Читать книгу Tuppeshuus - Frank Didden - Страница 5

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2 - Rentnerträume

Am nächsten Tag, jetzt also vor sechs Wochen, als die Tragik begann, war nicht wirklich ein besonderer Tag. Es war sogar einer dieser ganz gewöhnlichen Tage. Bei genauerer Betrachtung bin ich überdies der Überzeugung, es war an einem Dienstag gewesen. Oder war es doch ein Mittwoch? Wie dem auch sei, es war mit absoluter Sicherheit an einem Wochentag geschehen, denn meine Frau Petra war zur Arbeit und die kleine Isabel, unsere Tochter, zur Schule gegangen. Ich saß indessen im heimischen Arbeitszimmer und bereitete einige Unterlagen vor. Stimmt, jetzt erinnere ich mich wieder, es muss ein Montag gewesen sein. Ich hatte, wie schon erwähnt, einen von meinem Ex-Arbeitgeber zwangsverordneten freien Tag und nutzte diesen, um die übliche Büroarbeit, die zu Hause anfiel, abzuarbeiten. Hierzu zählten so lebensprägende Übungen wie zum Beispiel die alljährliche Steuererklärung, zu deren Anfertigung ich mich am Wochenende durchgerungen hatte. Oder gehörten solche Aktivitäten eher zu den prägenden, aber das Leben verkürzenden Erfahrungen? Wie auch immer, in jedem Fall kam ich zu jenem besagten Zeitpunkt sehr gut voran, was sicherlich der Verdienst meiner mittlerweile sechsten Tasse Kaffee gewesen war. Je mehr Koffein, desto schneller bewegten sich die Finger über die Tastatur, desto schneller wüteten die Hände durch die unzähligen Ordner von Unterlagen, Rechnungen, Quittungen, Versicherungspolicen und so weiter. Ein Blick aus dem Fenster des Arbeitszimmers verriet mir, es war ein schöner Tag, die Sonne strahlte vom wolkenlosen Himmel, die Vögel zwitscherten und die Lkw-Motoren brummten.

Moment, was für Lkw-Motoren brummten denn dort. Meine Neugier war geweckt. Ich ließ den hochinteressanten Teil der Steuererklärung, Anlage B Abs. 5 liegen und wandte mich zum Gehen. Zunächst einmal in die Küche, um obligatorisch eine weitere Tasse Kaffee zu holen. Allerdings gab mir dies auch die Gelegenheit, aus dem leicht geöffneten Fenster zu schauen, zu horchen und mich davon zu überzeugen, dass der brummende Lkw-Motor einfach zu laut brummte, um nicht direkt aus unserer Straße zu stammen. Ein Umstand, den ich als seltsam empfand, denn an einem Montagmorgen traf man in der kleinen ›Schwarzbraunen Haselnussgasse‹ für gewöhnlich weder Müllabfuhr noch sonstige Großunternehmen mit schweren Lastwagen an.

Ich schaute also prüfend aus dem Fenster, während die Kaffeemaschine neben mir mit knirschenden, zermahlenden Geräuschen die Produktion meines Kaffees quittierte, und stellte tatsächlich fest, dass ein kleines Stückchen entlang unserer Straße ein Lkw, mit laut brummendem Motor stand. Warum der Antrieb noch brummte, obwohl das Fahrzeug nicht mehr fuhr, konnte ich nicht erkennen, aber es sprang mir der Verdacht ins Gehirn, es hier nicht mit Klimaaktivisten zu tun zu haben, sondern eher mit der oppositionellen Fraktion. Ein zweiter Blick verriet mir, es offenbar mit einem Umzugsunternehmen zu tun zu haben. Am Ende der ›Schwarzbraunen Haselnussgasse‹ konnte dies nur bedeuten, dass die Vorbesitzerin nun endgültig die Segel gestrichen hatte. Okay, es war mir selbstverständlich nicht entgangen, dass Frau Agnieszka Schmidthuber-Schtscherbakow vor einigen Wochen aus ihrem Haus ausgezogen war. Wie mir mitgeteilt wurde, war sie ihren persönlichen Weg zur Selbstverwirklichung gegangen, weit außerhalb des örtlichen Arbeitsamtes, wo sie und ich ja mehrmals miteinander zu tun hatten. Gut, unsere Vorgeschichte, ja, ich möchte beinah sagen, unsere Beziehung war sicherlich von Höhen und Tiefen geprägt gewesen. Dass ich mich damals in ihrem Hauseingang sturzbetrunken übergeben hatte, war zweifelsohne einer der Tiefpunkte. Ihren Auszug konnte man gewiss als einen der sporadischen Höhepunkte bezeichnen. Ob ihre Abwanderung allerdings in direkter Verbindung mit den Krisen, die sie und ich erlebt hatten, stand, das konnte ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Ganz ausschließen wollte ich diese Option aber auch nicht. Immerhin war die Anzahl der Tiefpunkte, die ich mit unserer netten Nachbarin durchgestanden hatte, im Laufe der Zeit abgeflaut. Dies hatte sicherlich damit zu tun, dass ich zwischendurch, zumindest für einige Zeit, nicht mehr arbeitslos gewesen war, sondern in Lohn und Brot stand. Allerdings war wohl die einstweilige Anordnung, die Frau Schmidthuber-Schtscherbakow durchgesetzt hatte, mich ihr nicht mehr nähern zu dürfen, zur Vermeidung dieser sogenannten Tiefpunkte unter dem Strich zweckdienlicher gewesen. Trotzdem versuchte ich mir einzureden, dass ihr Zweck beim Arbeitsamt mit der Vermittlung eines schwer vermittelbaren Falles wie mir einfach ein romantisches Ende gefunden hatte, und jene füllige Frau vom Ende unserer Straße jetzt endlich bereit war, ihren Lebensweg fortzusetzen. Nicht, dass sie mit meiner Jobfindung irgendetwas zu tun gehabt hatte. Aber das sind Geschehnisse der Vergangenheit.

Wohin die im doppelten Sinne mächtige Nachbarin nun gezogen war, das wollte sie mir zumindest nicht anvertrauen. Warum sie allerdings auch alle übrigen Nachbarn dazu angehalten hatte, mir dies nicht mitzuteilen, sollte mir ein Rätsel bleiben. So schlecht war unsere Beziehung auch nicht gewesen, oder? Gleichwohl musste ich zugeben, ein kleines Maß an Dankbarkeit empfunden zu haben, als die Nachricht die Runde machte, Frau Schmidthuber-Schtscherbakow habe beschlossen, die Nachbarschaft unserer Gasse zu verlassen. Na ja, ich will nicht zu viel verraten, aber der ein oder andere Sektkorken hat da schon geknallt. Ich trinke zwar nicht gerne Sekt, aber man soll die Feste feiern, wie sie fallen.

Jetzt hätte man im Zuge jener rauschenden Feier auch daran denken können, dass, wo jemand auszieht, irgendwann auch irgendwer alternativ wieder einzieht. Ich hatte nicht hieran gedacht, aber offensichtlich war genau das heute der Fall. Ich wunderte mich ein wenig, denn man hatte in den letzten Tagen nicht mitbekommen, oder auch in den vergangenen Wochen, dass irgendjemand an dem Haus gearbeitet hatte oder dort mehrfach zugegen gewesen war. Irgendetwas, das auf irgendwelche Arten von Renovierungsarbeiten hätte schließen lassen können.

Aus diesem Grund war der heutige Tag und damit dieser beachtlich große und luxuriös ausschauende Lkw des Umzugsunternehmens eine ziemliche Überraschung. Dass neue Nachbarn heute einziehen würden, davon hatte ich keine Kenntnis und ich bezweifelte, dass jemand in meiner Umgebung hiervon etwas Näheres wusste. Natürlich ist man auch in unserer kleinen Nachbarschaft auf Diskretion sehr bedacht. Das mochte ein Grund sein. Dennoch hielt mich dies nicht davon ab, nach dem verstummenden Rattern der Kaffeemaschine mir meine letzte Tasse Kaffee für den heutigen Tag zu nehmen und mit selbiger auf die Straße zu eilen, um zu schauen, wer nun dort einzuziehen beabsichtigte. Gut, es war vermutlich ein wenig blauäugig von mir anzunehmen, dass, wer immer die häusliche Nachbarsresidenz zukünftig bewohnen würde und sich ein derart offenkundiges Luxusunternehmen leisten konnte, eigenhändig mit anpackte. Trotzdem war ich mir eines Blickes nicht zu schade. Vielleicht waren die Neuen ja irgendwie zu Gesicht zu bekommen. Und selbst wenn nicht, Möbel verraten so einiges über ihre Besitzer. Handelte es sich um was Modernes oder um was Schlichtes. Oder was Altes oder was Antikes. Gleich welche Sitzgarnitur von der Ladefläche gehievt wurde, es sollte mir wenigstens Aufschluss über das Gesäß meiner neuen Nachbarn verschaffen.

Und so blickte ich bei sonnigem Wetter und angenehmen Temperaturen mit freudvollem Vogelgezwitscher über mir die kleine Gasse entlang, und sah wie ein großes, massives, antikes, rot und irgendwie dunkelbraunes Sofa von der Ladefläche gehoben wurde. Für die Verrichtung der schweren Tragearbeiten an jenem opulenten und gigantisch wirkenden Möbelstück wären unter herkömmlichen Gesichtspunkten vier ausgewachsene starke Männer nötig gewesen. Oder eben ein Möbelpacker mit dem T-Shirt-Aufdruck ›Obelix is ne Pussy‹. Und so griff sich halt jener Packer mit der freien Hand einen recht pompösen, alten Esszimmerstuhl und verrichtete beschwingt seine Arbeit. Mit Faszination fragte ich mich, ob das Sofa wirklich so leicht war, oder ob es bei diesem Herren einfach nur nach einem Kinderspielzeug aussah. Ich beschloss, dass der Eindruck täuschte und die antike Sitzgelegenheit schon aus optischen Gründen ein enormes Gewicht haben musste. Es keimte in mir die flüchtige Frage, ob dort eventuell die Mutter oder Großmutter der ehemaligen Hausbesitzerin einzog. Immerhin besaß diese durch ihre schiere Masse ja schon Gravitationskräfte eines schwarzen Lochs. Für das Gesäß eines solchen benötigte man Sitzmöbel mit entsprechender Tragkraft, also fern jedes Ereignishorizontes.

Direkt hinter jenem Sofa tragenden Pseudo-Obelix, kam ein zweites Männlein aus dem Stauraum des Lastwagens gestiegen. Mit dem T-Shirt-Aufdruck ›Mein Freund Obelix is wirklich ne Pussy‹ erwartete ich schon beinahe jeden Moment, einen kleinen kläffenden Idefix von der Ladefläche springen zu sehen. Aber ich wurde enttäuscht. Stattdessen bemerkte ich, dass dieses große Gemälde, welches Asterix unter dem Arm trug, eingefasst war in einem goldenen, kunstvoll verzierten Rahmen. Das ebenso antik anmutende Bildnis ließ mich zu dem Schluss kommen, die neuen Besitzer des Hauses müssten schon ein paar Tage gezählt haben. Offenbar war dort ein älteres Semester im Begriff einzuziehen, wenn nicht sogar eines der ältesten Semester.

Erst nachdem ich die anfänglichen Eindrücke des Umzugsunternehmens erfasst hatte, fiel mir auf, dass ich nicht der einzige Nachbar war, den das Gebrumme des Fahrzeugs und das Gewusel auf der Straße aus dem Haus gelockt hatte. Schräg gegenüber unseres Gebäudes blickte mir Jens Winkler entgegen, jener Anwohner und junger Vater mit seinem kleinen Sohn auf dem Arm.

»Moin Jens.«

»Moin Tobi.«

»Heute frei?«, fragte ich in mittlerer Lautstärke, während ich ihm entgegenging. Von seiner Seite der Straße, also im Endeffekt vom Hauseingang aus, hatte man sicherlich einen besseren Blick auf das interessante Geschehen.

»Ja, ich hab heute frei. Überstunden abbauen. Und du?«

»Ähnlich. Heutig ist Home-Office«, dehnte ich ein wenig meine arbeitslose Wahrheit. »Na ja, also im Grunde mache ich die Steuererklärung«, antwortete ich. »Home-Office ist aber irgendwie schwierig. Wurde durch den Motorlärm von meiner Arbeit abgehalten.«

»Ja, klar«, schmunzelte Jens.

»Na gut, außerdem fand ich, es ist eine angenehme Abwechslung, mal kurz frische Luft zu schnappen und einen schaulustigen Blick auf das Geschehen zu werfen.«

Jens blickte mich von der Seite an.

»Ja, wir waren auch neugierig und verfolgen das Treiben auf der anderen Straßenseite. Nicht wahr, Justus?« Jens wippte seinen Sohn, der fasziniert zu dem großen, brummenden Etwas stierte.

Ganz offensichtlich kostete es dem Obelix-Hasser währenddessen keine Mühe, das schwere Sofa durch den Hauseingang zu wuchten.

»Es ist ab und an ganz schön, einen Home-Office Tag zu haben«, schob ich noch schnell ein, bevor wir weiter gebannt die Möbelpacker beobachteten. »Hast du eine Ahnung, wer drüben einzieht?«, fragte ich Jens.

»Ich bin mir nicht sicher«, antwortete er.

»Okay. Was heißt nicht sicher?«

»Ich hab kürzlich ein älteres Ehepaar dort raus kommen sehen.«

»Ein älteres Ehepaar?«

»Na, ein ziemlich altes Ehepaar.« Jens blickte mich wieder von der Seite an.

»Was soll der Blick bedeuten?«, fragte ich ihn.

»Na ja«, flüsterte Jens, »ganz taufrisch bist du ja auch nicht mehr.

»Vielleicht«, erwiderte ich mit so viel gespielter Gelassenheit, wie ich aufbringen konnte, und wandte dabei den Blick nicht von den tatkräftigen Galliern. »Aber was wohl dein kleiner Sohnemann über dich denkt? In ein paar Jahren? Wenn Papa beim Fußballspielen im Garten plötzlich Rücken hat?«

»Vergessen wir das.« Jens drehte sich wieder zum Hauptaugenmerk auf der ›Schwarzbraunen Haselnussgasse‹.

»Ja besser ist das«, grinste ich in mich hinein. »Jens, du bis jetzt Vater. Denk dran, ab sofort alterst du in Hundejahren.«

»Ja, danke auch, Tobi.« Jens wippte seinen Sohn weiter auf und ab.

Wir blickten eine kurze Zeit auf die bienenfleißigen Arbeiten der Umzugseinsatzkräfte. Neben einer Vielzahl an Kartons wurden immer wieder Möbelstücke, wie Sessel, Stühle, eine Garderobe in das Haus getragen, die allesamt einen betagten, aber sehr gepflegten Eindruck machten.

»Was meinst denn jetzt mit älterem Ehepaar?«, nahm ich das Gespräch mit dem Nachbarn wieder auf.

»Ich hab letztens ein altes Paar aus dem Hauseingang kommen sehen. Keine Ahnung. 70 Jahre, 80 Jahre, so in der Größenordnung. Schienen sehr gepflegte Leute zu sein.«

»Gepflegt?«

»Was man so mit gepflegt meint. Vielleicht ein bisschen spießig. Ältere Menschen eben.« Jens wirkte kurz, in der Erinnerung zu kramen. »Sie machte spontan einen ziemlich freundlichen Eindruck. Habe beide aus unserem Flurfenster heraus gesehen. Bei ihm bin ich mir nicht sicher.«

»Was meinst du?«

»Weiß nicht. Kann ich schlecht beschreiben.« Jens grübelte anscheinend ein Stück tiefer in seinen Gedanken, bevor er fortsetzte: »Als ich ihn gesehen habe, machte er ein etwas miesepetriges Gesicht. Herunterhängende Mundwinkel und so. Kann natürlich auch sein, dass er immer so aussieht. Auch möglich.«

Tuppeshuus

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