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Prolog – Die Ehre der von Landgrafs

Am sehr frühen Morgen roch es nach feuchtem Gras und nasser Erde. Trotz der heute noch zu erwartenden sommerlichen Temperaturen, die in diesem August vorherrschten, kühlte es in der Nacht häufig empfindlich ab. Raureif an den Gräsern und Bäumen waren deshalb nichts Ungewöhnliches. Außerdem hatte es am gestrigen Abend ausgiebig geregnet, weswegen die Feuchtigkeit an Pflanzen, Tieren und Menschen über Nacht in jede noch so kleine Pore gekrochen war. Die Männer und die Pferde froren. Und obwohl die Kälte alle fest im Griff hatte, wünschte sich keiner den Aufgang der warmen Augustsonne. Es war der 16. August 1870. Die zwei preußischen Korps standen in der Nähe der Ortschaften Mars-la-Tour und Vionville im Nordosten Frankreichs, ungefähr zwanzig Kilometer westlich vor Metz, Auge in Auge mit der französischen Rheinarmee.

Wilhelm Adolf von Landgraf spürte das Zittern des Pferdes unter den Schenkeln. Auch das Tier fror angesichts der kalten und nassen Witterungsbedingungen. Die Muskeln, ja, der ganze Körper des stolzen siebenjährigen Rappens, der seinen Reiter so weit schon getragen hatte, kämpfte gegen die widrigen Umstände von Frostgefühl und Matsch. Das schwarzbraune, kraftstrotzende Tier schnaufte. Wilhelm Adolf spürte, dass es sich bewegen, der Kälte entfliehen wollte, doch er beruhigte sein Ross. Es war noch nicht an der Zeit. Der Befehl des Oberkommandeurs der preußischen Regimenter war eindeutig. Stellung halten! Keinerlei Vorstoß vor Mittag! Auf keinen Fall ohne Anordnung angreifen!

Weitere Anweisungen würden im Laufe des Vormittags folgen. Die Depeschenreiter hatten viel zu tun. Wilhelm Adolf wusste nicht, ob er mit ihnen tauschen wollte. Gut, sie waren von den Kämpfen befreit, durften möglichst nicht angegriffen werden und hatten daher das Glück, das Blutvergießen nicht am eigenen Leib spüren zu müssen. Meistens zumindest. Doch ehrvoll war eine solche Aufgabe nicht. Nein, bestimmt nicht. So empfand es der hoch zu Ross sitzende Wilhelm Adolf, der von seinem Vater in den Deutsch-französischen Krieg geschickt worden war. Ja, sein Vater hatte dafür gesorgt, dass der Sohn in die Schlacht geritten war. Verabschiedet hatte er ihn mit den Worten: »Komm mit Ehre zurück, oder bleib in Frankreich!« Vaterliebe.

Aus diesem Grund war Wilhelm Adolf keine weitere Möglichkeit geblieben, als in diesem Krieg Ehre zu erlangen. Nur so konnte er zu seiner Familie, ja, zu seiner Frau zurückreiten. Als ehrbarer Kavallerist. Es war die einzige Chance, die Erbfolge des Geschlechts anzutreten. Zwar war er der alleinige Sohn seines Vaters, doch wenn für das Familienoberhaupt etwas wichtiger war, als die eigene Familie, dann Ruhm und Ehre. Dieser Mann, der Wilhelm Adolf die ganze Kindheit und Jugend hindurch gezüchtigt hatte, würde das Landgut der von Landgrafs lieber in Schutt und Asche sehen, als in den Händen seines unehrbaren Sohnes. Da konnten die preußischen Gesetze Wilhelm Adolf noch so sehr als alleinigen Erben betrachten. Ohne Ehre würde sein Vater die Ländereien eher abfackeln, das war klar. So war die Lage der Dinge, als Wilhelm Adolf vor einigen Monaten nach Westen, Richtung Frankreich geschickt wurde. Wie es seinem Stande gebührte, nicht als einfacher Infanterist, sondern als Kavallerist. Nicht ganz oben, aber immerhin ein wenig weiter oben in der Befehlskette.

Mittlerweile brauchte sich Wilhelm Adolf zum Glück keine Sorgen mehr wegen der Ehrbarkeit machen, mit der er zu seinem Vater zurückkehren würde. Davon war er überzeugt. Erst vor einigen Wochen hatte er durch das Bemerken eines französischen Hinterhalts nicht nur etliche Franzmänner abgestochen, nein, er hatte hierdurch auch unzweifelhaft das Leben seines Regimentkommandeurs, Herzog Wilhelm von Mecklenburg-Schwerin, geschützt. Das hatte ihm viel Achtung in den Augen des Herzogs eingebracht. Sein Ansehen im Korps war stark gestiegen, das spürte er. So machte er sich inzwischen weniger Sorgen über Ehre und Ruhm. Beides hatte er unlängst verdient. Seine erste Fürsorge galt einstweilen, aus diesem Krieg lebend zurückzukehren. Aber auch die Chancen standen schon schlechter.

Die preußischen Regimenter waren dem französischen Gelump in Zahl und Stärke um Längen überlegen. Der Schnelligkeit seines Pferdes Karl sei Dank, war die französische Artillerie für sie so gefährlich wie Kaninchen im Gras. Die Kavallerie des Feindes war in den vergangenen Wochen stark ausgedünnt und die Infanterie, nun ja, auf die musste man aufpassen. Aber worauf sollte man im Krieg schon achten, wenn nicht wenigstens auf das eigene Leben?

Ein kühler Luftzug strich Wilhelm Adolf durch das Gesicht. Mit einem Blick über die Schulter bemerkte er den wunderschönen rötlichen Sonnenaufgang hinter ihm. Er war kein Taktiker, oder großer Stratege, dennoch fragte er sich, warum ein endgültiger Angriff nicht vormittags erfolgen konnte. So hörte man. Wo doch gerade in den frühen Morgenstunden die preußische Armee die Sonne im Rücken hatte. Nach dem Dafürhalten des jungen Offiziers wäre insbesondere hierdurch ein immenser taktischer Vorteil gegeben. Ideale Bedingungen, um über die französischen Einheiten herzufallen. Doch seine Stellung in der Befehlskette war nicht weit genug oben, als dass er diesen Zweifel einem Befehlshaber gegenüber angesprochen hätte. Heute Vormittag mussten sie verharren, bis alternative Befehle eintrafen.

Wieder blies Karl Atem wie kleinen Nebel durch seine Nüstern. Das Ross stampfte ein, zwei Schritte seitwärts. Das Tier brauchte Bewegung. Aber wie Wilhelm Adolf ging es auch den übrigen Männern des Kavallerieregimentes. Ihrer Pferde schnauften und zeigten deutlich den Drang, die Kälte abzuschütteln. Viele seiner Streitkameraden hatten wie er frühmorgendlich ihre Rösser bestiegen. Nur einige Wenige standen neben ihren Tieren, pflegten sie, trockneten sie, streichelten sie und beruhigten sie. Doch auch ihr Aufsteigen würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Die Bereitschaft des Regimentes, wenn schon nicht für den Kampf, dann zur Verlegung ihres Postens wurde vom Kommandeur ab 7:00 Uhr vorausgesetzt. Das hieß, ab 7:00 Uhr mussten alle bereit sein, um entweder in die Schlacht zu reiten, was unwahrscheinlich war, oder ihre Position auf dem Schlachtfeld zu verlegen, womit aber auch niemand rechnete.

Wilhelm Adolf fiel auf, wie die Umgebung nicht nur erfüllt von dem Duft feuchten Grases und taubesetzter Bäume war, nein, auch der strengere Geruch von aufgewühltem Matsch und der beißende Gestank von Pferdekot lag in der Luft. In dieses unsägliche Potpourri verschiedener Ausdünstungen mischten sich die Geräusche schnaufender Pferde und mit ruhiger Stimme sprechender Reiter, die ihren Tieren jenen Mut gaben, der so manchem von ihnen fehlte. Aber auch das Gebrüll von Offizieren, die ihren rangniederen Soldaten auf preußische Weise Disziplin einbläuten, mischte sich in die Kulisse mit ein. Es waren die üblichen Militärgeräusche 1870. In der Weite hallte das bedrohliche Trommeln von Kanonen und ließ eine kurze Stille im Lager einkehren. Alle, sogar die Pferde, verharrten kurzzeitig regungslos wegen des fernen Donners. Bereits Augenblicke später, die Kanonenschläge waren verklungen, hörte man die entlegenen Einschläge.

»Keine Sorge!«, deklamierte ein junger Offizier, der zu Wilhelm Adolfs Rechten auf dem Ross saß. Der, gerade den Kinderschuhen entwachsene Mann, war erst vor einigen Tagen zu ihrer Einheit gestoßen. Seinen Namen hatte sich Wilhelm Adolf bisher noch nicht eingeprägt. Jetzt bemerkte er, wie jener knabenhafte Offizier zu einem nahestehenden Soldaten, einem Infanteristen, sprach, den der ferne Donner sichtlich geängstigt hatte.

»Keine Angst«, wiederholte er, »wir sind hier völlig außer Reichweite.« Er wies mit dem Finger in die Himmelsrichtung, aus der Kanonenlärm herüberschallte. »Das sind wahrscheinlich die Franzosen, die versuchen, unsere rechte Flanke zu beharken. Vollkommen sinnlos. Auch die sind nicht im Wirkungsbereich. Der Franzmann ist nicht der Hellste. Vergeudet wirkungslos seine Munition.«

Die meisten jungen Soldaten um den Offizier herum lachten. Wilhelm Adolf nicht, aber ein Schmunzeln konnte auch er sich nicht verkneifen. Er wusste, dass der Gefolgsmann recht hatte.

»Warum geben die nicht gleich auf?«, fragte der verängstigte Soldat.

»Na, ich hab es doch gesagt. Die stinkenden französischen Lumpen sind dafür einfach nicht schlau genug.«

Wieder lachten alle, und wieder schmunzelte Wilhelm Adolf. Wo der junge Offizier recht hatte, da hatte er eben recht.

Die Schlachten in den ersten Wochen des Krieges hatten bereits gezeigt, dass die französische Strategie nicht funktionierte. Der Vormarsch nach Deutschland war ihnen nicht mehr möglich. Gleichzeitig waren Österreich, Italien oder auch Dänemark nicht auf Seiten Frankreichs in den Konflikt eingetreten, wie diese erwartet hatten. Das hatte den Krieg sich nicht zugunsten der Franzosen entwickeln lassen.

Die Rheinarmee sollte sich daher von Metz über Verdun und Sainte-Menehould nach Châlons zurückziehen, um sich mit weiteren Einheiten zu vereinigen. Allerdings war dieser Rückzug zu lange herausgezögert worden. Der französische Marschall Bazaine geriet in die Schusslinie, den Truppenabzug nicht forciert zu haben und stand inzwischen mit dem Rücken zur Wand. So war es zumindest bis zu den preußischen Truppen vorgedrungen. Erst langsam wurde der Rückzug der französischen Armee eingeleitet. Dabei hatte man sie in zwei Kolonnen geteilt, die sich offenbar später wieder vereinen sollten. Das war ein Fehler gewesen. Der Verband über Vionville, Mars-la-Tour und Fresnes zögerte, ob mangelnden Nachschubs.

Das III. preußische Korps unter General von Alvensleben bekam den Auftrag, die Mosel zu überschreiten. Um dies sicher zu gewährleisten, wurde die 6. Kavalleriedivision, unter Herzog Wilhelm von Mecklenburg-Schwerin, zur Verstärkung hinzugezogen. Gleichzeitig war das X. preußische Korps, das das linke Moselufer bereits besetzt hatte, mit der 5. Kavalleriedivision unterwegs. Aufklärung war das Ziel. War die französische Armee längst aus Metz abgezogen?

Es stellte sich heraus, dass die als Nachhut vermuteten französischen Soldaten nach wie vor der noch nicht zurückgezogenen Hauptarmee angehörten. Und diese setzten sich nun den preußischen Korps hoffnungslos entgegen.

Erneut donnerte es in der Ferne. Kurze Zeit später vernahmen die Männer die Einschläge. Genauso weitab, wie zuvor. Offenbar hatten die Franzosen beschlossen, das Feuer aufrechtzuerhalten.

»Vielleicht versucht der Franzmann, uns Angst zu machen?«, kommentierte Wilhelm Adolf von seinem Pferd herab. Ohne abzuwarten, beantwortete er die eigene Frage. »Als wenn wir Angsthasen wären!«

Wieder stimmte die Truppe Gelächter an, während das Donnern in der Ferne nicht abklang. Auch von Landgraf lachte.

Mein Ostfriesland, meine Heimat,

wo die hohen Deiche sind,

ist die Heimat meiner Ahnen,

ich bin ein Ostfriesenkind.

Wilhelm Adolf wusste nicht, warum gerade in diesem Moment, der doch eigentlich ein Morgen eines Krieges war, er sich an ein Lied erinnerte.

Wo die Harle fließt nach Norden,

wo sich Mühlen dreh´n im Wind,

ist die Heimat meiner Ahnen,

ich bin ein Ostfriesenkind.

Von Landgraf drehte sich auf seinem Ross nach links und sah an einem nahestehenden Baum zwei Infanteristen leise singend stehen. Er hatte die eingesungenen Soldaten bisher noch gar nicht wahrgenommen. In der Anspannung des Morgens und der Unruhe des Lagers war ihm der unterschwellige, stetige Gesang nicht bewusst gewesen. Erst jetzt, da dieses bekannte Lied aus der Heimat erklang, hatte er den Ursprung seiner plötzlichen Erinnerung realisiert.

Bin ich einmal in der Ferne,

zieht es mich zur Heimat hin,

weil ich nur an Frieslands Küste,

glücklich und zufrieden bin.

Es war keine einfache Situation. Gesang solcher Art war in den preußischen Regimentern nicht gerne gesehen, da man befürchtete, allzu heimatliche Stimmen würden die militärische Ordnung schädigen. Trotzdem galt nicht jeder Gesang gleich zersetzend. In einigen Abteilungen wurden diese Lieder geduldet. Die 6. Kavalleriedivision war so ein Fall.

Alles ist noch so geblieben,

Dünensand und Nordseestrand.

Ich bin aber alt geworden,

treu geblieben Heimatland.

Ja, trotz der Knute des Vaters dachte Wilhelm Alexander mit Freude und Mut an die Zeit in der ostfriesischen Heimat zurück. Er würde dahin zurückkehren. Zu Weib und Hof. Er wandte sich von den Infanteristen ab und lugte erneut über seine Schulter. Ein Depeschenreiter verließ gerade das Lager des Regiments.

»Sind schon neue Depeschen gekommen?«, fragte er den jungen Offizier neben ihm.

»Ja, eben«, antwortete dieser und nickte.

Wilhelm Adolf hatte das Eintreffen des Depeschenreiters gar nicht bemerkt. Nun würden sie also ihre neuen Befehle bekommen, erfahren, ob es heute zu einem Angriff kommen sollte. Wenn ja, durch welches Signal diese Eröffnung des Kampfes ausgelöst und wie sie anzugreifen hatten. Die üblichen militärischen Dinge halt. Sie würden sicher gleich in Kenntnis gesetzt. Sie alle, so nahm Wilhelm Adolf zumindest an.

Daher überrascht es ihn, als er plötzlich die brüllende Stimme seines Kommandeurs aus dem Befehlshaberzelt vernahm.

»Von Landgraf!«

Alle um ihn herum schauten Wilhelm Adolf fragend an.

»Jawoll!«, antwortete er schlagartig, stieg von seinem Pferd Karl herunter, und begab sich schnellstmöglich zum Zelt. Er betrat den kleinen zugigen Raum des Zeltes und salutierte preußisch und zackig. Herzog Wilhelm von Mecklenburg-Schwerin erwidert knapp und beriet sich, einige Depeschen in der Hand haltend, mit zwei nahestehenden Offizieren. Beide im Rang höher als Wilhelm Adolf. Dieser hielt am Eingang Stellung und wartete auf die Erlaubnis, nähertreten zu dürfen.

»Also«, schloss Herzog Wilhelm seine Ansprache an die beiden anwesenden Offiziere, »meine Herren, treffen Sie alle Vorbereitungen! Wegtreten!«

Mit diesen Worten salutierten die Untergebenen und schritten grußlos an Wilhelm Adolf aus dem Zelt heraus.

»Bitte, Herr von Landgraf, treten Sie näher!«, befahl der Herzog und Wilhelm Adolf tat, wie ihm geheißen. Erwartungsgemäß stand für den jungen von Landgraf die Frage nach dem Befehl seines Antretens im Kommandozelt an erster Stelle. Der Grund, weswegen der oberster Befehlshaber ihn zu sich riefen ließ. Für gewöhnlich erhielt er seine Aufträge vom Oberstleutnant, als dem direkten Vorgesetzten, nicht von Herzog Wilhelm selbst. Warum hatte also der Oberkommandierende seines Regimentes ihn in sein Zelt gerufen?

»Herzlichen Glückwunsch«, lächelte ihn der Herzog an und reichte dem rangniederen Kavalleristen freundlich die Hand. Dieser stutzte, legte die Stirn in Falten, erwiderte dann aber höflich den Händedruck des Herzogs.

»Danke«, stotterte Wilhelm Adolf. »Danke, mein Herr!«

Aber bei dem Wort unterbrach ihn der Oberbefehlshaber direkt wieder.

»Ich habe gerade die Nachricht erhalten, dass Sie Vater geworden sind. Vater eines kleinen strammen Kindes.«

Wilhelm Adolf riss die Augen auf. Jetzt dämmerte es ihm. Die verdatterte Miene verschwand von seinem Gesicht und wich einem deutlichen breiten Grinsen.

»Ich wollte es mir nicht nehmen lassen«, setzte der Befehlshaber fort, »Ihnen kurz persönlich zu gratulieren.«

»Vielen, vielen Dank.«

»Sie haben mir gar nicht erzählt, dass Ihre Frau schwanger war?«, meinte Wilhelm von Mecklenburg-Schwerin halb feststellend, halb rügend. Wilhelm Adolf fragte sich, ob er mit seinem Kommandeur überhaupt je ein privates Wort gewechselt hatte. Schließlich stand der Herzog deutlich über ihm in der Befehlskette. Er wusste nicht einmal, ob ihm solche Gespräche mit Herzog Wilhelm von Mecklenburg-Schwerin überhaupt zustanden.

»Bitte verzeihen Sie, Herzog!«, entschuldigte sich Wilhelm Adolf.

»Macht nichts, kein Sorge. Wie gesagt, ich wollte es mir nicht nehmen lassen, Ihnen persönlich zu gratulieren.« Der Befehlshaber schlug einen leiseren Ton an. »Ich mache das längst nicht bei jedem mir untergebenen Soldaten, aber Sie haben sich in den vergangenen Wochen als sehr ehrbarer und standhafter junger Offizier erwiesen. Ich glaube, Ihnen steht eine große Karriere im preußischen Militär bevor.«

»Ich«, stotterte Wilhelm Adolf erneut.

»Nein, nein, lassen Sie mich ausreden. Ich bin davon wirklich überzeugt. Bitte«, der Herzog drehte sich von Wilhelm Adolf ab und trat einige Schritte beiseite. »Lassen Sie mich als Zeichen meiner Dankbarkeit, Ihnen ein kleines Geschenk machen. Dieses Bild.«

Und wieder stutzte Wilhelm Adolf, als der Oberkommandierende von der Seite eines im Zeltinneren stehenden Tisches ein Bild hervorzog und es dem jungen Offizier mit feierlicher Miene überreichte.

»Vielen, vielen Dank«, erwiderte von Landgraf, dem ansonsten weitere Worte fehlten. Er nahm das Gemälde verblüfft entgegen und betrachtete dieses ausgiebig. Das Werk zeigte im Vordergrund deutlich einen Reiter mit Speer, gekleidet in einer Art orientalischem Gewand, und kämpfend mit einer Raubkatze, scheinbar einem Tiger. Im Hintergrund sah mein zwei zusätzliche Männer anstürmen, zu Hilfe eilend. Einer zu Fuß mit Säbel, und ein zweiter auf einem weiteren Pferd. Die Tiere in dem Bild wirkten auf Wilhelm Adolf kraftvoll, der Tiger zugleich unzähmbar. Dennoch schienen die Tage des Tigers gezählt, denn der Kämpfer im Vordergrund hielt den Speer in tödlicher Position, bereit für den finalen Stoß.

»Aber, bitte, Herr von Landgraf«, holte der Herzog den jungen Offizier aus seinen Gedanken, »ich habe Ihnen zu danken. Es ist ja nicht so, dass Ihr beherztes Eingreifen vor drei Wochen, mir nicht auch letzten Endes die eigene Haut gerettet hat. Viele in diesem Regiment stehen in Ihrer Schuld, mein junger Mann. Also bitte, nehmen Sie!« Er wies mit Nachdruck auf das Gemälde in Wilhelm Adolfs Hand.

»Ich habe es mir ebenfalls erlaubt, das möchte ich noch kurz ergänzen, in einem kurzen Brief an ihren Herrn Vater, Ihren Heldenmut und Ihre Ehre zu bezeugen. Ich hege keinen Zweifel, dass der Herr Vater sehr stolz auf Sie sein wird. Aber ich denke, mein junger Mann, das haben Sie verdient.«

Wilhelm Adolf wusste gar nicht, wie ihm geschah. Seine Knie zeigten eine Spur von Zitterigkeit, ob des offen ausgesprochenen und bekundeten Lobes seitens des Herzogs. Insbesondere durch die Verkündung per Brief an den strengen Vater. In den wenigen Augenblicken in diesem Zelt hatte er den Krieg um sich herum vollkommen vergessen. Wo er zuvor noch über Blutvergießen, über Leid und Tristesse nachgedacht hatte, und selbstverständlich über die grenzenlose Dummheit der Franzosen, stand er nun hier, gegenüber seines Oberbefehlshabers. Glücklich, dass sein Vater von der neugewonnen Ehre wusste. Dankbar für dieses Bild, das er von Herzog Wilhelm geschenkt bekommen hatte, obwohl er zugegebenermaßen nicht viel damit anfangen konnte. Das Beste aber war, er war Vater geworden.

»Entschuldigen Sie, Herzog?«

»Ja?«

»Wegen meines Kindes«, setzte Wilhelm Adolf an, kam aber nicht zur Beendigung des Satzes.

»Ein Junge«, nickte sein Oberbefehlshaber mit preußischer Zackigkeit. »Ein strammer Bursche. Preußisches Blut. Keine Frage, eine weitere Zierde Ihrer stolzen Familie, Herr von Landgraf. Wissen Sie schon, wie der Knabe heißen soll?«

Hierüber musste Wilhelm Adolf nicht lange überlegen. Wenn es ein Junge werden würde, so hatte er dies mit seiner Frau unlängst besprochen.

»Alexander Wilhelm. Nach meinem Großvater Alexander und nach«, Wilhelm Adolf überlegte kurz und wog die diplomatischen Antworten gegeneinander ab. »Nach Ihnen, Euer Ehren!«

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