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»Mit bedrücktem Herzen freudig zu singen

Und zu lachen trotz aller Trauer:

Wahrhaftig, dazu gehört schon einiges!«

Diese Verszeilen aus dem Lied eines bekannten Troubadours gingen Jeanne durch den Kopf, als sie am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe von ihren Anziehdamen festlich hergerichtet wurde. Während um sie herum hektischer Trubel herrschte und ständig irgendwelche Menschen aufgeregt von hier nach dort und wieder zurück hasteten, während sie ihren Vater auf dem Flur mehrmals laut fluchen hörte, weil er sich nicht irgendwelchen Zwängen und Protokollen unterwerfen wollte, und Genéviève wie ein guter, ruhiger Geist, der über allem schwebte und dabei die Fäden zusammenhielt, um Chaos und Streit schon im Keim zu ersticken, ihre sanfte Stimme wiederholt vernehmen ließ, versank Jeanne in sich und wiederholte immer und immer wieder ganz bestimmte Liedzeilen, die ihr von jeher Kraft und Ablenkung geschenkt hatten. Auf diese Weise konnte sie sich am besten allem entziehen und sich auf das Ereignis vorbereiten. Sich von allem Äußeren fortzustehlen war der beste Weg, um nicht von den anderen zermalmt zu werden, fand Jeanne. Dies war immer schon ihre Devise gewesen; nur deshalb hatte sie lieber heimlich auf Bäumen gehockt, als sich von Amélie zu einem beugsamen Grafentöchterlein erziehen zu lassen. Und sie beschloß, sich auch zukünftig nicht anders zu verhalten. Ganz gleich, wie ihre Ehe werden würde und wie Olivier sie behandelte, sie konnte sich jederzeit in sich selbst zurückziehen und wurde dadurch für andere unantastbar.

»So mach’ ich’s!«, rief sie voll Stolz aus und reckte ihr Haupt keck in die Höhe.

Die Hochzeit war wie erwartet prachtvoll und kühl zugleich. Von angenehmer Stimmung konnte keine Rede sein, selbst wenn Jean III. strahlte, als hätte ihm jemand das französische Reich zu Füßen gelegt. Maurice de Belville traf auf Guillaume de Clisson, und dieser ließ wahrlich keine Gelegenheit aus, mit Häme in der offenen Wunde herumzustochern.

»Sei gegrüßt, Graf de Belville! Muß schon sagen, seitdem ich mich in Paimpont tummeln darf, wo das Wild so zahlreich ist wie im Garten Eden, geht es mir wieder prächtig. Fast jede zweite Woche sind wir dort. Wenn ich gewußt hätte, wie gut mir dein ehemaliges Stück Land gefällt und welche Freude es mir macht, dort zu jagen, also wirklich, Maurice de Belville, dann hätten wir den Ehevertrag schon bei der Geburt deiner Kleinen aushandeln können, nicht wahr? Was siehst du auf einmal so ernüchtert aus? Reiß dich am Riemen, Graf! Wir Alten kommen doch auch auf unsere Kosten, wenn die Kinder heiraten, und so muß es auch sein. Bis später, Belville!«

Und weg war er. Maurice schnaufte wie ein Ochse, dem der Pflug zu schwer geworden war.

»Wenn ich ihn im Dunklen erwische, dann werfe ich ihn in den Schloßgraben, Genéviève. Das schwöre ich dir, Weib!«

»Das wirst du hübsch bleiben lassen, mein lieber Gemahl. Das ist es doch, worauf er es anlegt. Nur nicht ungeduldig werden, Maurice. Lächle lieber! Das macht dann wiederum ihn zornig.«

Ihr Mann schnaufte erneut und wischte sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn.

»Will nur hoffen, daß sein Sohn nicht ein genauso großes Ekel ist wie der Vater. Das würde Jeanne vermutlich das Herz brechen.«

»Ach, ich weiß nicht recht. Dort drüben steht er und wartet bereits ungeduldig auf seine Braut. Sieht doch recht hübsch aus, der junge Clisson. Großgewachsen und breite Schultern hat er. Schau doch nur!«

Der Graf verzog das Gesicht.

»Ja, ja, so und nicht anders seid ihr Frauen nun mal. Leider Gottes! Immer wieder laßt ihr euch allzu leicht durch Äußeres blenden«, seufzte Maurice.

Die Zeremonie nahm ihren vorgeschriebenen Lauf. Nach dem kurzen Zusammentreffen im großen Saal des herzoglichen Schlosses zog die zahlenmäßig nicht gerade kleine Hochzeitsgesellschaft in die nahe Kapelle, die ebenfalls in dem weitläufigen Gebäude untergebracht war. Auf dem Weg dorthin hatte Jeanne zum ersten Mal Gelegenheit, Olivier de Clisson in Augenschein zu nehmen. Sie zuckte zusammen, als sie sein Gesicht sah, denn sie erkannte ihn sofort wieder. Ein Geschick des Himmels oder der Hölle – wer mochte das so genau wissen – hatte sie in der letzten Nacht dazu bestimmt, ihrem Zukünftigen das Leben zu retten. Olivier war der Mann, der hinterrücks gemeuchelt werden sollte und der sich im Anschluß an die Vereitelung der Tat ihr gegenüber so rüde benommen hatte. Wobei er Jeanne für einen jungen Diener gehalten hatte. Das war auch schon das einzige Komische an der Sache, fand das Mädchen. Alle anderen Umstände waren weitaus weniger zum Lachen.

Jeanne in ihrem weißen Hochzeitskleid war der Liebreiz in Person. Sie entsprach ganz dem Ideal der fahrenden Liebessänger: ihre Wangen glühten wie betaute Rosen, ihre Lippen schwollen natürlich, und ihre Augen leuchteten herzdurchsonnend. Wann hatte man je in Nantes eine schönere Braut vor den Altar treten sehen, mochten gar viele in diesem Augenblick gedacht haben. Und welche Freude mußte erst der Bräutigam an ihr haben! Aber Olivier blickte sie nur kalt an. Vor ihm stand nichts weiter als jene Frau, die ihm die Familie zugedacht hatte. Zugedacht, weil ihre Verbindung von allen anderen im Land, die ebenfalls denkbar waren, politisch die am nützlichsten schien. Er nahm das Mädchen, das er in in dieser Nacht in sein Brautgemach führen würde, überhaupt nicht richtig wahr. Jeanne de Belville interessierte ihn nicht im geringsten. Nur ganz am Rande bemerkte er selbstzufrieden, daß das Mädchen keine häßliche Vettel war. Selbstverständlich erkannte der Ritter sie nicht als seinen Lebensretter vom Vorabend wieder – schon deshalb nicht, weil er Frauen für völlig unfähig hielt, mit einem Dolch so geschickt umzugehen, wie sie es am Vorabend praktiziert hatte. Jeanne hingegen musterte ihren zukünftigen Ehemann eingehend. Zweifellos war der junge Clisson ein bemerkenswert gut aussehender Mann. Das war nicht zu übersehen. Aber Jeanne bemerkte auch sogleich seine häßliche Kehrseite, nämlich grenzenlose Arroganz.

»Ich bin Olivier de Clisson, dein Gemahl in nicht mal einer Stunde schon«, begrüßte er sie ein wenig näselnd, ohne daß sein Gesicht auch nur eine Spur freundlicher geworden wäre.

Jeanne nickte brav, weil sie nichts zu erwidern wußte.

»So ist es recht! Es bleibt ohne Frage die größte Tugend der Frauen, im geeigneten Moment zu schweigen. Du hast deine erste Prüfung mit Bravour bestanden, Jeanne!« bemerkte er spöttisch.

»Weiter so!« Nach dieser Unverschämtheit wandte er sich abrupt von ihr ab und ging erhobenen Hauptes auf den wartenden Bischof zu.

Vor Verblüffung und Zorn über so viel Hochmut war Jeanne stehengeblieben. Es hatte ihr die Sprache verschlagen. Am liebsten hätte sie dem Kerl ihren Dolch hinterhergeschleudert, aber den hatte sie ja voreilig an einen anderen verschwendet. Hätte sie den Mann doch nur sein mörderisches Vorhaben ausführen lassen! Oh, wie dumm ich gewesen bin, scholt sie sich im stillen.

Ihr Verhalten sorgte bereits für Unruhe. Alle Blicke rechts und links von ihr richteten sich schon fragend auf die Braut, die wie vom Donner gerührt dastand. Jeanne, blaß vor Zorn, suchte in der Menge die Augen ihrer Mutter, die sie freundlich nickend aufforderte, sich rasch an die Seite ihres Bräutigams zu stellen. Mit bebenden Lippen kam Jeanne ihrem Wunsch schließlich nach. Es war ohnehin zu spät wegzulaufen, und wohin auch hätte sie fliehen können? Jeanne schien es am besten, wenn sie sich gleich nach innen wandte, außen alle Tore verschloß und die Zugbrücke ein für allemal hochzog.

Einzig ihr Vater Maurice bemerkte die inneren Nöte seiner Tochter, meinte gar ihre Verzweiflung zu spüren. Olivier gibt ihr also schon jetzt Grund, ihn zu hassen, durchfuhr es den Grafen besorgt.

»Sie scheint mir ein recht eigensinniges, störrisches Biest zu sein. Seht nur, wie sie dort herausfordernd posiert und ihrem Zukünftigen giftige Blicke nachwirft. Olivier wird nichts anderes übrigbleiben, als seine Braut vom ersten Tag an zu züchtigen. Er soll ihr nur kräftig auf den Allerwertesten schlagen, andernfalls hat er verspielt«, vernahm Maurice de Belville plötzlich die schrille Stimme einer Frau in seiner Nähe. Es war Létice de Parthenay, die füllige Tante des jungen Ritters, die sich so abfällig über Jeanne äußerte. Aber noch bevor sich der Graf zu einer passenden Antwort durchringen konnte, wurde er unversehens von hinten angesprochen.

»Olivier und seine Freunde jagen auch dort«, flüsterte Guillaume, der sich unbemerkt neben Maurice de Belville geschoben hatte. Dieser, in seinen Gedanken an Jeanne jäh aufgeschreckt, ballte vor Wut über den unverschämten Alten seine Rechte zur Faust, schwieg jedoch. Er wußte nur zu genau, worauf sich Guillaumes Provokation bezog.

»Ach, eines noch! Es wird dich interessieren: Das alte Gemäuer am Ufer des Sees werde ich im Frühjahr abreißen lassen. Es bietet recht wenig Platz. Dürftig, dürftig. Verstehe gar nicht, wie du damit so lange zurechtgekommen bist.«

»Ich werde dich gleich ...«

Aber da hatte Genéviève schon seine Hand ergriffen und ihren Mann vom alten Clisson weggedreht.

»Ich töte ihn! Fürwahr, das werde ich. Er will doch tatsächlich unser Jagdschloß abreißen lassen, das der Vorfahre meines Großvaters einst erbauen ließ. Sagt, es wäre ihm zu klein! Der Schurke will mich wohl zur Weißglut treiben ...«

»So ist es! Lächle! Bitte, bitte! Laß dir nichts anmerken. Unsere Tochter steht auch schon kurz davor, aus der Rolle zu fallen.«

»Recht hat sie. Dann können wir dieses unwürdige Spiel hier endlich beenden, und ich bekomme zurück, was ich niemals hätte abgeben dürfen.«

»Dafür ist es jetzt zu spät. Schau nur! Der Bischof ist im Begriff, unsere Tochter zu fragen, ob sie Olivier de Clisson heiraten und so lange bei ihm bleiben will, bis daß der Tod sie scheidet.«

»Dann soll es wohl so kommen, wie es kommen muß«, brummte ihr Gemahl resigniert.

»Ja!« antwortete in diesem Moment die Braut vor dem Altar. Jeanne war in Gedanken ganz weit weg, gefangen von einem Netz aus Zweifeln und Einsamkeit. Um nicht aus der Rolle zu fallen und auf diese Weise sich und ihre Eltern zu kompromittieren, hatte sie ihre Zunge beauftragt, diesen einen, aber alles entscheidenden Laut für sie zu formen. Es war nicht wirklich sie, die da verbal in die Ehe einwilligte. Ihre Sinne wurden ohnehin vom Glanz des Ereignisses beeinträchtigt. Weihrauch hing in der Luft wie ein dichter Nebel, und es brannten wohl an die einhundert Kerzen im Innern der Kapelle. Die Gesänge der Mönche erfüllten den Raum, und die Augen aller Anwesenden waren begierig auf das kniende Paar gerichtet.

Der kirchlichen Zeremonie unter dem strengen Vorsitz des Bischofs von Nantes Gautier de Rosanbo schlossen sich alsbald die ausgelassenen weltlichen Feierlichkeiten an. Sie fanden im großen Saal des herzöglichen Palastes statt. Auf Befehl von Jean le Bon waren die Wände mit roten und gelben Seidentüchern, den Wappenfarben der Clissons, behängt und der Boden mit frisch gepflückten Rosen und Weinreben bestreut worden. Grün und Rot waren die Farben der Belvilles. Auf dem hohen Tisch, an dem beide Familien zusammen mit dem Herzog und seinem Gefolge Platz nehmen konnten, lag reichlich gebratenes Wildbret, darunter auch ein Schwan, der so hergerichtet war, daß er noch am Leben zu sein schien. Es gab Eiersuppe mit Safran, gebratenes Huhn mit Zwetschgen, Krebse aus der Normandie und am Spieß gebratene Ferkel, deren Bauch der Koch zuvor mit Knoblauch, Zwiebeln, Pilzen, Bohnen und Mandeln gefüllt hatte. Wein wurde in großen Fässern herangerollt und danach in silbernen Kelchen ausgeschenkt. Er floß so reichlich, daß es allen Hochzeitsgästen schien, als würden sich ihr Trinkgefäße an diesem Tag niemals mehr leeren.

Herzog Jean präsentierte sich als vorbildlicher Gastgeber. Die Stimmung im großen Burgsaal hätte nicht besser sein können. Es wurde viel gelacht und gescherzt und nur wenig über Politik geredet. Fahrende Sänger und Spielleute traten auf, und ein allseits bekannter Possenreißer aus Rennes erging sich in mitunter wenig schmeichelhaften Redensarten über die Ehe:

»Die Ehe ist die härteste aller Prüfungen. Aber sie gibt uns auch ein Bild für die Vergänglichkeit des Menschen. Denen, die nicht daran glauben, kann ich es beweisen«, sagte der Possenreißer triumphierend. Dann sprang er auf den Tisch, drehte sich im Kreis und zeigte dabei auf keine spezielle Person unter den Gästen.

»Seht dort vorne die Frau des alten Ritters Marcel. Sah sie nicht früher aus wie eine blühende Rose und heute ...«

Geschickt legte er eine Kunstpause ein. » ... heute gleicht sie ... eher einer vertrockneten Pflaume! Hahaha!«

Alles lachte gefällig, einige trommelten mit dem Messergriff sogar auf die Tischplatte, und auch der Herzog hob beifällig die rechte Hand. Auf einmal richteten sich viele Blicke auf Jeanne, die die ganze Zeit über eher stumm und in sich gekehrt auf ihrem Platz neben Olivier de Clisson saß. Wie würde die Anmutige nach ihrem sechsten Kind wohl aussehen? Und wie erst in vierzig Jahren?

»Das klang ein wenig zu böse, nicht wahr, meine Schwertlilie aus Belville«, raunte ihr Olivier süffisant zu. »Obwohl Narren und kleine Kinder, wie man so weiß, doch immer die Wahrheit sagen. Aber so bitter verpackt muß sie ja nicht daherkommen, oder?«

Jeanne preßte ihre Lippen noch fester zusammen und schwieg beharrlich. Nur zu deutlich vernahm sie Oliviers ironischen Unterton.

»Ach, schau mich doch nur einmal an, geliebte Jeanne, und lächle für mich, wenn du schon nicht redest! Fast scheint’s, als hätte dir eine Katze die Zunge abgebissen.«

Jeanne errötete. Doch dann gehorchte sie und verzog ihren Mund zu einem Lächeln, wobei sie ihrem Gemahl zugleich kühl in die Augen blickte. Aber Olivier hielt ihrem Blick stand.

»Wie reizend du bist in deinem kalten Zorn, Jeanne! So gefällst du mir am besten! Aber eines sollst du auch noch wissen. Für mich, wie für jeden Mann, gibt es im Leben drei Dinge, die ihn aus dem Haus jagen: ein schadhaftes Dach, ein qualmender Kamin und ein zankendes Weib. Und deshalb soll die Frau ihren Mann einfach nur bezaubern und auch schön darauf achten, daß es im Bett keine Flöhe gibt. Hast du verstanden? Hast du mich auch gut verstanden, meine Angetraute?«

Die letzten Worte prustete er nur so heraus. Daraufhin schüttelte sich Olivier de Clisson vor Lachen so laut, daß alle im Saal sich neugierig zu ihm umwandten. Und auch der Possenreißer griff den plötzlichen Gefühlsausbruch des Ritters auf und reimte:

»Freut sich der frischgebackene Ehemann ganz laut, geht ihm die Braut wohl schon unter die Haut!«

Der Saal erbebte unter dem Lachen der Menschen. Mein Leben ist zu Ende, dachte Jeanne und hätte sich vor Scham am liebsten in irgendein Loch verkrochen. Aber es gab keinen Ausweg aus ihrer Lage. So wurde die junge Braut um so trauriger, je mehr ihr bewußt wurde, daß sie schon in wenigen Tagen mit Olivier zu seiner Burg in Clisson aufbrechen würde. Weit weg von all jenen Menschen, die sie liebte! Weit weg von ihrem Elternhaus und auf Gedeih und Verderb einem Mann ausgeliefert, den sie nicht liebte und dem auch sie völlig gleichgültig war.

Löwin der Bretagne - Historischer Roman

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