Читать книгу TOD IN DER HÖHLE - Francisco J. Jacob - Страница 10
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Eine grauenhafte Entdeckung
Auf unserem Frühstückstisch sammelten sich Obstabfälle anstelle der üblichen Wurst- oder Schinkenabfälle. Wir schätzten schon damals eine vegetarische Ernährung. Mit der Zeit hatte ich die Vorzüge dieser gesunden Ernährungsweise entdeckt, wobei ich mir kleine Ausnahmen genehmigte.
»Das Frühstücksbuffet ist genauso, wie ich es mag«, schwärmte Hellen. »Vollkornbrot, Avocados und frisches Obst.«
»Und nicht zu vergessen, Café con leche«, hob ich den Milchkaffee hervor, welcher in Spanien traditionell ist.
»Wir haben ein schönes Hotel ausgesucht«, meinte sie und reckte sich genüsslich in ihrem Stuhl.
»Das kann ich bestätigen«, sagte ich lächelnd. »Ganz besonders gefällt mir die große Badewanne, in der wir gestern Abend zusammen …«
»O ja!«, unterbrach sie mich. »Das hat mir sehr gefallen«, und streifte mit ihrem Zeigefinger sanft über meine Hand.
Wir genossen etwas länger die milde Morgensonne auf der Terrasse.
Etwas später waren wir mit dem Wagen auf den Weg zur Cueva de Ribadés, einer prähistorischen Höhle und gleichzeitig die archäologische Attraktion in Ribadés.
»Wie mag die Höhle heute aussehen?«, fragte ich mit einer gewissen Erwartung.
»Ich bin auch gespannt«, sagte sie.
Wir fuhren über eine lange Brücke. Von Weitem sahen wir die große, massive Felswand, die sich neben dem Fluss und der schmalen Straße steil in die Höhe streckte. Der enorme Eingang zur Höhle war vergittert. In der Mitte des Gitters war ein Tor eingeschnitten, welches den Zugang gewährte. Vor dem Tor stand eine Menschenschlange, die sich kaum vorwärts zu bewegen schien.
»Was für ein Andrang«, bemerkte Hellen erstaunt.
»Hm, ob wir einen Parkplatz in der Nähe finden?«, fragte ich zweifelnd.
Wir bogen in die Straße ein und fuhren langsam an duzenden von Fahrzeugen entlang. Am Ende des Weges angekommen, bewegte sich glücklicherweise ein Wagen aus seiner Parklücke langsam heraus.
»Da! Glück muss man haben«, entfuhr es mir vor Freude.
Nachdem der Wagen geparkt war, spazierten wir zum Eingang. Auf dem Weg dorthin fiel mir eine mattschwarz lackierte BMW M5 Limousine auf.
»Ein Wagen mit über fünfhundert PS«, gab ich bewundernd von mir und zeigte darauf.
»Der sieht aber cool aus«, sagte Hellen begeistert und sah sich die Lackierung genauer an. »Als käme der aus dem Kühlfach.«
»Ja, das ist eine Sonderlackierung und heißt deswegen auch frozen black.«
»Aha! Dann habe ich ja richtig getippt!«
»Genau, aber in Ribadés hätte ich solch einen Wagen nicht erwartet.«
»Warum nicht? Hier gibt es gewiss auch reiche Menschen.«
Hellen holte ihren Fotoapparat aus der Tasche und schoss einige Fotos von dem Wagen, dann gingen wir weiter.
»Was ist denn an dieser Höhle eigentlich interessant?«, wollte sie wissen.
»Die Höhle ist atemberaubend und die Wandmalereien aus Urzeiten sind ein kostbarer Schatz. Drinnen ist es unbeschreiblich schön. Du musst es mit eigenen Augen gesehen haben.«
»Dass du dich daran erinnern kannst.«
»Oh, das habe ich noch sehr gut in Erinnerung«, sagte ich nachdenklich. »Damals gab es allerdings kein Gitter vor dem Eingang, es kostete keinen Eintritt und es standen auch keine Besucherschlangen an. Diesen Trubel gab es nicht. Für mich und meine Freunde war die Höhle eine Art Abenteuerspielplatz. Die Höhle gehörte zu unserer natürlichen Umgebung wie der Strand oder die Steilküste.«
»War es nicht gefährlich hier zu spielen? Ich hätte unsere Kinder nicht in einer Höhle spielen lassen.«
»Das würde ich heute auch nicht, aber früher war es etwas anders. Heute spielen die meisten Kinder auf Kinderspielplätzen, die einer gewissen Sicherheitsnorm entsprechen müssen. Oder sie spielen mit Computern beziehungsweise mit Smartphones«, erwiderte ich und versuchte den Unterschied aufzuzeigen.
Wir waren an der Warteschlange angekommen. Es standen mindestens sechzig Personen an, die sich angeregt unterhielten.
»Und deine Eltern? Ich meine, hatten sie es dir erlaubt, hier zu spielen?«
»Natürlich nicht. Keinem von uns war es erlaubt gewesen.«
»Ja, haben sie es nicht bemerkt, dass du hier gespielt hast?«, fuhr sie fort.
Wenn Hellen sich einmal in ein Thema festgebissen hatte, fand sie kein Ende.
»Oh doch, das haben sie. Es war an einem Sonntagvormittag. Ich hatte keine bessere Idee, als mit meinen Freunden hier in der Höhle zu spielen. Beim Klettern rutschte ich aus und lag mit meinem Sonntagspullover im Schlamm. Ich versuchte, den Schmutz auszuwaschen und habe den Pullover dann zum Trocknen aufgehängt. Das Dumme war nur, dass ich dabei die Zeit vergaß und zum Mittagessen nicht zu Hause war.«
»Oh!«
»Ja! Als ich mit dem verschmutzten Pullover nachhause kam, wurde ich erst einmal gerügt, dann gab es eine Ohrfeige und schließlich Hausarrest.«
Hellen sah mich traurig an und küsste mich sanft auf die Wange.
»Ach, du Armer«, sagte sie mitleidig.
Nach etwa einer halben Stunde hatte das Warten ein Ende. Wir standen, mit acht weiteren Personen und einem weiblichen Führer vor dem Höhleneingang. Dann gingen wir los.
»¡Bienvenidos a la Cueva de Ribadés!«, sagte sie und hieß uns in der Höhle von Ribadés willkommen.
»Yo me llamo María Elena«, so stellte sich uns María Elena vor.
Mit freundlichen Worten begrüßte uns die sehr junge Dame, die den Anschein machte, sich in den Semesterferien etwas nebenher zu verdienen. Es folgten einige archäologische und chronologische Daten. Der Weg zur eigentlichen Höhle führte durch einen engen Korridor, der uns hintereinander pilgern ließ, aber genügend Kopffreiheit bot und gut ausgeleuchtet war. María Elena ging voran und redete ununterbrochen. Ich hatte den Eindruck, dass sie damit versuchte, uns von der Enge abzulenken. Nach kurzer Zeit wurde es zunehmend heller und wir standen vor einem großen Eingang.
»Und das ist die Höhle!«, verkündete sie Stolz.
Sie tat es in einer Art und Weise, als würde sie den König von Spanien ankündigen. Sie drehte sich schwungvoll elegant um und zeigte mit ausgestrecktem Arm in die Tiefe der Höhle, wobei sie sich einmal um die eigene Achse drehte. Unsere Augen folgten gespannt ihrer Gestik.
Das grandiose Bild eines gewaltigen, in Millionen von Jahren gewachsenen Naturwunders bot sich uns. Die gewölbten, schimmernden Felswände und die unzähligen sowie hoch gewachsenen Stalaktiten und Stalagmiten ließen unsere Augen leuchten. Derart schön hatte ich die Höhle nicht mehr in Erinnerung, aber das lag sicher an der aufwändigen und effektvollen Ausleuchtung. Große Teile der Felswände leuchteten in einem warmen Gelb, andere wiederum in einem erfrischenden Orange. Ich hatte den Eindruck, ein vollkommenes Naturschauspiel vor Augen zu haben.
»Das ist ja wunderschön«, staunte Hellen und blieb wie angewurzelt stehen. Nur ihr Kopf drehte sich, um die gesamte Pracht zu erfassen. Dann zog sie ihre Kamera aus der Tasche, schaltete sie ein und fotografierte ununterbrochen.
»Ich freue mich. Hier ist es wun-der-schön«, sagte sie betonend und umklammerte mich.
»Nicht wahr? Ist das nicht grandios?«
»Ja! Hier hätte ich auch gern als Kind gespielt«, schwärmte sie und drückte mich stärker.
Wir konnten uns einfach nicht sattsehen und Hellen vermochte nicht genügend Fotos schießen. Nach einiger Zeit forderte uns María Elena zum Weitergehen auf.
»Wir müssen jetzt weiter. Wir wollen zu den Wandmalereien«, forderte sie uns auf.
Wir konnten uns, trotz mehrfacher Aufforderung, nicht von dem Anblick losreißen.
»Kommen Sie bitte, kommen Sie bitte«, sagte sie mehrmals.
Wir gingen weiter und kamen in einen großen Korridor mit Felsspalten und Rissen in den Wänden. Hellen und ich bildeten das Schlusslicht der Gruppe. Begeistert unterhielten wir uns über die zuvor gesehene Naturschönheit, als ich ein leises Geräusch hörte. Es klang wie das Klingeln eines Telefons. Ich blieb stehen und lauschte genauer hin. Da kein Raum in der Nähe war, musste es wohl ein Mobiltelefon sein. Dann wunderte ich mich darüber, wie in der Höhle ein Telefonempfang möglich war. Die Gruppe lief weiter. Hellen blieb ebenfalls stehen und drehte sich nach mir um. Ich gab ihr ein Zeichen, dass ich etwas gehört hätte. Das Klingeln kam direkt neben mir aus einer dunklen Felsspalte, die schulterhoch und eng war. Ich schaltete die Taschenlampenfunktion an meinem iPhone an und leuchtete in die Öffnung hinein, konnte aber nichts Außergewöhnliches sehen. Hellen kam fragend zu mir.
»Was ist?«
»Ich glaube, ein Telefonklingeln gehört zu haben. Ganz leise.«
»Ich höre nichts«, sagte sie ungläubig und zuckte mit den Achseln.
»Das Klingeln kam aus dieser Öffnung. Ich habe es genau gehört.«
»Bist du sicher? Hier hat man bestimmt keinen Empfang.«
Sie holte ihr iPhone aus der Tasche und schaltete es ein. Dann zeigte sie es mir.
»Siehst du: Kein Empfang! Lass uns wieder zur Gruppe zurückgehen.«
»Hellen, ich bin mir aber sicher, dass ich etwas gehört habe!«
»Komm schon«, sagte sie ungeduldig.
Wir gingen weiter. Als wir einige Schritte gegangen waren, hörte ich es wieder. Es war ein leises, fast wehleidiges Klingeln, welches aus derselben dunklen Felsspalte kam. Mit erhobenen Augenbrauen sah ich Hellen fragend an.
»Ja, jetzt höre ich es auch«, sagte sie erstaunt.
Ich ging zurück zur Felsspalte, schaltete die Taschenlampenfunktion wieder an und leuchtete in die Kammer hinein. Dann streckte ich den Arm mit dem iPhone weit in die Kammer und leuchtete.
»Ich kann nichts Besonderes entdecken«, sagte ich.
Ich leuchtete in alle Richtungen, aber es war einfach nichts Außergewöhnliches zu sehen. Das Klingeln war inzwischen verstummt.
»Ich werde ein Stück hineingehen«, sagte ich zu Hellen. »Dann wissen wir es.«
»Nein!«, entgegnete sie ängstlich. »Wer weiß, was da drinnen ist.«
Ich leuchtete nochmals in die Kammer.
»Der Boden scheint eben zu sein«, sagte ich zu ihr. »Ich gehe kurz hinein.«
»Aber sei vorsichtig.«
»Ja, keine Sorge.«
Ich zog den Kopf ein und quetschte mich durch die Öffnung. In der Kammer war es stockdunkel. Ich hörte, wie schwere Wassertropfen neben mir auf den Boden fielen. Der Grund unter meinen Schuhen wurde zunehmend weich und glitschig. Ich leuchtete die Wände bogenförmig an. Mit ein wenig Phantasie konnte man in den bizarren Wänden grässliche Gestalten sehen. Das erinnerte mich wieder an meine Kindheit, als wir uns in solchen Kammern fast zu Tode erschraken und vor Angst laut schrien. Als ich wieder auf den Boden leuchtete, zeigte mir das Licht die Lösung des Rätsels: Ein verschmutztes Mobiltelefon, welches auf dem matschigen Boden lag.
»Es ist tatsächlich ein Mobiltelefon«, rief ich Hellen zu. »Es liegt auf dem Boden.«
»Schön, dann kannst du ja wieder rauskommen«, sagte sie schnell. »Und sei vorsichtig.«
Ich ging zum Telefon und wollte es aufheben, als der Lichtkegel den Fuß eines liegenden Menschen erfasste. Ich wich erschrocken zurück und ließ das iPhone um ein Haar fallen.
»Ooh!«, gab ich von mir.
»Diego, was ist denn?«, fragte Hellen sogleich.
»Sofort«, gab ich angespannt zurück.
Mein Herz fing an, schneller zu schlagen. Ich leuchtete wieder an die Stelle, an der ich den Fuß gesehen hatte, dann etwas weiter bis der zweite Fuß zu sehen war. Darauf sah ich zwei andere Füße, und je weiter ich den Lichtkegel in die Richtung vor mir schwenkte, desto mehr wurden die liegenden Körper sichtbar. Schließlich offenbarte sich mir das grausame Bild: Zwei Menschen lagen regungslos und seitwärts aneinander gewinkelt auf dem Boden. Zudem hatten beide die Hosen heruntergezogen. Der Arm des dahinterliegenden lag über dem Körper des anderen. Ihre Köpfe waren blutüberströmt.
»Ach du lieber Himmel! Was ist denn das?«, entfuhr es mir.
Mir lief ein kalter Schauer den Rücken herunter. Der Atem stockte mir und mein Herz pochte plötzlich rasend schnell.
»Was ist? Hast du dich verletzt?«, fragte Hellen aufgeregt.
»Nein, nein, das ist es nicht«, gab ich beruhigend zurück.
»Was ist es denn?«
Ich sah weg, dann wieder hin, und wieder weg. Mir schossen Fragen durch den Kopf: Waren sie etwa tot? So sah es zumindest aus. Was hatten sie in der Höhle gesucht? Sie hatten sich doch nicht etwa hier vergnügt? … Aber warum in der feuchten Höhle und wieso auf diesem matschigen Boden? Hatte sie jemand dabei überrascht und dann umgebracht? War der Mörder etwa noch da? Hatte ich ihn womöglich bei seiner Tat unterbrochen? Sofort leuchtete ich mit dem iPhone um mich herum, konnte aber glücklicherweise niemanden entdecken. Ich ließ das Telefon liegen und lief rasch zur Felsspalte zurück. Dann blieb ich stehen, sah mich noch einmal um, schaltete die Fotofunktion ein und machte reflexartig ein Foto mit meinem iPhone. Dann quetschte ich mich durch die Felsspalte zurück in den Korridor, wo Hellen bereits aufgeregt wartete.
»Was hast du?«, fragte Hellen besorgt. »Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.«
Mein Herz pochte immer noch rasend. Ich atmete tief durch, dann sah ich sie an.
»Wir müssen sofort die Polizei rufen!«
»Aber wieso? Was ist mit dem Telefon? Und deine Schuhe sind voller Schlamm!«
»Mit dem Telefon ist nichts, aber ich habe zwei Tote gefunden!«
»Was? Zwei Tote? Wirklich?«
»Wenn ich es dir sage! Hinter dem Mobiltelefon liegen zwei Tote auf dem Boden! Wir müssen sofort zur Gruppe zurück. María Elena soll die Polizei rufen.«
Ich fasste Hellen an der Hand, dann liefen wir den Korridor entlang zur Gruppe. María Elena kam uns entgegen, weil sie uns bereits suchte.
»Wo bleiben Sie denn?«, fragte sie. »Wir haben Sie schon vermisst.«
»María Elena, ...«
»Woo waren Sie?«, unterbrach sie mich, während sie auf meine matschigen Schuhe zeigte.
»María Elena, du musst sofort die Polizei rufen!«, sagte ich aufgeregt zu ihr.
»¿Por que?«, sie wollte wissen warum.
»¡He encontrado dos muertos!«, damit sagte ich ihr, dass ich zwei Tote gefunden hatte.