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1 „… trifft zehn Minuten

verspätet ein …“

Zugverspätungen kennen alle Fahrgäste. „Pünktlich wie die Eisenbahn“ – dieser Spruch gilt nur bedingt. Leider müssen Sie die Möglichkeit von Verspätungen bei Ihrer Reiseplanung berücksichtigen, auch wenn – insgesamt betrachtet – die meisten Züge pünktlich ankommen.

In diesem Kapitel geht es darum, was jeder Fahrgast selbst tun kann, um diese Erfahrungen entweder möglichst selten zu machen oder deren Auswirkungen auf sich selbst zu verringern. Thema ist auch der übergeordnete Blick: Wie lassen sich die Fahrplanabweichungen in das gesamte Bahngeschehen einordnen? Wer die zahlreichen Ursachen für Verspätungen verstehen will, findet in Kapitel 13.1 bis 13.8 die wichtigsten Zusammenhänge.

1.1 Was Sie als Fahrgast bei Verspätungen tun können

1.1.1 Maßnahmen vor der Fahrt

Schon bei der Reiseplanung empfiehlt es sich, dass Sie sich im Klaren darüber sind, wie WICHTIG die Pünktlichkeit für Sie im Allgemeinen und speziell bei der nächsten Fahrt ist. Wer wirklich richtig pünktlich sein muss, sei es zu einem geschäftlichen Termin, zum Beginn eines einzigartigen Konzerts mit Ihrer Partnerin oder einem entscheidenden Bundesligaspiel, sollte deutliche Spielräume einplanen und keinesfalls glauben, dass eine perfekte minutengenaue Planung funktioniert. Eine Planung ohne Spielräume kann klappen und wird in vielen Fällen auch aufgehen, sie muss aber nicht. Und für Pendlerinnen und Pendler kann ein Zug früher eine große Entspannung bewirken – alternativ die Vereinbarung von Gleitzeit bei der Arbeit.

Zur Planung gehört auch, die WAHRSCHEINLICHKEIT VON VERSPÄTUNGEN einzuschätzen. Zur Hauptverkehrszeit sind Verspätungen wahrscheinlicher, und wenn Baustellen auf Ihrer Strecke liegen, ebenfalls. Dicht befahrene Strecken mit Mischverkehr und solche mit knapp bemessenen Umläufen sind ebenfalls anfälliger.

Es gibt auch eine Datenquelle, die wertvolle Hinweise liefert: die PÜNKTLICHKEITSSTATISTIK vieler Fernverkehrszüge. Zum Beispiel steht dort, dass der IC 2024 Passau–Hamburg über Mainz im Durchschnitt der letzten zwei Jahre auf jeder Fahrt 22 Minuten Verspätung einfuhr, der ICE 1553 Leipzig–Dresden hingegen mit durchschnittlich 1 Minute Verspätung ein sehr pünktlicher und zuverlässiger Zug ist.2

Ebenfalls sind, wo immer möglich und sinnvoll, DIREKTVERBINDUNGEN günstiger. Damit entfallen Anschlussverluste automatisch, die oft eine Stunde Zeitverlust bedeuten. Alternativ sind auch STABILE UMSTEIGEVERBINDUNGEN empfehlenswert, bei denen es nicht um ein oder zwei Minuten Umsteigezeit geht, sondern eher um 10 bis 15 Minuten bei kleineren Knotenbahnhöfen und 20 bis 30 Minuten bei großen Hauptbahnhöfen.

Mit größeren Spielräumen zu planen heißt auch, die dann häufiger auftretenden Aufenthaltszeiten mit positiv besetzten Aktivitäten zu füllen: einen Spaziergang unternehmen oder in Ruhe zu Mittag essen, telefonieren, in der Buchhandlung stöbern – hier sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt.

Wenn GRAVIERENDE WETTEREREIGNISSE wie ein Orkan über Norddeutschland oder massive Schneefälle mit Sturm und Blitzeis in Sachsen angekündigt sind, sind solche Wetterwarnungen durchaus ernst zu nehmen, zusätzlich ist es wahrscheinlich, dass in beiden Fällen spürbare Verspätungen und Ausfälle von Fernverkehrszügen auch im restlichen Deutschland vorkommen.

GROßVERANSTALTUNGEN (bekannte Publikumsmessen, Bundesliga-Fußballspiele, Kölner Karneval, Oktoberfest, Papstbesuch) sorgen nicht nur für volle Züge, sondern auch für spürbare Verspätungen. Das bedeutet konkret, entweder die betroffenen Strecken und Ziele vollständig zu vermeiden oder früher zu fahren.

1.1.2 Informieren

Sie werden im Internet, in Ihrer App, per Durchsage im Zug oder auf dem Bahnsteig und im Bahnhof mittels Durchsage und/oder Monitore über die Verspätung informiert. Reisende sollten deswegen, wie in Band 2 in den Kapiteln 18 und 19 bereits erarbeitet, alle auf die eigene Situation zugeschnittenen, geeigneten INFORMATIONSQUELLEN kennen und griffbereit haben. Wer beispielsweise die Fahrt mit der DB-Fahrplanauskunft geplant hat, kann im Rahmen der Verbindungssuche den VERSPÄTUNGSALARM aktivieren oder mit der APP „DB STRECKENAGENT“ Verkehrsmeldungen zur jeweiligen Strecke abonnieren.3 Auch die Abfahrten von Bahnhöfen und Haltestellen sind einfach abrufbar.4 Derartige Tools gibt es teilweise auch bei anderen EisenbahnVerkehrs-Unternehmen und in Verkehrsverbünden.5 Es sind sogar vereinzelt recht komfortable und aussagekräftige kartografische Informationsmedien auf dem Markt, die die Position der Züge in Echtzeit in einer Karte darstellen.6

1.1.3 Informationen einordnen

Gehen Sie allerdings davon aus, dass die Angabe über die aktuelle Verspätung zwar exakt sein kann, aber die Prognose immer nur eine ungefähre EINSCHÄTZUNG ist. Denn die Einflussfaktoren und Wechselwirkungen sind beim Bahnbetrieb zu groß, als dass es immer eine wirklich sichere, minutengenaue Vorhersage geben kann.

Generell ist zwischen zugbezogenen Informationen und qualitativen Störungsinformationen zu unterscheiden.

• ZUGBEZOGENE INFORMATIONEN: Hier erhalten Sie über einen bestimmten Zug mit einer bestimmten Zugnummer konkrete Informationen über Zugziel, Laufweg, Abfahrtszeit, Gleis und Verspätung/Ausfall.

• QUALITATIVE STÖRUNGSINFORMATIONEN: Sie bekommen Informationen über Ursache, Ort, Dauer und Auswirkung der Störung. Diese Art der Information ist in der Regel recht schnell vorhanden und häufig auch zuverlässig. Sie gibt wichtige Anhaltspunkte, wie sich die Situation darstellt und entwickelt und welche Handlungsoptionen möglicherweise existieren.


Abbildung 1: Ein Beispiel für qualitative und nicht zugbezogene Information: Auf dem Monitor erkennen Sie auf den ersten Blick, dass wegen Bauarbeiten für rund 7 Wochen kein Zugverkehr im Regionalbahnhof des Frankfurter Flughafens möglich ist. Stattdessen fährt die S-Bahnlinie S8 über den Flughafen Fernbahnhof. Außerdem ist ein Ersatzverkehr eingerichtet, der von Rüsselsheim über Raunheim und Kelsterbach zum Terminal 1 fährt. Streng genommen sind Baustellen allerdings keine Störungen, sondern geplante Abweichungen.7 [Copyright Frank Hole]

Die Rangliste der Qualität von zugbezogenen Informationen bei Fahrplanabweichungen sieht so aus:

1. ZUVERLÄSSIG, wenn bei kleineren Störungsereignissen nur wenige Züge gering betroffen sind. Sie bekommen Informationen wie „… trifft wenige Minuten später ein“ oder „… hat ungefähr 5 Minuten Verspätung“.

2. EINGESCHRÄNKT ZUVERLÄSSIG, wenn auf einer Strecke ein größerer Einfluss stattfindet, der beispielsweise zu einer Streckensperrung führt und viele Züge betroffen sind oder einige relativ stark. Die Informationen können lauten „… hat ungefähr 25 bis 30 Minuten Verspätung“ oder „wegen Gleisbelegung im Bahnhof … verzögert sich unsere Einfahrt noch um kurze Zeit“.

3. UNZUVERLÄSSIG, wenn ein Ereignis mit größeren Folgen wie beispielsweise einer Streckensperrung sich erst vor Kurzem ereignet hat und noch keine konkreten Gegenmaßnahmen getroffen wurden, weil die Auswirkungen des Einflusses noch unbekannt sind. Oder es überlagern sich mehrere Störungsquellen. Die entsprechende Durchsage kann lauten: „Wir informieren Sie, wenn neue Informationen vorliegen.“ Im Internet können Sie erkennen, dass sich solche Verspätungsprognosen immer wieder ändern.

4. NICHT MÖGLICH ODER VOLLSTÄNDIG UNZUVERLÄSSIG: Bei Großstörungen8, wenn mehrere Bahnstrecken oder Linien zeitgleich unterbrochen sind. Bei großen Störungsereignissen sind Dutzende oder gar Hunderte von Zügen zeitgleich betroffen, die alle in Wechselwirkung miteinander stehen. Zugbezogene Informationen sind in solchen Fällen so unpräzise oder liegen gar nicht in den Hintergrundsystemen vor, dass sich die Fahrgäste darauf nicht verlassen könnten. Deswegen wird in aller Regel völlig darauf verzichtet und Sie sehen auf Anzeigern nur noch die Information „Bitte auf Ansagen achten“ oder „Zugbetrieb eingestellt“. Sollten bei derartigen Betriebslagen dennoch zugbezogene Informationen kommuniziert werden, so sind diese keinesfalls verlässlich. Es könnte sein, dass diese nur noch der Planzustand auf den Monitoren oder in den Onlinemedien abbilden, nicht aber die Realität.

Je größer die betrieblichen Auswirkungen, desto weniger präzise die zugbezogenen Informationen und desto wichtiger werden die qualitativen Störungsinformationen.

Wenn die Verspätungsursache bekannt ist, geht es darum, diese mittels folgender Fragen einzuordnen:

• Ist die Ursache bereits behoben?

• Welcher Art ist die Ursache?

• Besteht die Ursache fort und ist sie von unbestimmter Dauer oder können Sie eine ungefähre Prognose wagen?

• Ist Ihr Zug von der Ursache direkt betroffen oder steht er im Stau?

• Gibt es möglicherweise Fahrtalternativen vor Fahrtantritt? Bietet sich eventuell unterwegs eine Möglichkeit?

1.1.4 Entwicklung einschätzen

Wer in einem verspäteten Zug sitzt oder am Bahnsteig auf diesen wartet, kann sich klarmachen, welche Entwicklung die Verspätung möglicherweise nehmen wird:

1. SIE WIRD KLEINER. Wenn der Zug verspätet abfährt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er an Ihrem Zielbahnhof auch nicht pünktlich ist. Nach den Erfahrungen des Autors kommt es in vielleicht einem Viertel der Fälle vor, dass ein Zug eine Verspätung wieder einholt und dann ganz oder fast pünktlich ankommt. Ob ein Aufholen der Verspätung möglich ist, hängt letztlich von folgenden Faktoren ab:

o Gibt es Spielräume im Fahrplan? Das ist nicht oft, aber immerhin manchmal der Fall. Diese Einschätzung können Sie nur durch einige Erfahrung treffen.

o Hat ein Zug an einem Bahnhof planmäßig mehrere Minuten Aufenthalt, die ggf. verringert werden können?

o Sind weniger Fahrgäste unterwegs, sodass die Aufenthaltszeiten an Bahnhöfen jeweils etwas verkürzt werden können? Insbesondere spätabends und nachts stehen die Chancen recht gut.

o Liegt die Verspätungsursache räumlich gesehen hinter oder vor Ihrem Zug? Falls sie hinter Ihnen liegt, gibt es etwas bessere Chancen, dass sich die Verspätung reduziert.

o Und natürlich geht es auch um die Größe der Verspätung im Verhältnis zur Reisedauer. Eine Viertelstunde Verspätung lässt sich auf einer achtstündigen Fahrt quer durch Deutschland eher aufholen als eine fünfminütige Verspätung einer halbstündigen S-Bahnfahrt.

2. SIE BLEIBT UNGEFÄHR GLEICH. Das ist bei etwa der Hälfte der verspäteten Züge der Fall. Wenn der Fahrplan wenig Spielräume aufweist und die Aufenthaltszeiten an Bahnhöfen knapp bemessen sind, dann wird Ihr Zug kaum aufholen können.

3. SIE WIRD GRÖßER. In vielleicht einem Viertel der Fälle nimmt die Verspätung unterwegs spürbar zu. Mögliche Gründe:

o Der verspätete Zug kann in sein normales Gleis im nächsten Bahnhof nicht einfahren, weil dieses nun durch einen pünktlichen Zug belegt ist.

o Der verspätete Zug fährt hinter einem pünktlichen, aber langsameren Zug her und kann nicht überholen.

o Der verspätete Zug wird durch einen pünktlichen überholt.

o Oder es kommt noch eine weitere Verspätungsursache hinzu, z. B. deutlich erhöhtes Fahrgastaufkommen aufgrund des Ausfalls des Zuges einen Takt früher.

o Die Verspätungsursache (z. B. eingleisiger Streckenabschnitt wegen Bauarbeiten oder ein Signalausfall) liegt noch vor Ihnen.

o Oder Sie sind zur Hauptverkehrszeit unterwegs, die Strecke ist mit Zügen dicht belegt und die Züge sind allesamt voller Fahrgäste.

Mit einiger Erfahrung lässt sich leichter einordnen, in welche Kategorie der betreffende Zug fällt. Natürlich gibt es keine wirkliche Garantie dafür, da Sie normalerweise nicht alle relevanten Informationen haben, auch kennen Sie nicht die Entscheidungen der Fahrdienstleiter, der Disponenten des Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmens oder der Netzdisponenten. Selbst bahninterne Experten können nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sagen, wie sich eine Fahrt entwickeln wird, da die Komplexität der Wechselwirkungen insbesondere bei größeren Ereignissen zu groß ist.

1.1.5 Persönliche Betroffenheit bewusst machen

Eine wichtige Frage in der jeweiligen Verspätungssituation lautet: WAS BEDEUTET DIE VERSPÄTUNG FÜR MICH KONKRET? Beispielsweise:

• Gar nichts. Wenn kein Termindruck da ist, man sich in einer Direktverbindung befindet, ohnehin eher der entspannte Reisende ist und ein gutes Buch griffbereit ist.

• Anschlussverlust. Dadurch geht vielleicht die Platzreservierung verloren und der nächste Zug kommt erst in einer Stunde und ist dann auch noch überfüllt. Das ist sehr ärgerlich und unbequem dazu.

• Sie verpassen Ihren Flieger nach Tokio und somit den gemeinsamen Beginn einer vierzehntägigen Studienreise oder es entgeht Ihnen ein wichtiger geschäftlicher Termin.

• Das lang vereinbarte Treffen mit einer guten Freundin verkürzt sich.

• Sie kommen zu spät nach Hause, das Essen verkocht und Ihre kleine Tochter müsste eigentlich längst ins Bett, will aber vorgelesen bekommen.

• Sie können in Ruhe Ihre geschäftliche Präsentation fertigmachen, Mails durchgehen und beantworten oder WhatsApp-Nachrichten lesen, wozu Sie sonst nie gekommen wären.

• Es ergeben sich gute Gespräche mit Menschen, denen Sie sonst nie begegnet wären, daraus entwickeln sich Bekanntschaften, neue Ideen und Sie bekommen interessanten Anregungen und Informationen.

Es ist also alles drin – von der gefühlten persönlichen Katastrophe über Unbequemlichkeit bis hin zu positiven oder zumindest nicht unwillkommenen Aspekten. Oft ist das Ärgerlichste an einer Verspätung, dass man sich nicht selbst imstande sieht, Einfluss darauf zu nehmen und dass etwas mit einem geschieht, was man sich nicht gewünscht hat. Auch die Unklarheit, wie und wann es weitergeht und ob nach einem ungeplanten Umsteigen ein Sitzplatz zur Verfügung steht, kann deutliche Verunsicherung und Ärger hervorrufen.

1.1.6 Entscheidung treffen

In vielen Fällen gibt es Wahlmöglichkeiten, was Sie tun können, auch wenn diese nicht Ihren ursprünglichen Plänen entsprechen. In Ihre Entscheidung fließen folgende Aspekte ein:

• Was ist tatsächlich MÖGLICH in der momentanen Situation?

o Wenn der Zug auf freier Strecke für längere Zeit zum Stehen gekommen ist, können Sie nicht aussteigen und zu Fuß zum nächsten Bahnhof gehen.

o Wenn Sie aber von Gerolstein in der Eifel kommen und mittags in Köln Hbf mit 30 Minuten Verspätung eintreffen und nach Dortmund wollen, haben Sie zahlreiche Möglichkeiten, weiterzufahren. Vielleicht sogar schneller als mit der ursprünglich geplanten Verbindung.

• Was ist in Ihrer Situation SINNVOLL?

Es gibt ganz grundsätzliche WAHLMÖGLICHKEITEN. Diese können auch mit der Anwendung der Fahrgastrechte zu tun haben. Hier gibt es Regelungen ab 20 und ab 60 Minuten Verspätung.9 Die Fahrgastrechte sind teils differenziert je nach benutztem Fahrausweis zu sehen, ferner gelten je nach Verkehrsvertrag und Verbund ggf. andere, weitergehende Regelungen. Die genauen Mindestregelungen können Sie auf einer zentralen Fahrgastrechte-Website nachlesen10, ansonsten in den Beförderungsbedingungen Ihres Eisenbahnverkehrsunternehmens oder – falls Sie mit einer Verbundfahrkarte unterwegs sind – in denen Ihres Verkehrsverbunds.

• FAHRT ANTRETEN BZW. FORTSETZEN. Hinterher können Sie ab 60 Minuten Verspätung über die Fahrgastrechte eine Entschädigung geltend machen.

• MIT EINEM ANDEREN ZUG FAHREN. Das ist ebenfalls im Rahmen der Fahrgastrechte für Verspätungen ab 20 Minuten geregelt.

• FAHRT ABBRECHEN und wieder zurückfahren oder Reise erst gar nicht antreten. Ab 60 Minuten voraussichtlicher Verspätung am Zielort können Sie sich den Fahrpreis über die Fahrgastrechte erstatten lassen.

• MIT EINEM ANDEREN VERKEHRSMITTEL WEITERFAHREN und die Kosten bis zu einem bestimmten Betrag erstattet bekommen. Dies ist in den Fahrgastrechten ebenfalls geregelt, allerdings an einige Konditionen gebunden.

Um sich auf die Fahrgastrechte zu berufen, ist es sinnvoll, wenn auch nicht zwingend nötig, dass Sie sich die Verspätung vom Personal im Zug oder in großen Bahnhöfen bescheinigen lassen. Das wird nicht in allen Fällen möglich sein, z. B. weil das Personal vielleicht gar nicht vorhanden oder von sehr vielen Fahrgästen gleichzeitig beansprucht ist.

Je nachdem, wie wichtig Ihnen die Reise ist und was Ihr Budget ermöglicht, sollten Sie auch in Erwägung ziehen, völlig unabhängig von den Fahrgastrechten zu entscheiden und ggf. höhere Kosten in Kauf zu nehmen um anzukommen. Im Nachgang zu Ihrer Fahrt lässt sich dann möglicherweise noch etwas auf dem Wege der Kulanz regeln.

1.1.7 Verspätungsvermeidend verhalten

Fahrgäste können die Wahrscheinlichkeit von Verspätungen verringern oder deren Folgen abmildern.

• Zügig ein- und aussteigen.

• Am Bahnsteig dort stehen, wo Sie reserviert haben.

• Am Bahnsteig nicht im Pulk warten, sondern gleichverteilt über die gesamte Zuglänge.

• Nicht in sich gerade schließende Türen hineinlaufen oder die Abfertigung verzögern (vgl. Kapitel 6.3 in Band 2 und 4.13 in Band 1).

• Sicherheitsrelevante Eingriffe in den Bahnverkehr unbedingt vermeiden (vgl. Kapitel 12).

• Anderen Reisenden helfen, sofern offensichtlich nötig und gewünscht.

1.2 Was die Bahn tut

Es macht einen Großteil der täglichen Arbeit der Eisenbahn-Verkehrs-Unter- nehmen und der Eisenbahn-Infrastruktur-Unternehmen aus, Verspätungen zu vermeiden, Fahrgäste und Betriebspersonal darüber zu informieren und deren Folgen und Wechselwirkungen gering zu halten.

Die Maßnahmen sind so vielfältig wie die Ursachen, die zu Verspätungen führen (vgl. Kapitel 13 „Einflüsse auf die Bahn“).

Wenn Sie als Fahrgast eine Verspätung erleben, dann arbeiten im Hintergrund immer mehrere Menschen daran, diese zu beheben oder zumindest darüber zu informieren und weitere negative Folgen abzuwenden. Und viele Verspätungen sind erst gar nicht entstanden, weil vorbeugende Maßnahmen wirksam waren.

1.2.1 Information der Fahrgäste

Alle Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmen und Eisenbahn-Infrastruktur-Unternehmen sammeln ständig die Informationen zu jeder gerade stattfindenden Zugfahrt und bereiten diese für verschiedene Informationsmedien auf. Konkret geht es bei verspäteten Zügen um die derzeitige Verspätung und die Prognosen für die weiteren Bahnhöfe und um den Grund der Verspätung. Im Endergebnis erhalten die Fahrgäste im Zug, im Bahnhof, im Internet und über entsprechende Apps für die meisten aktuell verkehrenden Züge Echtzeitinformationen – je nach Möglichkeit sowohl optisch als auch akustisch.


Abbildung 2: Auch auf den Monitoren an den Bahnsteigen wird die voraussichtliche Verspätung mitgeteilt. [Copyright Frank Hole]

1.2.2 Disposition der Züge und Personale

Ein verspäteter Zug birgt immer das Risiko, dass er zusätzlich andere Züge verspätet. Deswegen arbeiten die Disponenten daran, dass diese Folgewirkungen möglichst selten eintreten: Sie setzen je nach Höhe der Verspätung zusätzliches Personal ein, tauschen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus, legen ggf. zusätzliche Züge ein, und manchmal lassen Sie verspätete Fahrten ganz oder teilweise ausfallen, um das Gesamtsystem wieder pünktlicher werden zu lassen oder alternativ keine Unpünktlichkeit auf andere Fahrten zu übertragen.

1.2.3 Betriebliche Spielräume nutzen

Auf Strecken, deren Fahrplan relativ großzügig geplant wurde, bestehen gewisse Spielräume, Verspätungen wieder einzuholen. Lokführer setzen im Falle von Verspätungen alles daran, diese Spielräume zu nutzen und wieder pünktlicher zu werden. Konkret reizen sie dann nach Möglichkeit zulässige Höchstgeschwindigkeiten aus, verkürzen Aufenthalte in Bahnhöfen und wenden an Endbahnhöfen zügiger.

1.2.4 Verspätungsursache beheben

Je nach Ursache ist es möglich und notwendig, die Verspätungsursache möglichst schnell zu beheben, damit sich nicht noch weitere Züge verspäten. Wenn beispielsweise eine Signalstörung die Ursache ist, dann kümmern sich ganz unterschiedliche Personale des Eisenbahn-Infrastruktur-Unternehmens darum, die Leit- und Sicherungstechnik schnellstmöglich wieder funktionsfähig zu machen. Wenn Personen im Gleisbereich gesichtet wurden, arbeiten Eisenbahn-Infrastruktur-Unternehmen, Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmen und Bundespolizei gemeinsam daran, dass diese aufgegriffen werden, sodass die Strecke wieder mit normaler Geschwindigkeit befahren werden kann.

1.2.5 Vorausschauend planen

Vorbeugend lassen sich durch eine vorausschauende Planung etliche Verspätungen minimieren oder gar vermeiden. Dies gilt beispielsweise für einen Hauptverspätungsgrund – die Baustellen. Je nach Konzept erweisen sich Baustellenfahrpläne als sehr störanfällig – und das kann ein Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmen zusammen mit dem Eisenbahn-Infrastruktur-Unternehmen oft schon vorher abschätzen und entsprechend anders planen, sofern die Spielräume gegeben sind (vgl. Kapitel 13.1 Bauarbeiten).

1.2.6 Reserven einsetzen

Manche, zumeist große Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmen haben sich gewisse Reserven an Fahrzeugen und Bereitschaften beim Fahrpersonal aufgebaut. Diese können dann im Bedarfsfall eingesetzt werden. So einfach es klingt: In der Praxis ist dies wesentlich schwieriger umzusetzen. Das liegt nicht nur an der Frage, ob der Standort dieser Fahrzeuge und Personale günstig gelegen ist, sodass für einen verspäteten Zug ein Ersatz im regulären Fahrplan fahren kann. Noch wesentlich schwieriger ist es, über diese Fahrzeuge und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überhaupt zu verfügen. Das ist eine eindeutig finanzielle Frage, da Ausschreibungen derzeit solche Reserven nur in Ausnahmefällen vorsehen.

1.2.7 Aufklärung über Verspätungsursachen

Die Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmen führen je nach Notwendigkeit teils aufwendige Kommunikationsmaßnahmen durch, um fahrgastbedingte Verspätungen nicht entstehen zu lassen (vgl. Kapitel 13.2 „Fahrgäste“).

1.2.8 Analysieren und Maßnahmenpläne erarbeiten

Alle Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmen führen Statistiken über Verspätungsursachen und -folgen. So ist es möglich, bestimmte Situationen zu simulieren, deren Ergebnisse – zusammen mit dem Sachverstand von Fahrpersonal, Disponenten, Fahrdienstleitern und Datenanalytikern – letztlich in Maßnahmenplänen münden, die im Idealfall gute Wirkung zeigen. Beispiele hierfür sind der Einsatz von Einstiegslotsen in bestimmten S-Bahnsystemen, der leuchtende Bahnsteig, Aufkleber zum Verhalten beim Ein- und Aussteigen, Engpass-Management, dispositive Regeln bei Verspätungen, Anschlussregelungen, Wendezeitregelungen, der planmäßige Einsatz von zwei Fahrpersonalen oder die Durchführung „überschlagener“ Wenden bei knappen Wendezeiten, Schulung und Sensibilisierung des Personals, Einsatz von Pünktlichkeitsmanagern, geänderte Winterdienstpläne und viele mehr.

1.3 Beispiele aus der Praxis

1.3.1 Ein Intercity gerät unterwegs in eine Signalstörung

Als erstes Beispiel dient die Einsteiger-Bahnreise von Passau nach Köln aus Kapitel 11 in Band 2, die damals völlig problemlos verlaufen ist. Doch für heute sei angenommen, dass unterwegs Unregelmäßigkeiten auftreten, die zu einer spürbaren Verspätung führen.

Sie haben eine Fahrkarte mit Zugbindung für den Intercity 2024. Dieser fährt in Passau pünktlich los und bleibt im Bahnhof von Hanau wegen einer Signalstörung stehen. Dadurch erhält er, so die Prognose um 11.35 Uhr, voraussichtlich 33 Minuten Verspätung.


Abbildung 3: Fahrplan für IC 2024 Passau–Köln mit Angabe der tatsächlichen und prognostizierten Ankunfts- und Abfahrtszeiten, fiktives Beispiel bei der Abfrage in Hanau Hbf. [Copyright Frank Hole11]

Sie lassen sich vom Zugbegleiter die Zugbindung aufheben und die Verspätung bestätigen. Angesichts der prognostizierten Verspätung von 29 Minuten am Zielort ist nun freie Zugwahl möglich.

Der DB Navigator nennt bei der Anfrage Frankfurt Hbf–KÖLN drei ICE-Verbindungen mit Abfahrten um 12: 10, 12.29 und 12.42 Uhr ab Frankfurt Hbf, die alle früher in Köln ankommen als der verspätete IC 2024:


Abbildung 4: Alternative Fahrtmöglichkeiten nach Köln für die ursprüngliche Verbindung mit IC 2024 [Copyright Frank Hole12]

Der ICE der ersten alternativen Verbindung um 12: 10 ist nicht zu schaffen bei einer prognostizierten Ankunft Ihres IC 2024 um 12.09 Uhr. Abgesehen davon wollen Sie auch nicht unbedingt nach Köln Messe/Deutz, sondern zum Hauptbahnhof. Die beiden anderen Verbindungen erscheinen geeigneter.

Der Zug kommt dann tatsächlich um 12.20 Uhr in Frankfurt Hbf mit 44 Minuten Verspätung an, somit ist die Weiterfahrt um 12.29 Uhr mit dem ICE möglich. Zwar ist ein Umsteigen nötig, doch die Ankunft in Köln ist früher als mit dem ursprünglichen IC 2024, wenn er pünktlich gewesen wäre. In der Praxis wird es bei Verspätungen nur in seltenen Fällen schnellere alternative Verbindungen geben, aber ganz ausgeschlossen sind sie nicht.

Woher aber kommen die Informationen über Fahrtalternativen?

• Ansagen im Zug oder auf dem Bahnsteig,

• DB Navigator,

• Persönliche Auskünfte über das Personal,

• Faltblatt „Ihr Reiseplan“ in Fernverkehrszügen.

Die größte Unabhängigkeit bringt der DB Navigator, der zudem auch über aktuelle Daten verfügt. Größere Spielräume gibt es übrigens, indem Sie, sofern vorhanden und passend, bei der Zielauswahl die Orte in Großbuchstaben auswählen. Also beispielsweise

• KÖLN statt Köln Messe/Deutz oder Köln Hbf,

• BERLIN statt Berlin Südkreuz oder Berlin Hbf.

1.3.2 Ein Fernverkehrszug wird verspätet bereitgestellt

Angenommen, die Fahrt soll von Nürnberg Hbf nach Freiburg (Breisgau) Hbf führen. Geplant ist, ab Nürnberg Hbf mit dem Intercity 2164 um 5.37 Uhr zu fahren, der Sie nach Karlsruhe bringen soll. Dort soll es dann mit dem ICE 101 nach Freiburg weitergehen. Sie haben eine Fahrkarte mit Zugbindung und sind somit auf diese beiden Züge angewiesen.

Um 5.30 Uhr kommen Sie zum Bahnsteig 15 in Nürnberg Hbf, wo der IC 2164 abfahren soll. Auf dem Monitor am Bahnsteig steht dieser Zug mit 15 Minuten Verspätung aufgrund einer technischen Störung am Zug angeschrieben. Um 6.00 Uhr ist der Zug noch nicht da, die prognostizierte Verspätung erhöht sich auf 30 Minuten.

Sie schauen sich nach Alternativen um: Um 6.00 Uhr wäre ein Zug über Frankfurt gefahren, diese Verbindung hätte eine halbe Stunde länger gedauert. Dafür ist es nun zu spät.

Ansonsten fährt der nächste reguläre Zug in Richtung Stuttgart zwar um 6.36 Uhr, aber die Anschlüsse nach Karlsruhe und Freiburg sind dann nicht günstig. Erst um 7.40 Uhr gibt es ab Nürnberg Hbf eine weitere gute Verbindung.

Sie entscheiden sich, zu warten, und der 5.37-Uhr-Zug fährt mit einer Stunde Verspätung ab. Auf der Strecke erhöht sich die Verspätung bis Karlsruhe auf 70 Minuten. Doch durch die über 20-minütige Verspätung ist die Zugbindung automatisch aufgehoben und die Weiterfahrt ab Karlsruhe ist mit jedem Zug möglich, und auf dieser dicht befahrenen Strecke bestehen auch genügend alternative Fahrtmöglichkeiten.

Allgemein betrachtet haben Sie manchmal nur die Alternative zwischen „Warten“ und „Von der Fahrt zurücktreten“. Erschwert wird eine solche Entscheidung dadurch, dass Verspätungen nicht genau genug vorhergesagt werden oder vorhersagbar sind oder zu spät angekündigt werden. Wenn Sie davon ausgehen müssen, dass die Verspätung über 20 Minuten beträgt oder betragen wird, sind Sie bei einer Fahrkarte mit Zugbindung frei, alternative Züge zu nutzen. Idealerweise bestätigt das Zugpersonal die Verspätung.

Es ist auch möglich, von der Fahrt zurückzutreten. Im Sinne der Fahrgastrechte geht das erst ab einer voraussichtlichen Verspätung von 60 Minuten am Zielbahnhof, es besteht dann Anspruch auf Erstattung des Fahrpreises. Grundsätzlich sollten Sie sich bei derartigen Situationen immer fragen: Lohnt es sich noch, die Fahrt durchzuführen? Oder ist der Fahrtzweck bereits hinfällig? Bei der Entscheidung können Sie mit in Betracht ziehen, dass sich große Verspätungen oft tendenziell noch etwas aufbauen, insbesondere wenn der verspätete Zug nicht genau in einem Taktabstand von einer Stunde fährt und wenn die Streckenbelegung in der Hauptverkehrszeit ohnehin hoch ist.

1.4 Hintergründe und Zusammenhänge

Jedem Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmen ist es klar, dass Pünktlichkeit neben der Sicherheit das entscheidende Kernversprechen ist, das es in Form des Fahrplans gegenüber den Fahrgästen abgibt. Ebenfalls ist klar, dass pünktliche und damit zuverlässige Züge dafür sorgen, dass das Image gut ist und somit mehr zahlende Kunden bereit sind, dieses Verkehrsmittel zu nutzen.

Außerdem bedeuten pünktliche Züge auch zufriedene Mitarbeiter und weniger internen Aufwand, mit den Folgen von Verspätungen klarzukommen. Und nicht zuletzt hat ein hohes Verspätungsniveau im Schienenpersonennahverkehr direkte finanzielle Einbußen zur Folge, denn die Aufgabenträger lassen sich Unpünktlichkeit teuer bezahlen – hier geht es um dreistellige Millionenbeträge pro Jahr.13

Somit hat jedes Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmen eine sehr hohe Motivation, möglichst pünktlich zu fahren.

1.4.1 Verspätungsursachen

Die Ursachen für Verspätungen sind sehr vielfältig. Hier nur der Überblick, Näheres dann im Kapitel 13 „Einflüsse auf die Bahn“.

Bei der S-BAHN NÜRNBERG beispielsweise gibt es eine ungefähre Dreiteilung der Verspätungsursachen:14

• Ein Drittel der verspäteten Züge kommt deswegen zu spät, weil es mit der INFRASTRUKTUR Probleme gibt: Bauarbeiten oder Stellwerksstörungen sind die Hauptgründe dafür.

• Bei einem weiteren Drittel sind es WETTEReinflüsse oder MENSCHLICHE EINWIRKUNGEN der unterschiedlichsten Art.

• Und das letzte Drittel der verspäteten S-Bahnen ist deswegen zu spät, weil das EISENBAHN-VERKEHRS-UNTERNEHMEN Probleme hatte: Das Fahrzeug war defekt oder die Personaleinteilung hat nicht funktioniert15.

Beim FERNVERKEHR DER DEUTSCHEN BAHN gab es im Jahre 2018 unter anderem folgende Ursachen für Verspätungen:16

• 18 %: Netz (ohne Signale und Weichen)

• 12 %: Fahrzeugstörungen

• 7 %: Störungen an Signalen und Weichen

• 4 %: Bauarbeiten

• 2,9 %: Warten auf Anschlusszüge

Zu den 18 % netzbedingten Ursachen: Dahinter verbergen sich zum Beispiel Langsamfahrstellen, wenn durch Wettereinflüsse, nicht rechtzeitig erfolgte Instandhaltung oder Änderung von bisherigen Rahmenbedingungen

• Brückenschäden, Oberbau- oder Untergrundmängel vorliegen,

• Bahnübergänge nicht mehr sicher befahrbar sind,

• behördliche Anordnungen erlassen wurden oder

• signaltechnische Mängel aufgetreten sind.

Die normale Streckengeschwindigkeit wird dann herabgesetzt, bis der Schaden oder Mangel behoben wurde.17 Das dauert in der Regel mehrere Monate18 und je nach Ursache und räumliche Ausdehnung können Verspätungen im Minutenbereich entstehen – für jeden Zug, der dort fährt, und eventuell auch mit Übertragung der Verspätung auf andere Züge und Anschlussverlust.

Ähnlich gelagert sind kurzzeitige Anordnungen, dass Züge langsamer fahren müssen, weil sich Personen im Gleisbereich aufhalten. Hier kommt es zu teils gravierenden Verspätungen, jedoch ist die Ursache in der Regel nach einer halben oder ganzen Stunde behoben. In solchen Fällen bekommen die Lokführer beispielsweise einen schriftlichen Befehl vom Fahrdienstleiter, mit welcher Geschwindigkeit sie maximal fahren dürfen.

1.4.2 Pünktlichkeit von Nah- und Fernverkehr gesamt

Für die Bahn ist ein Zug pünktlich, wenn er nicht später als 5: 59 Minuten nach Plan ankommt.19 Danach wird er in der Statistik als „unpünktlich“ aufgenommen. Das ist natürlich eine fast willkürliche Festlegung.20 Es gibt auch Verkehrsbetriebe wie die S-Bahn Stuttgart, bei denen die Besteller eine 3-Mi- nuten-Pünktlichkeit fordern und veröffentlichen.21 Und im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg liegt die Grenze bei 4: 59 Minuten. Aber auch das sind letztlich beliebige Werte, denn der Fahrgast will Züge völlig ohne Abweichung vom Fahrplan. Er findet sich mit verspäteten Zügen mehr oder weniger geduldig und verständnisvoll ab, doch die Erwartung ist eine andere.

2018 war der Fernverkehr der Deutschen Bahn zu rund 75 % pünktlich (auf die 5: 59 Minuten bezogen), und der Nahverkehr zu rund 94 %.22 23 Das bedeutet im Umkehrschluss, dass rund 180.000 Zugfahrten im Fernverkehr mehr als 6 Minuten verspätet waren und im Nahverkehr über eine halbe Million Züge.24 Die Berechnung, wie viele Millionen Fahrgäste davon betroffen waren, können Sie sich ersparen: Letztlich ist eine nicht exakt planmäßige Ankunft am Zielbahnhof eine fast alltägliche, eine Verspätung über 6 Minuten keine seltene Erfahrung.

Es lohnt sich aber, beim Thema Verspätungen noch weiter in die Tiefe zu gehen. Die bundesweiten Durchschnittswerte helfen nur wenig. Die Monatswerte der folgenden Grafik zeigen ein differenzierteres Bild. Sie sehen, dass der Fernverkehr nicht nur auffällig unpünktlicher ist als der Nahverkehr, sondern dass dessen Werte zusätzlich monatlich deutlich stärker schwanken. Die Gründe dafür sind vielschichtig.25


Abbildung 5: Pünktlichkeit von Nah- und Fernverkehr der Deutschen Bahn 2013–201826 [Copyright Frank Hole]

Die nächste Abbildung hat einen etwas anderen Schwerpunkt und zeigt die Pünktlichkeitsentwicklung des Fernverkehrs 2013–2018 nach Monaten:


Abbildung 6: Pünktlichkeit im Fernverkehr der Deutschen Bahn 2013–201827 [Copyright Frank Hole]

Interessant ist dabei, dass die Züge des Fernverkehrs im Winter und zu Beginn des Frühjahrs relativ pünktlich sind, dann aber im Sommer und Herbst sehr deutlich in der Pünktlichkeit abfallen.

Das ist schon deswegen spannend, weil in der öffentlichen Wahrnehmung eher der Winter als problematische Jahreszeit gilt. Auch hier ist es nicht nötig, tiefergehende Ursachenforschung zu betreiben, sondern es genügt, diese Unterschiede zu kennen.

1.4.3 Pünktlichkeit von S-Bahnsystemen

Das erste Beispiel ist die S-BAHN MÜNCHEN. Hier fahren die Züge im Berufsverkehr teils im 10-Minuten-Takt pro Linie, auf der zentralen Strecke in der City, wo sich mehrere Linien treffen, sogar im 2-Minuten-Takt. Die Linien verkehren bei der S-Bahn München teilweise eingleisig und teils im Mischverkehr mit Güter- und Regionalverkehr. Dort sind die Jahrespünktlichkeiten je Linie sehr unterschiedlich: Auf der S-Bahnlinie S1 lag sie 2012-2016 im Schnitt bei 93,2 % und auf der S3 Ost im gleichen Zeitraum bei 96,2 %. Dieser Unterschied von immerhin drei Prozentpunkten erklärt sich damit, dass die S1 eine sehr dicht befahrene Mischverkehrsstrecke ist, und die S3 im Gegensatz dazu teilweise eigene Gleise hat. Wenn man sich von den jährlichen Durchschnittswerten löst, so findet man den schlechtesten Monatswert von 92,1 % ebenfalls auf der S1, und den besten mit 98,6 % auf der zweigleisigen S2 West, auf deren Gleise nur S-Bahnzüge fahren.28

Ein weiterer Blick in die Pünktlichkeitsaufzeichnungen macht deutlich, dass der Zugverkehr der S-Bahnen in den Hauptverkehrszeiten (werktags 6–9 Uhr und nachmittags) spürbar unpünktlicher ist als in den Nebenverkehrszeiten. Hier liegen auf alle S-Bahnsysteme Deutschlands bezogen ein bis zwei Prozentpunkte Unterschied. Auch die bereits erwähnte S1 der S-Bahn München fuhr 2018 zur Hauptverkehrszeit um 2,3 Prozentpunkte unpünktlicher als in den Nebenverkehrszeiten (92,3 % zu 94,6 %).29

Bei der S-BAHN STUTTGART sind die Unterschiede zwischen den Linien und den Verkehrszeiten noch deutlicher ausgeprägt: zwischen 99,1 % auf der S60 zur Nebenverkehrszeit und 91,3 % auf der S3 zur Hauptverkehrszeit.30

Abschließend geht es um die S-BAHN RHEIN-RUHR im Bereich des Aufgabenträgers VRR. Hier fuhr die S4 im Jahre 2018 mit einer Verspätung von durchschnittlich lediglich 15 Sekunden pro Zugfahrt, bei der S68 waren es über 1,5 Minuten.31

1.4.4 Pünktlichkeit des Regionalverkehrs

Der VRR in Nordrhein-Westfalen weist beispielsweise für die Regionalbahn RB32 im Schnitt täglich rund 15 Sekunden Verspätung aus, bei den RegionalExpresslinien RE1, 5 und 7 waren es jedoch über 4 Minuten je Zug.

Die Bayerische Eisenbahngesellschaft unterscheidet in ihrem Qualitätsbericht für 2017 nicht die einzelnen Linien wie im VRR, sondern nach Netzen. Große, eher unpünktliche Netze wie Meridian, Mainfrankenbahn oder Franken-Thüringen-Express liegen bei rund 90 bis 92 % Pünktlichkeit auf 5: 59 Minuten gerechnet, wohingegen die pünktlicheren wie der Linienstern Mühldorf, der Kissinger Stern oder die Mittelfrankenbahn die 96 % übertreffen.32

1.4.5 Die Prognose von Verspätungen

Es ist zu unterscheiden zwischen einer aktuellen Verspätung und der weiteren Entwicklung der Verspätung. Generell gehört die Prognose von Verspätungen mit zur schwierigsten Disziplin bei der Bahn – sie ist so schwierig wie eine Wettervorhersage oder die Prognose von Aktienkursen. Nehmen Sie die in der Auskunft hinterlegten Prognosedaten also nicht unbedingt für bare Münze. Diese sind häufig (teil-)automatisiert erstellt und rechnen nur das ein, was sich bis zu diesem Zeitpunkt ereignet hat, was der Disponent des Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmen im Hintergrund in diesem Moment weiß und was er rein mengenmäßig bewältigen kann. Bei einem einzigen verspäteten Zug ist das gut machbar, sofern sich nichts anderes mehr ereignet. Doch bei 20 gleichzeitig verspäteten Zügen auf einer Strecke sind die Wechselwirkungen so groß, dass nicht nur die menschlichen Fähigkeiten, sondern auch die oft nur pauschal agierenden Prognose-Automatiken an ihre Grenzen stoßen.

Außerdem ist die Prognose von Verspätungen naturgemäß dann besonders ungenau, wenn die Störungsursache noch nicht gefunden und behoben wurde. Angenommen, bei einer ganzen Eisenbahnstrecke fällt die Leit- und Sicherungstechnik aus. Dann ist keine echte Prognose möglich, wie lange es dauert, das Stellwerk wieder in Gang zu bringen – Erfahrungswerte können helfen, müssen aber nicht im konkreten Fall zutreffen.

1.4.6 Perspektiven

Hinsichtlich der Verspätungssituation ist es kaum realistisch, von einer deutlich spürbaren Verbesserung auf die gesamte Bahn bezogen im Laufe der nächsten Jahre auszugehen. Wahrscheinlicher ist, dass Folgendes eintritt:

• Strecken, auf denen größere Bauarbeiten zu Ende gehen und hinterher ggf. sogar größere Kapazitäten bei der Infrastruktur zur Verfügung stehen, werden echte Verbesserungen erfahren.

• Andere Strecken hingegen werden sich zunächst verschlechtern, wenn umfangreiche Baumaßnahmen geplant sind.

• Unterm Strich wird es vermutlich erst einmal – bundesweit betrachtet – nicht besser. Grund: Die Bautätigkeit wird sich aufgrund der signifikant höheren zur Verfügung stehenden Mittel und des großen Nachholbedarfs im Bereich der Infrastruktur generell ausweiten.

• Zusätzlich werden mehr Fahrgäste tendenziell zu größerer Unpünktlichkeit führen, trotz der geplanten, umfangreichen Gegenmaßnahmen.

• Ausgehend von der Annahme, dass langfristig betrachtet immer mehr Fahrgäste unterwegs sind (Verdopplung bis 2030!), sind je Störeinwirkung mehr Fahrgäste betroffen.

• Auch ist damit zu rechnen, dass die Aufgabenträger zusätzliche Züge in größerem Umfange bestellen werden, um der steigenden Nachfrage Rechnung zu tragen. Dies führt zusätzlich wegen der höheren Streckenbelastung zu eher unpünktlicheren Zügen.

Bahnfahren unter erschwerten Bedingungen

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