich selbst beschäftigt als das sie mir ernsthaft hätte Einhalt gebieten können.
Bereits als Jugendlicher ahnte ich, dass man die wirklich wichtigen Dinge nicht im Klassenzimmer oder im Hörsaal lernt. Ich wollte meine intellektuelle Energie und Neugierde anders ausleben, Erfolg haben und mir alle Facetten der Existenz einverleiben, kurz: Ich wollte Vollgas geben. Ein kleines Detail stand meinem Träumen im Weg; konkret wusste ich nicht, wie ich meine Ideen umsetzen sollte. In der Folge machte ich erst mal gar nichts. «Chill your life», wie meine Tochter heute ab und an sagt, entsprach mir dieser Satz als allumfassendes Lebensgefühl. Als 13-Jähriger rauchte ich Cannabis, in späteren Jahren glaubte ich, dass mir Drogenerfahrungen psychedelischer Art zu jenen Einsichten und jener Ruhe verhelfen, die mir so schmerzlich fehlten. Heute denke ich über dieses Thema ganz anders und bin sicher, dass auch weiche Drogen in diesem jungen Alter verheerende geistige Zerwürfnisse mit sich bringen können.
Hin und wieder griff mich die Polizei auf und chauffierte mich nach Hause. Je einsamer ich wurde, desto wilder wurde mein Benehmen und je öfter mich die Polizei nach Hause brachte, desto grösser wurden die Distanz und das Unverständnis in der Familie. «Diesem Jungen ist einfach nicht zu helfen», lautete nun der Tenor. Ich war ratlos und wusste nicht, dass ich eigentlich nur auf der Suche war: nach Liebe, Anerkennung und wohl auch der Fürsorge meines Vaters.
Die Schule blieb eine einzige Tortur: für alle Beteiligten. Aufsässig, umtriebig und unruhig, darf man mich mit Fug und Recht als Horror jedes Lehrers bezeichnen. Ich hatte es zwar irgendwie bis in die achte Klasse geschafft, meine Schulzeit allerdings in zwölf verschiedenen Schulhäusern verbracht, was dazu führte, dass ich keine Freundschaften mit anderen aufbauen konnte, allein blieb, mich auch so fühlte. Bald trieb ich mich tagsüber und am Abend in der Stadt herum, fand falsche Kollegen, wiederholte verschiedene Klassen und verabschiedete mich schliesslich, knapp 15-jährig, vom Schulbetrieb.
Meine Kindheit löste eine grosse Orientierungslosigkeit aus. Während andere mit einer guten Ausbildung in der Tasche in ein stabiles Berufsleben starteten, lebte ich ziellos in den Tag hinein und als ich endlich realisierte, dass es so nicht weitergehen kann und umzusetzen begann, was zu meinem Motto wurde – «Übernimm Verantwortung für Dein Leben!» – musste ich mir alles sehr hart erkämpfen. Ein Kämpfer bin ich geblieben, ein Mensch, der das, was er tut, mit ganzer Kraft macht, sich von Rückschlägen und Misserfolgen nicht unterkriegen lässt und vorwärtsstrebt.
Ein Schlüsselerlebnis war die Weihnachtsfeier 1987. An diesem Abend hatte ich es wenigstens pünktlich zur Weihnachtsfeier geschafft. Die Freude über mein Erscheinen war trotz widriger Umstände gross. Dass sein Enkel im Polizeiauto vorfuhr und vor der Villa abgeladen worden war, nahm das Familienoberhaupt – mein Grossvater – wortlos zur Kenntnis. Der grosse schwere Eichentisch, den ich später als eines der wenigen Stücke von meinem Grossvater erbte, war festlich gedeckt. Iwan Rebroffs sonore Stimme erklang aus dem Radio. Meine Grossmutter musste seit Tagen in der Küche gestanden haben, Köstlichkeiten jeglicher Art wurden aufgetischt. Über einen Adelstitel verfügten die Grosseltern nicht, das Haus, das sie bewohnten, glich aber einem prachtvollen Herrenhaus. Mein Grossvater hatte es im Verlauf seines Lebens zu ansehnlichem Vermögen gebracht und galt in seinen Kreisen als angesehene Figur. Erhaben thronte der Beweis, dass man viel erreicht und in der feinen Berner Gesellschaft seinen Platz gefunden hatte, über der Stadt. Eingerichtet mit antiken Möbeln und Kunst, verströmte das Interieur eine elegante und doch behagliche Atmosphäre. Wie immer sass Grossvater am Kopfende des Tischs. Der kostbare Rotwein floss in Strömen, die Stimmung wurde immer besser. Er war das unumstrittene Oberhaupt der Familie und mit seiner Bassstimme verschaffte er sich, auch ohne laut zu werden, jederzeit Respekt. Gleichzeitig war er unglaublich charismatisch, klug, witzig. Ein schöner alter Mann, stolz und würdevoll, zwei Eigenschaften, die er mit einer Prise Egozentrik zu würzen wusste.
An den Fingern trug er Siegelringe mit grossen Edelsteinen. Um den Hals baumelte stets eine schwere goldene Kette. Mode und Eleganz waren ihm wichtig. Sein weiss-schwarzer Bart war stets getrimmt. Zwei weisse Einfärbung liefen senkrecht am Ende der Mundwinkel in die Tiefe, während sich der Rest pechschwarz präsentierte. Fast wie bei einem Dachs. Sein Bart war sein grosser Stolz, denn – «Alles Natur!» – wie Grossvater zu sagen pflegte. Daran zweifelte ich, denn Schnitt und Zeichnung erschienen mir zu perfekt.
Am besagten Abend bat er mich zur späten Stunde in einen abgeschlossenen Bereich des Wohnzimmers, der neben dem Salon lag. Mir schwante Böses. Er nahm meine Hand und fragte, was letzte Woche passiert sei. Ihn anzulügen, war keine Option, also erzählte ich ihm, was ich ausgefressen hatte. Gefasst auf eine unangenehme Standpauke, schaute ich, wie sich sein Gesicht und seine Augen veränderten, während ich sprach. Als ich mit meiner Räubergeschichte fertig war, blickte er mich lange an. Es war totenstill, ich fühlte mich ziemlich unwohl. Doch dann atmete er tief durch und liess mich wissen: «Du wirst Deinen Weg machen, mein Sohn.» Er schwieg abermals, blickte mir tief in die Augen, sprach weiter. «Bleib Dir treu und trage Dir Sorge. Geh nicht zu weit und sei schlau genug, um zu wissen, wann Grenzen eingehalten werden müssen.» Zu meiner Zukunft äusserte er sich rundweg positiv, das hatte bisher noch nie jemand getan und seine Meinung zählte natürlich viel für mich viel. Er schloss mit den Worten: «Du wirst etwas aus Dir machen. Ich glaube an Dich.» Dann umarmte er mich lange.
Seine Worte veränderten mein noch junges Leben. Wahrscheinlich war es jener Moment, der den Unterschied machte und dazu beitrug, dass ich mein Leben später in den Griff bekommen habe. Es war das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, vollständig und bedingungslos akzeptiert zu werden. Mein Grossvater sprach mir sein bedingungsloses Vertrauen aus. Er glaubte an mich. Er war sicher, dass aus mir etwas wird. Er sprach keine Warnungen aus und drohte keine Konsequenzen an. Ich spürte Vertrauen und Respekt. Wie könnte ich ihm je wieder in die Augen blicken, wenn ich dieses Vertrauen nicht würdige? Ich liebe und bewundere ihn, bis zum heutigen Tag. Was für ein Mann. Spektakulär anders und klug genug, um zu wissen, wo die Prioritäten gesetzt werden müssen.
Seinem unerschütterlichen Glauben an mich verdanke ich viel. Er hat verhindert, dass ich in den folgenden Jahren abgestürzt bin. Viele meiner damaligen Freunde erlebten ihren fünfundzwanzigsten Geburtstag nicht. Ich lebte auch exzessiv und manchmal balancierte ich noch immer am Abgrund, doch im Unterschied zu jenen Kollegen, die nicht überlebten, respektierte ich von nun an auch die Gefährlichkeit von Situationen und Entscheidungen. Risiken nahm ich noch immer auf mich, Grenzen überschritt ich ebenfalls. Doch Fatalismus war für mich nach diesem Abend kein Thema mehr. Ich wollte meine Jugendjahre lebendig überstehen, wusste nun, dass mir das gelingen wird und: noch viel mehr.