Читать книгу Löwin der Bretagne - Historischer Roman - Franjo Terhart - Страница 5
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ОглавлениеDer Winter des Jahres 1350 hat bereits die bretonische Nordküste erreicht. Die Wassermassen, die auf den ins Meer zurückflutenden Wellenbrechern Schaumkronen entfalten, tragen die Kälte aus den Tiefen des Ozeans auf das wie erfroren daliegende steinige Land zu. Eine Kette einzeln aufragender Felsen reicht bis an die Grenzen des Horizonts; dichte Dunstwolken ziehen stürmisch dahin, Himmel und Meer vereinigen sich. Im düsteren Nebel, der jedermann frösteln läßt, sieht man nichts als riesige Schaumkugeln, die sich erheben, bersten und mit furchtbarem Krachen in die Luft stieben. Man meint, die Erde beben zu fühlen, und ergreift unwillkürlich die Flucht. Doch inmitten dieser Hölle kämpft sich weit draußen ein Schiff – nicht mehr als eine Nußschale – langsam auf die Küste der Bretagne zu. Der eiskalte Wind bläht seine Segel. Mit der morschen Barke, die zudem noch Wasser zieht, haben sich fünf Menschen den tobenden Elementen anvertraut. Ganz vorne im Bug kauert eine Frau mit ihren zwei Kindern. Sie hält die beiden Knaben fest unter ihrem schwarzen Umhang, um sie gegen die entfesselte See einigermaßen zu schützen. Der dunkelblonde, etwa zehn Jahre alte Olivier liegt mit geschlossenen Augen und weißen Lippen in den Armen seiner Mutter. Der andere, Thomas, sein gleichaltriger Freund, wirkt nicht weniger leblos, doch sind ihre grauen Augen starr auf das in der Ferne allmählich sichtbar werdende Ufer, ihre Rettung, gerichtet. Im Heck der Barke versuchen zwei Männer, mit der tobenden See fertigzuwerden und die zerbrechliche ›Nußschale‹ einigermaßen auf Kurs zu halten.
Einer von ihnen steht aufrecht am Steuerruder. Der Mann ist klein und massig und wird deswegen oft unterschätzt. Sein Name ist Roland de Raz. Er hat die Kraft eines Bullen, und die ist in dieser gefährlichen Situation auch bitter nötig, um gegen die schwere See bestehen zu können. Er kennt die Küste und das Meer an dieser Stelle ganz genau. Sie ist nicht ungefährlich, weil Untiefen und Riffe unter der regengrauen Oberfläche lauern. Eine falsche Entscheidung nur – und das Boot würde von diesen messerscharfen Riffen aufgeschlitzt, als ob das Messer des Schlachters durch den Bauch eines Schweines geht. Der Kapitän nickt seinem zweiten Steuermann Pierre le Rouge zu, so als wollte er ihm signalisieren, daß er alles unter Kontrolle habe. Längst hat Roland de Raz bemerkt, daß Pierre seinen Blick kaum von der schwarzhaarigen Frau im Bug des Schiffes abwenden kann. Sie fasziniert ihn wohl gewaltig. Der Kapitän muß lächeln, denn obwohl er weiß, um wen es sich bei dieser mutigen Frau handelt, darf er es Pierre nicht sagen. Die ganze Aktion ist streng geheim. Die Frau befindet sich mit ihren zwei Kindern auf der Flucht. Auf ihren schönen Kopf ist der höchste Preis ausgesetzt, den der französische König jemals für die Ergreifung eines Feindes oder eines Verbrechers gefordert hat. Das ›Schwein‹ Charles de Blois würde sogar seine eigene Mutter verkaufen, wenn es ihm dadurch gelänge, dieses Weib dort endlich zur Strecke zu bringen.
Keine Geringere als diese Frau, die sich jetzt so schützend über die Kinder beugt, ist es nämlich gewesen, die für viele Jahre den gesamten französischen Schiffsverkehr zwischen Loire und Seine lahmlegte. Werweiß schon, wie viele Bewaffnete aufgeboten wurden, diese Bretonin zu jagen? Ohne Erfolg! Niemand kann sagen, wie viele Dörfer sie selbst in Schutt und Asche legte, wie viele Landstriche sie verwüstete und wie viele tapfere Männer durch ihr Schwert enthauptet oder durchbohrt worden sind. Zugegeben, sie mag das Gesicht eines Engels haben und nach zwei Geburten immer noch die Figur einer Tänzerin aus dem Morgenland, aber sie versetzt die Franzosen genauso in Angst und Schrecken wie das Auftauchen englischer Schiffe am Horizont.
Roland de Raz wischt sich mit dem Ärmel das triefnasse Haar aus der Stirn. Schwer stemmt er sich gegen das Ruder, als eine Windböe das Schiff von der Seite erwischt. Aber er ist ein erfahrener Segler. Noch immer umspielt ein spöttisches Lächeln seine Mundwinkel, wenn er mit ansieht, mit welch schmachtendem Blick Pierre an dieser Frau hängt, dabei jede ihrer Bewegungen verfolgt. Leider ist es ihm verboten, die Identität der schönen Unbekannten aufzudecken. Jetzt stellt sich Pierre neben ihn, was nicht einfach ist, weil der Sturm die Barke auf den aufgepeitschten Wellen tanzen läßt wie Kork. Pierres eisige Finger greifen hilfesuchend nach einem Tau, damit er nicht über Bord geschleudert wird.
»Verfluchtes Wetter! Und verdammt kalt, Roland! Ich bin naß bis auf die Haut.«
»Mir geht es nicht anders. Aber in weniger als einer Stunde erwartet uns zwei ein gemütliches Plätzchen am Kaminfeuer im Schloß von Morlaix.«
Pierre le Rouge zeigt auf die einsame Frau.
»Daß sie nicht vor Kälte stöhnt oder sich bei diesem Höllensturm fürchtet. Was ist das nur für eine Frau? frage ich dich.«
Der Angesprochene schweigt.
»Warum bringen wir sie nach Morlaix in aller Heimlichkeit? Kannst du mir das sagen? Als ob sich ein Dieb in der Nacht irgendwo einschleichen würde.«
Roland de Raz stößt mit seinen Füßen ein leeres Faß beiseite, das ihn jetzt behindert. Was soll er dem Freund nur erklären, wenn es nichts zu sagen gibt?
»Hörst du mich nicht, Roland? Bist du etwa taub?«
»Nein, bin ich nicht. Siehst du den Streifen dort? Das ist Land, mein Junge. Wir haben es bald geschafft.«
Auch die Frau hat seinen Ausruf verstanden und blickt nun erst nach vorn zum nahenden Ufer und danach zurück zum Heck. Ihre dunklen Augen leuchten geheimnisvoll, und ihre Wangen glänzen von der Gischt des Meeres.
»Wie sie so dasitzt, das Haar zerzaust, sieht sie aus wie Botizäa, die Königin der Pikten, von der mir meine Mutter, als ich noch ein Kind war, so viele Schauergeschichten erzählt hat«, sagt Pierre.
»Wer ist denn diese Botizäa gewesen? Ich habe ihren Namen noch nie zuvor gehört.«
»Eine unglaubliche Frau ist das gewesen, Roland. Botizäa ist zwar schon lange tot, aber in Schottland unvergessen. Sie hat die römische Flotte angegriffen, als sich ihr Volk in höchster Not befand. Sie hat gekämpft mit dem Mut einer Löwin und gewonnen. Ihre Augen sollen Blut gesprüht haben. Das Beil in der Faust haltend, hatten sie die Römer gefürchtet wie eine Todesgöttin, die aus den Fluten auftaucht, um Schädel zu spalten und Brüste zu durchbohren. So ist diese Königin der Pikten zu Lebzeiten gewesen, heißt es. Und wenn ich diese Frau dort vorne betrachte, dann glaube ich fast, diese Königin ist wiederauferstanden.«
»Vielleicht liegst du gar nicht mal so falsch!«
Pierre le Rouge sah den Kapitän mit großen Augen an.
»Wie meinst du das? Wer ist diese Frau? Warum verrätst du mir ihren Namen nicht?«
»Ich darf es nicht, leider, mein Freund.«
In diesem Augenblick nähert sich die Frau den beiden Männern. Ungläubig bemerkt Pierre le Rouge, daß sie trotz des Seegangs nicht einmal hin und her schwankt, geschweige denn irgendwelche Anzeichen von Furcht erkennen läßt. Als ob sie es gewöhnt sei, bei Sturm auf Deck herumzuspazieren.
»Ich danke euch beiden tapferen Männern. Dank dafür, daß ihr mich und meine Kinder wohlbehütet zurück in meine Heimat gebracht habt.«
Dann wendet sich die schlanke und hochgewachsene Frau direkt Pierre zu. Ein Lächeln umspielt ihre schmalen Lippen. Der Mann errötet unter ihrem Blick.
»Roland de Raz weiß, wer ich bin. Er kennt mich seit vielen Jahren. Ihm ist auch bewußt, daß er sich in große Gefahr begeben hat, nur weil er mir hilft, den Franzosen zu entkommen. Aber es schien mir am sichersten, wenn so wenige wie möglich von meiner Rückkehr wüßten. Ich bin die letzten Jahre fast ausschließlich nur auf See gewesen.«
Pierre le Rouge schluckt und reißt die Augen weit auf. Es gibt im Umkreis von tausend Kilometern nur eine einzige Frau, die dies von sich behaupten kann. War es denn möglich, daß ...
Die Frau nickt ihm bestätigend zu.
»Ja, ich bin Jeanne de Clisson. Du hast dein Leben für mich aufs Spiel gesetzt und verdienst es deshalb zu erfahren, für wen du es getan hast. Nochmals Dank dafür!«
Sie dreht sich um und geht langsam und stolzen Schrittes zu ihren beiden Kindern zurück, die geduldig vorne im Boot auf ihre Mutter gewartet haben. Die zwei Männer sehen ihr nach.
»Was wird sie daheim erwarten, sie, die soviel für unser Land getan hat?«
Es ist Roland de Raz, der dies fragt.
»Der König hat alle ihre Güter konfisziert. Jeder, der ihr hilft, soll des Todes sein. Ihren Mann hat er hinrichten lassen und seinen Kopf zur Abschreckung in Nantes über das Stadttor gehängt. Jeanne de Clisson besitzt nichts mehr außer ihrem Leben und ihren Kindern.«
»Du kennst diese Frau?«
Pierre le Rouge nickt.
»Wer in der Bretagne kennt ihren ruhmreichen Namen nicht? Jedes Kind kann davon erzählen, was sie für uns alle geleistet hat.«
»Ihr Kampf ist noch lange nicht vorbei. Und sie ist noch so jung!«
»Aber sie wirkt bereits, als hätte sie die Erfahrung eines langen, gefährlichen Lebens hinter sich.«
»Die königlichen Blois werden nicht eher Ruhe geben, bis sie Jeanne erfolgreich gejagt, verurteilt und enthauptet haben.«
»Meine Hilfe hat sie uneingeschränkt«, verspricht Pierre. »Wann immer sie mich ruft, ich werde da sein!«
Nur so hat sie überhaupt all die Jahre überleben können, denkt der Kapitän. Indem sie Männer wie Pierre für sich einnahm und so sehr begeisterte, daß sie von da an alles für sie taten. Er selbst nimmt sich davon nicht aus. Hätte er sonst diese gefährliche Überfahrt auf sich genommen? Aber das Leben von Jeanne de Clisson – oder Madame, wie die Franzosen sie respektvoll nennen – ist nicht immer so gefahrenreich verlaufen. Sie wurde als Adelige geboren und stammte aus reichem Hause. Jeanne hatte es sich keineswegs ausgesucht, als gefürchtete Piratin und Rebellin zu enden. Es war ihr vielmehr von einem ungnädigen und harten Schicksal aufgedrängt worden.