Читать книгу Der Tempel der Drachen - Frank Rehfeld - Страница 5

Оглавление

Prolog


Wie eine Vision schälte sich die Dämmerschmiede aus den Dunstfetzen, die rauchigen Fingern gleich aus den Nebelschründen aufstiegen; ein bizarrer, unwirklich anmutender Schatten, der hinter den grauen Schleiern zu tanzen schien und nur widerwillig feste Gestalt anzunehmen begann.

Der Mann mit der Wolfsmaske vor dem Gesicht blieb einen Moment stehen, um das Bild in sich aufzunehmen. Unzählige Male war er bereits hier gewesen, und doch faszinierte ihn der Anblick jedes Mal erneut so stark, wie am ersten Tag. Vielleicht, dachte er, weil es ihm in all den seither verstrichenen Jahrhunderten nicht gelungen war, das Geheimnis zu ergründen, das diese Ort im absoluten Nichts umgab; so wenig, wie es ihm jemals gelingen würde. Niemand wusste, wer die Dämmerschmiede erbaut hatte. Sie existierte seit Äonen von Jahren, das Relikt einer lange vergangenen und vergessenen Epoche; eine kosmische Burg, die so unwirklich und gleichzeitig real wie alles andere hier war. Möglicherweise war sie nur eine gestaltgewordene Illusion, ebenso wie die kristallene, in den Farben des Regenbogens funkelnde Brücke, auf der er stand.

Obwohl nicht der leichteste Wind wehte, schien ein kalter Hauch den Mann zu streifen. Unheimliche, fremdartige Laute drangen aus der Tiefe der Nebelschründe an sein Ohr und erinnerten ihn daran, dass es nicht ungefährlich war, sich länger als nötig hier aufzuhalten. Die Brücke war mehr als nur irgendein Viadukt, der über irgendeine Schlucht führte. Sie bildete einen Pfad zwischen den Welten, und so rätselhaft die sternenlose Schwärze war, die sich anstelle eines Himmels darüber spannte, so unergründlich blieben die Mysterien, die sich am Grund der Schründe unter dem wogenden Nebel verbergen mochten.

Der Mann setzte seinen Weg fort. Ein enttäuschtes Seufzen und Wispern verklang in der Leere hinter ihm. Auch als er sich der Dämmerschmiede weiter näherte, vermochte er sie nicht deutlicher zu sehen, ihm blieb nur die flüchtige Vision eines unermesslich großen Bauwerks - voller aus sich selbst heraus strahlender Kuppeln, filigraner Türmchen und kühn geschwungener Brücken, doch sobald er es genauer zu betrachten versuchte, schien es sich seinen Blicken immer wieder zu entziehen. Auch seine Magie versagte gegenüber den hier herrschenden Kräften, die zu begreifen er sich nicht einmal die Mühe machte. Die gewohnten Gesetze von Raum und Zeit verloren an diesem Ort ihre Gültigkeit, und wer sich allzu intensiv damit beschäftigte, dessen Verstand würde sich verwirren.

Die Brücke endete vor einem weit geöffneten Portal, und der Mann betrat die Dämmerschmiede. Wie bei ihrer äußeren Form, trogen ihn auch in ihrem Inneren seine Wahrnehmungen. Die Halle schien endlos sein, aber die Perspektiven verschoben sich ständig, sodass er nicht mit Sicherheit zu sagen wusste, wo die Realität endete und die Trugbilder begannen.

Er wurde bereits erwartet. Eine hünenhafte Gestalt mit wallenden schwarzen Haaren und einem edel geschnittenen Gesicht trat ihm entgegen.

Charalon, der Ewige, der tiefer als jeder andere in die Geheimnisse der Magie vorgedrungen und dabei auf Dinge gestoßen war, die ihn gestärkt und verändert hatten. Der Legende nach hatten die Götter selbst ihm den Weg über die Regenbogenbrücke gewiesen und ihm den Auftrag erteilt, den Orden der Ishar zu gründen. Aber er hatte in seiner Wissbegier an Mächte gerührt, die sich nicht ungestraft heraufbeschwören ließen, und einen hohen Preis dafür bezahlen müssen. Er war zu einem Gefangenen der Dämmerschmiede geworden, ein körperloses Gespenst, dazu verdammt, bis ans Ende aller Zeiten ihre Geheimnisse zu hüten.

"Sei gegrüßt, Bruder Wolf", sagte er mit volltönender Stimme, die so wenig wirklich wie sein ganzer Körper war. Er bot eine imposante Erscheinung, die durch seine eng anliegende silberne Kleidung und den schwarzen Umhang noch betont wurde, aber es war nur eine durch seinen Geist erschaffene Illusion.

Der Mann mit der Maske schaute sich nach den anderen elf Magiern des Inneren Zirkel um, doch obwohl er befürchtet hatte, als Letzter einzutreffen, konnte er sie nirgendwo entdecken.

"Sie wissen nichts von diesem Treffen, ich habe nur dich gerufen", erwiderte Charalon, der seinen fragenden Blick bemerkte. "Ich weiß, das ist ungewöhnlich, aber ich möchte etwas mit dir allein besprechen. Wir sind unter uns, du brauchst dein Gesicht also nicht zu verbergen."

Der Mann nahm die Wolfsmaske ab und schlug auch die Kapuze seines Mantels zurück. "Es geht um Aylon", vermutete er.

Charalon nickte. "Ich finde, es ist an der Zeit, dass er die Weihe erhält."

"Aber er ist noch ein halbes Kind. Seine Ausbildung ist längst nicht abgeschlossen."

"Was ihm noch fehlt, ist in erster Linie Erfahrung, er muss lernen, sich aus eigener Kraft in der Welt zu behaupten. Am besten wäre es, er würde für eine Weile nach Maramon gehen. Ich habe seine Entwicklung aufmerksam verfolgt, und er scheint mir reif genug für die Magierweihe."

Unschlüssig drehte Bruder Wolf die Maske in den Händen. "Warum diese plötzliche Eile?", erkundigte er sich. "Es kommt doch auf ein oder zwei weitere Jahre nicht an."

"Wenn es nur um die Weihe ginge, dann nicht, aber ich habe noch etwas anderes mit Aylon vor. Dank seiner Begabung könnte er meinen Reif bergen."

"Der Reif? Niemand ..."

"Glaub mir, ich habe mir diesen Schritt gründlich überlegt. Aylon wäre aufgrund seiner Herkunft als Einziger in der Lage, das Siegel zu umgehen."

"Und wenn nicht, sprechen wir sein Todesurteil!"

"Auch das ist möglich", räumte Charalon ein. "Doch uns bleibt keine andere Wahl, als es zu riskieren, das weißt du so gut wie ich. Die Lage auf Arcana verschlimmert sich immer mehr. Wir dürfen den Reif nicht mehr länger versteckt halten. Sorge dafür, dass Aylon ihn aus der versiegelten Kammer holt. Er wäre ein würdiger Träger."

"Aber das bedeutet auch, ihn in Geheimnisse einzuweihen, die seit Jahrhunderten gehütet werden", wandte der Mann ein. "Dieses Wissen könnte seinen Geist überfordern. Er wird in die verbotete Zone gehen müssen."

"Das ist unvermeidlich. Aber er ist intelligent und stark. Sofern ihn nicht das Siegel vernichtet, wird ihm nichts passieren."

Der Mann schwieg. Schließlich nickte er zögernd. "Ich fürchte, du hast recht, auch wenn es mir nicht gefällt. Ich werde alles Nötige veranlassen."

Kurz darauf machte er sich über die Regenbogenbrücke auf den Rückweg in seine Welt. Stille senkte sich wieder über die Dämmerschmiede und ihren zu ewigem Leben verdammten Hüter; Stille und Einsamkeit.

Der Tempel der Drachen

Подняться наверх