Читать книгу Ich rede zu viel - Francis Rossi - Страница 5

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Für manche Menschen ist die Vergangenheit ein weit entfernter Planet. Ein Ort, an dem sie einmal lebten, an den sie sich aber nicht mehr erinnern können. Ein Ort, der für sie keine Bedeutung mehr hat. Auf mich trifft das nicht zu. Für mich ist die Vergangenheit allgegenwärtig. Sie ist eine Geschichte, die ich niemals ruhen lasse. Ich versuche zu ergründen, wie alles geschah. Warum das alles geschah. Die Vergangenheit kommt zu mir, wann immer sie es will. Und oftmals, wenn ich sie am wenigsten erwarte.

Manchmal sitze ich so da, und etwas lange Vergessenes taucht wieder auf, manchmal nur der Hauch einer Erinnerung. Es huscht vor meinem inneren Auge vorüber, und ich denke: „Ah! Nun kapiere ich es! Darum drehte sich das alles …“ Manchmal geht mir etwas durch den Kopf, das mich bewegt, etwas, das ich nicht ruhen lassen kann, so sehr ich mich auch bemühe, da es mich immer noch packt. Das fährt mir unter die Haut und provoziert zum Handeln. Ich will es dann verdrängen. An einen anderen Ort befördern.

Meine Frau Eileen meint, das liege daran, dass ich nicht aufhören würde, ständig bestimmte Themen zu analysieren. Dass ich zu weit ginge und erst mit dem Grübeln innehielte, wenn ich die Zusammenhänge verstanden hätte. Allerdings fallen mir die Lösungen erst Tage, manchmal Wochen, manchmal erst Jahre später ein. Und dann beginne ich, alles wieder neu zu analysieren.

Sollten Sie in diesem Buch auf Informationen stoßen, die Ihnen widersprüchlich erscheinen, ist das okay. Es gibt bestimmte Episoden, die sogar mir widersprüchlich erscheinen. Erst als ich begann, meine Gedanken zu Papier zu bringen, lernte ich mich besser kennen, erfuhr mehr über mich selbst. Es sind dies alles Themen, über die ich immer noch nachdenke, sie analysiere und herauszufinden versuche, was wirklich geschah. Themen, mit denen ich mich vielleicht sogar bis zum Tag meines Todes auseinandersetzen werde.

Dazu zählt auch meine Beziehung zu Rick Parfitt. Mir ist klar, dass nun – da er von uns gegangen ist – jeder möchte, dass ich mich öffne und alles über unser Verhältnis berichte. Doch das kann ich nicht. Die Geschichte ist immer noch nicht vorbei, wodurch mir eine abschließende und endgültige Betrachtung unmöglich erscheint. Rick machte über eine sehr lange Zeit hinweg – über 50 Jahre – einen großen Teil meines Lebens aus, und ich versuche immer noch zu erkunden, was diese zwischenmenschliche Beziehung charakterisierte. Ich weiß, was seine Familie denkt. Ich weiß auch, was die Status-Quo-Fans denken. Doch mit meinen eigenen Gedanken beschäftige ich mich jeden Tag, obwohl er nicht mehr unter uns weilt – vielleicht auch und gerade, weil er nicht mehr da ist. Und diese Gedanken verändern sich von Augenblick zu Augenblick.

Ich liebte Ricky wirklich, und dieses Gefühl hat nicht nachgelassen. Er hat mich oft auf die Palme gebracht, und manchmal gelingt es ihm sogar jetzt noch: Er war alles, was ich nicht war, aber sein wollte: eine strahlende Erscheinung, gutaussehend, talentiert, eben der glamouröse Blonde – ein wahrer Rockstar in der typischsten Bedeutung des Wortes. Ein Mensch, der nur im Heute lebte und sich nicht um das Morgen scherte, der den Augenblick auskostete und schnell weiter wollte – ohne Zugaben. Einfach ein Mr. Showbiz.

Ich hingegen war das exakte Gegenteil: ein unsicherer Angeber, immer dabei, etwas übermäßig zu kompensieren, ein Mensch, der immer an das Morgen dachte. Der Dunkelhaarige mit bald schütterem Haar, talentiert (möglicherweise), glücklich – auf jeden Fall. Doch ich war auch der Mann, der jedem „geschenkten Gaul“ ins Maul schaute und dabei sicherheitshalber alle Zähne zählte. Sich dann die Anzahl notierte. Und lieber noch mal nachzählte.

Man sagt, dass sich Gegensätze anziehen. Dass, wenn sich Gegensätze anziehen und die Dinge gut laufen, diese spektakulär gut laufen. Aber wenn sich Gegensätze anziehen und es nicht so läuft, wie es sollte, steuert alles einem katastrophalen Ausgang zu. Das war sicherlich der Fall bei Rick und mir. Wenn alles glatt über die Bühne ging, war es sehr, sehr gut. Aber wenn es sich anders entwickelte …

Egal, wir kommen noch dazu. Zuerst möchte ich aber klarstellen, dass dieses Buch nicht nur von meiner Beziehung zu Rick handelt, obwohl sie eine maßgebliche Rolle spielt. Das Buch handelt auch nicht nur von Status Quo, der Gruppe, bei der ich fast mein ganzes Leben lang im Rampenlicht stand. Aber die Band nimmt zwangsläufig einen großen Teil der Erzählung ein.

Die Autobiografie handelt von mir, ob es Ihnen gefällt oder nicht: Francis Dominic Nicholas Michael Rossi. So lautet mein Namen, obwohl mich Rick immer Frame rief – weil ich so spindeldürr war und schlaksige Arme und Beine hatte. Ihm fielen auch einige andere Namen für mich ein, und das meist, wenn er dachte, ich würde es nicht hören. Dann muss ich mir auch noch die „liebenswerten“ Namen anhören, die mir meine Frau und die Kinder aufdrücken: Sie sagen sie mir direkt ins Gesicht!

Und nicht zuletzt sind da noch die Namen, mit denen ich mich selbst tituliere, manchmal, wenn ich allein und schwermütig grüble – analysiere –, die Entwicklung meines Lebens nachverfolge, das, wenn Sie diese Zeilen lesen, seit über 70 Jahren andauert.

Eine gute Zeit aufzuhören, mögen Sie nun wohl sagen.

Oder eine noch bessere Zeit, um es richtig rauszulassen, kontere ich. Jetzt. In diesem Moment.

Morgen mag schon alles anders sein.

Oder vielleicht doch nicht?

Wir werden sehen.

Ich rede zu viel

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