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I. Kommunales Wahlsystem
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Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG gibt vor, dass in den Gemeinden und Kreisen eine Vertretung des Volkes bestehen muss, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Demgemäß regeln auch die maßgeblichen einfachgesetzlichen Vorschriften der §§ 42 Abs. 1 S. 1, 36 Abs. 1 S. 2 GO bzw. § 27 Abs. 1 S. 1 KrO, dass die Mitglieder von Rat, Bezirksvertretung (in kreisfreien Städten) und Kreistag von den Bürgern der Kommune nach den maßgeblichen Wahlrechtsgrundsätzen gewählt werden. Die Dauer der Wahlperiode beträgt jeweils fünf Jahre. Die Wahlrechtsgrundsätze und die fünfjährige Wahlperiode gelten auch für die Wahl der Bürgermeister bzw. Oberbürgermeister (in kreisfreien Städten) sowie für die Wahl der Landräte, § 65 Abs. 1 S. 1 GO bzw. § 44 Abs. 1 S. 1 KrO.[1]
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Für alle Kommunalwahlen sind nach der verfassungsrechtlichen Vorgabe des Art. 28 Abs. 1 S. 1 und 2 GG sowie nach den soeben genannten kommunalrechtlichen Bestimmungen die Wahlrechtsgrundsätze zu beachten.
Nach dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl dürfen nicht einzelne Bürger von der Teilnahme an der Wahl, insbesondere auf Grund politischer, wirtschaftlicher oder sozialer Gründe ausgeschlossen werden.[2]
Aus dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl folgt, dass die Bestimmung der kommunalen Vertreter durch die Wähler selbst und direkt erfolgt. Der Wähler soll das letzte Wort haben. Da für die Wähler die Wirkung ihrer Stimmabgabe selbst erkennbar sein muss, ist die Einschaltung von Wahlmännern oder anderen Entscheidungsinstanzen (wie zum Beispiel einer weiteren Mitgliederversammlung der Partei) nach der Stimmabgabe ausgeschlossen.[3]
Der Grundsatz der freien Wahl sichert die Ausübung des Wahlrechts gegenüber Zwang und Druck.[4] Er schützt die Wähler auch vor objektiv unrichtigen oder parteiergreifenden Äußerungen von Hoheitsträgern, die im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer Kommunalwahl stehen.[5] In solchen Fällen amtlicher Wahlbeeinflussung liegt zudem ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl und gegen das Demokratieprinzip vor. Die Gleichheit der Wahl in der Ausprägung der Verletzung der Chancengleichheit ist betroffen, da der von der Äußerung negativ betroffene Bewerber nicht diese amtliche Bevorzugung erfährt. Der in Art. 20 Abs. 2 GG verankerte Demokratiegrundsatz ist berührt, da in Fällen amtlicher Wahlbeeinflussung die Willensbildung nicht von den Bürgern zu den Kommunalorganen, sondern (rechtswidrigerweise) umgekehrt erfolgt.[6]
Beispiel
Verstößt ein Bürgermeister in der Wahlkampfphase bei der Ausübung seines Amtes durch ein pflicht- und ordnungswidriges Verhalten (z.B. durch parteiergreifende amtliche Aussagen auf der gemeindlichen Homepage) gegen seine amtliche Neutralitätspflicht, so liegt hierin ein Verstoß gegen die Grundsätze der freien und gleichen Wahl und gegen das Demokratieprinzip, der im Falle einer möglichen Erheblichkeit für das Wahlergebnis zu einer Aufhebung der Wahl im Wahlprüfungsverfahren führen kann.[7]
Die Geheimheit der Wahl sichert die freie Wahl und erfordert, dass der Wahlvorgang so ausgestaltet wird, dass der Wähler seine Wahlentscheidung trifft, ohne dass Dritte davon Kenntnis nehmen können.[8] Auf den Schutz des Geheimhaltungsgebotes kann der Wähler nicht verzichten. Die Kennzeichnung des Stimmzettels außerhalb der Wahlkabine führt deshalb zur Zurückweisung des Wählers.
Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl verlangt, dass jedermann sein aktives und passives Wahlrecht in formal möglichst gleicher Art und Weise ausüben können soll. Jede Stimme muss den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis, also den gleichen Zähl- und den gleichen Erfolgswert haben.[9] Der Gesetzgeber hat nur einen eng begrenzten Spielraum für Differenzierungen, die zu ihrer Rechtfertigung eines durch die Verfassung legitimierenden Zweckes bedürften, der von einem Gewicht ist, das der Wahlgleichheit die Waage halten kann.
Beispiel[10]
Die Einführung einer Sperrklausel in das Kommunalwahlgesetz stellt einen Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichheit der Wahl und der Chancengleichheit der Parteien und Wählergruppen dar, der – anders als bei der Landtags- und Bundestagswahl – aufgrund der im Vergleich zu Parlamenten geringeren Bedeutung der kommunalen Vertretungen auch nicht zu rechtfertigen ist. Anders als Parlamente erlassen die kommunalen Vertretungen keine Gesetze im formellen Sinne, in denen die wesentlichen Entscheidungen des Gemeinwesens getroffen werden müssen. Aufgrund der Direktwahl der Bürgermeister und Landräte durch die Bürger, treffen sie zudem keine Personalentscheidungen, die ähnlich bedeutsam wie die Kanzlerwahl durch den Bundestag bzw. die Ministerpräsidentenwahl durch den Landtag sind. Der Erhalt der Funktionsfähigkeit der Parlamente ist daher noch schutzwürdiger als derjenige der kommunalen Vertretungen.
Auch die Einfügung einer Sperrklausel für die Wahl der Räte und Kreistage in die Landesverfassung NRW wurde vom Verfassungsgerichtshof NRW für verfassungswidrig erklärt.[11] Bei einer verfassungsunmittelbaren Sperrklausel verringert sich der Prüfungsmaßstab. Es ist nicht mehr die Vereinbarkeit mit der (übrigen) Landesverfassung zu prüfen, sondern nur noch mit dem bundesverfassungsrechtlichen Homogenitätsprinzip des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG (Homogenität der Landesverfassung mit den Staatsstrukturprinzipien des Grundgesetzes). Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass eine unmittelbar in die Landesverfassung eingeführte (2,5 %-)Sperrklausel bei Kommunalwahlen verfassungswidrig sei, soweit sie für die Wahlen der Räte und Kreistage gelte. Demgegenüber stehe die Sperrklausel im Einklang mit dem Homogenitätsprinzip, soweit die Wahlen der Bezirksvertretungen in kreisfreien Städten und der Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr betroffen sind. Für die Wahlen der Räte und Kreistage sei der Eingriff in den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit nicht gerechtfertigt. Für sie seien die Wahlrechtsgrundsätze ausdrücklich in Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG normiert und als wesentlicher Teil des Demokratieprinzips auch für den Landesverfassungsgeber verbindlich. Weniger strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen unterlägen differenzierende Regelungen für die Wahlen der Bezirksvertretungen in kreisfreien Städten und der Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr, da diese nicht zu den Volksvertretungen im Sinne des Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG gehören.[12] Insoweit beschränke sich das Grundgesetz auf die Gewährleistung des unabänderlichen Kerns des Demokratieprinzips. Dieser werde durch eine 2,5 %-Sperrklausel für die Wahl der Bezirksvertretungen noch nicht berührt. Gleiches gelte für die Wahl der Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr.
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Bei der Frage, wie ein gewählter Bewerber für die verschiedenen Kommunalorgane gewählt ist, muss zwischen der Wahl der Rats- und Kreistagsmitglieder einerseits und der Wahl der Bürgermeister und Landräte andererseits differenziert werden.
Die Rats- und Kreistagsmitglieder werden zur Hälfte direkt in den Wahlbezirken gewählt und zur anderen Hälfte im Wege des Verhältnisausgleiches nach (Reserve-)Listen für das ganze Wahlgebiet (§ 3 Abs. 1 KWahlG NRW). Wahlgebiet ist das Gebiet der jeweiligen Kommune, welches in vergleichbar einwohnerstarke Wahlbezirke unterteilt wird. Derjenige, der im Wahlbezirk die meisten Stimmen bekommt, zieht direkt in den Rat ein. Da der Wähler mit der Stimme für den Direktbewerber auch gleichzeitig die Reserveliste der ihn aufstellenden Partei bzw. Wählergruppe wählt (keine Stimmensplittung möglich wie bei der Bundes- und Landtagswahl) werden diese Stimmen im Wahlgebiet zusammengezählt und nach dem Sitzberechnungsverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers (§ 33 KWahlG NRW) verteilt.
Im Folgenden wird ein Beispiel für das Sitzberechnungsverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers ausgeführt:
Beispiel
Der Rat einer Gemeinde mit 25 000 Einwohnern hat 38 Ratsmitglieder. Bei der Kommunalwahl haben von den 10 000 Stimmen erhalten:
A-Partei: | 5100 |
B-Partei: | 2500 |
C-Wählergruppe: | 2137 |
D-Partei: | 263 |
Wie erfolgt die Sitzverteilung im Rat?
Die Berechnung erfolgt nach dem Divisorverfahren Sainte-Laguë/Schepers, welches in § 33 KWahlG NRW niedergelegt ist:
• | Zunächst wird der Zuteilungsdivisor durch Teilung der Gesamtstimmenzahl durch die Gesamtsitzzahl ermittelt: 10 000 (Gesamtstimmenzahl) : 38 (Gesamtsitzzahl) = 263 (Zuteilungsdivisor). |
• | Die den Parteien/Wählergruppen zustehenden Sitzzahlen werden ermittelt nach der Formel: Stimmenzahl der Partei/Wählergruppe : Zuteilungsdivisor (= 263) = Sitzzahl Das ergibt konkret: |
A-Partei: | 19,39 (ungerundet) | gerundet (ab 0,5 Aufrundung): 19 Sitze |
B-Partei: | 9,50 (ungerundet) | gerundet (ab 0,5 Aufrundung): 10 Sitze |
C-Wählergruppe: | 8,12 (ungerundet) | gerundet (ab 0,5 Aufrundung): 8 Sitze |
D-Partei: | 1,00 (ungerundet) | gerundet (ab 0,5 Aufrundung): 1 Sitz |
Zur konkreten (namentlichen) Ermittlung der aus den Reservelisten in den Rat einziehenden Bewerber sind auf die insgesamt den einzelnen Parteien bzw. Wählergruppen zustehenden Sitze vorab die in den Wahlbezirken (direkt) gewählten Bewerber anzurechnen. Falls also die Bewerber, die von der B-Partei vorgeschlagen worden sind, in fünf Wahlbezirken direkt gewählt worden sind, würden aus der Reserveliste der B-Partei nur die ersten fünf Bewerber in den Rat einziehen.
Da im Beispiel die A-Partei zwar die absolute Mehrheit der Stimmen (5100), aber rechnerisch nicht die absolute Mehrheit der Sitze (nur 19 anstatt 20 Sitze), erreicht hat, greift § 33 Abs. 4 KWahlG NRW: Es wird der A-Partei ein weiterer Sitz zugeteilt (Zusatzmandat) und der B-Partei (als Partei mit dem niedrigsten Zahlenbruchteil ab 0,5 (inklusive), § 33 Abs. 4 S. 2 KWahlG NRW) ein Sitz weniger zugeteilt. Damit ergibt sich folgende Sitzverteilung:
A-Partei: | 20 |
B-Partei: | 9 |
C-Wählergruppe: | 8 |
D-Partei: | 1 |
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Bei den Bürgermeistern und Landräten ist das Wahlberechnungsverfahren einfacher: Es kommt nur darauf an, wer mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen in der Kommune erhalten hat (§ 46c Abs. 1 S. 2 KWahlG NRW). Erhält von mehreren Bewerbern keiner die erforderliche absolute Mehrheit, findet am zweiten Sonntag nach der Wahl eine Stichwahl unter den beiden Bewerbern statt, die bei der ersten Wahl die höchsten Stimmenzahlen erhalten haben (§ 46c Abs. 2 S. 1 KWahlG NRW).[13]
Die Bezirksvertretungen in kreisfreien Städten werden nach Listenwahlvorschlägen gewählt. Die Sitze werden entsprechend dem Sitzberechnungsverfahren für den Rat auf die Parteien und Wählergruppen verteilt (§ 46a Abs. 6 KWahlG NRW). Allerdings werden nach Art. 78 Abs. 1 S. 3 LVerf NRW nur solche Wahlvorschläge für die Sitzberechnung berücksichtigt, die mindestens 2,5 vom Hundert der insgesamt abgegebenen gültigen Stimmen erhalten haben.
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Die Wählbarkeit (passives Wahlrecht) unterscheidet sich vom aktiven Wahlrecht in mehrfacher Hinsicht:
• | Als Rats- und Kreistagsmitglied wählbar sind nur diejenigen wahlberechtigten Personen, die das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben und seit mindestens drei Monaten in dem Wahlgebiet ihre (Haupt-)Wohnung haben (§ 12 KWahlG NRW); |
• | für die Wählbarkeit von Bezirksvertretern in kreisfreien Städten muss hinzukommen, dass man im Stadtbezirk wohnt oder in einem Gemeindewahlbezirk des Stadtbezirks als Bewerber für die Wahl des Rates aufgestellt ist (§ 46a Abs. 4 S. 2 KWahlG NRW); |
• | als Bürgermeister und Landrat wählbar ist gemäß § 65 Abs. 2 GO bzw. § 44 Abs. 2 KrO, wer am Wahltag Deutscher oder Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union ist und eine Wohnung in der Bundesrepublik Deutschland innehat (also nicht zwingend im Wahlgebiet – Gemeinde bzw. Kreis) und das 23. Lebensjahr vollendet hat. Der Bewerber muss zudem die Gewähr dafür bieten, dass er jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt. |
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Von der Wählbarkeit ist die sogenannte Inkompatibilität zu unterscheiden. Aus Gründen der Unvereinbarkeit von Amt und Mandat sind bestimmte Beschäftigte des öffentlichen Dienstes aus den in § 13 Abs. 1 KWahlG NRW angeordneten Gründen zwar wählbar, müssen sich aber nach der Wahl entscheiden, ob sie die Wahl annehmen.[14] Da sie nach § 13 Abs. 3 S. 1 KWahlG NRW die Wahl nur annehmen können, wenn sie die Beendigung ihres Dienstverhältnisses nachweisen, wird teilweise von einem faktischen Wählbarkeitsausschluss dieses Personenkreises gesprochen.[15] Angesichts des damit verbundenen Eingriffs in den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl[16] bedarf es mit Art. 137 GG einer ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Ermächtigung für die Beschränkung der Wählbarkeit von Angehörigen des öffentlichen Dienstes. Diese ist zudem einschränkend auszulegen und ermächtigt den Gesetzgeber im kommunalen Bereich nur dazu, die Wählbarkeit eines Arbeitnehmers zum Rat bzw. Kreistag seiner Kommune zu beschränken, wenn ansonsten die Gefahr von Interessenkollisionen nicht wirksam begegnet werden kann.[17] Die Gefahr einer solchen Interessenkollision besteht nicht, wenn der Arbeitnehmer der Kommune keine Möglichkeit hat, inhaltlich auf die Verwaltungsführung Einfluss zu nehmen, vgl. § 13 Abs. 1 S. 1 KWahlG NRW.
Beispiel
Der in der kreisangehörigen Gemeinde G wohnhafte Beamte K ist in der Kreisverwaltung des Kreises K tätig und leitet dort das Kommunalaufsichtsamt. Gemäß § 13 Abs. 1 S. 1 Buchstabe d KWahlG NRW kann er nicht gleichzeitig dem Rat der im Kreis K gelegenen kreisangehörigen Gemeinde G angehören.
Ein ebenfalls in der Kreisverwaltung tätiger Arbeitskollege des K, der Pförtner P, könnte hingegen die Wahl zum Mitglied des Kreistages seiner Anstellungskörperschaft (Kreis K) annehmen, ohne sein Dienstverhältnis aufgeben zu müssen. Als Pförtner ist er vom persönlichen Anwendungsbereich der Inkompatibilitätsvorschrift ausgenommen, da er die Verwaltungsführung seines Dienstherrn inhaltlich nicht beeinflussen kann.[18]
2. Teil Einwohner und Bürger › A. Kommunales Wahlrecht › II. Verfahren nach der Kommunalwahl