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Ende mit Wende (1989/90)

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Zu den Gaben des Staates an begabte Nachwuchskünstler gehörten besondere Stipendien mit der Absicht, herausragende Leistungen zu prämieren und zu stimulieren. Man sollte aber dazu wissen, dass jeder Student in der DDR ein Grundstipendium bekam – es belief sich auf 210 Ostmark pro Monat und garantierte angesichts spottbilliger Mieten und niedriger Lebensmittelpreise ein im Grunde sorgenfreies Auskommen. Wie verhielt es sich mit dem Leistungsstipendium, das Sie zusätzlich zum normalen erhielten?

TV: Es wurde uns als Auszeichnung für den gewonnenen Wettbewerb in Evian zugesprochen, so wie jedem Preisträger eines internationalen Wettbewerbs. Dieses »Mendelssohn-Stipendium« belief sich auf über 400 Mark im Monat und ergab zusammen mit dem Grundstipendium fast das durchschnittliche Nettoeinkommen eines normalen Arbeiters oder Angestellten. Es war mehr als genug, wenn man noch die Preisgelder selbst und die laufenden Konzertgagen in Ost und West hinzurechnete. Als wir uns nach der Verleihungs-Zeremonie zur ersten Quartett-Probe wiedersahen, meinte einer von uns, wir sollten doch alle einmal unsere Konten beschauen. Zu unserer großen Verblüffung war der monatliche Betrag doppelt überwiesen worden, einmal vom Ministerium für Kultur, ein zweites Mal von unserer Musikhochschule, offenbar ohne voneinander zu wissen. Wir warteten noch den nächsten Monat ab – wieder doppelte Zahlung –, und wahrscheinlich wäre das endlos so weitergegangen, wenn nicht protestantisch-preußisches Pflichtbewusstsein und eine anerzogene Ehrlichkeit uns dazu angehalten hätten, davon Meldung zu machen. Im Gegensatz zu einigen anderen uns damals bekannten Fällen, wo man die Sache weiterlaufen ließ. Ohne Dank oder anderen Kommentar blieb es bei uns dann bei nur einer Zahlung.

FR: Hm … wir dachten aber, dass die Stasi unsere Ehrlichkeit testen wollte, haben ausführlich darüber beraten und kamen zu dem Schluss, dass man dies als Einzelstipendiat vielleicht noch »übersehen« haben könnte, wenn es auffliegt, nicht aber zu viert. Also haben wir es gemeldet, denn das konnte ja nur ein Test sein. Wir fanden später heraus, dass es schon jahrelang bei allen Stipendiaten so gelaufen war.

In gewisser Weise waren die Vorzüge Ihres Lebens in der DDR-Hauptstadt eine kleine Kompensation für die enormen Anstrengungen, die Sie auf sich nahmen, um als Berufsquartett zu bestehen. Ich denke dabei gar nicht in erster Linie an die Strapazen des Reisens oder die unerhörte Konzentration, die ein Konzertabend abverlangt. Sie waren von Evian de facto mit vier geprobten Stücken zurückgekommen und brauchten doch erst noch ein Repertoire, mit dem Sie professionell konzertieren konnten. Also müssen Sie in den ersten Jahren eigentlich ununterbrochen neue Werke einstudiert haben. Wo ist das geschehen?

SFO: Geprobt haben wir in der Regel bei meinem Vater in Berlin-Weißensee, der als Bischof eine Dienstwohnung hatte. Sie lag in einem enggeschossigen, langgestreckten Gebäude, das eher einer Baracke ähnelte. Innen sah es aus wie ein DDR-Neubau, mit relativ niedrigen Decken, aber auch einer ganzen Menge mehr oder weniger großer Räume. Eines der Wohnzimmer bot ausreichend Platz für uns – darin konnten wir bis spätabends üben, so oft und so lange wir wollten. Direkt daneben lag das Arbeitszimmer meines Vaters, der nach dem Tod meiner Mutter 1987 diese menschlich-akustische Belebung wohl nicht ungern sah und sie sogar einmal kurioserweise quasi dienstlich zu nutzen wusste. Als er einen Routinebesuch vom Ständigen Vertreter der Bundesrepublik bekam – es war damals Hans Otto Bräutigam –, bat er uns, irgendetwas Kräftiges und Lautes zu spielen, damit eventuell mitlauschende Sicherheitsbehörden größere Schwierigkeiten hätten, die Gespräche der beiden zu verstehen.

Ist das eine Vermutung oder wart Ihr tatsächlich verwanzt?

SFO: Wir wohnten Parkstraße 21 in direkter Nachbarschaft zur Parkstraße 22, in der die SED-Kreisleitung beheimatet war. Man hätte mit einem Richtmikrofon direkt auf unsere Fenster zielen können. Aber ich bin dem niemals nachgegangen.

FR: Aber ja, ihr wart verwanzt, ich erinnere mich. Da keiner von uns ein Telefon zu Hause hatte, bat ich einmal für einen dringenden Anruf um Benutzung des Diensttelefons im Büro deines Vaters. Als ich meine Nummer gewählt hatte, knackte es kurz in der Leitung und eine Stimme sagte – sie klang wie von nebenan: »Legen Sie bitte auf und wählen Sie noch einmal neu.« Da hatte sich einer verstöpselt, und erst beim zweiten Versuch klappte die Verbindung. Ein klarer Fall.

SFO: Im Grunde hat sich an der Proben-Lokalität bis heute wenig geändert, denn ich wohne wieder in der Parkstraße, allerdings in einem anderen Haus. Dort haben wir einen Probenkeller, der sehr geräumig und perfekt ausgestattet ist. Den nutzen wir, sooft es nötig ist. Wenn es zwischenzeitlich nicht möglich war, zu Hause zu üben, konnten wir manchmal, aber nicht sehr oft, in die Musikhochschule gehen; zumeist aber haben wir dann in der Stephanus-Stiftung in Weißensee proben können und die Miete in Form eines jährlichen Konzerts entrichtet. Diese kirchliche Stiftung, ein Pflegeheim für Senioren, ist nach der Wende stark umgebaut worden; Baulärm und Presslufthämmer haben uns nicht abhalten können, sie mit Klängen neuer Musik zu kontern, aber es war für uns damals eine ganze Zeit lang eine extrem stressige Situation.

Sie mussten sich, um konzertieren zu können, die Quartett-Literatur gleichsam von null auf hundert aneignen. Was und wie haben Sie geprobt?

TV: In der Tat hat uns Evian mit vier Stücken entlassen, es kamen noch ein Mozart und ein Beethoven dazu, die wir auch geprobt und als eine Art Reserve im Gepäck hatten. Ein viel zu kleiner Grundstock für eine Konzert-Karriere! Uns ist dann aber das ein Jahr währende, schikanöse Reiseverbot während des Studiums in gewisser Weise zum Vorteil ausgeschlagen, denn in dieser Zeit konnten wir uns nun erst einmal eine Reihe neuer Werke erarbeiten. Dennoch standen wir vor der veränderten Situation, dass der Mentor, Professor Feltz, der die Stücke für Evian intensiv mit uns erarbeitet hatte, danach nicht mehr in gleicher Weise zur Verfügung stand und wir gewissermaßen allein auf uns gestellt waren. Wir empfanden das, namentlich im Hinblick auf die großen, vielgespielten, aber schwer zu realisierenden Brocken wie etwa Schuberts »Der Tod und das Mädchen«, als eine ziemlich riskante Situation für uns Neulinge. Natürlich haben wir zur Kontrolle die Stücke hin und wieder Herrn Feltz oder auch meinem Vater einmal vorgespielt, um sicher zu sein, dass wir in der Stilistik der Interpretationen nicht ganz danebengegriffen hatten. Aber die eigentliche formale, inhaltliche, dramaturgische Durchdringung der Werke, auch die technischen Festlegungen vom Tempo über Dynamik und Agogik bis zum Bogenstrich, das alles musste nun überwiegend im internen Dialog unter uns vieren überlegt und festgelegt werden. Damals war es so, dass wir gegenüber den Veranstaltern meist selbst bestimmen konnten, wie unser Konzertabend aussehen soll, das heißt, es konnten die Stücke sein, bei denen wir uns besonders wohl fühlten, weil sie hinlänglich geprobt waren. Darunter befand sich stets ein Werk der neuen Musik, für die wir uns durch den Sieg in Evian mit dem Stück von Ligeti besonders prädestiniert fühlten – eines unserer Markenzeichen eigentlich bis heute.

SFO: Ich muss hier nicht gerade widersprechen, aber so ganz ohne erfahrene Anleitung waren wir dann doch nicht, und zwar auch über Professor Feltz und deinen Vater hinaus. Zum Beispiel haben wir direkt nach Evian eine Einladung vom LaSalle Quartet zu ihrem Meisterkurs nach Basel bekommen, wo wir ganz intensiv Haydns op. 20/4 und Beethovens »Große Fuge« erarbeiteten. Sie legten uns nahe, unbedingt die Quartette der Zweiten Wiener Schule zu studieren – was wir auch getan und später mit ihnen gemeinsam geprobt haben. Wir besuchten auch andere Kurse wie etwa das Orlando Festival in Kerkrade (Holland), wo wir durch Kontakte und Fachgespräche mit András Mihály, Arnold Steinhardt oder Sándor Végh durchaus viel gelernt haben.

Wir lernen Eberhard Feltz in den biographischen Monologen ausführlich als charismatischen Hauptfachlehrer für Violine kennen, an dieser Stelle sollten wir aber noch detaillierter etwas über seine Rolle als Mentor des Quartetts erfahren.

TV: Er war auch in der Quartettarbeit eine wirkliche Koryphäe und verstand es, mit uns wie ein Dirigent Partituren zu erarbeiten. Er studierte sie so lange, bis sie in Bezug auf Architektur, Harmonik, Polyphonie und auf das Verhältnis von Haupt- und Nebenstimmen vollständig transparent wurden. Er war ein Meister in ihrer psychologischen Ausdeutung, indem er quasi jeder Stelle einen inhaltlichen Sinn gab, der auch mit der formalen Position innerhalb des Ganzen korrespondierte und übereinstimmte. Dadurch hatten wir einen Wettbewerbs-Vorteil gegenüber anderen Gruppen, die vielleicht nicht weniger gut gespielt haben, denen aber, wie soll ich sagen, ein solches visionäres Konzept fehlte, das bei uns stets auch beim Spielen durch die Zusammenarbeit mit Feltz im Hinterkopf präsent war.

Sie haben also die Stücke erst einmal für sich bis zu einer gewissen technischen Reife geübt und sie ihm dann vorgetragen, um das Resultat gemeinsam zu diskutieren und in eine definitive Klangform zu bringen.

FR: Na ja, das von uns Gespielte wurde von ihm stets mit allerhöchster Aufmerksamkeit angehört und, wenn nötig, erbarmungslos erst einmal wieder auseinandergenommen und einem neuen Probieren ausgesetzt. Dabei ging es wirklich um alle Facetten des Quartettspiels. Vor allem aber immer darum, der Musik ein unverwechselbares Profil zu geben, Geschichten zu erzählen, erfüllt zu spielen. Seine Bilder zu bestimmten Stellen habe ich bis heute im Kopf. Und ich höre bis heute sein knurrendes, forderndes »noch!« während unseres Spiels. Wir dachten, dass wir bereits ziemlich gut ausführten, was er von uns verlangte. Er aber wollte mehr. Ich erinnere mich an den 2. Satz von Brahms Streichquartett op. 51/2. Es gibt einen großen dramatischen Dialog zwischen erster Geige und Cello. Das Cello war ihm nicht charakteristisch, vor allem nicht kräftig genug, und wir spielten die Stelle so lange, bis Stephan, schon mächtig in Rage, regelrecht mutwillig forcierte für unsere Ohren. Feltz sagte dann: »Ja, so war das Cello ein bisschen besser zu hören, aber 50 % mehr musst Du schon noch geben.« Er führte uns über unsere Grenzen hinaus. Und er stellte Aufgaben – ein wichtiger Teil des Unterrichts konnte seine lapidare und für ihn ganz typische Frage zu einer musikalischen Passage sein, »Was ist das?«, ohne sie zu beantworten. Und da wir natürlich keine Antwort wussten, schleppten wir die Frage verunsichert bis zum nächsten Termin mit uns herum. Heute denke ich, dass er genau das beabsichtigte: keine Antwort, sondern Nachdenken, das zu eigenen Einsichten und damit zu neuen klanglichen Visionen führen konnte.

SFE: In dieser Hinsicht möchte ich Tims Vater erwähnen. Die Feltz’schen Sentenzen – ihr Geiger kanntet ihn ja besser – blieben mir in ihrer Abstraktheit und Lakonie doch gelegentlich etwas rätselhaft. Dann war es Michael Vogler, der – wenn er uns als Quartett ebenfalls zeitweise betreute – solche enigmatischen Verlautbarungen ein wenig ausgedeutet und in eine praktische Richtung übersetzt hat.

SFO: Einen Tag vor der Abreise nach Evian haben wir Feltz noch einmal das a-moll-Quartett von Brahms vorgespielt. Seine Reaktion: »Ich weiß nicht, also der letzte Satz …« Er hat unsere ganze Konzeption des Finales gleichsam noch einmal auf den Kopf gestellt, und wir dachten: Muss das jetzt so kurz vor dem Wettbewerb noch sein! Er hatte das Gefühl, dass musikalisch irgendetwas noch nicht stimmte und anders gespielt werden müsste. Wir haben das dann auch probiert und wahrscheinlich – den schließlichen Erfolg bedenkend – war es etwas, das wir noch gebraucht haben. Aber man frage nicht, was es eigentlich war! So geht es eben manchmal mit der Musik.

SFE: Mir ist aus dieser ganzen Anfangs- und Aufbruchssituation vor allem der ständige zeitliche Druck in Erinnerung, unter dem wir probten und spielten. Und wir probten und spielten sehr viel, denn wenn unser Repertoire zunächst auch relativ klein war, so wollten wir es doch in maximaler Qualität erhalten und verbreiten. Wir haben immer an der Kante gearbeitet, mussten Neues einstudieren, Bekanntes repetieren, dieses lernen, jenes aufbereiten. Es gab Anfragen nach Stücken, die wir noch nicht konnten, und es gab Wünsche von uns selbst, gewichtige Lücken im Repertoire zu füllen, wofür allerdings die Zeit zunächst fehlte. In puncto planerische Logistik vollzog sich unser Quartettleben zumeist in harten, angespannten Situationen.

SFO: Natürlich, wir hatten Konzertverpflichtungen und ein dünnes Repertoire, also mussten wir lernen, zu jeder Zeit, bei jedem Wetter. Im heißen Sommer 1986 beispielsweise probten wir in meiner Pankower Wohnung, und jeder hatte eine Schüssel mit kaltem Wasser, in das wir die Füße tauchen konnten. Wir haben so lange geprobt, bis die Nachbarn an die Wand klopften. Nachdem sie uns aber einmal in der »Tele-Illustrierten« des Westfernsehens gesehen hatten, war großes Staunen und alles gut: Wir durften danach üben, so viel und solange wir wollten. Und wir nutzten auch jede Minute, um unser schmales Repertoire zu erweitern. Aber andererseits haben wir uns auf Reisen auch die Zeit genommen, Sehenswürdigkeiten zu betrachten und Museen zu besuchen, vor allem die von uns so besonders geliebten Impressionisten zu bestaunen. Man hatte ja immer das Gefühl, sich in einer Karriere auf Abruf zu befinden, vielleicht nicht wiederkommen zu dürfen. Jeder Besuch konnte der letzte sein – diese Verunsicherung hatte man immer mit im Gepäck, sozusagen als Drohung des Staates, sich im Ausland stets nach dessen Normen (die mitgegeben wurden) bei Strafe botmäßig verhalten zu müssen.

FR: Ich war während der Geigenstudienzeit erstmalig mit dem Quartett für ein paar Tage in Paris, obwohl ich mich auf das DDRinterne Auswahlvorspiel für die Teilnahme am Carl-Nielsen-Wettbewerb in Dänemark vorbereiten musste. Das berauschende Erlebnis der Stadt, ihr einzigartiges Flair, ihre phantastischen Museen, ihr gewaltiger Reichtum an Architektur wie an Restaurants ließen mich die Geige vollständig vergessen. Erst in Berlin holte mich die Realität wieder ein, als Professor Feltz mich nach dem Stand meiner Vorbereitungen fragte. Ich hatte noch gar nicht begonnen! Er muss entsetzt gewesen sein. Aber statt verärgert zu reagieren, hat er nur gesagt: Du schaffst das, ich helfe Dir. So haben wir dann in zwei Tagen und Nächten das Violinkonzert von Carl Nielsen op. 33 und den Rest meines Programmes einstudiert. Ich fuhr zum Vorspiel nach Leipzig, spielte für meine Verhältnisse außergewöhnlich gut und wurde für die Teilnahme am Wettbewerb nominiert.

TV: So etwas konnte vorkommen, aber trotzdem ging es uns normalerweise wie zum Beispiel Tennisspielern, in deren Welt nur Leistung und Erfolge zählen. Man denkt, die haben ein tolles Leben, verdienen Millionen. Aber in Wirklichkeit leben sie nur auf dem Tennisplatz; das nächste Spiel steht bevor; sie haben den Druck, dass sie gewinnen müssen, weil im anderen Fall das Aus kommt wie das Amen in der Kirche. Sie müssen also alles andere ausblenden und sich ausschließlich auf ihr Spiel konzentrieren. Ich denke, so sehr unterscheiden wir uns davon nicht.

Wie hat solche Fixierung Ihr Verhältnis zu anderen Menschen, besonders zu Ihnen nahestehenden geprägt, zu Frauen oder Freundinnen beispielsweise?

SFO: Quartett und Frauen – das war ein schwieriges Thema. Ich hatte damals etwa zeitgleich mit der Quartettgründung eine Freundin. Es ergab sich ganz klar eine Konkurrenzsituation in zweifacher Hinsicht: Man stelle sich vor, von den 365 Tagen haben wir vielleicht 350 Tage geprobt, meistens sogar zweimal am Tag jeweils drei, dreieinhalb Stunden. Dazu kamen die langen Fahrtwege in dieser trotz Halbierung großen Stadt. Das Problem bestand aber nicht nur in der puren zeitlichen Knappheit für anderweitige Zuwendung, sondern auch in der besonderen hermetischen Vertraulichkeit der Quartettsituation mit ihrem internen kommunikativen Reichtum, der einen Außenstehenden leicht eifersüchtig machen kann.

FR: Das kann ich nur bestätigen. Es gibt sehr viele Leute, die kaum weniger intensiv arbeiten als wir, und eine Frau, die sich mit uns einlässt, weiß eigentlich, was sie zeitlich erwartet. Schlimmer ist in der Tat dieser unterschwellige Neid auf die besondere Art von Intimität, die das Quartett bietet, auf eine bestimmte Intensität des Gefühls und unbeschreibliche Erfülltheit bei der Arbeit; Investitionen also, von denen der Partner gern glaubt, dass sie ihm entzogen seien. Er muss schon besonders großzügig veranlagt sein, um solche Gefühle nicht in sich zu nähren, und dennoch drohen die Beziehungen trotz ernsthaften Bemühens oft zu scheitern. Es ist schwer zu verkraften, dass das Quartett die Nummer 1 in unserem Leben stets war und bis heute geblieben ist.

Einmal angenommen, die ersten Hürden einer Beziehung waren glücklich überwunden, so musste man doch sogleich zur Endstation der Ehe gelangen, musste sie zumindest deklarieren, um überhaupt an eine der kostbarsten Raritäten im Arbeiter- und Bauernstaat zu gelangen: eine eigene Wohnung.

TV: Als Berliner Kind habe ich lange bei meinen Eltern gelebt, während die Auswärtigen im Quartett zur Untermiete oder im Internat wohnten. Ich will nicht fragen, wer im Hinblick auf erotische Versuchungen das bessere Los gezogen hatte, ich jedenfalls hatte ein Zimmer zu Hause; meine Eltern waren, wie das wohntechnisch hieß, »endversorgt«, und somit hatten im Haushalt heranwachsende Kinder keinen Anspruch auf eigenen Wohnraum. Mit ungefähr zwanzig wächst ganz natürlich der Drang, auf eigenen Beinen zu stehen, aber meine Chancen auf eine eigene Wohnung waren gleich null. Um die Geburtenrate zu erhöhen, woran dem Staat sehr gelegen war – er brauchte Arbeiter für die sozialistische Produktion und wollte wohl auch die hohe Zahl von Westabgängen kompensieren –, wurde die Ehe sehr gefördert; aber eigentlich erst, wenn der Nachwuchs sichtbar unterwegs war, begann sich die Bürokratie zu bewegen. Kurzum, es war wieder einmal – zwecks Familiengründung – eine Eingabe an den Stadtbezirk fällig, mit dem Hauptargument, dass ein solches Unterfangen nur gelingt, wenn man sich zuvor in einer gemeinsamen Wohnung ausprobieren könne. Wider Erwarten kam eine Genehmigung, und ich zog, im Glück eines ersten Schritts zur Selbständigkeit, mit meiner damaligen Freundin in eine eigene Wohnung. Geheiratet haben wir – als der Trick gelaufen war – allerdings erst später.

Zu diesem pikanten Thema fehlt nur noch Stefan Fehlandts Kommentar.

SFE: Zu jener Zeit war ich in dieser Hinsicht und auch anderweitig ein klassischer Spätstarter. Ich hatte noch keine Freundin, war mit Haut und Haar dem Quartett verfallen und hatte diesbezüglich also weniger Konflikte.

Ehe wir Ihre Zeit in der DDR zurücklassen, sollten wir etwas darüber erfahren, wie Sie das Ende dieses Landes Ihrer Geburt, Kindheit und Jugend erlebt haben. Ich kann mir lebhaft vorstellen, dass das Jahr 1989 wie für Millionen Ostdeutsche zur aufregendsten Zeit Ihres bisherigen Lebens gehörte. Aber die Aufregungen dieses Jahres begannen bei Ihnen nicht erst im welthistorisch umwälzenden Herbst, sondern gleich zu Beginn des Jahres mit Ihrem ersten Aufenthalt in den Vereinigten Staaten.

SFO: Es handelte sich um eine Einladung des LaSalle Quartets zu einem Studienaufenthalt in Verbindung mit einem einjährigen Stipendium der Universität von Cincinnati. Sie erging schon 1986 unmittelbar nach Evian und war sehr ehrenvoll für uns junge Leute, denn immerhin hatten auch weltbekannte Quartette, angefangen beim Alban Berg Quartett, dieses Angebot wahrgenommen. Die Sache konnten wir erst nach dem Studienabschluss weiter verfolgen, und um dem Amtsschimmel Sporen zu geben, kam – wahrhaft sensationell – der Primarius des Quartetts, der berühmte Walter Levin, den die Nazis 1938 mit seiner Familie aus Berlin vertrieben hatten, zum ersten Mal nach Ostberlin und ging mit uns in das Kulturministerium.

FR: Es war eine köstliche Situation, wie er einem höheren Beamten des Ministeriums, einem vor Unsicherheit zitternden Herrn Domagalla, die Usancen des amerikanischen Stipendiums erklärte und um das staatliche Vertrauen in eine solche Studienreise des Quartetts warb. Er hat sich sehr um uns gekümmert; die LaSalles waren eben daran interessiert, gute Studenten zu bekommen; ihr Programm sollte natürlich glanzvoll dastehen, und wir waren eine Gruppe, die er gern dort haben wollte. Es war für den Herrn Domagalla eine eher peinliche Situation, denn der Fall war zu delikat, als dass er spontan etwas hätte entscheiden können. Wie wir später hörten, hat es intern in der Bürokratie heftige Auseinandersetzungen darüber gegeben, ob man uns fahren lassen solle – es war stets auch eine Frage der Devisen und der Angst vor Beispielen, die Schule machen könnten. Letzten Endes kam aber die Genehmigung, die wir sicher der Fürsprache des Kulturministers Hoffmann, seines Stellvertreters Dietmar Keller und auch der mächtigen Ursula Ragwitz aus der Kulturabteilung des ZK der SED zu verdanken hatten. Sie hegten Sympathie für uns, dachten langfristig an den Nutzen solcher Großzügigkeit – im Gegensatz etwa zum Gatten von Ursula Ragwitz, der als Rektor unserer Hochschule versucht hatte, uns aus Parteiräson Steine in den Weg zu legen. Raffinierterweise erhielten zwei Bedürftige unter uns im Zusammenhang mit der Reiseerlaubnis plötzlich Wohnungen, und für uns alle vier wurde eine gemeinsame Assistentenstelle an der Hochschule genehmigt. Das alles sahen wir als ein Lockmittel zur Rückbindung, einzig zu dem Zweck, unsere Heimkehr unterwegs nicht infrage zu stellen.

SFO: Nach dem Business-Flug für 16.000 DM, den das Ministerium für uns und das Cello zu bezahlen hatte, kamen wir am 8. Februar an und blieben ein Trimester bis Ende Mai. Um in Cincinnati als Studenten akzeptiert zu werden, mussten wir als Erstes einen Sprachkurs absolvieren, aber wir hatten längst in Erwartung des eventuell Kommenden zu Hause etwas Englisch trainiert, so dass uns das keine Schwierigkeiten bereitete.

Wie vollzog sich der Unterricht beim LaSalle Quartet konkret?

FR: Er wurde vom ganzen Quartett durchgeführt, von jedem Einzelnen seiner Mitglieder. Wir haben in dieser Zeit einen großen Grundstock an neuen Werken gelernt, darunter die »Lyrische Suite« von Alban Berg und das große G-Dur-Quartett von Schubert. Ich glaube, wir haben 13 Stücke erarbeitet, also wirklich intensiv studiert, jeden Tag viele Stunden geprobt. Es war insgesamt eine ganz wichtige, herrliche Zeit. Wir wohnten in privaten Häusern bei unseren großzügigen und sehr herzlichen Gastgebern, hatten einen tollen Probenraum und zwei Autos, die wir nutzen konnten, waren umgeben von einem Wohlstand, wie wir ihn bislang nicht kannten.

SFE: Wir haben wirklich viel vom Können und der Erfahrung profitiert, aber die vier Herren standen kurz vor ihrer Trennung, so dass die Atmosphäre während des Unterrichts gelegentlich etwas angespannt war. Wir hatten den Eindruck, dass sie manchmal eher respektlos miteinander umgingen. Walter Levin hatte den Hut auf und sagte uns gleich zu Beginn: »Kinderchen, alles, was ihr mit meinen Kollegen gearbeitet habt, das möchte ich am Ende auch noch einmal hören, denn die können sich manchmal ziemlich vertun!« Es kam auch vor, dass Henry Meyer, der 2. Geiger, mitten in der Lektion des Bratschers den Raum betrat, geräuschvoll seine Aktentasche auf den Flügel stellte, seine Zeitung auspackte und so lange mit lautem Umblättern darin las, bis Peter Kamnitzer mit dem Unterricht fertig war und er beginnen konnte. Er hätte sich ja auch beteiligen und uns oder seinen ungeliebten Kollegen kritisieren können.

Haben Sie noch andere Musiker gehört und kennengelernt?

SFO: Ja, wir haben Itzhak Perlman getroffen, den uns Henry Meyer vorstellte. Das Tokyo Quartet hatte eine Visiting Residency und hat sehr viel gespielt. Der Cellist Alban Gerhard war zur gleichen Zeit Student, mit ihm haben wir uns sehr angefreundet und eine Menge gemeinsam gemacht, Tischtennis und Billard gespielt, Pizzas gebacken and so on … Wir haben eine Menge interessanter Musiker kennengelernt, und überhaupt waren die menschlichen Kontakte mindestens so wichtig wie die fachliche Hauptaufgabe.

Den Gewinn einer solchen Zeit kann man sich wohl vorstellen – die Möglichkeit, sich ganz auf eine Sache zu konzentrieren, fern dem Alltagsstress und gebettet in ein rein künstlerisches Klima. Es war aber doch nicht so, dass Sie von den politischen Vorgängen außerhalb dieser Sphäre, namentlich den politischen Entwicklungen in Ihrer fernen Heimat, ganz abgeschnitten gelebt haben! ?

SFO: Keineswegs, in Amerika habe ich bei meiner Gastfamilie regelmäßig das Wall Street Journal gelesen, eine Zeitung, die bisweilen über europäische Angelegenheiten berichtete, über die ersten freien Wahlen der Duma in Russland, oder es wurde über die DDR bezüglich der Frage spekuliert, wie lange sich im Rahmen der Gesamtkonstellation der Ost-West-Balance der Eiserne Vorhang überhaupt noch halten würde. Als wir nach Ostberlin zurückgekehrt waren, gerieten wir mitten in die Debatten um das chinesische Massaker an demonstrierenden Studenten auf dem Tiananmen-Platz in Peking und waren empört, dass sich die DDR mit den chinesischen Machthabern solidarisierte. Aus einer Erfahrung von großer Freiheit kehrten wir zurück in eine ziemlich bittere und frostige Eiszeit, umso mehr zum Verzweifeln, als sich in Gorbatschows Sowjetunion seit längerem erfreulichstes Tauwetter etablierte, frappierende Vorgänge im Zeichen von »Perestroika« und »Glasnost« in uns neue Hoffnung auf Veränderungen im politischen System weckten.

In dieser Zeit begannen dann auch die Massenfluchten, die grotesken Pressefeldzüge, gehäufte Verhaftungen und Anfang des Herbstes schockierte Honecker seine Bürger durch die fatale Mitteilung, er weine den Tausenden, die der DDR eben wieder den Rücken kehrten, keine Träne nach. Es kam der 7. Oktober, der Feiertag zum 40. (und letzten) Jahrestag mit seiner Staatsfeier im Palast der Republik, der gleichzeitig ersten wirklichen Rebellion von frustrierten Demonstranten rund um die Berliner Zionskirche und den berühmten prophetischen Worten Gorbatschows an die Führung der SED, die damals gefallen sein sollen: »Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.« Und nun kommen auch Sie als Quartett einmal ins politische Spiel und werden – ich scherze ein wenig – von Ihrem Leben bestraft, indem man sich einfach gutsherrschaftlich Ihrer Kunst bediente.

FR: Ja, wir sind eingeladen worden, am 3. Oktober bei einer Veranstaltung im Zentralkomitee der SED für verdiente Genossen mitzuwirken, um als junges, frisches Ensemble die Leistungsfähigkeit sozialistischer Musikausbildung, wie es hieß, zu repräsentieren. Wir fanden, dass wir da in eine prekäre Lage geraten könnten, denn angesichts der Besorgnis erregenden, dramatischen Vorgänge ringsum wollten wir nicht die Letzten sein, die da sozusagen auf der Titanic noch kurz vor dem Untergang spielen.

SFO: Es war so eine hausinterne Veranstaltung. Vorn saß das ganze Politbüro mit Honecker, Krenz, Stoph, Sindermann und so weiter. Wir wurden angekündigt: »Und nun, liebe Genossen, lehnt Euch zurück, jetzt kommt das Vogler Quartett, die gerade in der Tschechoslowakei einen Preis gewonnen haben, und sie werden ein Menuett von Haydn spielen.« Das mit dem Preis stimmte, wir siegten bei einem Rundfunkwettbewerb in Prag. Wir hatten gerade zu spielen begonnen, als uns eine erste Störung irritierte. Es knirschte vorn in der ersten Reihe: Armeegeneral Keßler stand auf, er hatte ein Holzbein und schlurfte damit raus und dann wieder rein. Ich habe noch in Erinnerung, wie alt, müde und verbraucht diese ganze Polit-Riege aussah.

Ich nehme an, Sie auftreten zu lassen war dem Hirn von Frau Ragwitz entsprungen – als kleine Gegenleistung für ihre fördernde Hand, zum Beispiel das Votum für die Amerikareise.

FR: Ja, und ich wollte dazu noch sagen, dass wir uns über diese Einladung den Kopf zerbrachen, ob wir annehmen oder unter irgendeinem Vorwand ablehnen sollten. Schließlich fanden wir, dass auf jeden Fall eine kritische Stellungnahme unsere Zusage begleiten müsse, und deshalb schrieben wir einen Brief an Frau Ragwitz (die wir noch nicht persönlich kannten), weil die Einladung aus ihrem Büro gekommen war. Wir haben diesen Brief vollkommen naiv geschrieben, haben unsere Besorgnis über die politische Situation mitgeteilt, unsere Sicht auf die Dinge dargelegt und damit sagen wollen, dass wir uns eben Gedanken machen.

SFE: Es ging um die Wahrnehmung der Situation und wie entstellt sie in den Medien behandelt wurde, wenn man sie schon nicht ganz verschweigen konnte, und auch, wie Regierung und Volk immer deutlicher, immer schneller auseinanderdrifteten. Wir fragten, wohin das führen solle, ob wir überhaupt zur Huldigung des Staates noch auftreten könnten. Und unser abwägendes Ja war mit der illusorischen Selbsttäuschung verbunden, dass wir unseren Auftritt als Aufruf zu irgendeiner Neubesinnung, einer Korrektur, einem ehrlichen Dialog mit dem Volk verstanden wissen wollten. (siehe S. 348 f.)

SFO: Diesen Brief haben wir, ehrlich gesagt, mit feuchten Fingern zugeklebt und abgeschickt, weil man auch befürchten musste, dass eine Antwort eventuell das Ende der Quartett-Karriere hätte bedeuten können, zum Beispiel einfach dadurch, dass man die Zusagen zur Verzögerung des Armeedienstes aufhebt und uns zu Soldaten macht. Die Konsequenz des Briefes war also offen, doch wieder einmal schlug sie uns nicht zum Schaden aus.

FR: Wir wurden daraufhin nur – zusammen mit Professor Feltz – zu einer Aussprache bei Frau Ragwitz gebeten. Sie versuchte, unsere Vorbehalte zu beschwichtigen, den Anlass der bevorstehenden Veranstaltung zu erklären, und bat uns, dort keine Protest-Plakate zu entrollen, wovor sie offenbar die meiste Angst hatte. Aber zum Spielen versuchte sie uns durch einen besonderen Knüller zu überreden, der vertraulichen, dahingeflüsterten Mitteilung nämlich, dass sich in Kürze die Verhältnisse grundlegend verändern würden und nach dem Jahrestag Reformen anstünden. Pause. Und dann kam es: »Ich sage euch jetzt mal – Erich Honecker wird abgelöst.« Wir waren in der Tat vollkommen perplex: »Wer kommt denn dann?« – »Egon Krenz.« Ich wollte es nicht glauben: »Krenz? Der ist doch Alkoholiker!« Sie schaute mir ganz tief in die Augen: »Frank – das ist nicht wahr!«

Was für ein ungeheures, unfassbares Übermaß an Vertraulichkeit! Die Nachricht wäre zu diesem Zeitpunkt, Tage vor dem 3. Oktober, so etwas wie eine Weltsensation gewesen, wenn nur einer von Ihnen das einem westlichen Medium damals gesteckt hätte. Eine schöne Headline hätte das geben können: »Vogler Quartett prophezeit Honeckers Sturz«.

TV: Eine gewisse Vertrauensbasis war in der Tat gegeben, jedenfalls von unserer Seite her. Ich konnte sie neben ein paar anderen Funktionären durchaus zu jenen zählen, die unseren Erfolg wohlwollend förderten. Vielleicht sollte man letztlich auch ihren Mann, unseren Hochschulrektor, mit etwas mehr Milde betrachten, obwohl er uns genügend Knüppel vor die Beine geworfen hat – aber vermutlich weniger aus poststalinistischer Gesinnung, eher vielleicht aus Pedanterie gegenüber studentischen Laxheiten und Hochmütigkeiten.

SFO: Während dieser ganzen unruhigen Zeit haben wir natürlich auch unsere Konzertverpflichtungen erfüllt. Wir haben in einer Kirche in Berlin-Oberschöneweide sogar eine CD produziert, die aber nicht erschienen ist, weil auch VEB Deutsche Schallplatten mit seinem Klassik-Label »Eterna« schon bald zusammenbrach. Gerade dabei, aber auch anderweitig, haben wir das erhitzte Klima beobachten können, die massive Präsenz der Polizei, die Zusammenstöße mit Demonstranten, zu denen auch wir selbst gelegentlich gehörten, wenn wir zu Proben gingen oder von dort kamen.

FR: Ich kam von meinen Eltern in Neubrandenburg, wo ich im Westfernsehen mitbekommen hatte, wie die Polizei auf Demonstranten in den Straßen um die Gethsemane-Kirche einknüppelte, und fuhr aus Empörung und Wut unmittelbar zu diesem Ort. Eine Kette aus Kampfgruppen und Polizei sperrte die Straße ab, und ich fuhr direkt auf sie zu, bremste scharf. Man musterte mich in meinem nagelneuen Wartburg, hielt mich, vor allem wegen des Autos, wahrscheinlich für einen Mitarbeiter der Stasi und die Kette öffnete sich, ohne eine einzige Frage oder Kontrolle. Ich war plötzlich mittendrin in der Kampfzone und sah, wie Leute gejagt und auf die Lkws gezerrt wurden – genauso, wie es später in dem Film »Good Bye, Lenin« lebensecht zu sehen war. Am anderen Ende der Straße ließ man mich genauso unbehelligt wieder herausfahren.

SFO: Frank und ich waren auch am 4. November bei der berühmten Großdemonstration auf dem Berliner Alexanderplatz und haben mitdemonstriert für eine wirklich demokratische DDR, für einen sich erneuernden Sozialismus mit menschlichem Antlitz, wie es so hieß. Aber auch hier holten uns die Pflichten ein; wir mussten vom Platz weg ins Auto und sind nach Bayern gefahren, weil wir von dort aus eine bis Ende November dauernde, umfängliche Konzertreise zu absolvieren hatten. So haben wir den Fall der Mauer leider nur per Bildschirm aus der Ferne miterleben können. Es war aber dennoch großartig, nach der Tournee quasi ohne Kontrolle die deutsch-deutsche Grenze passieren zu können.

Mischte sich in die Freude nicht dann und wann auch die bange Frage, wie es unter den abzusehenden, eruptiven Veränderungen mit Ihnen als Quartett weitergehen würde?

SFE: Die Frage stellte sich damals für uns nicht, denn das Erlebnis der Freiheit war erst einmal überwältigend.

Haben Sie diesen vergangenen Jahren eigentlich eine Träne nachgeweint?

TV UND ALLE: Wer wagt darauf eine Antwort?

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