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Günther Weber, 22. Juni 1942, bei Smolensk, Russland

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Nach den schweren Kämpfen in Jatkowo und einem weiteren verlustreichen Gefecht hatte man Webers Bataillon aus der Front herausgezogen und zur Erholung in das sichere Gebiet des Großraumes von Smolensk verlegt. Die drei Schützenkompanien und die MG-Kompanie waren mit 23 Offizieren in den Kompanien und 8 Offizieren im Bataillonsstab sowie einer Mannschaftsstärke von 635 Soldaten in die Einsätze gegangen. Diese Zahl lag schon deutlich unter dem Sollwert von ungefähr 800 Männern. In Jatkowo hatte die Einheit erhebliche Verluste gehabt und die Istzahl der einsatzbereiten Soldaten war auf 571 gesunken. Günther Weber war mit anderen Kameraden in einem Dorf nahe Smolensk in einem verlassenen Bauernhaus einquartiert worden. Nach der Anspannung der Kämpfe hatten die Männer jetzt genug Zeit sich auszuruhen. Die Offiziere und Unterführer waren ohnehin immer sehr nah an ihren Männern und nutzten die Gelegenheit, das bei der SS besonders ausgeprägte Vertrauensverhältnis zwischen den Soldaten noch weiter auszubauen. Insgesamt war die Stimmung durchaus optimistisch, denn die Front hielt und man ging davon aus, dass der nach Kriegsbeginn schnell spürbar gewordene Mangel an Kampftechnik beseitigt werden könnte, denn für alle sichtbar liefen den Truppen jetzt auch Neuentwicklungen zu. Die Männer der MG Kompanie waren mit ersten Exemplaren des MG 42 ausgerüstet worden und berichteten begeistert von der neuen Waffe. Weber hatte wie die anderen auch momentan viel Zeit und sah sich das MG an, das zwei Soldaten auf einem Tisch im Garten eines anderen Bauernhauses aufgebaut hatten.

„Das sieht ja nicht gerade nach deutscher Wertarbeit aus“ sagte er zu einem der Männer der MG Kompanie „die Schweißnähte machen den Eindruck, als wären sie von einem Lehrling gezogen worden.“

„Lass dich mal nicht täuschen, das ist eine ganz neue Technologie. Bis jetzt wurden bei den Waffen fast alle Teile aus massivem Stahl gefräst. Das ist eine zeitaufwendige, teure und viel Abfall erzeugende Fertigungsart. Die meisten Teile dieses MG sind hingegen aus Stanz- und Umformteilen gefertigt, das nennt man auch Blechprägetechnik.“

„Kennst dich wohl damit aus“ versuchte Weber den anderen aus der Reserve zu locken „du redest ja so, als hättest du das Ding entwickelt.“

„Entwickelt nicht, aber ich bin Werkzeugmacher und weiß wie aufwendig es ist, zum Beispiel Teile aus dem Vollen zu drehen. Da geht viel Zeit drauf und diese sogenannten spanabhebenden Verfahren verursachen logischerweise viel abgedrehtes Material. Mit der Prägetechnik dagegen haust du einen Rohling in die Presse, dann muss noch ein bisschen entgratet werden und fertig ist der Lack. Und die Qualität der Schweißnähte wird nicht durch das Aussehen bestimmt, sondern durch die Verbundfestigkeit. Kuck dir mal die Waffen der Russen an. Die gewinnen auch keinen Schönheitspreis, aber sind grundsolide und halten ewig. Wenn ich mir unsere Panzer ansehe habe ich den Eindruck, dass die zur Parade vorfahren sollen, und nicht ins Gefecht. Das muss doch nicht sein, dass dort jedes Teil fein bearbeitet und lackiert ist. Ist doch ne Kriegsmaschine, und kein Auto für den Herrn Fabrikanten, wo alles picobello sein muss. Ich würde das viel einfacher fertigen lassen. So wie das MG 42. Schau dir das mal an.“

Der Mann betätigte an der rechten Seite der Waffe einen Hebel und zog mit einer geschickten Bewegung den Lauf heraus.

„Dieses MG feuert theoretisch 1.500 Patronen in der Minute ab. In der Minute! Das sind 25 in der Sekunde! Stell dir das mal vor! Das gibt ein ganz typisches Geräusch, da kann man keinen einzelnen Schuss mehr hören. Die Tommies sollen die Waffe wohl deswegen „Hitlersäge“ nennen. Und weil die Schussfolge so hoch ist, wird der Lauf natürlich schnell heiß. Und den zu wechseln geht ruckzuck. Das ist ne Konstruktion, die mir gefällt. So muss ne moderne Waffe konstruiert sein.“

„Dann sag’s doch mal dem Führer“ spottete Weber „vielleicht gibt er dir einen Posten bei Henschel. Dort kannst du dann neue Panzer entwickeln.“

„Dazu ist mein Kopf zu klein“ erwiderte der SS-Mann „ich bin n guter Maschinenarbeiter und irgendwann will ich auch meinen Meister machen. Aber, n Panzer zu entwickeln, das könnte ich nicht. Allerdings kann ich mir gut vorstellen, was der leisten müsste.“

„Und das wäre“ fragte Weber gespannt.

„Na er muss schnell sein, gut gepanzert und mit einer schlagkräftigen Kanone ausgerüstet. So wie der T 34. Ich kenne mich zwar nicht aus, aber die schräge Panzerung muss doch einen Sinn haben. Was meinst du?“

Günther Weber erinnerte sich an seine Schulzeit und den Mathematikunterricht. Viele damals gelernte Dinge konnte er auch heute noch abrufen, obwohl er sie seit dem Kriegsbeginn nicht mehr angewendet hatte. Etwas wehmütig dachte er daran, dass er unter anderen Bedingungen jetzt im Hörsaal sitzen würde. Er ging immer noch davon aus, dass er nach dem Krieg studieren würde, bloß wann das sein würde, stand in den Sternen. Der Vorteil der abgeschrägten Panzerung war ihm klar.

„Man kann über Winkelfunktionen ausrechnen“ sagte er „welchen Schutz eine schräg gestellte Platte im Vergleich zu einer senkrecht stehenden bietet. Das ist gar nicht so schwer.“

„Na dann bist du doch der richtige Mann für den Posten in der Entwicklungsabteilung“ antwortete der MG-Schütze etwas beleidigt „aber irgendwer muss das Zeug ja auch produzieren und das ist kompliziert genug. Wenn alles passen soll, muss man schon sehr konzentriert und genau arbeiten.“

„Du musst jetzt nicht eingeschnappt sein“ versuchte Weber zu beschwichtigen „ich kann vielleicht besser rechnen als du, aber ich kriege keinen Nagel in die Wand. Wer da besser dran ist weiß ich nicht.“

Sein Gesprächspartner grinste breit.

„Gib mir das richtige Material und gute Maschinen, dann baue ich dir was du willst. Für mich ist es wichtig, etwas entstehen zu sehen. Und ich brauche den Geruch von Öl und Kühlflüssigkeit. Und wenn ich mir das MG so ansehe muss ich sagen, das ist genau eine Waffe, wie wir sie brauchen. Jetzt müsstet ihr noch mehr mit automatischen Waffen ausgerüstet werden. Dann würden wir den Iwan endgültig vor uns hertreiben.“

Weber unterhielt sich noch eine Weile mit dem Mann, dann ging er zu seiner Unterkunft zurück. Es war warm, und die Männer saßen im Garten auf klapprigen Holzstühlen und spielten Skat. Andere schrieben Briefe. Alle hatten jedoch wegen der Wärme ihre Feldblusen abgelegt, aber hier störte es niemanden. Am Brunnen standen zwei rostige und mit Wasser gefüllte Eimer. Wenn man das Wasser frisch aus dem Brunnen gezogen hatte war es noch eiskalt, so sollte es sich etwas erwärmen. Alle genossen es, unter diesen zwar recht primitiven Bedingungen leben können, aber sie konnten sich erholen und auch etwas für die Körperpflege tun. Außerdem hatte sich eine gewisse Routine ergeben und die bedeutete auch, dass es regelmäßig warme Verpflegung gab. Die Stimmung war demzufolge gut und die Soldaten hatten noch 6 Tage in der Ruhestellung vor sich. Dann würde es wieder nach Osten gehen.

Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 7

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