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DREI JUNGS FINDEN IHREN FUSSBALLVEREIN

„Ich war nie auf einer Sportschule!“, betont Wolfgang Matthies nachdrücklich. „Nach der Schule begann ich mit sechzehn eine Lehre als Elektromonteur, doch ich wusste, dass das nur pro forma war. Ich würde nun mal Fußballer werden! Vormittags Schule, am Nachmittag Training, das war mein Tagesablauf.“

Auch was seinen Wunschverein betrifft, weiß Potti nur eine Antwort: „Ich wollte immer Fußballer werden, und von Anfang an bei Union. Schon als Junge war Union immer meine Lieblingsmannschaft! Leider hatten die, als es bei mir so weit war, keine Möglichkeit, mich im Internat unterzubringen.“

Von zu Hause weg will er jedoch unbedingt. Vor allem, weil er sich mit seinem Vater nicht versteht. So verlässt Wolfgang mit fünfzehn Jahren sein Elternhaus, um aufs Internat des mehrfachen DDR-Meisters FC Vorwärts Berlin zu gehen. Die nämlich hatten den begehrten Internats-Platz für ihn.

Vorwärts unterstand der Nationalen Volksarmee (NVA) und war einer der größten Sportklubs des Landes. Dank seines Trägers verfügte er über weit mehr Möglichkeiten als der – zumindest im Reigen der Großen – kleine Köpenicker Fußballclub Union. Bei Vorwärts sammelte Wolfgang erste Wettkampferfahrungen in der Junioren-Oberliga der DDR.

Im Sommer 1971 wurde der mehrmalige DDR-Meister jedoch von Berlin nach Frankfurt an der Oder umgesiedelt. Mit Beginn der Spielzeit 1971/72 startete er daselbst als FC Vorwärts Frankfurt. Diesen Umzug mit zu vollziehen stand für Wolfgang Matthies nicht zur Debatte: „Als die nach Frankfurt gingen, wechselte ich zu Union. Da wollte ich ja sowieso von Anfang an hin. Zu Vorwärts war ich ja nur gegangen, weil die mir eine Internatswohnung zugesichert hatten. Ich bin Adlershofer, Union war bei uns in aller Munde. Da interessierte sich keiner für Dynamo oder Vorwärts.“

Nun bekam Matthies über seinen neuen Verein eine Bleibe am Ostbahnhof, wo einige Union-Spieler und später auch Trainer Heinz Werner wohnten. Seit 1971 im Verein, spielte der Nachwuchskeeper zunächst in der 2. Mannschaft, welcher etliche junge Talente angehörten. In der Oberligamannschaft hüteten derweil der FDGB-Pokalsieger Rainer Ignaczak (von 1966–1974 im Verein, insgesamt 96 Pflichtspieleinsätze für Union) und seit der Saison 1971/72 fast ausschließlich Gerhard „Leo“ Weiß (von 1968–1975 im Verein, 142 Pflichtspieleinsätze) das Tor der Eisernen.

Im Training begegnete Matthies von Anfang an den Spielern der 1. Mannschaft. Zu deren Tormännern hatte er ein gutes Verhältnis: „Wir kamen klasse miteinander klar, alle drei. Ich hab ja zu denen aufgeschaut“, gibt er 2021 zu Protokoll. Obgleich er rückblickend eher Weiß zu seinen Vorbildern rechnet, sieht er die Stärken beider: „Ignaczak war hervorragend mit seinen Abwürfen. Der warf ja bis zur Mittellinie, einfach traumhaft. Bei Weiß gefiel mir seine ganze Ausstrahlung. Das war ein ganz Ruhiger, das mochte ich.“

Vielleicht, weil Gerhard Weiß damit das ganze Gegenteil eines Wolfgang Matthies darstellte?

In der Saison 1972/73 wird Matthies hinter Weiß und Ignaczak als dritter Torwart des Union-Kaders aufgeführt, zu einem Einsatz in der 1. Mannschaft kam er noch nicht.

„Wurdest du da gar nicht ungeduldig?“, will ich von ihm wissen.

Potti schüttelt den Kopf. „Ich wusste, dass ich zwei gute Leute vor mir hatte. Hinter denen konnte ich warten, da war ich die Ruhe selbst“, fügt er lachend hinzu. „Doch, ehrlich, das hat mir nichts ausgemacht. Ich wusste, meine Chance kommt irgendwann!“

Seinen überhaupt ersten Einsatz im Union-Dress erlebte er am 4. September 1971 in der Junioren-Mannschaft der Köpenicker, weiß Frank „Leo“ Leonhardt, Statistik-Experte von Unions offizieller Vereinszeitschrift. Auswärts in Aue hatten die jungen Eisernen mit 0:3 das Nachsehen.

Dazu sammelte Matthies Erfahrung im Tor der 2. Mannschaft, die in der Bezirksliga spielte. Ein kurzer Artikel in der Berliner Zeitung vom 28. Februar 1972 führt ihn in der Mannschaftsaufstellung. Die favorisierten Unioner kamen beim Berliner VB allerdings mit 0:4 unter die Räder.

Im Tor der 1. Männermannschaft steht Wolfgang Matthies erstmals am 10. Juni 1972. „Hier wurde er im Spiel um den ,FUWO-Pokal‘ gegen Vorwärts Stralsund (4:1) nach 67 Minuten eingewechselt für Rainer Ignaczak“, verrät Statistik-Ass „Leo“ Leonhard. Hinter sich greifen musste Wolfgang an jenem Tag nicht, aber der kurze Zeitungsartikel von H. G. Burghause vermerkt, dass „später der Junioren-Schlußmann Matthies – vom Lampenfieber geplagt – verschiedene Flanken und Ecken verpaßte“.

Am 15. Oktober 1973 findet Wolfgang Matthies, der inzwischen zwanzigjährige Schlussmann von Union II, erneut namentliche Erwähnung in einem kurzen Spielbericht der Berliner Zeitung. Bei der BSG Chemie Velten war es für die Köpenicker nach Drei-Tore-Führung noch einmal eng geworden. Die Veltener verkürzten auf 2:3, und es kam noch dicker: „Als Union-Schlußmann Matthies in der 73. Minute wegen Unsportlichkeit Feldverweis erhielt, schien ein Punktverlust des Favoriten nahe“, vermeldet das Blatt auf Seite sieben. Union holte am Ende dennoch einen 4:2-Auswärtssieg, und Potti hatte in jedem Fall auf sich aufmerksam gemacht.

Es sollte letztlich jedoch noch bis zur Saison 1974/75 dauern, ehe Wolfgang Matthies erstmalig bei der 1. Mannschaft in einem Pflichtspiel zwischen die Pfosten darf. Der 1. FC Union Berlin spielte seit der Vorsaison nur noch in der DDR-Liga, Rainer Ignaczak wechselte zur BSG Bergmann-Borsig, und Matthies wurde hinter Gerhard Weiß nun als zweiter Torwart geführt.

Obgleich seit dem 1. Juli 1974 Dieter Fietz Union-Trainer ist, sieht Potti rückblickend dessen Vorgänger als „Vater“ seines Debüts: „Ich habe es Uli Prüfke zu verdanken, dass ich die Chance bekam. Uli stellte mich in einem Sommerturnier gegen ein paar Oberliga-Mannschaften ins Tor.“

In der Saisonvorbereitung kam er, jetzt schon unter Dieter Fietz, dann unter anderem bei Testspielen gegen BSG Fortschritt Buchholz (3:2-Auswärtssieg) und daheim gegen BSG Chemie Zeitz (1:2) zum Einsatz.

Sein erstes Pflichtspiel im Tor des 1. FC Union Berlin bestreitet Wolfgang Matthies schließlich am 15. September 1974. Gegen die BSG Aufbau Schwedt feiert Union einen 4:0-Auswärtssieg, an den sich Potti längst nicht mehr erinnert. Es ist einer von sieben Liga-Einsätzen in dieser Saison, hinzu kamen drei FDGB-Pokalspiele, bei denen er mit Weiß rotierte. Genau wie in der Aufstiegsrunde, wo er in vier von acht Begegnungen zwischen den Pfosten stand.

In der Folgesaison setzte sich Matthies dann als einer von insgesamt fünf Torleuten durch, nach dem Wiederaufstieg ist er ab 1976/77 auf Jahre die unangefochtene Nummer eins im Tor der Eisernen. Sein erstes Pflichtspiel indes bestritt er fast vier Jahre nach dem Debüt seines späteren Kapitäns, Joachim Sigusch …

Der wurde am 31. Oktober 1947 in Kirchmöser bei Brandenburg geboren und trat ab 1958 bei Lok Kirchmöser gegen den Ball. In seinem Heimatverein reifte er zum Juniorenauswahlspieler heran. 1967 holte man ihn in den Bezirk Magdeburg, zur BSG Lokomotive Stendal, in jenen Jahren kein unbekannter Name im DDR-Fußball. 1956 war Lok Vierter der Oberliga-Abschlusstabelle geworden, nach zahlreichen Ab- und Aufstiegen spielte die BSG von 1963 bis 1968 dann letztmalig in der höchsten Spielklasse der DDR. Der noch junge Stürmer Joachim Sigusch kickte hier unter anderem an der Seite von Nationalspieler Gerd Backhaus.

1969 schließlich erhielt Sigusch ein Angebot von Union. „Na ja, dachte ich, Großstadt ist zwar was anderes als das Landleben“, erinnert er sich 2017 an jene Tage. „Aber ich bin nun mal Brandenburger, da lag ja Berlin gleich um die Ecke.“

Allerdings sollte sich jener Wechsel in die Hauptstadt als schwierig wie äußerst langwierig erweisen. Stendal gehörte zum Bezirk Magdeburg, und der 1. FC Magdeburg hatte offenbar ebenfalls ein Auge auf den jungen Stürmer geworfen: „Vier von uns wollten sie haben, zwei gingen hin. Hans-Jürgen Hermann wurde mit dem FCM Meister und saß beim Europapokal-Endspiel gegen Mailand auf der Bank. Ich aber wollte nun mal nicht nach Magdeburg, sondern zu Union.“

Und das, obwohl ihn mit Union eine traumatische Erinnerung verband: „Es muss 1967 gewesen sein, Lok Stendal an der Alten Försterei gegen Union. In einem Zweikampf knallten ,Ate‘ Wruck und ich voll mit den Köpfen zusammen. Ich musste raus, verbrachte den Rest des Spiels in der Kabine, die Heimfahrt liegend im Auto. Unser Mannschaftsarzt arbeitete im Krankenhaus und wies mich sofort ein. Eine Woche lag ich auf Station. Über ein halbes Jahr vermied ich jeden Kopfball, den Respekt davor behielt ich bis heute. Mit anderen Worten: Ein Kopfball-Ungeheuer wurde ich nie.“5

Weitaus hinderlicher als Siguschs „Union-Trauma“ war mit Blick auf seinen Wechsel aus Stendal zu Union jedoch etwas anderes: Die Köpenicker durften sich offiziell lediglich in einigen Berliner Stadtteilen und im Bezirk Potsdam um Spieler bemühen. Die jeweiligen „Gebietsfürsten“ konnten ihre Hoheitsrechte durchaus ernst nehmen. So war Unions Präsident Günter Mielis einmal auf Weisung von Harry Tisch, dem Rostocker SED-Bezirkschef und Politbüro-Mitglied, von Polizei und Staatssicherheit des Bezirks verwiesen worden, als er einen hoffnungsvollen Greifswalder Juniorenspieler kontaktieren wollte.

Geradezu illegal nimmt Mielis also 1969 Kontakt zu Joachim Sigusch auf– allerdings nicht als Verantwortlicher eines spielersuchenden Fußballklubs, sondern als Mitwirkender von „Mach mit, mach’s nach, mach’s besser!“, der beliebten Sendung des Kinderfernsehens der DDR: „Doch für eine ,Mach mit…‘-Sendung lädt er Achim zur Autogrammstunde ein, um bei der Gelegenheit mit ihm sprechen zu können“, vermerkt Gerald Karpa 2009 im Unionprogramm.

Ärger mit dem Verband gibt es trotzdem, aber Joachim Sigusch darf schließlich doch zu Union kommen. Einen Haken hat die Sache allerdings: Ohne mit den Köpenickern ein einziges Oberliga-Spiel bestritten zu haben, muss der spätere Union-Kapitän im Herbst 1969 zunächst seinen „Ehrendienst“ bei der NVA antreten.

„Ich kam nach Alt Rehse in Mecklenburg“, erzählt mir Joachim Sigusch 2017. „Dort hätte ich allerdings nur ein Dreivierteljahr bleiben müssen, wenn ich bereit gewesen wäre, zum Armee-Klub Vorwärts zu gehen. Zweimal musste ich in Berlin bei einem General oder Oberst antanzen, der bei Vorwärts was zu sagen hatte. Ich wollte aber nicht dauerhaft bei der Armee Fußball spielen, und so musste ich meine anderthalb Jahre bis zu Ende ableisten. Das letzte Vierteljahr war ich verantwortlich für die BA-Kammer6, ein ruhiger Posten. Außerdem hatte ich die Erlaubnis, das Objekt zu verlassen, um beim Armee-Klub Vorwärts Neubrandenburg Fußball zu spielen.“

Anschließend kehrt Joachim Sigusch zurück nach Köpenick, wo er am 18. November 1970 sein erstes von letztlich insgesamt 301 Pflichtspielen für den 1. FC Union Berlin bestreitet: einen 1:0-Sieg gegen BSG Stahl Riesa.

„Mit Spielern wie ,Jimmy‘ Hoge und ,Ate‘ Wruck7 zu trainieren und zu spielen, das war schon beeindruckend für mich“, erinnert sich Sigusch, dem die Fans aufgrund seiner imposanten Schusskraft in Anlehnung an den ebenso fulminanten Franz „Bulle“ Roth vom FC Bayern München schon bald den Spitznamen „Bulle“ verliehen, im Jahre 2017. „Ich denke, meine Entscheidung für Union war ein Schritt in die richtige Richtung. Leider kamen wir ja eine ganze Weile nicht so richtig vom Fleck.“

„Wir haben Union aufrechterhalten!“, widerspricht ihm Potti in unserem Gespräch an dieser Stelle, worauf Sigusch in seiner unaufgeregten Art ergänzt: „Richtig, wir haben sogar das Stadion mit gebaut.“

Das war 1978, als zahlreiche Union-Fans und auch die gesamte Mannschaft sowie ihr Trainer Heinz Werner Hand anlegten beim Ausbau des Stadions An der Alten Försterei. Dass Potti viele Jahre später zum Wiederholungstäter in Sachen Stadionbau wird, davon an anderer Stelle mehr …

Der Dritte im Bunde unserer Gesprächsrunde, Verteidiger Rolf „Rolli“ Weber, hatte einen deutlich weniger komplizierten Weg als Joachim Sigusch zu bestreiten, um am Ende bei Union unterzukommen.

Weber erblickte am 23. Dezember 1953 in Bamme das Licht der Welt. Seine Laufbahn als Fußballer begann er mit neun Jahren bei seinem Heimatverein BSG Einheit Bamme. Ab 1968 spielte er in der Kreisstadt bei der BSG Motor Rathenow und bald auch in der Juniorenauswahl des Bezirks Potsdam.

„Bei der Spartakiade erzielten wir mit der Potsdamer Bezirksauswahl ein gutes Ergebnis, und ick ragte da wohl so ein bisschen heraus“, erinnert sich Weber 2017. „Es war genau die Saison, als Union in die Oberliga aufgestiegen war und am Ende überraschend Fünfter wurde.“

Fast zeitgleich tat sich im DDR-Fußball noch etwas anderes, wie Weber zu erzählen weiß: „Es gab den Beschluss, dass die Oberliga-Reservemannschaften aufgelöst und dafür Juniorenoberliga-Mannschaften gegründet werden. Vor jedem Oberliga-Spiel gab es von nun an [das heißt mit der Oberliga-Saison 1968/69, Anm. d. Verf.] ein Spiel der Juniorenoberliga. Und weil Union so eine schwache Juniorenmannschaft hatte, suchten sie dringend Leute.“

Die zu finden, durfte sich Union in einigen Berliner Stadtbezirken sowie im Bezirk Potsdam umsehen. Das taten die Köpenicker Verantwortlichen auch bei den Webers in Bamme bei Rathenow: „Die kamen zu mir nach Hause, und ich war gleich Feuer und Flamme für Union. Ick musste nur meine Mutter überreden, dass die Ja sagt, was mir glücklicherweise gelang. In Berlin bekam ich über Union eine Wohnung am Ostbahnhof, kurioserweise die von Achim Sigusch, der gerade bei der Armee war. Als er wiederkam, musste ick raus.“

Sein erstes Oberliga-Spiel für die Eisernen bestritt Rolf Weber am 30. September 1972, zwei Jahre vor Pottis erstem Pflichtspieleinsatz in der 1. Mannschaft. „Eigentlich bin ich da eher reingerutscht“, bekennt Rolli, „ich glaube, für Hans-Joachim Sammel, der verletzt fehlte. Mit meinen gerade mal achtzehn Jahren stand ich ganz schön unter Druck, aber an der Seite von Ate Wruck fuchste ich mich ganz gut in die Abwehrarbeit ein.“

Als zentraler Abwehrspieler sorgte Weber an jenem Tag mit dafür, dass Union den „heiß geliebten“ Stadtrivalen BFC Dynamo aus Hohenschönhausen in dessen Sportforum vor etwa 15.000 Zuschauern mit 2:1 bezwang.

Schiedsrichter der Partie war Referee-Aushängeschild Rudi Glöckner, dessen Karrierehöhepunkt sicher das WM-Finale 1970 zwischen Brasilien und Italien (4:1) im Aztekenstadion von Mexiko-Stadt war und der auch bei der EM 1972, der WM 1974 sowie im UEFA-Cup-Finalrückspiel 1976 zwischen dem FC Brügge und dem FC Liverpool (1:1) im Einsatz sein sollte.

„Kurz vor Schluss gab Glöckner Elfmeter für Union“, feiert Rolli noch heute: „Mecky Lauck trat an und haute das Ding zum 2:1 für uns in die Maschen!“


Joachim Sigusch im Kampf mit Torwart Jürgen Croy, links der Zwickauer Spieler Schellenberg; DDR-Oberliga, BSG Sachsenring Zwickau – 1. FC Union Berlin 2:0 am 1. März 1980

Bereits in seiner ersten Spielzeit in Berlin erwuchs Weber zum Stammspieler. Jenem ersten Einsatz sollten weitere 204 Eiserne Pflichtspiele folgen: „Von 1970 bis 1982 spielte ich bei Union, bin mit dem Verein zweimal abgestiegen und zweimal wieder auf.“

„Bitte notieren, ich bin nie abgestiegen!“, drängt sich Potti an dieser Stelle ins Gespräch, „da lege ich großen Wert drauf.“

Rolf Weber zeigt sich bei diesem Thema deutlich selbstkritischer: „Beim zweiten Abstieg 1980 war ich bei der Armee, aber ich musste mich trotzdem mitverantwortlich fühlen. Ich war fast die ganze Serie dabei gewesen. Potti war schon bei der Armee, Bernd Wargos stand im Tor, und noch vorm Ende der Saison wurde ich einberufen.“

„Überraschende“ Einberufungen in die NVA sollten den 1. FC Union Berlin die gesamte DDR-Zeit begleiten. Um 1979/80 kamen diese jedoch geballt auf die Eisernen zu. Es war jene Zeit, über die Heinz Werner mir gegenüber in einem 2020 geführten Gespräch sagte: „Meiner Mannschaft wurde das Rückgrat gebrochen.“

Nicht nur für Union war es schwierig, neue Spieler zu verpflichten. Das hatte zumeist weniger mit fehlenden finanziellen Voraussetzungen zu tun, wie Weber unterstreicht: „Das hatte vor allem sportpolitische Ursachen! Es ging da ja nicht um Union! Man durfte generell nicht zwischen den Fußballklubs wechseln. Entweder man wurde delegiert, oder es ging gar nichts, so einfach war das! Hansa Rostock gestattete irgendwann ein paar Leuten, die aufhören wollten, eine Liga runter zu Stahl Brandenburg zu gehen.“

Der Wechsel von Joachim Streich von Hansa Rostock zum 1. FC Magdeburg im Jahre 1975 fällt für Weber ganz klar unter die Rubrik „Delegierung“. In der Tat hatte Streich von der Küste zum FC Carl Zeiss Jena wechseln wollen. Dies jedoch habe der nationale Fußballverband DFV nicht zugelassen und ihn vor die Wahl gestellt, entweder mit Rostock in die DDR-Liga abzusteigen oder zum nahezu frischgebackenen Europacup-Sieger nach Magdeburg zu gehen.

Auch Joachim Siguschs Weg nach Köpenick war schließlich lang, abenteuerlich und mit etlichen Umwegen gespickt gewesen.

Dass der 1. FC Union Berlin für Wolfgang Matthies auch schon während seiner aktiven Zeit im Verein etwas ganz Besonderes darstellte, dafür sorgten unter anderem die vom Union-Anhang angestimmten Gesänge und Äußerungen. Längst nicht nur jene, die explizit seiner Person gewidmet waren wie der Ruf „Heu, heu, heu, Matthies kommt vor Croy!“ oder das von Union-Urgestein Helmuth Hellge8 gedichtete, auf die Melodie von „Eine Seefahrt, die ist lustig, eine Seefahrt die ist schön …“ zu singende Lied:

Unser Torwart, der heißt Matthies,

und er hält so gut wie Croy,

und wenn Croy mal alt und grau ist,

dann ist Matthies noch wie neu!

Besonders berührte Potti der mitunter bei Freistößen gebrüllte Ruf „Die Mauer muss weg!“– „Da ist mir immer ‘ne Gänsehaut rübergeloofen, wenn ich im Tor stand und die Leute das schreien hörte. Es war ein schönes Gefühl, dass Menschen so was äußern durften, ohne bestraft zu werden.“

Matthies war nie ein DDR-Patriot, ganz im Gegenteil: „Als die BRD bei der WM 1974 das Gruppenspiel gegen die DDR verlor, war für mich ein Trauertag!“ Und das, obwohl in der siegreichen Mannschaft jenes Tages sein einstiger Mannschaftskamerad Reinhard „Mecky“ Lauck mitspielte und die prominenten westdeutschen Gegenspieler Wolfgang Overath und später Günter Netzer mächtig alt aussehen ließ.

„Mit Mecky hab ich noch kurz zusammengespielt… Wir kannten uns aus der Kneipe“, bringt Potti für mich zum Ausdruck, dass beide einander offenbar ganz gut verstanden. Wie viele andere sieht Matthies den vielleicht besten Fußballer, den Union je hatte, vor allem als große tragische Gestalt: „Richtig glücklich wurde er nicht nach seinem Wechsel zu den Weinroten. Union, das war ja auch sein Leben.“ Matthies ist bis heute weit davon entfernt, den Stab über seinen Berufskollegen zu brechen. „Das entscheidet jeder für sich … Mecky hat sich so entschieden, sicher auch, weil er in der Nationalmannschaft spielen wollte – aber wie gesagt, glücklich wurde er damit nicht!“

In Sachen Klubfußball hegt Wolfgang Matthies bis heute eine besonders tiefe Abneigung gegen den BFC Dynamo, der zu DDR-Zeiten dem Ministerium des Inneren unterstand und dessen prominentester Anhänger Erich Mielke war, seines Zeichens Minister für Staatssicherheit und Vorsitzender der Sportvereinigung Dynamo.

Generell hatten die Union-Spieler jener Tage ausgesprochen wenig mit ihren weinroten Berufskollegen am Hut, wie Joachim Sigusch 2017 betont: „Wenn wir die trafen, guckten wir weg. Das war ja auch zu doll, was da teilweise mit uns betrieben wurde.“

„Man muss das ein kleines bisschen relativieren“, zeigt sich Rolf Weber heute deutlich nachsichtiger: „Neben den Delegierungen von Mecky Lauck oder Detlef Helms kamen ja auch ein paar Spieler vom BFC zu uns, die bei Union eine ganz ordentliche Rolle spielten.“ In diesem Zusammenhang nennt er Rainer Rohde, Rainer Wroblewski, später Ralf Sträßer und, besonders hervorzuheben, Olaf „Leo“ Seier. Dadurch habe sich die ansonsten tief sitzende Feindschaft zumindest ein wenig aufgeweicht: „Rainer Rohde hatte ja noch seine Brüder bei Dynamo, die durchliefen alle die BFC-Schule, Wroblewski erst die bei Dynamo Rostock, bevor er nach Berlin kam. Die waren alle verwurzelt mit dem BFC und spielten am Ende ihrer Laufbahn ein paar gute Jahre bei uns.“

„Letztlich integriert haben wir Rohde nicht“, wirft Sigusch allerdings ein, worauf Weber ergänzt: „Die waren ja eine ganz andere Truppe als wir. Nach‘m Spiel kamen die auch nicht mit uns in die Kneipe, sondern fuhren nach Hohenschönhausen ins Mazurka, wo der BFC feierte. Unabhängig davon sahen wir sie innerhalb der Mannschaft nicht als Feinde. Es war nicht so, dass wir die schnitten. Ganz im Gegenteil, der Rainer Rohde hatte in meinen Augen einen ganz großen Anteil daran, dass wir 1976 wieder in die Oberliga aufstiegen. Auch Leo Seier spielte mehrere Jahre eine gute Rolle bei Union. Potti, du hast ihn ja noch erlebt.“

„Ja, klar, mit Seier hab ich noch gespielt“, bestätigt Matthies, „und ihn muss ich da ganz klar rausnehmen.“

Die besonderen Beziehungen zu den weinroten Berufskollegen von einst bestehen teilweise bis heute. Vor einigen Jahren traf Joachim Sigusch in einem Spiel der Alten Herren in Schmöckwitz auf Frank Terletzki, welcher viele Jahre das Trikot der Hohenschönhausener getragen hatte.

„Das Spiel ging grad mal zehn Minuten, da kriegte ich von dem schon das erste Ding“, berichtet Sigusch. „Der haute mich um, und dann ging das immer so weiter, auch verbal. Irgendwann rief der Schiedsrichter uns beide ran: ,Meine Herren, wenn das nicht nachlässt, stelle ich euch beede runter!‘ Mit Ach und Krach gelang es Terletzki und mir, bis zum Abpfiff aufm Platz zu bleiben.“

5Bei der besagten Partie handelte es sich höchstwahrscheinlich um den 3:1-Heimsieg von Union gegen Stendal am 13. Mai 1967, dem 26. und finalen Spieltag der DDR-Oberliga. Hier standen laut Statistik von sport.de sowohl Sigusch wie auch Wruck auf dem Rasen.

6Die Abkürzung BA steht für „Bekleidung und Ausrüstung“. In besagter Kammer lagerte alles, was Armeeangehörigen bei der Einkleidung ausgehändigt wurde.

7Gemeint sind die beiden berühmten Union-Spieler Günter „Jimmy“ Hoge und Wolfgang „Ate“ Wruck. Während Sigusch Ersteren nur noch im Training kennenlernte, bestritt er mit Wruck über mehrere Jahre etliche Spiele, ehe „Ate“ nach der Saison 1973/74 zur BSG Bergmann-Borsig Berlin wechselte.

8Helmuth Hellge war ab 1966 förderndes Mitglied bei Union. Neben vielen anderen ehrenamtlichen Aktivitäten im und für den Verein machte er sich vor allem als Mitgestalter des seit 1967 erscheinenden Journals Union-Informationen verdient, wo er unter der Leitung von Bernhard Braunert mit Dieter Hobeck, Klaus-Jürgen Hoffmann sowie Horst Schrader zusammenarbeitete. Anfang der 2000er aus Altersgründen ausgetreten, wurde Hellge 2016 zum zweiten Mal offizielles Vereinsmitglied des 1. FC Union Berlin – mit 94 Jahren!

Eisern zwischen den Pfosten

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