Читать книгу Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 4 - Frank Hille - Страница 6

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Martin Haberkorn, 5. Januar 1942, Atlantik

Vor zwei Tagen hatte sich das Wetter deutlich verschlechtert. Der Wind wehte mit Stärke 7 und trieb hohe Wellenkämme vor sich her. Haberkorn war froh, dass er nicht zu den Seeleuten gehörte. Da er sich überwiegend in der Zentrale aufhielt sah er die abgelösten Männer triefend und erschöpft wieder in das Boot einsteigen. Der Seegang ließ das hunderte Tonnen schwere Fahrzeug stampfen und rollen, man musste sich festhalten, um nicht die Balance zu verlieren. Glücklicherweise hatte er noch nie Probleme mit der Seekrankheit gehabt, konnte ordentlich essen und blieb dadurch auch bei Kräften. Mit dem Schlaf sah es anders aus. Wenn er in seiner Koje lag lauschte er noch lange auf die Geräusche im Boot. Er wusste ganz genau, dass die Männer an den Stationen ihre Sache beherrschten und ihn im Falle einer Störung sofort informieren würden, aber er konnte schlecht abschalten. Der ständige Durchgangsbetrieb in dem Raum unterbrach immer wieder seinen Schlaf, aber nach ein paar Tagen war er so müde, dass er zwar schnell wegnickte, aber nie mehrere Stunden am Stück durchschlafen konnte. Dennoch fühlte er sich komfortabel untergebracht, denn er hatte seine eigene Koje. Da geht es mir sicher besser als Fred und Günther dachte er sich. Ich habe mein Schlaflager, Verpflegung ist an Bord, es gibt drei Mahlzeiten am Tag, zwei Klos sind vorhanden, ich bin nach ein paar Metern an meinem Arbeitsplatz, sitze im Trockenen und muss nicht frieren.

Die Nachrichten von der Ostfront hielt er noch nicht für beunruhigend, aber der geplante kurze Feldzug würde es nun nicht mehr werden.

„Tja“ sagte der Kommandant, als sie zum Essen über dieses Thema sprachen und ließ den Tee in seinem Rachen kreisen „man sollte seinen Gegner eben nie unterschätzen. Ein bisschen mehr Realitätssinn täte der Führung sicher ganz gut.“

Haberkorn sah ihn verwundert an. Der Kommandant sprach recht unverblümt aus, dass er den Plan des Feldzugs wohl für falsch hielt.

„Was kucken Sie denn so“ wurde Haberkorn gefragt „man muss den Tatsachen doch ins Auge sehen, oder? Weihnachten sollte Moskau genommen sein. Jetzt sind die Russen zum Gegenangriff übergegangen. Es konnte doch keiner im Generalstab ahnen, dass es in Russland zufällig auch einen Winter geben wird, oder? Aber ich bin mir ganz sicher, dass der Führer natürlich einen Plan in der Schublade hat und noch ganz viele Asse im Ärmel. Sehen Sie das etwa anders?“

Er grinste breit.

„Nein“ stotterte Haberkorn „natürlich nicht.“

„Na bitte.“

Der Alte schwieg verbiestert. Das Boot fuhr Suchstreifen, aber bis jetzt war kein einziges Schiff in Sicht gekommen. Ein paar Männer der abgelösten Brückenwache und der II WO kamen durch die O-Messe. Sie waren auf dem Weg in den Dieselraum, dort würden sie ihre durchgeweichten Sachen zum Trocknen aufhängen.

„Wie sieht’s aus, II WO“ fragte der Kommandant von seinem Sofa her.

„Nichts, Herr Kaleun. Regenböen, schlechte Sicht, es kommt viel Wasser über, die Brücke steht ständig unter Wasser.“

„So. Na gut, wir wollen mal nicht ungeduldig sein. Brennstoff haben wir noch genug, wir können schon noch ne ganze Weile hier rumknüppeln. Bis später, II WO.“

Der Kommandant erhob sich langsam, dann ging er in die Zentrale. Haberkorn blieb sitzen, im Moment hatte er nichts zu tun. Die Diesel hämmerten monoton und er fühlte sich schläfrig. Er schloss die Augen und versuchte wieder die verschiedenen Geräusche zu deuten. Das Boot lief mit kleiner Fahrt und wurde immer wieder emporgehoben und dann in ein Wellental getrieben. Auf der Back waren Schlingerleisten angesteckt worden und das Geschirr rutschte hin und her. Der II WO kam zu Haberkorn.

„Der Alte wird langsam fickrig“ sagte er „wenn das noch länger so weitergeht wird seine Laune jeden Tag besser werden, das meine ich natürlich ironisch. Wir sind jetzt ne Woche unterwegs und haben noch keinen einzigen Dampfer gesichtet, na gut, bis auf den Einzelfahrer. Aber eigentlich sollen wir hier ja auf Konvois angesetzt werden. Bloß, die sind nicht da. Verstehe ich nicht. Das ist eigentlich die übliche Route.“

„Wie sagte der Kommandant vorhin so fein“ erwiderte Haberkorn grinsend „man sollte seinen Gegner nie unterschätzen. Warum sollten die Konvois immer die übliche Route nehmen?“

„Weil sich sonst die Strecke deutlich verlängern würde. Das kostet Zeit und Brennstoff und erhöht die Wahrscheinlichkeit des Entdeckwerdens. Außerdem wissen die ganz genau, dass wir nicht genügend Boote haben, um ein dichtes Netz bilden zu können.“

Haberkorn merkte deutlich, dass das Boot den Kurs geändert hatte und schneller geworden war. Er stand auf und ging in die Zentrale. Der Kaleun stand zusammen mit dem Obersteuermann vor dem Kartentisch und hantierte mit Lineal und Zirkel. Haberkorn schaute ihm über die Schulter. Der Kommandant hatte einen Strich zu einem Gebiet östlich ihres Standortes gezogen. Mit einer impulsiven Bewegung warf er den Stift auf den Kartentisch.

„Wäre zu schaffen, ist aber außerhalb unseres Operationsgebietes“ sagte er wütend „da können wir nicht hin. Wir kutschen also weiter hier rum und starren uns die Augen aus dem Kopf, obwohl es einen gesichteten Geleitzug gibt. Jedes Boot mehr dort würde helfen. Aber nein, wir hoffen weiter auf das Glück, dass wir zufällig ein Geleit finden. Das muss man sich mal vorstellen: wir karren 1.500 Seemeilen durch die Gegend und finden: nichts! Mahlzeit“ sagte er noch grimmig und verließ die Zentrale.

„Wir haben einfach zu wenig Boote draußen Herr Leutnant“ sagte der Obersteuermann zu Haberkorn „und keine funktionierende Luftaufklärung. Das bedeutet, dass es riesige Lücken gibt durch die der Gegner durchschlüpfen kann. Man müsste Flugzeuge haben, die auch hier eingesetzt werden können, aber die paar verfügbaren FW 200 haben nur eine Reichweite von 4.500 Kilometern, und das ist zu wenig. Man müsste eben richtige Fernaufklärer haben. So ist es wirklich der reine Zufall Schiffe zu finden. Man kann zwar bestimmte Gebiete, die viel befahren sind, eingrenzen, aber dann muss man eben Glück haben. Aber wird schon noch werden. Rom ist auch nicht an einem Tag aufgebaut worden.“

„Ihr Wort in Gottes Gehörgang“ erwiderte Haberkorn „der Kaleun scheint mir sehr angespannt.“

„Wer will schon ohne Erfolge und Versenkungswimpel am Sehrohr nach Hause kommen. Dabei ist der Kommandant ein bedachter Mann, der nicht auf Teufel komm raus rangeht. Das Ritterkreuz hat er ja schon, Halsschmerzen dürfte er also keine haben und so schätze ich ihn auch ein. Aber unsere Aufgabe ist es nun eben, den Gegner zu stellen und zu vernichten. Sehen Sie“ jetzt redete sich der Obersteuermann warm „noch müssen wir leider vielfach auf altbewährte Methoden zurückgreifen. Ich koppele zwar unseren Kurs mit, aber wenn wir durch den Strom versetzt werden, wie es jetzt bei diesem Sturm auch der Fall sein dürfte, stimmt unser Standort eben nicht genau. Was kann ich tun? Auf den Turm klettern und mit dem Sextant die Sterne schießen. Wie unsere Urgroßväter! Oder die Seewache. Starren ohne Pause durch ihre starken Gläser. Und hinter die Kimm können die gleich gar nicht kucken. Da müsste es doch technische Lösungen geben, meinen Sie nicht?“

„Sicher. Die wird es eines Tages geben. Bis dahin müssen wir eben mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln auskommen. Ich würde mir auch ein Boot wünschen, dass von der Außenluft unabhängig ist. Oder ganz banal, ein Klo, das auch in großer Tiefe noch benutzt werden kann. Vielleicht mit einem Fäkalientank. Jetzt pumpen wir die Scheiße von Hand nach außen und wenn es tiefer geht ist wegen dem Außendruck Schluss damit. Das sind doch keine Zustände, wenn man bei einer langen Wasserbombenverfolgung nicht das Klo benutzen kann und in eine Pütz kacken muss. Es gibt unzählige Dinge die im Boot noch verbessert werden könnten.“

„Sie sind doch Ingenieur Herr Leutnant“ meinte der Obersteuermann „da werden Sie nach dem Krieg eine Menge zu tun haben werden, vielleicht sogar in einer Konstruktionsabteilung für U-Boote. Oder in einer Autofabrik. Oder bei einem Maschinenbauer.“

„Und Sie, Rudolph? Was stellen Sie sich vor?“

„Für mich gibt’s nichts Schöneres als die Seefahrt. Vielleicht steige ich dann aufm schönen großen Dampfer als Steuermann ein. Früher bin ich schon öfter nach Asien gefahren. Schön dort.“

„Nach dem Krieg“ sagte Haberkorn nachdenklich „das wird wohl noch ne Weile dauern.“

Er nickte dem Obersteuermann zu und ging nach achtern, er wollte sich noch einmal in der E-Maschine sehen lassen.

Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 4

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