Читать книгу Bahnfahren unter erschwerten Bedingungen - Frank Hole - Страница 10
Оглавление2 „… fällt heute leider aus …“
Reisende, die häufiger mit der Bahn unterwegs sind, erleben immer mal wieder einen Zugausfall, sei es auf der gesamten Strecke (Komplettausfall) oder nur auf einer Teilstrecke (Teilausfall). Je nach Strecke, Linie, Zugtyp und Ei- senbahn-Verkehrs-Unternehmen kann das mehr oder weniger häufig vorkommen. Bereits ein einzelner Zugausfall, dessen Ursache nicht in einer längeren, vollständigen Streckensperrung liegt (dieses Thema wird in Kapitel 4 genauer beleuchtet), kann Ihre Reise ziemlich durcheinanderbringen und ist kaum Grund zur Freude. Sie müssen umplanen, befinden sich vielleicht in einem überfüllten Zug, Ihre Platzreservierung ist verfallen und Sie kommen wahrscheinlich später an.
2.1 Was Sie als Fahrgast bei einem Zugausfall tun können
2.1.1 Maßnahmen vor der Fahrt
• Bereits vor der Fahrt informieren, ob bislang alles planmäßig verläuft:
o DB Navigator oder eine andere App Ihres Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmens,
o Streckenagenten im Internet einrichten,
o aktuelle Verkehrsmeldungen ansehen,
o sich Push-Nachrichten schicken lassen
o oder den aktuellen Reiseplan Ihrer Verbindung33 aufrufen.
• Die meisten Zugausfälle stehen in Zusammenhang mit geplanten Bauarbeiten. Das bedeutet für Ihre Zugfahrt, dass der geänderte Fahrplan in der Fahrplanauskunft enthalten ist und dass der Zugausfall nicht überraschend kommt. Geplante Zugausfälle betreffen üblicherweise hauptsächlich Pendler, weil diese darauf vertrauen, dass sich nichts ändert. Deswegen ist es sinnvoll, dass Sie sich als Pendler über Ihr Eisenbahn-VerkehrsUnternehmen einen Baustellen-Newsletter34 abonnieren oder eine entsprechende App nutzen.
• Es gibt Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmen, die über längere Zeit Probleme mit der Fahrzeug- oder Personalverfügbarkeit haben und bei denen dann Züge mit einer größeren Wahrscheinlichkeit ausfallen. Diese sind in der Regel aus der Presse bekannt – wenn absehbar ist, dass Sie eine solche Fahrtverbindung nutzen werden, ist ein größerer Zeitpuffer sinnvoll.
• Wenn gravierende Wetterereignisse angekündigt sind, können Sie mit einzelnen, im Extremfall sogar flächendeckenden Zugausfällen rechnen. In diesem Fall sollten Sie entweder auf die Fahrt verzichten oder viel mehr Zeit einplanen, sich darauf vorbereiten und die Informationen aufmerksam verfolgen.
2.1.2 Informieren
Die Information über Zugausfälle und Handlungsmöglichkeiten, erhalten Sie
• entweder über den DB Navigator oder eine sonstige App Ihres EisenbahnVerkehrs-Unternehmens oder des Verbundes
• oder vom Bahnpersonal mittels Durchsage im Zug oder im Bahnhof
• oder über eine persönliche Auskunft beispielsweise im Kundencenter.
• Auch Fahrkartenautomaten können Ihnen Fahrtalternativen ausgeben, sofern sie über die entsprechende Datenbasis und Funktionalität verfügen. Diese Methode ist jedoch eher erfahrenen Fahrgästen zu empfehlen.
Es lohnt sich, mehrere Informationsquellen zu nutzen und bei Ansagen genau zuzuhören, da diese zumindest in großen Bahnhöfen oder in Zügen mit Bordpersonal meist etwas aktueller sind. Auch ortskundige oder erfahrene Reisende helfen oft gern weiter und können die Situation gut einschätzen. Darauf basierend können Sie unabhängiger planen und verfügen im besten Fall über weitere Handlungsmöglichkeiten.
2.1.3 Informationen einordnen
• Baustellenbedingte Zugausfälle sind in aller Regel zuverlässig in die Fahrplanauskunft eingearbeitet.
• Informationen über vereinzelte Zugausfälle, die schon Stunden oder Tage bekannt sind, sind in der Regel vollständig, rechtzeitig und richtig.
• Bei Zugausfällen, die sich wegen einer vor Kurzem angeordneten Streckensperrung oder eines technischen Defekts ereignen und somit nicht schon lange bekannt sind, kann es zu widersprüchlichen, unvollständigen oder falschen Informationen kommen. Nicht alle Auskunftsmedien und Personale sind dann in jeder Sekunde auf dem gleichen Kenntnisstand. Auch können sich die Entscheidungen in solchen Fällen entweder eine Zeit lang hinziehen oder sie werden nur vorläufig getroffen und ggf. nochmals revidiert. Das hängt damit zusammen, dass auch erfahrenes Personal Störungsursachen nicht immer sofort und umfassend verstehen und interpretieren kann, sondern dass belastbare Ergebnisse einer Schadensaufnahme und einer Umplanung Zeit benötigen.
• Ähnlich ist es bei Großstörungen – hier sind die Informationen auf den Zug bezogen nicht vorhanden oder sehr häufig fehlerhaft (vgl. Kapitel 8).
2.1.4 Handlungsmöglichkeiten mit Fahrtalternativen
Zugausfälle sind nicht immer ein Grund, mit großer Verspätung oder gar nicht an das Ziel zu kommen. In solchen Fällen lohnt es sich, zweimal hinzusehen. Sofern die Strecke nicht komplett gesperrt ist (dazu dann mehr in Kapitel 4), haben Sie auf dicht befahrenen Strecken, innerhalb von Ballungsräumen oder zwischen zwei Knotenbahnhöfen oft folgende Möglichkeiten:
• Idealerweise fährt ein ERSATZZUG ein. Die Folgen:
o Ersatzzüge gehören meist einer anderen Baureihe an, deswegen ist Ihre PLATZRESERVIERUNG NICHT MEHR GÜLTIG, sofern Sie reserviert hatten. Die Reservierungsgebühr können Sie sich später erstatten lassen.35
o Des Weiteren ist es möglich, dass der Ersatzzug unterwegs eine spürbare VERSPÄTUNG aufbaut. Gründe dafür: 1) Dessen Höchstgeschwindigkeit oder Beschleunigungsfähigkeit ist vielleicht geringer als die des ursprünglich vorgesehenen Fahrzeugs, wenn beispielsweise ein IC statt eines ICE 3 verkehrt. 2). Außerdem kann es sein, dass der Ersatzzug nicht pünktlich bereitgestellt wird. 3) Zusätzlich verlaufen die Fahrgastwechsel in den Bahnhöfen eventuell langsamer als üblich (weniger Türen, schmalere Türen, schwierigere Orientierung).
o Nicht selten sind Platzkapazitäten und Komfort geringer.
• Oft stellt das Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmen keinen Ersatzzug, sondern es fährt kurze Zeit später oder früher (vielleicht von einem anderen Gleis) EIN ANDERER ZUG auf der gleichen Strecke zum gleichen Ziel.
• Eine alternative Fahrtmöglichkeit kann auch bedeuten, dass Sie über eine ANDERE STRECKE zum Ziel kommen, ggf. mit Umsteigen.
• In Ballungsräumen können Sie in solchen Fällen manchmal auf die VERKEHRSMITTEL DES ÖFFENTLICHEN PERSONENNAHVERKEHRS ausweichen, also auf Linienbusse, Straßenbahn oder U-Bahn. Dafür entstehen – je nach Fahrausweis – zusätzliche Kosten. Wichtig ist, für den Wechsel in den ÖPNV einen gültigen Fahrausweis zu kaufen, denn die Bahnfahrkarte ist dort in der Regel nicht gültig. Mit einem Verbundfahrausweis oder einem Länderticket sind die Chancen größer, dass Sie den ÖPNV bei einem Zugausfall nutzen können – dennoch sind hier auch tarifliche Regeln wie z. B. die 9-Uhr-Grenze zu beachten. Unter bestimmten Voraussetzungen können Sie sich diesen ÖPNV-Fahrschein im Rahmen der Fahrgastrechte erstatten lassen.
Wenn sich aus dem Zugausfall eine Verspätung über 20 Minuten ergibt, dann greifen die Fahrgastrechte.36 Falls Sie mit einem Ersatzzug einer geringeren Produktkategorie fahren, wenden Sie sich wegen einer Erstattung der Differenz an das jeweilige Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmen.37
2.1.5 Entscheidung ohne zeitnahe Fahrtalternativen
Bedauerlicherweise gibt es auch Zugausfälle, bei denen keine der beschriebenen Alternativen zur Verfügung stehen. Das gilt insbesondere für kleinere Bahnhöfe und Nebenstrecken, auf denen nur eine Linie verkehrt.
In solchen Fällen ist die Weiterreise entweder überhaupt nicht oder nur mit größerem Zeitverlust möglich. In diesem Kapitel geht es schwerpunktmäßig um einzelne Zugausfälle, deren Ursache nicht in einer vollständigen und länger andauernden Streckensperrung zu suchen ist. Welche Möglichkeiten gibt es noch?
• DIE FAHRT ABBRECHEN, wenn absehbar ist, dass keine Reisemöglichkeit besteht, um das Ziel rechtzeitig zu erreichen. Dieser Fall ist über die Fahrgastrechte ab 60 Minuten Verspätung abgedeckt.
• AUF DEN NÄCHSTEN ZUG WARTEN. Wenn die Strecke nicht gesperrt ist und keine ganz große Störung vorliegt, sollte im nächsten Takt wieder ein Zug kommen. Dies wird auf Nebenstrecken oftmals eine Stunde dauern, ggf. auch zwei. Die Informationen kommen entweder per Durchsage oder über den Monitor, zusätzlich bietet der DB Navigator oder eine vergleichbare App wertvolle Hinweise. Auch hier greifen die Fahrgastrechte, es werden bei der Erstattung Fälle von über 60 und über 120 Minuten Verspätung unterschieden.
• Es gibt Fälle, in denen es sehr eilt: Sie müssen einen dringenden Termin wahrnehmen oder ein Flugzeug erreichen. Sie können dann versuchen, auch mit einem TAXI weiterzukommen. Das wird manchmal klappen, längst aber nicht immer. Denn gerade bei Zügen, die einen Flughafenbahnhof bedienen, werden viele die gleiche Idee haben. Da hilft dann höchstens, sich unter den Betroffenen abzusprechen und Fahrgemeinschaften zu bilden. Die Taxibeförderung wird nur dann im Rahmen der Fahrgastrechte bis zu einem Höchstbetrag erstattet, wenn mehrere Bedingungen erfüllt sind.38
• In seltenen Fällen wird eine ÜBERNACHTUNG nötig sein, sofern der letzte Zug des Tages ausfallen sollte und das Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmen keine Alternative stellen kann. Auch diesen Fall regeln die Fahrgastrechte.
• Es könnte sein, dass das Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmen einen BUSNOTVERKEHR organisiert oder einen Ersatzverkehr mit Taxen. Dies ist allerdings unwahrscheinlich und wird eher bei echten, länger andauernden Streckensperrungen gemacht (vgl. Kapitel 7).
Wenn Sie sich für eine Fortsetzung der Fahrt entscheiden, dann können Sie versuchen, die Wartezeit gut, angenehm und/oder sinnvoll zu überbrücken: telefonieren, spazieren gehen, Mittagessen gehen, berufliche Dinge erledigen – hier sind der Fantasie wenig Grenzen gesetzt. Dies bedarf oft einer gewissen Übung, denn Ruhe und Gelassenheit in einer solchen Situation zu bewahren ist nichts, das allen Menschen in die Wiege gelegt ist.
2.2 Was die Bahn tut
Einen Zugausfall versucht jedes Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmen nach Kräften zu vermeiden, und so sind, vergleichbar wie bei Verspätungen, viele Menschen damit beschäftigt, dieses Ereignis zu vermeiden oder zumindest die Folgen für die Fahrgäste abzumildern.
2.2.1 Information der Fahrgäste
Das Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmen ist dafür verantwortlich, die Informationen über einen Zugausfall und die Alternativen an seine Kundinnen und Kunden zu bringen. Dies geschieht auf den aus Kapitel 1.1.2 (siehe auch Band 2, Kapitel 2.2) bekannten digitalen Kanälen mit Echtzeitanbindung.
Abbildung 7: Auch auf den Monitoren im Bahnhof werden Zugausfälle kommuniziert. In diesem Beispiel von Nürnberg Hbf ist bereits deutlich vor 18 Uhr erkennbar, dass der Zugumlauf der Regionalbahn von und nach Markt Erlbach vollständig ausfällt. Alternative Fahrtmöglichkeiten werden zu diesem Zeitpunkt über das Internet und den DB Navigator kommuniziert. Die entsprechende Ansage auf dem Bahnsteig erfolgt dann erst nach Abfahrt des ICE 502. [Copyright Frank Hole]
Zugausfälle und Fahrtalternativen werden beispielsweise so kommuniziert:
• In den Fahrtverbindungen der Reiseauskunft erscheinen bei Zugausfällen besondere Fahrthinweise, verbunden mit einem Warnsymbol.
• Die Deutsche Bahn stellt über die DB-Fahrplanauskunft auch die Angabe aktueller Fahrtalternativen zur Verfügung, in denen die tatsächliche Betriebslage abgebildet ist und nicht nur der Plan.
• Diese Hinweise erscheinen in den zugbezogenen Fahrtinformationen für den gesamten Zugverlauf und in den Abfahrtstafeln jedes ursprünglich geplanten Halts.
• Durchsagen in den Zügen und Fließtexte auf den Monitoren in allen Unterwegsbahnhöfen weisen ebenfalls auf diese besondere Situation hin und es werden Alternativen genannt.
2.2.2 Folgen des Zugausfalls minimieren
Ein Zugausfall ist einerseits eine Standardsituation und dennoch eine Herausforderung für die Disponentinnen und Disponenten. Es wird immer versucht, die Auswirkungen für die Reisenden möglichst gering zu halten. Wie gut das gelingt, hängt davon ab, ob ein passendes Ersatzfahrzeug und geeignetes und befähigtes Fahrpersonal39 zur Verfügung stehen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmens können hier nicht alleine agieren, denn ein Ersatzzug braucht einen neuen Fahrplan und ggf. eine neue Zugnummer. Er muss bereitgestellt und kommuniziert werden. Das geschieht in Zusammenarbeit mit dem Eisenbahn-Infrastruktur-Unternehmen, also zumeist DB Netz AG und DB Station & Service AG.
2.2.3 Reserven aufbauen und nutzen
Den großen Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmen stehen, um solche Situationen zu beherrschen, an zentralen Einsatzstellen oder großen Bahnhöfen sehr beschränkte Reserven zur Verfügung, um tatsächlich Ersatzzüge verkehren zu lassen. Eine weitere oder alternative Möglichkeit besteht darin, einen Zug aus der Werkstatt zu holen, bei dem ggf. die Reinigung noch nicht durchgeführt oder bestimmte Qualitätsmängel noch nicht behoben wurden.
Die Ersatzzug-Lösung ist in der Regel die beste, allerdings, wie Sie wissen, auch nicht die wahrscheinlichste. Denn, wie bereits in Band 1 ausführlich beschrieben, sind Fahrzeug- oder Personalreserven im Gegensatz zur Bundesbahnzeit nun in Zeiten des Wettbewerbs und der knappen Kalkulationen kaum noch vorgesehen. Spielräume bestehen am ehesten noch an Wochenenden, Feiertagen oder in Tagesrandlagen.
2.2.4 Ursache für den Zugausfall beheben
Das Eisenbahn-Infrastruktur-Unternehmen und/oder das Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmen kümmert sich umgehend darum, die Ursache des Zugausfalls zu beheben. Ziel ist es, dass möglichst geringe betriebliche Folgewirkungen entstehen und somit möglichst wenig Fahrgäste betroffen sind. Oft sind technische, Wetter- oder menschliche Einflüsse die Ursache für Zugausfälle (vgl. auch Kapitel 13). Anlassbezogen sind dann Notfallmanagement, Techniker, Reparaturteams, Disponenten und Bundespolizei in Einsatz.
2.2.5 Analysieren und Maßnahmenpläne erarbeiten
Ähnlich wie beim Thema Verspätungen trägt jedes Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmen dafür Sorge, dass es die vorgesehenen Fahrten vollständig durchführt, denn damit verdient es sein Geld. Deswegen wird jeder Vorfall genau analysiert, wie es zu einem Zugausfall kommen konnte. Daraus werden Maßnahmen abgeleitet, um die Erfüllungsquote möglichst hochzuhalten.
Beispielsweise werden insbesondere Baustellenverkehre lange geplant und verhandelt, bevor ein Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmen in ein Baustellenkonzept einwilligt, das Zugausfälle beinhaltet.
Auch bei Zugausfällen aufgrund technischer Defekte leitet das EisenbahnVerkehrs-Unternehmen eine intensive Ursachenforschung zusammen mit Hersteller, Fahrpersonal und Werkstatt ein. Das Ergebnis kann so aussehen, dass bestimmte anfällige Bauteile vorsorglich getauscht werden, dass bauliche Veränderungen erforderlich sind oder neue Software programmiert wird.
Die Eisenbahn-Infrastruktur-Unternehmen arbeiten daran, dass die Verfügbarkeit der Strecken möglichst hoch ist. Der „Aktionsplan Vegetation“ der Bahn ist ein Beispiel dafür: Es geht darum, dass Bäume bei Stürmen oder durch Schneebruch deutlich seltener auf die Gleise fallen und so für Zugausfälle sorgen (siehe auch Kapitel 13.5).40 Auch der Runde Tisch beim Baustellenmanagement sorgt dafür, dass alle Interessen möglichst gut austariert werden, sodass unterm Strich möglich wenige Fahrgäste betroffen sind.
2.3 Konkrete Beispiele
2.3.1 Zugausfall IC 209 mit Ersatzzug
Abbildung 8: Die umfangreichen Reisehinweise bei einem Ersatzzug verdeutlichen die Einschränkungen und die passenden Alternativen. [Copyright Frank Hole41]
Der Intercity mit der Zugnummer 209 fuhr im Jahresfahrplan 2019 von Kiel Hbf (ab 17.38) nach Basel SBB (an 6.22). Für die rund 1.100 km lange Nachtfahrt über Bremen, Köln, Mainz und Frankfurt (Main) Hbf brauchte er knapp 13 Stunden. Am 12. Dezember 2019 verkehrte ein Ersatzzug, nachdem die normalerweise vorgesehene Zuggarnitur, bestehend aus einer Lok mit 11 Reisezugwagen, nicht zur Verfügung stand. In einem derartigen Zug finden ungefähr 750 Fahrgäste Platz, sodass es durchaus eine Herausforderung darstellt, einen weitgehend passenden Ersatzzug zu finden. Den Disponenten gelang es, eine neue Zuggarnitur zu organisieren, jedoch verfügte diese nicht über das vorgesehene Bordbistro und – vermutlich – auch nicht über die gleiche Anzahl an Wagen.
Diesem Ersatzzug drohte dadurch eine deutliche Überlastung. Die Kommunikation gegenüber den Fahrgästen führte DB Fernverkehr AG deswegen sehr eindeutig durch: Die Zugbindung wurde aufgehoben, sodass die Reisenden mit Fahrausweisen mit Zugbindung auch auf andere Züge ausweichen konnten. Des Weiteren wurden Reisende, die noch keinen Fahrausweis hatten, deutlich auf die Überfüllungssituation hingewiesen. Diese wurden gebeten, auf andere Züge auszuweichen.
Sie erkennen, wie DB Fernverkehr die Situation zu bewältigen versuchte. Ob derartige Maßnahmen Wirkung zeigen, liegt dann letztlich daran, wie sich die Fahrgäste tatsächlich verhalten. Nach den Erfahrungen des Autors ist es sinnvoll, derartige Situationen zu vermeiden und die vorgeschlagenen – oder auch sonstigen – Alternativen zu nutzen.
2.3.2 Teilausfall bei der S-Bahn München
Angenommen, eine S-Bahn der Linie S3 mit der Zugnummer 6317 zwischen Mammendorf und Holzkirchen über München Ostbahnhof gerät hinter München-Giesing in eine Signalstörung und bekommt dadurch bis Deisenhofen 25 Minuten Verspätung.
Abbildung 9: Ein deutlich verspäteter Zug kann vorzeitig wenden und dann pünktlich zurückfahren, wie hier im Beispiel der S-Bahn München: Anstatt dass diese S-Bahn verspätet bis Holzkirchen fährt, wendet sie bereits 12 Minuten früher in Deisenhofen und gewinnt so 24 Minuten Fahrzeit. Solche Dispositionsentscheidungen stabilisieren einerseits den Betrieb, bedeuten andererseits für Sie als Fahrgast dieser S-Bahn einen teilweisen Zugausfall. [Copyright Frank Hole42]
Dieser Zug würde normalerweise laut Fahrplan nach Holzkirchen (Ankunft 6.25 Uhr) fahren, dort innerhalb von 11 Minuten wenden und um 6.36 Uhr wieder als S3 mit der Zugnummer 6324 zurückfahren.
Durch die 25-minütige Verspätung jedoch ist es völlig ausgeschlossen, dass dieser Zug wieder fahrplanmäßig verkehrt. Selbst bei einer sehr schnellen Wende von 5 Minuten Dauer würde der Zug immer noch 19 Minuten Verspätung haben. Es besteht somit die Gefahr, dass er auf seiner weiteren Fahrt zahlreiche andere Züge beeinträchtigt, die auf denselben Strecken fahren – in diesem Fall die Bayerische Oberlandbahn und die S27, ferner sechs weitere Linien auf der S-Bahn-Stammstrecke in der Münchner City.
Die zuständige Disponentin entscheidet aufgrund ihrer langen Erfahrung, dass diese S-Bahn mit der Zugnummer 6317 vorzeitig in Deisenhofen wendet und dann pünktlich als Zugnummer 6324 zurückfährt.
Im Prinzip kürzt dieser Zug also einen Teil seiner Strecke ab, um wieder pünktlich zu werden. Negativ betroffen davon sind die Fahrgäste, die ihre Bahnhöfe Sauerlach, Otterfing und Holzkirchen nicht mit dem planmäßigen Zug erreichen können bzw. von dort abfahren können. Ein Busnotverkehr wird deswegen jedoch nicht eingerichtet, weil bereits 20 Minuten später die nächste planmäßige S-Bahn fährt.
Der Nutzen dieser Maßnahme liegt auf der Hand: Zwar sind etliche Fahrgäste von der Verspätung betroffen und kommen jeweils 20 Minuten später an ihr Ziel, aber einige zehntausend Fahrgäste im Berufsverkehr werden nicht durch Folgeverspätungen auf anderen Linien beeinträchtigt.
Derartige dispositive Entscheidungen bei größeren Verspätungen, die mit einem Zug-Teilausfall oder einem Haltausfall verbunden sind, gibt es immer wieder in unterschiedlichen Variationen. Teils werden auch Ersatzzüge eingesetzt, teils Busnotverkehr gefahren, je nachdem, was organisatorisch und betrieblich möglich und sinnvoll ist und je nachdem, wie schwerwiegend betrieblich und fahrgastseitig mögliche Folgewirkungen sind.
2.4 Hintergründe und Zusammenhänge
Das Wort „Zugausfall“ wird nicht ganz einheitlich verwendet. Zwei Bedeutungen können damit verbunden sein:
• Es fällt das Fahrzeug aus. In diesem Fall kann ein Ersatzzug fahren, und Sie kommen dennoch weiter.
• Es fällt die Zugfahrt aus. In diesem Fall fährt kein Ersatzzug, Sie können ggf. andere Verbindungen nutzen, auf den nächsten Zug warten oder die Fahrt abbrechen.
Was im jeweiligen Fall zutrifft, erfahren Sie aus dem Zusammenhang, sowohl hier in diesem Buch als auch vor Ort im konkreten Fall.
2.4.1 Die Sicht des Unternehmens
Zugausfälle versuchen alle Verkehrsunternehmen nach Kräften zu vermeiden. Denn jeder einzelne Zugausfall bedeutet:
• Verärgerung zahlreicher Fahrgäste;
• Imageverlust;
• finanzielle Verluste durch entgangene Einnahmen und – im Nahverkehr darüber hinaus – Strafzahlungen an den Aufgabenträger und Nicht-Zahlung von Bestellerentgelten;
• erhöhte Kosten, wenn ein Busnotverkehr oder ein Ersatzzug nötig werden;
• Zusatzkosten durch Erstattungen im Rahmen der Fahrgastrechte;
• deutlich erhöhten organisatorischen und kommunikativen Aufwand.
2.4.2 Der Ersatzzug
Ein Ersatzzug wird dann eingesetzt, wenn das planmäßig vorgesehene Fahrzeug beispielsweise umlaufbedingt wegen Verspätung der Vorleistung43 oder eines technischen Defekts ausgefallen ist. Ersatzzüge stehen nicht unbegrenzt zur Verfügung, im Gegenteil: Zu Hauptreisezeiten wird es kaum eine Möglichkeit dafür geben, ansonsten sind die Chancen etwas größer.44 Es ist eher ein glücklicher Umstand, wenn überhaupt eine Zuggarnitur gerade frei ist, um außerplanmäßig einen Zugausfall zu kompensieren.
Abbildung 10: Ersatzzüge sind besonders gekennzeichnet. Hier fährt ein lokbespannter Intercityzug anstelle eines ICE 3. [Copyright Frank Hole]
Für Sie als Fahrgast ist das Einsetzen eines Ersatzzuges in der Regel damit verbunden, dass eine gewisse Verspätung eintritt, bis das Fahrzeug dann am Bahnsteig steht, sofern es sich um einen kurzfristigen Ausfall des eigentlich vorgesehenen Zuges handelt. Normalerweise gibt es dann keine Platzreservierungen, vielleicht auch keine 1. Klasse, und es wird vermutlich auch keine Gastronomie an Bord verfügbar sein.
Denkbar ist auch, dass unterwegs weitere Verzögerungen auftreten, weil das Ersatzfahrzeug nicht über die Fahrdynamik verfügt wie der ursprünglich vorgesehene Zug. So kann beispielsweise ein lokbespannter Intercity, der als Ersatzzug für einen ICE 3 fährt, nicht so schnell beschleunigen und erreicht auch längst nicht dessen Höchstgeschwindigkeit.
Dennoch: Wenn ein Ersatzzug überhaupt eingesetzt wird, ist zumindest das Vorankommen gesichert, und dies ist oft eine bessere Alternative als der vollständige Ausfall einer Verbindung. Nur wenn der Ersatzzug über spürbar zu geringe Platzkapazitäten verfügt, dann kann es vorteilhaft sein, eine Stunde zu warten oder eine andere Strecke zu fahren, sofern diese Möglichkeiten bestehen.
2.4.3 Organisatorische Leistungen hinter den Kulissen
Wenn ein Zug ausfällt und ein Ersatzzug eingesetzt werden soll, dann laufen hinter den Kulissen umfangreiche Arbeiten ab. Sie können den deutlich erhöhten organisatorischen und kommunikativen Aufwand am Beispiel des Ersatzzuges für IC 209 aus Kapitel 2.3.1 nachvollziehen. Hier bestand die Leistung der Bahn im Hintergrund u. a. in den folgenden Maßnahmen:
• Einen Ersatzzug organisieren und bereitstellen (reinigen, Frischwasser auffüllen, heizen, Personal zur Verfügung stellen, technische Routinen durchführen).
• Dem Ersatzzug möglicherweise eine neue Zugnummer und einen komplett neuen Fahrplan zuordnen – diesen erhält das Eisenbahn-VerkehrsUnternehmen beim Eisenbahn-Infrastruktur-Unternehmen.
• Den Ersatzzug gegenüber den Fahrgästen und dem Personal auf allen Kanälen kommunizieren.
• Auslastungssteuerung durchführen und die Fahrtalternativen klären: Ist dort überhaupt Platz vorhanden für umsteigende Fahrgäste? Des Weiteren muss auch der Vertrieb informiert sein, dass das Eisenbahn-Verkehrs-Un- ternehmen keine Fahrkarten mehr mit Zugbindung auf den IC 209 verkauft.
• Fahrtalternativen und Aufhebung der Zugbindung in Richtung der Fahrgäste und intern kommunizieren.
• Im betroffenen Zug IC 209 mit verärgerten Reisenden kommunizieren und ihnen Orientierung und Hilfe bei der Platzsuche anbieten.
• Im Nachgang Erstattungsanträge im Rahmen der Fahrgastrechte bearbeiten, da mehrere Hundert Fahrgäste ihre Reservierungen umsonst gekauft hatten. Außerdem gab es mit Sicherheit etliche Fahrgäste, die entsprechend der Empfehlung auf andere Züge ausgewichen waren und somit über einer Stunde verspätet an ihr Ziel kamen.
Sie erkennen: Auch wenn es sich um Routinetätigkeiten handelt, so sind diese arbeitsintensiv und im Detail durchaus nicht einfach zu lösen. Und fast jede Handlung wirkt sich direkt oder indirekt auf die Fahrgäste aus. Ob ein Zugausfall mit Ersatzzug in der Kundenwahrnehmung als Chaos oder als Glück interpretiert wird, ist dann letztlich eine Frage der Kommunikation.
2.4.4 Ausfallursachen des SPNV in Bayern
Auf den gesamten Nahverkehr der Bahn in Bayern bezogen bot sich 2017 folgendes Bild bei den Ursachen für Zugausfälle:
Abbildung 11: Bei den Ausfallursachen im bayerischen Schienenpersonennahverkehr standen 2018 die Bauarbeiten mit weitem Abstand an erster Stelle.45 [Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Bayerischen Eisenbahngesellschaft]
Sie erkennen, dass die Gründe für die Zugausfälle vielfältig sind, zumal sich hinter den hier aufgeführten Kategorien „Externe Einflüsse“ und „Infrastruktur“ zahlreiche unterschiedliche Ursachen verbergen (vgl. Kapitel 13 „Einflüsse auf die Bahn“).
2.4.5 Ausfallursachen der S-Bahn Stuttgart
Hier einige Gründe für Zugausfälle im Jahr 2016.46
• Fast die Hälfte aller Zugausfälle kam durch BAUARBEITEN zustande.
• Das WETTER und MENSCHLICHE EINFLÜSSE sorgten für 18 % der Ausfälle.
• 17 % der Zugausfälle lagen in der Verantwortung des Eisenbahn-INFRASTRUKTUR-Unternehmens DB Netz AG. Dahinter verbergen sich beispielsweise Signalstörungen.
Die Ausfallursachen sind also ähnlich wie die im vorherigen Beispiel aus Bayern, doch die Auswirkungen sind unterschiedlich intensiv. Grundsätzlich schwanken die Zahlen stark von Jahr zu Jahr, von Netz zu Netz, doch die Gesamttendenz ist klar: Baustellen sind in aller Regel der Hauptgrund für Ausfälle. Details zu den Ursachen lesen Sie bitte in Kapitel 13.1 nach.
2.4.6 Die Häufigkeit von Zugausfällen
Sie werden sich nun sicher fragen, wie oft es vorkommt, dass ein Zug ausfällt. Dazu zunächst die offiziellen Zahlen:
• In einer Pressemitteilung der Deutschen Bahn heißt es: „Die Zahl der komplett ausgefallenen Zugfahrten im Fernverkehr lag 2018 bei rund 3.500 und damit bei einem Gesamtanteil von etwa einem Prozent.“47
• Dort steht auch: „[…] die sogenannte Erfüllungsquote aller täglich verkehrenden 24.000 Fern- und Nahverkehrszüge der DB lag in den letzten Jahren stabil über 99Prozent im Jahresschnitt.“
Das ist eine erste – allerdings noch undifferenzierte – Antwort auf die Frage „Kommt mein Zug überhaupt?“
Ein Prozent ausgefallene Fahrten klingt erst einmal gut und damit kann man, statistisch gesehen, vielleicht gut leben. Um zwischen den Zeilen zu lesen und den Sachverhalt anders herum zu betrachten, könnte man auch sagen: Wenn 3.500 Fernzüge in einem Jahr ausgefallen sind, in denen jeweils (angenommen) 500 Fahrgäste unterwegs gewesen wären, dann wären allein dadurch schon 1,75 Mio. Fahrgäste betroffen gewesen. Rechnet man Nah- und Fernverkehr zusammen, ausgehend von den genannten täglichen 24.000 Zügen mit jeweils 100 Fahrgästen Besetzung, macht das schon fast 9 Mio. Betroffene pro Jahr. Bei diesen Zahlen wird verständlich, weshalb die Öffentlichkeitswirkung über Themen der Bahn so groß ist.
Es gilt aber, einen weiteren Aspekt zu berücksichtigen: Es wird erwähnt, dass es sich um einen Jahresdurchschnitt handelt. Tatsächlich ist es so, dass es bei der Bahn viele gute Tage gibt, wo das meiste rundläuft und keine größeren Probleme vorkommen. Und es gibt einige wenige Tage, an denen gefühlt nicht viel vernünftig funktioniert und der Fahrplan nicht mehr gilt. Diese Tage schlagen massiv zu Buche und das sind dann die Großereignisse, die nationale Schlagzeilen hervorbringen wie „Bahn stoppt Fernzüge bundesweit“,48 Das wiederum bedeutet, dass an den anderen Tagen, die betrieblich gesehen gut bis sehr gut laufen, kaum Züge ungeplant und nicht vorhersehbar ausfallen.
Es kommt noch ein Faktor hinzu: Nicht nur im Jahresverlauf schwankt die Zahl der Ausfälle, sondern auch von einem Jahr zum nächsten sind die Abweichungen sehr groß. Das verdeutlicht die folgende Abbildung:
Abbildung 12: Die Zugausfälle im gesamten Netz der Deutschen Bahn 2013-201749 zeigen deutlich, wie groß die Schwankungen sind. Prozentual handelt es sich um 0,8 (2013) bis 1,3 (2015) Prozent aller planmäßigen Fahrten, die ganz oder teilweise ausgefallen sind. Eine Prognose ist daraus nicht abzuleiten, dazu sind diese Daten noch zu wenig differenziert und der Zeitraum ist zu kurz. [Copyright Frank Hole]
Bei den genannten Zahlen sollten Sie berücksichtigen, dass darin auch geplante Ausfälle enthalten sind, die auf Bauarbeiten zurückgehen und somit nicht unerwartet kommen. Auch sagt die Zahl der betroffenen Züge nicht unbedingt etwas über die Zahl der betroffenen Fahrgäste aus. Am gravierendsten sind immer die ungeplanten Zugausfälle zu den Hauptverkehrszeiten, wenn es keine Ersatzzüge gibt und die alternativen Verbindungen ausgelastet sind. Doch die meisten Ausfälle sind baustellenbedingt und somit planbar, zusätzlich finden Baustellenausfälle oft nachts oder am Wochenende im Nahverkehr statt, wenn weniger Menschen die Bahn nutzen.
Aussagekräftiger als die absoluten Werte und die Gesamtzahlen ist allerdings die regionale Betrachtung:
• Im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr fielen 2018 zwischen 2,5 und 2,9 % der Zugfahrten ungeplant aus, je nach Zuggattung. Generell waren dort die Ausfälle im Frühjahr geringer als im Sommer und Herbst, das Maximum gab es im Dezember und Januar, was in diesem Jahr allerdings insbesondere an Streiks lag. Zu diesen Ausfällen kommen noch mal etwas über 3,5 % geplante Ausfälle hinzu, bei denen es entsprechende Fahrplanauskünfte und teils auch Ersatzverkehre gab. Spannend sind auch die höchst unterschiedlichen Ergebnisse der einzelnen Linien: Die Werte der meisten Linien liegen zwischen etwa einem und vier Prozent unvorhergesehener Ausfälle. Das bedeutet, dass für einen Pendler je nach Linie zwischen etwa 4 und 16 Fahrten im Jahr ungeplant ausgefallen sind.50
• Für Bayern berichtet die Bayerische Eisenbahngesellschaft, dass 2017 rund 1,9 % aller Fahrten ausgefallen sind, davon jedoch nur etwa 0,5 Prozentpunkte ungeplant. Der Rest ist auf Baustellen zurückzuführen. Die Ausfallquoten sind dann auch je nach Netz sehr unterschiedlich – es gibt Netze oder Linien, die sehr zuverlässig laufen, andere hingegen sind durchaus problematischer zu sehen. Im Netz „Kissinger Stern“ beispielsweise war die Wahrscheinlichkeit eines ungeplanten Zugausfalls 2018 fünf- bis zehnmal geringer als in den meisten anderen Netzen. 51
• In Sachsen-Anhalt waren es 2017 etwa 2,35 % Ausfälle, davon 0,9 Prozentpunkte ungeplant.52
Auf den Fernverkehr der Deutschen Bahn bezogen ist die differenzierte, langjährige Betrachtung nach Komplett- und Teilausfällen ebenfalls aussagekräftiger – sie zeigt ein vollständigeres Bild als die eingangs zitierte Pressemitteilung und stellt auch eine mögliche Entwicklung besser dar.
Auch beim Fernverkehr sind die baustellenbedingten und somit planbaren Ausfälle enthalten. Die hohe Zahl Komplettausfälle 2014 geht übrigens zu einem großen Teil auch auf die insgesamt 6 Streikwellen in diesem Jahr zurück.
Abbildung 13: Im Fernverkehr können Sie eine steigende Tendenz an Zugausfallen im Verlauf der elf betrachteten Jahre erkennen. Es wird auch deutlich, dass die Zahl der Teilausfälle (orange Linie) um ein Mehrfaches über den Komplettausfällen (blaue Linie) liegt.53 [Copyright Frank Hole]
Anhand der bisher dargestellten Daten ist ersichtlich, dass sich ein genauer Blick lohnt. Je nach Linie und Jahreszeit ist die Zuverlässigkeit sehr differenziert zu sehen – keinesfalls sind alle Linien so katastrophal, wie es oft dargestellt wird, noch helfen bahnweite Durchschnittswerte, um die eigene Betroffenheit vorherzusagen.
2.4.7 Perspektiven
Die Zahl der Zugausfälle ist von vielen Faktoren abhängig. Auf der einen Seite gibt es Einflüsse, die diese Zahl nach oben treiben: Deutlich erhöhte Baustellentätigkeit, deutlich steigende Zugzahlen, Einsatz neuer Baureihen mit „Kinderkrankheiten“ oder Lokführermangel sind einige der wichtigsten. Andererseits greifen Maßnahmen wie optimierte Baustellendurchführung, leistungsfähigere Leit- und Sicherungstechnik, punktuell und teilweise auch streckenbezogen größere Spielräume auf der Seite der Infrastruktur und verbesserter Vegetationsschnitt.
Ein Teil dieser Maßnahmen wirkt mittel- bis langfristig, ein Teil umgehend oder kurzfristig. Die größten Auswirkungen sind jeweils lokal auf Ebene von Strecken oder Linien, idealerweise auch regional auf Netzebene zu sehen. Dazu drei Beispiele:
• In München wird derzeit mitten durch die City die zweite Stammstrecke für die S-Bahn gebaut, ein Großprojekt, das unter anderem dafür sorgen soll, die Betriebsqualität für alle S-Bahnlinien mittels zweier zusätzlicher Gleise deutlich zu verbessern. Dadurch soll die Wahrscheinlichkeit von Zugausfällen deutlich verringert und die Pünktlichkeit verbessert werden. Mit Inbetriebnahme dieses Projekts wird in allererster Linie ein positiver Effekt auf das gesamte Netz der S-Bahn München ausgehen.
Doch auch der Regionalverkehr wird auf einigen Mischverkehrstrecken z. B. Richtung Freising oder Markt Schwaben profitieren, wenn sich das störanfällige und überlastete S-Bahnsystem stabilisiert. Es ist damit zu rechnen, wenn auch in deutlich abgeschwächter Form, dass benachbarte Knotenbahnhöfe wie Regensburg oder Mühldorf ebenfalls einen Nutzen von der zweiten Stammstrecke haben. Im allerweitesten Sinne könnten auch die durch Regensburg und Rosenheim verlaufenden Fernverkehrslinien einen indirekten Nutzen von einem zuverlässigeren Regionalverkehr haben, doch diese Effekte werden dann kaum noch messbar sein.
• Das Land Baden-Württemberg baut derzeit einen 18-köpfigen Lokführerpool an vier Standorten auf, den die unterschiedlichen Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmen im Falle von Lokführermangel nutzen können. Der Nutzen dieses Pools ist auf bestimmte Linien und Standorte begrenzt – zahlreiche Pools wären nötig, um deutschlandweit einen messbaren Effekt bei den Zugausfällen zu erzielen. Doch ohne Zweifel ist jeder einzelne vermiedene Zugausfall ein Fortschritt.54
• DB Regio und die Bayerische Oberlandbahn haben Enteisungsanlagen beschafft, um die Fahrzeugverfügbarkeit zu erhöhen und dadurch winterliche Zugausfälle zu minimieren. Hier ist der Nutzen auf einige Linien und die Winterzeit konzentriert.
Es bedarf also zahlreicher lokal oder regional wirkender Maßnahmen, um deutschlandweit die Zahl der Ausfälle spürbar zu reduzieren, sodass die Zuverlässigkeit insgesamt steigt. Das Schöne an diesen Maßnahmen ist jedoch, dass sie mehrfach positiv wirken, denn sie haben in aller Regel auch einen noch spürbareren Effekt auf die Pünktlichkeit.
Zusammenfassend werden Sie strecken- und linienbezogen wahrnehmbare Verbesserungen erleben, sofern entsprechende Maßnahmen stattfinden und die jeweiligen Projekte abgeschlossen wurden. Eine generelle, deutschlandweite Verbesserung der Situation ist jedoch eine langfristige, jahrzehntelange Aufgabe, die eine entsprechende Strategie und den politischen Willen benötigt.
Wahrscheinlich ist, dass auf lange Sicht Ausfälle und Fahrtalternativen besser vorhersehbar und planbar sein werden, weil sich die Kommunikationsmöglichkeiten verbessern. Auch werden sich mit steigenden Zugzahlen die Fahrtalternativen bei Zugausfällen erhöhen und weniger spürbar auswirken.