Читать книгу Andi und die Außerirdischen - Frank Springer - Страница 6

3. Beim Arzt

Оглавление

„Kannst du aufstehen und gehen?“, fragte Andi das Mädchen.

„Nein, sobald ich mein Bein bewege oder belaste, fängt die Wunde wieder an zu bluten“, antwortete Otto.

„Okay, dann helfen wir dir“, sagte Andi.

Er stützte Otto beim Aufstehen. Andi selbst stand rechts von Otto und bat Ferdi, sich links von ihr hinzustellen. Dann legte Otto ihre Arme um die Schultern der beiden Jungen. So konnte sie zumindest auf einem Bein humpeln. Auf diese Weise erreichten die drei ohne größere Schwierigkeiten die Stelle, an der sie unter dem Zaun hindurchgekrochen waren.

Der Bretterzaun war das nächste Hindernis, das sie mit dem verletzten Mädchen überwinden mussten. Sie setzten Otto davor ab. Andi kroch zuerst unter den Zaunbrettern hindurch. Danach legte sich Otto flach auf den Rücken und streckte ihre Hände durch die Lücke. Andi zog sie von der anderen Seite an ihren Armen unter dem Bretterzaun durch und Ferdi schob von dieser Seite nach. Das war im Vergleich zur Rettung aus der Spalte zwischen den Autos eine leichte Übung. Viel schwieriger war es, Ferdi unter dem Zaun hindurchzubekommen. Andi und Karl mussten sich dabei kräftig anstrengen, da Otto ihnen nicht helfen konnte. Nach einigen Mühen war auch das geschafft.

Die Kinder hatten den Schrottplatz, den verbotenen Ort verlassen. Sie holten ihre Fahrräder aus dem Versteck und standen vor einem neuen Problem.

„Kannst du Fahrrad fahren, Otto?“, fragte Andi.

„Nein, das geht nicht mit der Wunde“, antwortete das Mädchen niedergeschlagen.

Andi überlegte. Das Herrenrad seines Vaters, das er benutzte, war das einzige Rad mit einer durchgehenden Rahmenstange. Die anderen hatten kleinere Jugendräder, die sich nicht so gut zum Transport von zwei Personen eigneten.

„Ich nehme das Fahrrad von meinem Vater und Otto setzt sich auf die Stange“, beschloss Andi. „Ferdi fährt mit meinem und schiebt dabei Ottos Rad. Karl radelt vorweg und hält die Augen auf.“

Otto nahm vor Andi auf der Fahrradstange Platz. Mit einer Hand hielt sie sich an Andi fest und mit ihrer anderen drückte sie weiterhin das Tuch auf die Wunde. Die vier fuhren los. Auf dem unebenen Feldweg wurde es anstrengend. Ferdi hatte viel damit zu tun, das zweite Fahrrad unter Kontrolle zu halten. Ohne Last sprang es immer wieder zur Seite weg. Nachdem die Kinder die Straße erreicht hatten, wurde es einfacher. Zur Siedlung hin ging es die gesamte Strecke leicht bergab. Sie kamen mühelos voran. Karl fuhr den Weg zum Arzt vor und die anderen folgten. Das Blut lief von Ottos Wunde am Bein hinunter, über ihren kurzen Socken und den Turnschuh. Ab und zu fiel ein Tropfen auf die Straße und hinterließ eine kleine Blutspur, aber die Kinder achteten nicht darauf.

Schon von Weitem sahen sie den Arzt. Er stand im Vorgarten und war dabei, mit einem Gartenschlauch seine Blumenbeete zu gießen. Als die vier vor dem Grundstück anhielten und von ihren Rädern steigen, bemerkte Dr. Müller sofort, was los war.

„So habe ich mir mein Wochenende nicht vorgestellt, dass ich mich jetzt um euch Gören kümmern muss“, rief er.

Er sagte es in einem Tonfall, bei dem man nicht wusste, ob er tatsächlich böse war oder nur seinen Scherz mit den Kindern trieb.

Der Arzt drehte das Wasser ab und legte den Schlauch beiseite.

„Na gut, ich werde euch helfen“, erklärte er sich bereit. „Bringt das Mädchen in meine Praxis. Muss sonst noch jemand von euch versorgt werden?“

Die drei Jungen hatten zwar durch ihren tatkräftigen Einsatz bei Ottos Rettung ebenfalls einige blaue Flecken und Schrammen erhalten, aber keiner von ihnen benötigte ärztliche Hilfe.

„Nein, nur Otto ist verletzt“, antwortete die Jungen im Chor.

„Nah, dann kommt herein!“, sagte der Arzt.

Die Praxis von Dr. Müller befand sich in seinem Wohnhaus, besaß aber einen eigenen Eingang. Dr. Müller ging auf die Praxistür zu, nahm einen Schlüssel aus der Tasche seiner Bermudashorts und schloss auf. In der Zwischenzeit lehnten die Kinder ihre Fahrräder an den Gartenzaun. Andi und Ferdi stützten Otto und Karl öffnete ihnen die Pforte.

In der Praxis schlüpfte Dr. Müller aus seinen Gartenpantoffeln und hinein in seine Arztsandalen. Über sein buntes Hawaiihemd streifte er einen weißen Kittel und führte die Kinder ins Behandlungszimmer. Dort wusch er zuerst seine Hände gründlich und zog sich Einweghandschuhe an. Danach nahm er von einer Rolle an der Wand einen Streifen aus sauberem, weißem Papier und breitete ihn auf einer Behandlungsliege aus.

„Legt das Mädchen bitte darauf!“, befahl er sachlich.

Andi und Ferdi setzten Otto auf der Liege ab. Karl hob ihre Beine auf die Liegefläche. Der Arzt schaute sich die Wunde an Ottos Oberschenkel genau an. Manchmal, wenn er ihr Bein betastete, zuckte Otto vor Schmerz zusammen und sog schnell die Luft ein.

„Ihr habt großes Glück gehabt“, sagte Dr. Müller nach einer Weile. „Das sieht schlimmer aus, als es tatsächlich ist. Die Blutung hat fast von alleine aufgehört und der Riss geht nicht so tief, dass er genäht werden muss. Ich werde die Wunde nur gründlich reinigen und desinfizieren, damit sie sich nicht entzündet. Außerdem bleibt sonst vielleicht eine hässliche Narbe und das wollen wir doch bei so einem hübschen Mädchen nicht. Ich verwende zwar ein mildes Desinfektionsmittel, aber es kann trotzdem etwas wehtun. Außerdem habe ich heute keine Arzthelferin hier. Ihr Jungs müsst mir also bei der Versorgung der Patientin assistieren.“

Dr. Müller gab den drei Jungen knappe, aber genaue Anweisungen. Andi musste sich an das Kopfende der Behandlungsliege setzen, so dass sich Otto mit ihrem Rücken an ihn anlehnen konnte. Er legte seine Arme um ihren Oberkörper und fasste mit seinen beiden Händen ihre beiden Hände. Karl hielt Ottos Bein am Unterschenkel fest. Ferdi musste sich seine Hände gründlich waschen und anschließend einen Einmalkittel und Einweghandschuhe anziehen. Er sollte dem Arzt zur Hand gehen.

„Ich kann doch kein Blut sehen“, protestierte er.

„Stell dich nicht so an! Denk an deine Freundin, was sie durchmachen muss. Willst du ihr nicht helfen?“, erwiderte Dr. Müller mürrisch.

Im Stich lassen wollte Ferdi Otto nicht und er tat, wie ihm befohlen wurde. Er reichte dem Arzt ein Gefäß mit Desinfektionslösung und mit Hilfe einer Pinzette sterile Tupfer. Damit säuberte der Dr. Müller sorgfältig die Wunde an Ottos Bein. Ferdi musste seinen Brechreiz unterdrücken. Die Anspannung und Konzentration halfen ihm dabei.

Andi spürte, dass Otto jedes Mal zusammenzuckte und heftig durchatmete, wenn der Arzt die Verletzung mit dem Tupfer berührte. Sie umklammerte mit ihren Händen Andis Hände fest. Der Junge sah, dass ab und zu Tränen über ihr mit Dreck verschmiertes Gesicht rannen. Es musste für Otto sehr schmerzhaft gewesen sein, aber sie sagte keinen einzigen Mucks.

‚Für ein Mädchen ist sie sehr tapfer’, dachte sich Andi. ‚Ich hätte an ihrer Stelle vermutlich geschrien wie am Spieß.’

Endlich war die Wunde sauber. Andi spürte, dass Otto schweißgebadet war. Außerdem war sie abgekämpft und am Ende ihrer Kräfte.

„So, nun hast du das Schlimmste überstanden“, sagte Dr. Müller zu Otto.

Er legte ihr einen Verband um den Oberschenkel an. Ferdi musste ihm dabei behilflich sein. Dann gab der Arzt ihr eine Spritze gegen mögliche Infektionen. Otto ruhte sich von der Behandlung aus und Ferdi durfte seinen Kittel und Handschuhe ablegen.

Dr. Müller stand auf und sprach in ruhigem Ton mit den Kindern: „Was habt ihr Kinder trotz aller strengen Verbote auf dem Schrottplatz zu suchen? Ich hoffe, dass wird euch eine Lehre sein. Dabei habt ihr Glück gehabt. Es hätte euch viel schlimmer treffen können.“

„Woher wissen Sie ... ?“, fragte Andi erstaunt.

„Woher solltet ihr denn sonst kommen, so wie ihr ausseht?“, unterbrach ihn der Arzt.

„Sagen Sie bitte nichts unseren Eltern!“, beschwor Otto ihn.

„Keine Angst, ich sage nichts“, beruhigte sie der Arzt. „Meine Schweigepflicht gilt auch bei Kindern. Ihr solltet euch jedoch eine gute Ausrede überlegen.“

Zu Otto gewandt sagte er: „Ich werde deinen Eltern aber eine Mitteilung wegen der Abrechnung schicken müssen. Außerdem wirst du den Verband kaum vor ihnen verstecken können. Lass dich von deinen Freunden nach Hause bringen! Lege dein Bein hoch und belaste es möglichst nicht! Komme bitte am Montag zum Verbandswechsel in meine Sprechstunde! Nach einigen Tagen Bettruhe wird es deinem Bein wieder besser gehen.“

Mit diesen Worten entließ der Arzt die Kinder.

Andi und Ferdi halfen Otto beim Aufstehen und stützten das Mädchen von beiden Seiten beim Gehen. Karl hielt ihnen die Türen auf. Otto setzte sich vor Andi auf die Stange des Fahrrades und Ferdi übernahm Ottos Rad in gewohnter Weise. Von hier war es nicht weit bis zu dem Haus, in dem Otto wohnte. Die Kinder hielten davor an.

„Ferdi, bring bitte mein Fahrrad in die Garage! Die Tür ist nicht verschlossen“, bat Otto.

Bereitwillig verstaute Ferdi Ottos Rad. Um nicht unnötig bei ihren Nachbarn aufzufallen, stützte sich Otto alleine auf Andi. Dazu legte sie ihren Arm um seine Schultern. So hätte ein Beobachter die beiden für ein Paar halten können. Das sah längst nicht so gefährlich aus, als wenn sie von zwei Jungen gestützt worden wäre. Karl hielt währenddessen die Fahrräder von Andi und Ferdi.

Andi brachte Otto den Weg bis vor die Haustür. Dort bleiben beide einen Moment stehen.

„Danke, dass du mir geholfen und mich gerettet hast“, sagte Otto leise zu Andi.

Dann gab sie ihm einen zarten Kuss auf seine Wange, sodass es die anderen beiden Jungen nicht sehen konnten.

„Das war doch selbstverständlich. Das habe ich gerne für dich getan“, antwortete Andi verlegen. „Soll ich mit hineinkommen?“

„Nein, auf keinen Fall. Das würde alles nur komplizierter machen. Jetzt kann mir keiner weiterhelfen. Das muss ich alleine durchstehen. Geht bitte!“, erwiderte das Mädchen entschieden.

Erschöpft verabschiedete Otto sich von den Jungen. Sie wartete ab, bis die drei mit ihren Rädern um die nächste Straßenecke verschwunden waren, bevor sie den Klingelknopf drückte.

Die drei Jungen sprachen nicht viel miteinander. Karl bog an der übernächsten Ecke ab und fuhr zu sich nach Hause. Sein Vater war für ein halbes Jahr im Ausland auf Montage und seine Mutter arbeitete im Schichtdienst. Als Karl nach Hause kam, fand er dort nur seinen älteren Bruder Leo vor. Der war achtzehn Jahre alt und damit volljährig. Eigentlich sollte er auf Karl aufpassen, wenn die Eltern nicht da waren, aber er saß den gesamten Tag vor dem Computer und spielte stumpfsinnigen Ballerspiele. Leo bemerkte daher nicht, als Karl das Haus betrat. Ihm war nicht einmal aufgefallen, dass sein Bruder weg war.

Andi und Ferdi fuhren direkt nach Hause. Nachdem sie ihre Fahrräder in die Garage gestellt hatten, schauten sie sich gegenseitig an. Erst jetzt wurde ihnen bewusst, dass sie von Kopf bis Fuß verdreckt waren. Sie waren über und über mit Staub und Schmutz bedeckt und mit Öl und sogar Blut verschmiert. So konnten sie sich nicht bei Andis Eltern sehen lassen. Die Jungen schlichen heimlich ins Haus und ohne Umweg ins Badezimmer. Dort zogen sie ihre schmutzigen Sachen aus. Andi stopfte sie nach tief unten in den Korb für Schmutzwäsche. Dann duschten beide ausgiebig. Anschließend zogen sie sich saubere Kleidung an und gingen hinunter.

Andis Eltern saßen im Wohnzimmer. Die beiden Jungen begrüßten sie.

„Ach, ihr seid schon da. Wir haben euch nicht nach Hause kommen gehört“, sagten Andis Eltern fast gleichzeitig.

„Na, dann werde ich für uns ein schönes Abendbrot machen“, fügte Andis Mutter hinzu.

Beim Abendessen wollte Andis Vater wissen, was die Jungen heute erlebt hatten. Die beiden erzählten, dass Andi Ferdi die Gegend gezeigt hatte und sie mit einigen anderen Kindern Fußball gespielt hatten. Andis Eltern freuten sich, dass Ferdi so guten Anschluss gefunden hatte. Nach dem Abendbrot sahen sie gemeinsam fern. Danach gingen die beiden Jungen in Andis Zimmer.

Während der Ferien teilte sich Andi sein Zimmer mit Ferdi. Es war so geräumig, dass beide ausreichend Platz hatten, ohne sich drängen zu müssen. Andi hatte dort ein bequemes Klappbett für seinen Cousin aufgestellt.

„Na, war das genug Abwechselung für heute, oder war dir etwa langweilig?“, fragte Andi Ferdi, als die beiden Jungen alleine im Raum waren.

„Entschuldige, dass ihr meinetwegen so viel mitmachen musstet. Vor allem Otto tut mir leid“, antwortete Ferdi beschämt.

„Quatsch!“, entgegnete Andi. „Wir sind alle freiwillig zum Schrottplatz gegangen. Jeder von uns hatte seinen Spaß gehabt. Also haben wir auch alle selbst Schuld an dem, was passiert ist.“

Von den Anstrengungen des Tages war Andi müde und ging früh ins Bett. Ferdi legte sich ebenfalls hin, blätterte aber noch in einem wissenschaftlichen Magazin.

„Weißt du, was uns Otto zeigen wollte, als sie uns rief, kurz bevor sie zwischen die Auto gefallen ist?“, fragte Ferdi.

„Keine Ahnung“, antwortete Andi im Halbschlaf, „das interessiert mich nicht nach dem, was geschehen ist.“

„Es muss etwas Besonderes gewesen sein. Otto war ganz außer sich“, ließ Ferdi nicht locker.

„Gute Nacht, schlaf gut! Ich bin müde. Mir reicht es für heute“, sagte Andi und schlief ein.

Obwohl Andi sich selbst einen Teil der Schuld an den Ereignissen des heutigen Tages gab, fühlte er sich trotzdem wie ein kleiner Held.

Andi und die Außerirdischen

Подняться наверх