Читать книгу TOD IN DER HÖHLE - Francisco J. Jacob - Страница 11
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Comisario de Vega
In der Höhle sammelten sich immer mehr Polizisten. Einige von ihnen trugen Dreieckshüte. Das waren die Polizisten der Guardia Civil, die neben der Nationalpolizei ihren Dienst taten. Die Besucher wurden hinausgebeten, einige sogar hinausbegleitet, damit es schneller ging. Scheinwerfer wurden hereingetragen, aufgestellt und eingeschaltet. Der Tatort war von der Polizei mit einem gelben Kunststoffband abgesperrt worden. Das Band hatte den Aufdruck POLICÍA NO PASAR (POLIZEI KEIN DURCHGANG).
Hellen und ich standen abseits. Wir unterhielten uns. Ich konnte den schrecklichen Anblick nicht so schnell vergessen.
»Und an ihren Köpfen klebte noch das Blut?«, fragte Sie.
»Ja.«
»Und sie lagen halb nackt aneinander?«
»Ja.«
»Glaubst du, dass sie vorher zusammen…«
»Das ist schon möglich. Ich habe nur gesehen, dass beide eng zusammen lagen und sie die Hosen heruntergezogen hatten.«
»War es eine Frau und ein Mann?«
»Das habe ich nicht erkennen können.«
»Wer legt sich schon mit nacktem Unterkörper auf so einen kalten und dazu noch matschigen Boden?«, fragte sie zweifelnd.
Ich konnte es mir nicht erklären, warum ich wieder in eine solche Lage hineingeraten war.
»Warum passiert mir immerzu so etwas?«, sagte ich nachdenklich. »Nicht einmal in Ribadés, bleibt mir das erspart.«
»Ja, warum immer nur?«, fragte Hellen. »In Oxford die Geschichte mit dem toten Professor, in München die mit dem toten Golfer …«
»Schon gut«, unterbrach ich sie. »Das hilft uns jetzt auch nicht weiter.«
»Ich habe es nicht so gemeint«, sagte sie und nahm meine Hand. »Ich hoffe nur, dass unsere Reise nicht darunter leidet.«
Es war schon mehrmals vorgekommen, dass ich ähnliche Entdeckungen gemacht hatte und daraufhin in die Fälle verwickelt worden war. Während unserer gemeinsamen Reisen und in meinem früheren Berufsleben war mir das widerfahren.
»Es scheint, als würden mich diese Dinge anziehen.«
»Ja, wobei du immer sehr interessiert an der Lösung des Falls mitgearbeitet hast!«, sagte sie mürrisch. »Ich hoffe, dass das dieses Mal nicht so ist.«
»Das ist eben meine natürliche Neugier«, entgegnete ich.
»Ich weiß. Ich kenne deinen Forscherdrang, den Dingen auf den Grund zu gehen«, sagte sie. »Du hättest einfach nicht auf das Klingeln hören sollen.«
»Es wäre aber möglich gewesen, dass jemand Hilfe gebraucht hätte. Wer weiß das schon vorher?«
»Das stimmt auch wieder.«
Nachdem ich die Leichen gefunden hatte, begann ich nachzudenken, aus welchem Grund jemand die beiden umgebracht haben konnte, denn nach einem Unfall sah es ganz und gar nicht aus. Ebenso stellte ich mir die Frage, warum das Mobiltelefon geklingelt hatte, obwohl es keinen Empfang in der Höhle gab.
Ein etwa vierzigjähriger, schlanker und sonst unauffälliger Polizist der Guardia Civil kam mit einem Notizblock in der Hand zu uns. Er fragte nach unseren Pässen, nahm anschließend unsere Daten auf, befragte uns und schrieb geduldig auf, was wir ihm auf seine Fragen antworteten. Dann beschrieb ich ihm, wie ich die Leichen gefunden hatte. Es kam noch ein zweiter Kollege dazu, sicher nicht älter als fünfundzwanzig, mit einer dicken Hornbrille auf der Nase, der gelangweilt zuhörte und so tat, als ginge ihn das Ganze nichts an. Geradezu aufbrausend kam kurze Zeit später ein dritter Polizist der Guardia Civil dazu. Diesem stand die Wichtigkeit direkt auf die Stirn geschrieben. Er war Mitte fünfzig, mittelgroß, untersetzt und trug einen kräftigen Oberlippenbart. Sofort standen die anderen beiden Polizisten stramm und salutierten ihm synchron.
»¡A sus órdenes, mi Capitán!« (Zu Befehl, mein Hauptmann!)
Der Wichtige griff dem Polizisten mit der Brille an den Arm, ging mit ihm zur Seite, wechselte ein paar Worte und fluchte sogleich unüberhörbar laut. Dann drehte er sich schnell wieder um und kam direkt auf uns zu.
»Warum haben Sie die Gruppe verlassen und sind durch die Felsspalte gegangen? Das ist gefährlich! Was haben sie da gesucht?!«, fragte er in einem befehlenden Ton und dazu mit einer finsteren Mine.
»Ich habe ein Telefonklingeln gehört und …«
Er machte sich erst gar nicht die Mühe mir zuzuhören, sah auf Hellens Fotoapparat, den sie mit dem Tragegurt um den Hals trug, und schaute ihr in die Augen.
»Haben Sie Fotos von den Leichen gemacht?!«, fragte er laut.
»Nein!«, erwiderte sie entschieden.
»Wir müssen das überprüfen!«
»Aber, ich sage Ihnen doch …«
Er ignorierte ihre Aussage, drehte sich um und fragte den fragestellenden Polizisten:
»¿Qué te han contado?«, er wollte wissen, was wir ihm erzählt hatten.
Beide gingen ein paar Schritte zur Seite und unterhielten sich. Wir hörten, wie der Wichtige laut und wütend schimpfte. Er hatte offensichtlich etwas gegen Touristen.
»¡Estos turistas!«, fluchte er.
Mit einer rohen einschüchternden Gestik redete der Wichtige auf den Fragesteller ein, wobei er ihm mehrmals mit dem mahnenden Zeigefinger seine Befehle erteilte. Dann ging er.
Der Fragesteller kam ruhig zu uns zurück, entschuldigte sich für die Unannehmlichkeiten und bat Hellen um den Chip aus ihrer Kamera. Dann sagte er, wir sollten im Hotel erreichbar bleiben. Wir würden noch von ihnen hören.
Ich fragte ihn, wie der Wichtige hieß.
»Capitán Sabál«, sagte er und hob dabei die Augenbrauen.
Eine Geste, die wohl die Wichtigkeit seines Vorgesetzten unterstreichen sollte. Hellen musste sich anschließend etwas Luft verschaffen.
»So ein aufgeblasener Wichtigtuer!«, sagte sie aufbrausend.
Als wir hinausgingen, hatten sich einige Fahrzeuge der Guardia Civil und der Sondereinheiten vor dem Eingang angesammelt. Die Leute von der Spurensicherung kamen uns entgegen. Sie trugen ihre auffälligen weißen Overalls und die typischen quadratischen Aluminiumkoffer.
Zurück im Hotel gingen wir in die Halle und bestellten uns eine Erfrischung. Am Tisch sprachen wir weiterhin über meine schreckliche Entdeckung.
»Eigentlich wollte ich in Ribadés einige meiner ehemaligen Schulfreunde finden und keine Leichen«, sagte ich nachdenklich.
»Das dachte ich auch«, bestätigte Hellen.
Ich versuchte, die Dinge mit Abstand zu betrachten, als zugleich mein iPhone klingelte.
»Hallo?«
»Hier ist die Comisaría de Ribadés«, sagte eine charmante weibliche Stimme. »¡Buenos días! Ich möchte mit Diego Lesemann sprechen.«
»Ich bin Diego Lesemann.«
»Es geht um die Toten in der Höhle. Wir müssen Ihre Aussage zu Protokoll nehmen«, sagte sie.
Ich war erstaunt, da ich meine Schilderung bereits zu Protokoll gegeben hatte.
»Schon wieder?«, fragte ich.
»Ihre erste Aussage ist von der Guardia Civil aufgenommen worden. Sie müssen jetzt die Aussage bei der Policía Nacional machen, also bei uns.«
Der Konkurrenzkampf zwischen der Guardia Civil und der Policía Nacional war mir bekannt. Beide sind zuständig und keine will sich etwas von der anderen wegnehmen lassen.
»Ich verstehe. Wann und wohin sollen wir vorbeikommen?«
»Wieso wir?«, fragte die Dame erstaunt. »Hat außer Ihnen noch jemand die Leichen entdeckt?«
»Nein, das war ich allein.«
»Dann kommen Sie allein. Und zwar bitte gleich.«
»Wohin genau?«
»In die Calle de la Paz, Zimmer 6«, sagte sie kurz und knapp.
»Gut, bis gleich.«
»¡Hasta pronto!«, sagte sie und legte auf.
Erstaunt sah ich Hellen an.
»Das war die Policía Nacional.«
»Ja, ich habe etwas mitgehört.«
»Die wollen ebenfalls meine Aussage aufnehmen.«
»Gut. Dann musst du deine Pflicht tun.«
»Und was ist mit dir?«
»Mache dir um mich keine Sorgen, ich wollte noch Fotos von der Plaza machen.«
Ich gab ihr einen Kuss, umarmte sie und ging.
Ich fuhr die Calle de la Paz (Straße des Friedens) entlang. Als ich an ein größeres Gebäude kam, vor dem einige Polizeifahrzeuge parkten, hielt ich an. Es war ein stattliches Haus mit Garagen an den Seiten. Die Fenster waren mit kunstgeschmiedeten Gittern versehen. Die Grundstückstore rechts und links vom Gebäude bestanden ebenso aus kunstvoll geschmiedeten Eisenstäben. Das Haus hatte mehr den Charakter einer alten Villa, als das einer Comisaría. Zudem dachte ich an den Sirenenlärm, den die Polizeifahrzeuge in dieser Straße bereiteten, und kam zu dem Schluss, dass der Straßenname unpassend für die Lage einer Comisaría war.
Ich parkte den Wagen und ging in das Gebäude. Uniformierte Polizisten der Policía Nacional kamen mir entgegen.
»¡Buenos días! Wo finde ich bitte das Zimmer 6?«, fragte ich einen von ihnen.
»¡Segunda habitación a la derecha!«, sagte der forsch und schickte mich damit zum zweiten Zimmer rechts.
»¡Gracias!«
Ich ging zur Tür und klopfte an.
»¡Adelante!«, forderte mich eine kräftige Stimme auf hereinzukommen.
Das Amtszimmer war mit schlichten Möbeln eingerichtet, alles machte einen ordentlichen Eindruck. Akten waren übersichtlich in den Schränken geordnet. Auf den zwei Schreibtischen standen PCs mit dazugehörigen Druckern. Ein sportlich gekleideter Mann kam dynamisch auf mich zu und reichte mir die Hand.
»¡Buenos días! ¿Señor Lessemaan?«, fragte er mich freundlich und sprach meinen Namen deutlich mit spanischer Betonung aus.
»Ja, ich heiße Lesemann, Diego Lesemann. Ich bin angerufen worden.«
»Ja, das war Lola! Ich heiße Pablo«, sagte er sympathisch.
Ich wusste nicht, ob Pablo sein Vor- oder Nachname war. Grundsätzlich war es auch gleich. Er war schlank, um die vierzig und machte einen sportlichen Eindruck.
»¡Muy bien!«, sagte er. »Nehmen Sie Platz und machen Sie es sich bequem.«
Er ging forsch an die Tür zum Nachbarzimmer und klopfte an.
»¿Qué pasa?«, fragte eine energische Stimme aus dem anderen Zimmer.
Pablo öffnete die Tür ein wenig, steckte den Kopf hinein und murmelte etwas in den Raum.
»Fang du schon an, ich muss noch was erledigen«, sagte die energische Stimme.
»Muy bien«, sagte Pablo daraufhin und schloss die Tür hinter sich.
»Der Comisario kommt später dazu«, berichtete er mir.
Pablo befragte mich zu meiner entsetzlichen Entdeckung in der Höhle. Ich erzählte ihm dieselbe Geschichte, die ich zuvor der Guardia Civil mitgeteilt hatte, er schrieb fleißig mit dem PC mit. Nachdem ich meine Aussage zu Protokoll gegeben hatte, druckte er sie aus und gab sie mir.
»Lesen Sie es bitte durch und unterschreiben Sie dann hier unten.«
Ich nahm das Dokument und fing an zu lesen.
»Kommt der Comisario noch?«, fragte ich nebenher.
»Ah, richtig! Ich sehe nach, wo er ist.«
Er ging wieder zur Tür des Comisario und klopfte an. Niemand meldete sich. Drauf hin öffnete er die Tür ein wenig und steckte den Kopf hinein. Achselzuckend kam er zurück.
»Der Comisario ist nicht da!«
»Schade! Wie heißt der Comisario eigentlich?«, fragte ich ihn.
»Comisario de Vega«, antwortete er wie selbstverständlich.
Ich wurde hellhörig.
»Wie bitte? Sagten Sie de Vega?«
»¡Sí!«
»Fernando de Vega?«
»¡Sí! Comisario Fernando de Vega!«
»Wohnt er etwa in Ribadés?«
»¡Sí! Aber, warum fragen Sie?«
»Sie müssen wissen, ich bin auf der Suche nach meinen ehemaligen Schulkameraden …«, so fing ich an, es ihm zu erklären.
»¡Interesante, muy interesante! Sie glauben also, dass der Comisario einer Ihrer früheren Schulfreunde …«
»Ich hoffe es.«
»Hätte ich das doch vorher gewusst«, gab er erfreut von sich.
»Ich dachte, dass der Comisario ohnehin persönlich mit mir sprechen würde.«
»Ja, natürlich. Ich frage am besten Lola, wo er ist.«
Er nahm den Telefonhörer ab.
»¿Lola, dónde está el comisario?« (Wo ist der Comisario?).
Es entstand eine kurze Pause.
»¡Muy bien!«, quittierte er schließlich und legte auf.
»Also, der Comisario ist jeden Moment wieder zurück.«
»Gut, dann warte ich«, sagte ich erleichtert.
»Sie können draußen auf der Bank warten«, bot er mir freundlich an. »Da steht auch ein Kaffeeautomat.«
Wir gingen zur Tür, als mir Capitán Sabál wieder in den Sinn kam.
»Sagen Sie, kennen Sie vielleicht Capitán Sabál von der Guardia Civil?«
»Sicher, wer kennt ihn nicht, diesen aufgeblasenen Kerl. Hat er Sie etwa am Tatort befragt?«
»Nein, das hat einer seiner Leute getan. Obwohl er auch.«, fiel mir ein. »Er hat mich kurz befragt, aber meine Antworten hat er ignoriert. Und mit seinen Untergebenen hat er ununterbrochen geflucht.«
»Er ist eben ein Choleriker.«
»Ich hatte auch den Eindruck, dass es ihm nicht passte, dass ich die Leichen gefunden hatte. Und er mag keine Touristen.«
»Der mag niemanden!«, entgegnete Pablo.
In diesem Augenblick stand ein mittelgrosser, kräftiger Mann mit lichtem, kurz geschnittenem, gelocktem Haar und langen, schmalen Koteletten in der Tür. Er sah älter aus als ich.
»¿Quíen?«, fragte der sofort.
»Aahhh, Comisario, wir sprachen gerade über Capitán Sabál.«
»¿Sobre ese cabrón?«, bemerkte er schlecht gelaunt, dass Capitán Sabál ein Arschloch sei.
Das war eine ziemlich ungehobelte Bemerkung. Nicht, dass mich so etwas in Spanien überrascht hätte, schließlich kannte ich diese Ausdrucksart, die mehr oder weniger gebräuchlich ist und nicht so gemeint ist, wie sie sich anhört. Allerdings hätte ich es von einem Comisario in einem Amtszimmer nicht erwartet. Ich schaute ihn an und fragte mich, ob er mein Schulkamerad aus alten Tagen sein konnte. Ich sah deutlich, wie peinlich es Pablo war. Den Comisario störte es dafür keineswegs.
»Comisario, das ist Señor Lessemaan«, sagte dann Pablo schnell. »Er hat die Leichen in der Höhle gefunden.«
»¡Perdón!« Damit entschuldigte sich der Comisario gelassen. »Ich hab´ nicht gewusst, dass jemand in Pablos Büro ist.«
»¡Buenos días!«, begrüßte er mich und gab mir die Hand.
»¡Buenos días!«, erwiderte ich.
Wir sahen uns an und es entstand eine kleine Pause.
»Hier ist die Aussage von Señor Lessemaan«, sagte Pablo und reichte dem Comisario das Dokument.
Der Comisario saß entspannt hinter seinem Schreibtisch und las mit ernstem Gesicht meine Aussage durch. Ich saß ihm gegenüber auf einem Besucherstuhl und schaute mich in seinem Büro um. Es war mit alten braunen Holzmöbeln mäßig eingerichtet. Auf dem Schreibtisch lagen zwei schmale Akten, ein Notizbuch und ein Stift. Außer einem schlichten Telefon standen sonst keinerlei elektronische Geräte auf dem Tisch.
Da es sich um zwei Leichen handelte, rechnete ich mit einigen Fragen. Also beschloss ich, mein persönliches Anliegen später anzusprechen und ihn fragen, ob er vor vierzig Jahren in dieselbe Schule gegangen war.
»Sie haben also zufällig zwei Leichen gefunden«, sagte er lässig, lehnte sich in seinen Stuhl zurück, verschränkte dabei die Arme und sah mich misstrauisch an.
»Ja, richtig«, antwortete ich und fragte mich, was er mit einer derart gestellten Frage und einer solchen Gestik bezweckte.
»Kennen Sie die Toten?«, fragte er zu meiner völligen Überraschung.
»Nein!«, antwortete ich entsetzt. »Außerdem habe ich die …«
»Außerdem was?«, unterbrach er.
»Ich habe ihre Gesichter nicht sehen können. Ich habe nur gesehen, wie sie von mir weggedreht auf dem Boden lagen.«
»¡Bien!«
»Außerdem kenne ich hier niemanden. Ich komme aus München, aus Deutschland.«
»¡Bien!«, sagte er. »Was arbeiten Sie?«
Die Frage überraschte mich gänzlich.
»Ich?«, fragte ich erstaunt.
»Ja, Sie! Sonst ist doch hier keiner.«
»Nichts«, antwortete ich.
»Was heißt hier nichts?«
»Eben nichts. Ich bin Privatier.«
»¡Comprendo! Sie kommen also aus Deutschland«, sagte er. »Wenn Sie also Privatier sind, dann sind sie privat hier.«
Mir schien diese Schlussfolgerung zwar etwas zu logisch, aber es war eine Gelegenheit, ihn nun zu fragen.
»Ich bin in Ribadés, um ehemalige Schulkameraden zu finden!«, sagte ich etwas aufgeregt und mit erhobener Stimme.
Dies schien ihm gar nicht zu passen, erst recht nicht in dem Ton.
»Und die suchten Sie in der Höhle?!«, sagte er noch lauter.
»Natürlich nicht. Die Höhle habe ich meiner Frau gezeigt. Ich kenne die Höhle schon aus meiner Kindheit.«
»Eben sagen Sie mir, dass Sie aus Deutschland kommen und nichts und niemanden kennen und auf einmal kennen Sie die Höhle«, sagte er aufbrausend, stand auf und stützte sich mit ausgestreckten Armen auf den Tisch ab. »Señor Lessemaan, Sie widersprechen sich!«
»Das habe ich so nicht gesagt.«, gab ich zurück. »Sie glauben doch nicht etwa, dass ich etwas mit den Leichen zu tun habe?«
»Um das herauszufinden, sitzen wir ja hier und ich habe sehr viel Zeit«, sagte er in einem ernsten Ton und sah mich dabei wieder misstrauisch an.
Ich fühlte mich jetzt von ihm angeklagt und wollte dem Ganzen ein Ende setzen.
»Ich werde es Ihnen jetzt erklären«, sagte ich ruhig.
»Bitteschön«, entgegnete er gönnerhaft.
»Ich bin vor zweiundfünfzig Jahren in Gijón geboren und …«
»Das steht in Ihrem Ausweis«, unterbrach er mich erneut.
Das Ganze ging mir zu weit und wir kamen zu keinem Ende. Ich stand auf und sah ihn ernsthaft an.
»Also gut! Ich bin nach Ribadés gekommen, um ehemalige Schulkameraden zu finden! Und du, Fernando, bist einer davon!«, sagte ich entschlossen und ohne Luft zu holen.
Der Comisario legte eine verblüffte Mimik auf. Er setzte sich allmählich wieder auf den Stuhl, lehnte sich zurück und verschränkte seine Arme. Dann zog er die Augenbrauen nach oben und spitzte die Lippen. Er war völlig überrascht und sah mich nachdenklich an.
»¿Cómo?«, fragte er und sah mich ungläubig an.
»Ángel hat mir gesagt, dass du Comisario in Ribadés bist. Du kennst sicher Ángel Montés, euren Priester«, erklärte ich.
Er sah sich nochmals das Deckblatt des Aussageprotokolls an, auf dem meine persönlichen Daten notiert waren.
»Diego Lessemaan, geboren in Gijón. Diego, Diego, Diego«, wiederholte er mehrmals. »Ich glaube, ich kannte früher wirklich einen Diego mit deutschem Nachnamen. Und der ging auch mit mir zur Schule. Aber dann ist er verschwunden.«
Ich freute mich, dass er sich daran erinnerte und nickte ihm mit angespannter Mimik zu.
»Richtig! Vor vierzig Jahren bin ich nach Deutschland umgesiedelt! Ich habe an der Kirche gewohnt, neben dem Heladero, dem Eismann. Erinnerst du dich daran, wie wir damals den Waffelbruch von seinen selbst gemachten Eiswaffeln bekommen haben? Sein Sohn hat auch mit uns gespielt.«
Er schien noch nicht überzeugt zu sein, aber ich hörte geradezu, wie sich die Zahnräder in seinem Hirn immer schneller drehten. Dann schien ihm die Erleuchtung gekommen zu sein.
»¡Madre mía, sí!«, stieß er unerwartet aus, »Wir haben damals mit Ángel und Mateo gespielt. Und wir haben unsere Streifzüge durch die Cueva gemacht!«
»Richtig«, sagte ich erleichtert und sank in den Stuhl.