Читать книгу TOD IN DER HÖHLE - Francisco J. Jacob - Страница 9

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Freunde suchen

»An der nächsten Kreuzung rechts!«, sagte die nette weibliche Stimme des Navigationssystems.

»Ja, die Straße kenne ich«, bemerkte ich gespannt.

»Das Ziel ist auf der rechten Seite!«, lautete die letzte Information, dann standen wir vor der Calle de la Fuente dreiundzwanzig.

Das Hotel Aurora war neu errichtet worden, wie auch andere Gebäude in Ribadés. Ich kannte es nicht, deswegen war ich erstaunt und gleichzeitig enttäuscht.

»Hier stand früher ein Wohnhaus mit einem Gemüsegeschäft im Erdgeschoss«, sagte ich und beklagte damit die Tatsache, dass man ein Stück meiner Vergangenheit demontiert hatte.

»Das Hotel sieht besser aus als auf den Fotos im Internet«, sagte Hellen, um mich aufzuheitern.

Als wir aus dem klimatisierten Wagen stiegen, merkten wir, wie heiß es doch draußen war.

An der Hotelrezeption wurden wir sofort vom Concierge aufs Freundlichste begrüßt. Der drahtige Mann mit kurz geschnittenem pechschwarzem Haar steckte in einem dunklen Anzug mit hellgrauer Weste und hatte eine dunkelgraue Krawatte umgebunden. Er sah ohne Übertreibung wie ein Concierge aus einem Fünf Sterne Hotel aus. Das hatte ich nicht erwartet!

»¡Buenos días!«, begrüßte er uns höflich und elegant.

»¡Buenos días!«, entgegneten wir.

»Unser Name ist Lesemann. Wir haben ein Doppelzimmer reserviert«, sagte ich.

Wir legten ihm unsere Pässe auf den Tresen. Er sah in sie hinein, dann auf den Bildschirm des PCs und nach ein paar eleganten, fast schon virtuosen Tastaturanschlägen vermeldete er:

»¡Muy bien!«

Hellen und ich verkneiften uns das Grinsen.

»¡Señora y Señor Lessemaan por diez días!«, sagte er dann, wobei er unseren Nachnamen besonders spanisch wiedergab.

»Korrekt«, quittierte ich. »Für zehn Tage.«

Er bemusterte Hellen von unten nach oben, dann sah er sie mit großen Augen an.

»Sie bekommen unser bestes Zimmer!«, vermeldete er mit schmeichelnder Stimme, hielt ihr den Zimmerschlüssel mit gespreizten Fingern hin und verbeugte sich.

»Das ist aber nett von Ihnen«, schmeichelte Hellen zurück.

»Oooh, nicht doch! Wir tun alles für unsere Gäste!«

Dann wechselte er den Blick zu mir, reichte mir ein Formular und sagte lässig:

»Die oberen drei Zeilen und Ihre Unterschrift genügen, den Rest mach ich schon.«

Das kühle Hotelzimmer hatte einen geräumigen Zuschnitt und war modern eingerichtet. Ich stellte unsere Koffer ab, während Hellen sofort zur Balkontür ging. Sie zog die schweren Vorhänge zur Seite, öffnete die Flügeltüren und genoss als erstes die Aussicht vom Balkon mit schmiedeeisernem Geländer. Ich folgte ihr.

»Ist das nicht wunderschön?«, sagte Sie begeistert und umarmte mich. »Wir können aufs Meer sehen.«

Die Aussicht war traumhaft. Weiß getünchte Häuser, enge Gassen und kunstgeschmiedete Straßenlaternen harmonierten zu einem romantischen Bild. Eine kleine alte Frau, mit einer schwarzen Schürze gekleidet, fegte vor einem kleinen Gemüseladen, der seine frische Ware auf simplen Holzkisten auf dem Bürgersteig anbot. Und über den roten Dächern hinweg sah man auf das Meer, in dem sich die Sonne schillernd spiegelte. So hatte ich diese kleine Stadt in Erinnerung.

Wir zogen unsere Reisekleidung aus. Während sich Hellen im Bad umsah, räumte ich, in Boxershorts, meine Kleidung in den Schrank. Dann stand sie im knappen Slip und im hautfarbenen kurzen Spagettitop vor mir. Sie trug nie einen BH. Ich sah sie bewundernd an.

»Der Concierge hat dir große Augen gemacht«, sagte ich im Spaß zu ihr.

»Sei nicht albern. Du weißt doch, dass nur du …«

Sie sah mich mit einem neckischen Blick an, kam näher, legte ihre Arme auf meine Schultern und zog mich sanft zu sich, um mich ihre üppigen Brüste spüren zu lassen. Danach kam sie mit ihren Lippen näher und drückte sie weich an die Meinen.

Ich umfasste ihre schlanke Taille und streichelte sie. Plötzlich zog sie sich langsam zurück.

»Was ist?«, fragte ich überrascht.

»Lass uns das verschieben. Wir sollten jetzt lieber deine ehemaligen Schulfreunde suchen.«

»Das hat doch Zeit«, sagte ich großzügig.

»Ich möchte erst Ribadés sehen und ein paar Fotos schießen.«

»Hellen! Willst du mich ärgern?«, fragte ich erregt.

»Wie kommst du darauf?«, gab sie schelmisch zurück.

Zum Rathaus war es nicht weit. Wie sollte es das auch. Die Stadt hatte gerade einmal 6500 Einwohner und das hatte sich seit vierzig Jahren kaum geändert. Wir gingen durch die Calle Santa María. Zur Linken lag die Plaza, auf der Kinder spielten und direkt am Ende derselben, stand das bekannte Café Carmen.

»In dieses Café gingen wir an manchen Sonntagen Kuchen essen«, sagte ich freudig. »Hier haben wir den Sonntag gefeiert.«

»Ich weiß, dass du schon früher gern Kuchen gegessen hast.«

»Ja. Insbesondere die Pasteles de merengue. Wir müssen uns nachher unbedingt diese köstlichen Stücke und Torten ansehen. Es gibt viele Sorten davon«, schwärmte ich. »Sie haben einen schaumig geschlagenen Inhalt und sind sehr lecker.«

Hellen lächelte mich an, dann gab sie mir einen Kuss.

Wir gingen weiter und bogen in die Calle del Progreso (Straße des Fortschritts) ein, in der das Rathaus stand.

Vor uns stand ein aus Sandstein gebautes kleines, quadratisches Gebäude mit winzigen Fenstern. Sehr massiv, aber schmucklos, unauffällig und furchtbar klein für ein Rathaus.

»Ein bescheidenes Gemeindehaus«, bemerkte Hellen enttäuscht.

»Tja, was soll ich sagen?«

»Sah das immer so aus?«

»Ich fürchte, ja. Das ist dasselbe Rathaus wie vor vierzig Jahren. Es gibt wohl kein Neues.«

»Dann sollte man den Straßennamen ändern.«

»Wieso?«

»Weil dieses Rathaus mit Fortschritt wenig zu tun hat«, sagte sie grinsend.

Der Eingang war von zwei großen Pflanzenkübeln eingesäumt. Ich öffnete die schwere Eingangstür, dann gingen wir hinein. Im dunklen und angenehm kühlen Flur roch es muffig. Eine streng wirkende Dame über sechzig mit grauem, hochgestecktem Haar begrüßte uns. Sie war ganz in Schwarz gekleidet und trug eine schwarze Mantilla, ein gesticktes Kopftuch. Sie erinnerte mich sofort an meine ehemalige Religionslehrerin in Ribadés, die jeden nicht auswendig gelernten Religionstext unverzeihlich bestrafte.

»¡Buenos días! Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie uns.

»¡Buenos días!«, erwiderte ich. »Nun, ich bin auf der Suche nach ehemaligen Mitschülern, die mit mir vor vierzig Jahren hier zur Schule gegangen sind«, sagte ich mit einem gewissen Zweifel auf Hilfe.

Sicher lag es daran, dass ich an meine Religionslehrerin dachte. Andererseits bemusterte mich die alte Dame mit einer missbilligenden Mine.

»Wissen Sie, vierzig Jahre sind eine sehr lange Zeit. Wie wollen Sie da noch jemanden finden?«, fragte sie verständnislos.

»Ich kenne zwei Namen. Könnte man nicht aus dem Einwohnermelderegister feststellen, wo …«

»… wo sie wohnen?«, vollendete sie meinen Satz in einem höhnischen Ton.

»Ja?«, fragte ich zweifelnd.

»Das tut mir sehr Leid, aber die Daten sind zu vertraulich, um sie jedem auszuhändigen. Stellen Sie sich vor, Ihre Daten würden ohne Weiteres an Fremde weitergegeben werden«, entgegnete sie patzig.

»Ich würde mich freuen, wenn es zu diesem Zweck geschieht.«

Sie sah mich erneut missbilligend an.

»Nein, das kommt nicht in Frage!«, und winkte ab. »Außerdem hatten wir vor sechs Jahren ein Feuer im Haus, durch das viele Akten vernichtet wurden.«, gab sie rechtfertigend hinzu.

Hellen schaute mich an und schüttelte mit dem Kopf.

»Tatsächlich?«, fragte ich staunend.

»Ja! Ich habe Ihnen ohnehin schon mehr gesagt, als ich darf«, sagte sie überheblich.

Die Eingangstür öffnete sich und ein Priester in schwarzer Soutane kam herein. Er kam langsam näher.

»Buenos días, Señora Jiménez«, sagte er, während er sich leicht verbeugte und seine Hände in Gebetshaltung hielt.

»Buenos días, Euer Hochwürden«, antwortete sie ehrfürchtig, verbeugte sich und hielt ihre Hände ebenfalls in Gebetshaltung.

»Kann ich helfen?«, fragte er sie mit gütiger Stimme.

Sie war vom plötzlichen Erscheinen des Priesters derart überrascht, dass Sie ihren Oberkörper in gebeugter Haltung behielt, um ihr Gesicht nicht zu zeigen.

»Entschuldigen Sie«, sprach ich den Geistlichen an und nahm die Gelegenheit wahr.

Er wandte sich zu mir und sah mich gütig an.

»Ich bin als Kind in Ribadés zur Schule gegangen und nun suche ich nach ehemaligen Mitschülern.«

Er begrüßte uns ebenfalls mit einer leichten Verbeugung und brachte die Hände wieder in Gebetshaltung.

»¡Buenos días! Das ist interessant.«

»Buenos días«, entgegnete ich. »Leider konnte ich bisher keine Auskunft bekommen«, gab ich enttäuscht von mir.

Er sah zu der alten Dame.

»Konnte Ihnen Señora Jiménez nicht helfen?«

»Erinnern Sie sich noch, Hochwürden?«, warf sie schnell und aufgeregt ein. »Der Brand vor sechs Jahren? Da sind viele Akten vernichtet worden.«

»Ja, das stimmt!«, bestätigte er ruhig. »Hmm, ich bin selbst hier zur Schule gegangen und kenne einige meiner ehemaligen Mitschüler«, ergänzte er nach kurzem Nachdenken. »Vielleicht kann ich Ihnen helfen.«

»Das ist wunderbar«, sagte ich erfreut.

»Am besten Sie kommen zu mir in die Kirche. Passt Ihnen heute Nachmittag, gegen vier?«

»Ja, natürlich. Vielen Dank.«

Das war vortrefflich! In einer kleinen katholischen Stadt wie Ribadés kannte ein Priester mit Sicherheit sehr viele Menschen.

»¡Hasta luego!«, sagte er und ging die Treppe hinauf.

»¡Hasta luego!«, wiederholte ich seinen Gruß.

»Du bist ein Glückspilz«, meinte Hellen zu mir, als wir hinausgingen. »Der Priester kann dir bestimmt weiterhelfen.«

Ich nickte erfreut und zog sie wortlos an mich.

Ohne Umwege gingen wir dann ins Café Carmen. Dort angekommen, rochen wir den aromatischen Kaffeeduft und spürten die angenehme Kühle der Klimaanlage. Das Café war mit roten Tischen und Stühlen, sowie großen Pop Art Bildern an den Wänden, sehr modern eingerichtet. Selbst das Geschirr bestand aus rotglänzender Keramik. Im Hintergrund war leise Lounge Musik zu hören, die das angenehme Ambiente untermalte. Beim Blick auf die Kuchenvitrine, ging mir das Herz auf. Sie war gefüllt mit allerlei Pasteles de merengue.

Wir setzten uns ans Fenster, mit Blick auf die Plaza.

»Hier ist es aber sehr schick«, sagte Hellen begeistert.

»Ja, ein wunderbares Ambiente«, pflichtete ich ihr freudig bei.

Ich winkte der Bedienung zu, die daraufhin Kaugummi kauend und etwas lustlos zu uns kam.

»¡Hola! Was möchten Sie?«, fragte sie in einem gelangweilten Ton. Sie war ungefähr fünfundzwanzig, spindeldürr und hatte strohige blonde, kurze Haare.

»¡Hola! Wir hätten gern zwei Kaffee«, erwiderte ich und schaute sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.

»Noch was?«

»Elsa, du musst netter zu den Gästen sein«, sagte eine elegante, untersetzte Dame mit hochtoupiertem Haar über sechzig, die unverhofft hinter ihr stand.

»Entschuldigen Sie, aber sie meint es nicht so«, sagte die schick gekleidete Dame freundlich zu uns.

»Es ist alles in Ordnung«, beruhigte ich sie.

»Ich heiße Carmen und bin die Besitzerin des Cafés. Sind Sie zu Besuch in Ribadés?«

Da erkannte ich eine weitere Gelegenheit. In einem Café gingen Leute ein und aus und wegen der sympathischen Art der Dame, musste sie über einen großen Bekanntenkreis verfügen.

»Ja!«, antwortete ich ohne Umwege. »Sie können uns vielleicht helfen, die Leute zu finden, die wir besuchen möchten.«

Natürlich verstand sie meine Aussage nicht.

»¿Cómo?« (Bitte?), fragte sie.

»Ich erkläre es Ihnen.«

Und so erzählte ich ihr den Grund unserer Reise nach Ribadés.

»Sí, comprendo«, sagte sie daraufhin, wenn auch etwas zögerlich.

»Kennen Sie denn Leute, die vor vierzig Jahren hier zur Schule gegangen sind?«, fragte Hellen sie.

»Ich kenne jemanden«, mischte sich Elsa vorlaut ein.

Carmen sah sie mit ernster Mine an.

»¡Caramba! Zu der Zeit warst du nicht ’mal geboren. Wie willst du da jemanden kennen?«

»Ich kenne aber jemanden und sein Vater ist aus dieser Gegend«, sagte Elsa und grinste.

Carmen wurde ungeduldig.

»¡Pues dínoslo!«, forderte sie sie stürmisch auf, es uns zu sagen.

»Du kennst doch Ramón.«

»Welcher Ramón denn?«, fragte sie mit ausgestreckten Armen.

»Na, Ramón Verono!«

»Was? Der, von der Modefirma?«

»Ja, stell dir vor, der!«, sagte Elsa stolz. »Und sein Vater könnte ja auch hier zur Schule gegangen sein.«

»Unsinn! Wie kommst du überhaupt darauf? (…) Sag‘ mal, hast du was mit Ramón?«, fragte Carmen streng und stemmte ihre Hände in die Hüften.

»Nein! Was du schon wieder denkst«, entgegnete Elsa empört. »Ramón ist manchmal in Ribadés, um seinen Großvater zu besuchen. Und wenn er hier im Café ist, redet er mit mir.«

Carmen setzte sich.

»Stimmt, er ist manchmal hier.«

»Kommt er regelmäßig her?«, wollte ich wissen.

»Nein! Ab und zu«, antwortete Elsa.

»Wann war er das letzte Mal hier?«

Elsa dachte nach.

»Ich glaube am Montag.«

»Können Sie mich bitte anrufen, wenn Ramón Verono das nächste Mal hier ist? Ich würde ihn gern fragen, ob sein Vater hier zur Schule gegangen ist? Ich gebe Ihnen meine Karte mit meiner Mobiltelefonnummer.«

Nachdem Elsa uns den Kaffee gebracht hatte, genossen wir noch eine Zeit lang die angenehme Atmosphäre und unterhielten uns über das frühere Ribadés.

»Du hast Glück, das wir Elsa getroffen haben«, sagte Hellen, als wir anschließend über die Plaza bummelten. »Vielleicht ist Ramóns Vater tatsächlich einer deiner ehemaligen Schulfreunde.«

»Wer weiß?«, erwiderte ich. »Obwohl ich Elsa für etwas redselig halte, könnte sie uns weiterhelfen.«

Wir setzten uns auf eine Bank. Ich legte meinen Arm um ihre Schulter und dachte erneut an meine Kindheit.

»Sonntags kam ich immer hierher und las meine Comics. Capitán Trueno hieß der edelmütige Held aus dem Mittelalter, der gegen die Bösen kämpfte und selbstverständlich immer im Namen der Gerechtigkeit siegte. Es ist gut möglich, dass ich die Heftchen auf dieser Bank gelesen habe, auf der wir gerade sitzen.«

»Das kann ich mir gut vorstellen«, sagte Hellen begeistert. »Ich bin sogar sicher, dass es diese Bank war.«

Sie holte ihre Kamera aus der Tasche und gab mir ihren Reiseführer in die Hand.

»Das ist dein Comic-Heftchen und jetzt lies.«

Hellen machte mehrere gestellte Fotos von mir, wie ich auf der Bank saß und so tat, als würde ich ein Capitán Trueno Comic lesen. Sie hatte oft solch äußerst spontane Ideen.

»Es ist gleich vier!«, sagte sie, als sie auf ihre Uhr sah. »Wir sollten zur Kirche gehen.«

»Sicher«, bestätigte ich, noch in Gedanken an meine Kindheit.

»Ist es denn weit?«

»Nein. Ribadés ist eine kleine Stadt.«

Hellen machte Fotos von der Plaza, dann gingen wir los. Auf dem Weg durch die engen, schönen Gassen, die mit Wäscheleinen von Balkon zu Balkon bespannt waren, erkannte ich vieles wieder. Ich erzählte Hellen von meinen Erinnerungen. Schließlich bogen wir um eine Hausecke und schauten auf die stattliche Kirche mit zwei hohen Glockentürmen und dem dahinter liegenden Kirchenschiff.

»Das ist aber eine große Kirche!«, sagte Hellen staunend und schoss sofort Fotos.

»Nicht wahr?«, erwiderte ich. »Und im Inneren ist sie besonders schön. Die Fresken an der Kuppeldecke sind bewundernswert.«

Wir gingen durch ein großes Tor in die Kirche und der Geruch von Weihrauch begegnete uns. Hellen war von der inneren Schönheit hingerissen.

»Wie hell und großzügig es hier drinnen ist. Und die Fresken sind wirklich faszinierend«, bemerkte sie.

»Das freut mich aber sehr«, sagte der Priester, der uns von der Sakristei aus entgegenkam.

Er kam gelassen auf uns zu und grüßte uns wieder mit einer leichten Verbeugung, während er seine Hände in Gebetshaltung hielt.

»Hier habe ich meine erste heilige Kommunion empfangen«, sagte ich stolz und sah mich um, weil ich die gesamte Schönheit erfassen wollte.

»Das freut mich besonders«, erwiderte er. »Wann genau sind Sie in die hiesige Schule gegangen?«, fragte er mich und sah mich an.

»Es ist über vierzig Jahre her. Die ersten Klassen hatte ich bei Señor Ramos, so hieß der Klassenlehrer. Mit zwölf Jahren, also genau vor vierzig Jahren, bin ich mit meiner Familie nach Deutschland gezogen.«

Der Priester zögerte.

»Aber … bei Señor Ramos war ich doch auch. Und in derselben Zeit. Vor circa vierzig Jahren. Wie heißen Sie?«, fragte er mich erwartungsvoll.

»Diego Lesemann, und Sie?«

»Ángel Montés!«

»Aber sicher«, sagte ich zögernd, »Ich erinnere mich an einen Ángel, der eine Brille trug und etwas untersetzt war.«

»Das ist richtig! Das bin ich gewesen. Die Brille brauche ich nicht mehr und mein Körperbau hat sich mit meiner Lebensweise verändert. Umgekehrt kann ich mich auch an Sie erinnern. Ja, ich glaube mich an einen Diego mit einem deutschen Nachnamen erinnern zu können. Der Vater war, wenn ich nicht irre, Deutscher.«

»Richtig.«

»Ich muss gestehen, dass ich Sie nicht gleich wiedererkannt habe«, sagte er erfreut.

Er breitete seine Arme aus.

»Lieber Diego, lass uns duzen, das verringert die Distanz«, dann umarmte er mich wie einen Bruder. »Du musst mir alles über dich erzählen«, sagte er begeistert.

»Darf ich dir meine Frau Hellen vorstellen?«

Er sah sie gütig an und nahm ihre Hände.

»Ich freue mich, Sie kennenzulernen.« Dann schaute er zu mir. »Wenn ich euch beide ansehe, so weiß ich, dass ihr euch gefunden habt.«

Hellen gefiel diese Aussage ganz besonders.

»Oh, vielen Dank«, erwiderte sie in einem glücklichen Ton. »Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

»Ihr Spanisch ist sehr gut«, lobte er Hellen.

»Vielen Dank«, gab sie zurück und wurde etwas verlegen.

»Mir scheint, als hättest du deinen Weg als Priester gefunden«, bemerkte ich.

»Ja, dem Herrn sei Dank.«

Während er das sagte, hob er den Kopf, sah nach oben und bekreuzigte sich.

»Ángel, ich habe noch zwei Schulkameraden in Erinnerung«, führte ich an. »Mateo Rey und Fernando de Vega. Weißt du, ob sie hier wohnen?«

»Aber sicher«, sagte er erfreut. »Beide haben Ribadés nicht den Rücken gekehrt.«

»Wirklich? Und was machen sie? Ich meine, sind sie verheiratet, welchen Beruf haben sie?«

»Mateo ist verheiratet und ist Beamter. Fernando ist ledig und ist Comisario bei der Kriminalpolizei.«

Bei dem Wort Comisario sahen Hellen und ich uns erstaunt an.

»Oh, Fernando ist bei der Kriminalpolizei? Interessant! Passiert hier denn viel?«

»Wenn du wissen willst, ob in Ribadés viele Kriminaltaten begangen werden, solltest du ihn besser fragen«, sagte er mit einem freundlichen Lächeln.

»Natürlich.«

Ich wechselte daraufhin das Thema.

»Wie verbringst du deine Zeit?«, fragte ich. »Ich meine, du hast gewiss viel zu tun.«

»Ich bin mit meiner Gemeinde den ganzen Tag über beschäftigt. Das erfüllt mich. Aber, welchen Dingen gehst du nach?«

»Ich verbringe meine Zeit hauptsächlich mit meiner Familie. Wir reisen gern, gehen oft ins Theater, ich lese sehr viel und ich spiele leidenschaftlich gern Golf mit Hellen.«

»Interessant! Und wo wohnt ihr?«

»In München.«

»Das ist schön. Leider war ich noch nie dort, aber es muss eine prächtige Stadt sein.«

»Ja, wir lieben diese Stadt«, sagte Hellen.

Ich nickte zustimmend.

»Und was arbeitest du?«, fuhr er fort.

»Ich arbeite nicht mehr. Ich bin Privatier.«

»Wirklich?«, fragte er überrascht.

»Ja! Ich habe nach meinem Ingenieurstudium viele aufregende Jahre in der Automobilindustrie verlebt und zeitig aufgehört.«

»Du bist Ingeniero?«, fragte er erstaunt.

»Ja«, antwortete ich nickend.

»Aber, was bedeutet das, dass du aufgehört hast?«, fragte er verwundert. »Mit zweiundfünfzig Jahren bist du doch im besten Alter und hast einen großen Erfahrungsschatz.«

»Weißt du, meine Arbeit hat mir sehr gefallen, sie hat mich sogar mitgerissen, aber sie hat viel von mir gefordert, so dass ich und meine Familie vieles entbehren mussten. Ich hatte einfach zu wenig Zeit für sie. Deshalb habe ich es frühzeitig beendet. Jetzt verbringe ich die meiste Zeit mit ihr.«

»Du hast die Sache sozusagen umgedreht. Eine weise Entscheidung.«

»Danke.«

Er sah mich freudestrahlend an.

»Mein Freund Diego. Es freut mich sehr, dass es dir nach so langer Zeit gut geht! Du bist groß, attraktiv und hast dunkelbraunes Haar wie ein Spanier.«

Dabei sah er Hellen freundlich an, die ihm das Gesagte nickend bestätigte.

»Und er ist intelligent und sympathisch dazu«, ergänzte sie.

»Das kann ich mir vorstellen«, sagte der Priester.

Dann sah er auf seine Uhr.

»Oh! Es tut mir leid, ich habe noch einiges vorzubereiten«.

»Es gibt so viel zu erzählen, Ángel. Ich würde zu gern Mateo und Fernando wiedersehen. Was meinst du, können wir uns mit ihnen treffen? Alle vier? Wir sind für zehn Tage in Ribadés.«

»Ja, natürlich! Ich werde das arrangieren«, erwiderte er.

»Können wir uns eventuell im Café Carmen treffen? Es scheint ein sehr nettes Café zu sein.«

»Warum nicht? Ich kenne Señora Carmen gut. Sie ist ein treuer Mensch in meiner Gemeinde.«

»Umso besser. Darf ich dir meine Mobiltelefonnummer geben?«

Dann fiel mir die vorlaute Bemerkung von Elsa aus dem Café bezüglich Verono ein.

»Ach, noch etwas: Kannst du dich an einen Mitschüler mit dem Namen Verono erinnern?«

»Verono? Nein, der Name sagt mir zwar etwas, aber nicht im Zusammenhang mit unserer Schule.«

Nachdem wir die Kirche verlassen hatten und einige Schritte gegangen waren, machte Hellen einen beseelten Eindruck.

»Dein Freund Ángel scheint das Herz eines Heiligen zu haben«, sagte sie mit einem Lächeln im Gesicht.

TOD IN DER HÖHLE

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