Читать книгу Sommer mit Ben - Frank Claudy - Страница 6
ОглавлениеKapitel 4
Das Wochenende war langweilig und aufregend zugleich. Zum ersten Mal reichte es mir nicht, mit einem Buch in der Ecke zu sitzen. Ich wünschte mir, bei Katja zu sein. Mehr als ein Mal schlich ich zum Telefon und wählte ihre Nummer, nur um gleich wieder aufzulegen, noch bevor es klingelte. Eigentlich war das ja totaler Quatsch. Ich hätte sie doch ruhig anrufen können. Schließlich hatte sie mich zum Abschied geküsst, auch wenn es nur auf die Wange war. Wer hatte eigentlich die dämliche Regel aufgestellt, dass man ein paar Tage warten soll, bevor man anruft. Gab es so eine Regel überhaupt? Vielleicht saß sie ja zu Hause und wartete nur auf einen Anruf von mir.
Am späten Nachmittag hielt ich es nicht mehr aus und legte nicht auf, bevor es klingelte. Katjas Bruder, Ben, war am Apparat: „Katja ist nicht da, sie verbringt das Wochenende bei unseren Großeltern. Ich sag ihr, dass du angerufen hast.“ Und schon hatte er wieder aufgelegt. Das war übrigens mein erster Kontakt mit Ben. Das sollte mir später noch wichtig sein.
Soviel dazu, dass Katja zu Hause sitzen und auf meinen Anruf warten könnte. Irgendwie ärgerte ich mich jetzt darüber, dass ich angerufen hatte.
Trotzdem verbrachte ich das ganze Wochenende mit Katja. Sie ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Noch nie hatte ich mich so auf Montag und die Schule gefreut.
Sonst konnte das Wochenende gar nicht lang genug sein, doch jetzt wünschte ich mir, die Zeit würde schneller vergehen, damit ich Katja endlich wiedersehen könnte. Ich träumte mir die wildesten Phantasien mit ihr zusammen, die irgendwie immer damit endeten, dass wir beide Sex am Flussufer hinter der alten Villa hatten.
Montagmorgen war ich zum ersten Mal in meinem Leben eine halbe Stunde zu früh in der Schule. Eigentlich komme ich total schwer aus dem Bett, und die Schule ist nicht wirklich ein Grund für mich, morgens aufzustehen. Bisher hatte ich immer das Glück, dass meine Lehrer beide Augen zudrückten ob meiner chronischen Unpünktlichkeit, was vielleicht auch damit zusammen hing, dass ich erstaunlicherweise immer einigermaßen gute Noten in fast allen Fächern hatte, obwohl mich außer Deutsch nichts wirklich interessierte. Naja, ich muss gestehen, in Sport und Musik waren meine Noten eher bescheiden, aber ich bin heute noch davon überzeugt, dass ich auch dort einer der besten hätte sein können, wenn ich nur ein bisschen Interesse aufgebracht hätte. Wobei ich zu meiner Schande gestehen muss, dass ich während der Zeit meiner Phantasien mit meinem Sportlehrer tatsächlich eine zwei auf dem Zeugnis hatte. Was so ein kleines bisschen Anreiz doch ausmachen kann.
An diesem Montagmorgen jedoch konnte ich gar nicht schnell genug aus dem Bett kommen. Ich hatte eh in der Nacht kaum ein Auge zugemacht, weil ich so aufgeregt war und die Stunden zählte, bis ich Katja endlich wiedersehen würde.
Meine Eltern haben mehrere Male ihre Uhren überprüft, als ich so früh am Morgen in der Küche stand. Ich glaube, mein Vater hatte echte Angst, zu spät ins Büro zu kommen. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann wir uns das letzte Mal an einem Wochentag morgens früh gesehen haben. Meine Mutter war vermutlich schon auf dem Weg, das Fieberthermometer zu suchen, aber bevor die beiden irgendwelche blöden Bemerkungen machen konnten, war ich auch schon aus dem Haus.
Ich überlegte kurz, mit dem Bus zu Katja zu fahren und sie vor ihrem Hause abzupassen, um mit ihr gemeinsam zur Schule zu gehen, entschied mich dann aber dagegen, weniger, weil ich mich nicht zum Affen machen wollte als vielmehr, weil ich keine Ahnung hatte, wann ihr Unterricht beginnt.
Was ich bisher noch gar nicht wusste, war dass die Schultore erst zehn Minuten vor Unterrichtsbeginn geöffnet wurden, woher auch, ich kam ja sonst nie früher als 10 Minuten nach Unterrichtsbeginn an. Oft genug schaffte ich es auch erst pünktlich zur zweiten Stunde. Jetzt musste ich mit lauter Losern vor der Tür warten. Zum Glück hatte ich immer ein Buch dabei, zurzeit las ich „die Blechtrommel“. Mein Deutschlehrer hätte sich vermutlich gefreut. Was ich sonst so las, entsprach eher weniger seinem Geschmack, Kerouac oder Bukowski.
Aber ich war eh viel zu nervös, um mich auf mein Buch zu konzentrieren. Ich fragte mich, wann im Laufe dieses viel zu langen Schultages ich wohl Katja zum ersten Mal sehen würde. Würde ich bis zur Probe am Nachmittag warten müssen oder würde sie mir schon in einer Pause über den Weg laufen? Mir fiel ein, dass ich noch nicht einmal wusste, wo ihr Klassenraum war. Außerdem hatten wir für die große Pause eine Redaktionssitzung einberaumt, also würde ich sie da bestimmt nicht sehen. War sie eigentlich heute im Probenplan vorgesehen? Ich kramte nach meiner Kopie des Plans, den ich selber aufgestellt hatte, und nahm mir vor, sie ab sofort jeden Tag aufzustellen, was man bei der Hauptdarstellerin schließlich auch plausibel begründen konnte.
Wie würde sich Katja wohl verhalten, wenn wir uns treffen? Würde sie mich ganz normal begrüßen wie bisher auch? Oder würde sie mir einen Kuss auf die Wange geben, wie sie das bei ihren Freundinnen tat? Und wie sollte ich mich verhalten?
Was ich bei meinen Überlegungen nicht mit bekommen hatte, war dass Katja plötzlich vor mir stand.
„Hallo Frank. Was machst du denn schon hier?“ grüßte sie mich. Ich schreckte auf und starrte zu Katja hoch, die mich anlachte. Ich war unfähig, etwas zu sagen. Da hatte ich die ganze Zeit nur an sie gedacht, doch jetzt, als sie vor mir stand, hatte ich keine Ahnung, wie ich mich verhalten sollte.
Katja dagegen war ganz locker. Sie küsste mich auf die Wange, oder habe ich mir das nur eingebildet, und setzte sich neben mich auf die Treppe. „Ich habe dich hier noch nie morgens früh gesehen“, sagte sie. Es stellte sich heraus, dass sie jeden Morgen so früh kam, weil ihr Bruder, der am anderen Ende der Stadt zur Schule ging, sie im Auto mitnahm.
Ist doch klar, dass ich mir in dem Moment vornahm, von nun an auch immer so früh zur Schule zu kommen, oder?
Bevor Katja aufgetaucht war, schien die Zeit bis zum Schulbeginn endlos vor mir zu liegen, doch jetzt verging sie wie im Flug. Katja erzählte mir von dem Wochenende, das sie mit ihren Großeltern verbracht hatte, die wohl noch recht jung waren und mit denen sie richtig gut auszukommen schien. Ich log ihr vor, dass ich das ganze Wochenende damit beschäftigt gewesen wäre, für einen Artikel über Organtransplantationen zu recherchieren. Okay, es ist vielleicht keine gute Idee, eine Beziehung mit Lügen zu beginnen, falls wir überhaupt so etwas wie eine Beziehung hatten, aber ich konnte ihr ja schlecht erzählen, dass ich das ganze Wochenende nur damit verbracht hatte, von ihr zu träumen. Ich konnte mir ja später immer noch einen Grund ausdenken, warum der Artikel nicht in der Schülerzeitung erschienen wäre.
Viel zu schnell wurden die Tore geöffnet und wir mussten zum Unterricht gehen. Ich half Katja beim Aufstehen und erstaunlicherweise hielt sie meine Hand einfach fest, als wir in die Schule gingen. Bis letzte Woche hatte ich immer gelästert über Schüler, die in der Schule Händchen hielten oder sich küssten, doch auf einmal verstand ich, worum es dabei ging. Ich hatte den Eindruck, dass alle uns anstarrten und war mächtig stolz darauf, mit so einer tollen Frau wie Katja gesehen zu werden, auch wenn ich nicht ganz verstehen konnte, warum sie mit mir gesehen werden wollte.
Bis zur großen Pause hatte es sich anscheinend schon in der ganzen Schule herum gesprochen, dass Katja und ich zusammen waren. Die Jungen aus unserem Redaktionsteam löcherten mich mit Fragen, wie ich es geschafft hätte, Katja herum zu bekommen. Anscheinend war ich nicht der einzige, der nicht verstand, was Katja an mir fand. Da ich ja selber nicht genau wusste, wie ich es angestellt hatte, dass sie mich mochte, antwortete ich einfach gar nicht auf die ganzen Fragen. Ich redete ja auch sonst nicht viel mit den anderen und hätte höchstens erzählen können, dass ich gar nichts gemacht hatte und alle Schritte von Katja ausgegangen waren.
Es gab aber auch einige indiskrete Fragen, die mir mal wieder zeigten, warum ich lieber alleine war, als mit anderen Jungen loszuziehen. Die harmloseren waren, wie Katja küssen konnte.
Ich kann Euch versichern, dass ich diese Fragen auch dann nicht beantwortet hätte, wenn ich die Antwort darauf gewusst hätte. Aber ich hätte nichts dagegen gehabt, die Antwort zu wissen.