Читать книгу Fluchtziel Erde - Frank Springer - Страница 7
4. Ernste Probleme
ОглавлениеDer Druck auf ihre Körper ließ allmählich nach und die Kinder erholten sich von ihrem Schock.
„Wir fliegen“, sagte Xenia erstaunt, die nicht glauben wollte, dass ihr der Start geglückt war.
„Das Raumschiff hat die Startrampe ohne Schaden verlassen“, stellte Lewis sachlich fest.
„Juhu, wir sind gerettet“, jubelte Dimitri.
„Jetzt kann uns nichts mehr passieren“, stöhnte Yumiko erleichtert und wischte sich den Angstschweiß von der Stirn.
Bei den Kindern legte sich die Anspannung. Chira ließ ihren Blick durch die Fenster in der Kabinenwand nach draußen schweifen und Jan versuchte sich zu entspannen.
„Aahh, seht da!“, Chiras durchdringender Schrei versetzte die anderen erneut in Aufregung.
Schreckensbleich starrten sie aus den Fenstern. Einige Meteoroiden kamen direkt auf das Raumschiff zu. Vor Angst hielten die Kinder die Luft an. Nur knapp verfehlten die todbringenden Himmelskörper das kleine Raumfahrzeug.
„Wir sind noch längst nicht in Sicherheit. Hier im Weltraum können uns die Meteoroiden genauso treffen wie auf der Mondstation“, rief Lewis hektisch.
„Dann war alles vergebens“, stellte Yumiko entsetzt fest.
„Was können wir dagegen tun?“, fragte Dimitri verängstigt.
„Wohin fliegst du jetzt mit uns, Xenia?“, fragte Lewis nach vorne durch die offene Cockpittür.
„Keine Ahnung. Ich bin froh, dass ich es geschafft habe, das Raumschiff zu starten. Einen Kurs habe ich nicht programmiert“, antwortete das Mädchen ihm.
„Wir müssen hinter den Mond fliegen. Auf die andere Seite, wo keine Meteoroiden einschlagen können. Wir benutzen den Mond als Schutzschild gegen den Meteoroidensturm“, erklärte Lewis.
„Wie willst du das machen?“, erkundigte sich Chira.
„Dazu müssen wir auf eine Kreisbahn um den Mond einschwenken, die uns auf seine Rückseite bringt“, fuhr Lewis fort.
„Ich bin nicht geübt im Programmieren von Kursen. Ich weiß nicht, ob ich das schaffe“, erwiderte Xenia.
„Keine Sorge. Ich habe mich gerade in der Schule intensiv mit dem Thema beschäftigt. Soll ich es versuchen?“, bot sich der schlaue Junge an.
Trotz der großen Gefahr war Lewis ruhig und gefasst. Jetzt, da er etwas tun konnte, konzentrierte er sich auf sein Vorhaben, sodass er abgelenkt war und seine Angst nicht spürte. Er wartete nicht auf eine Antwort von Xenia, sondern schnallte sich von seinem Sitz los und drückte sich hoch. Die künstliche Schwerkraft in der Raumschiffkabine sorgte dafür, dass Lewis sich wie gewohnt bewegen konnte. Er ging nach vorne ins Cockpit und setzte sich auf den Platz des Navigators neben Xenia. Mit flinken Fingern gab er die neuen Kursdaten in den Computer der Raumschiffsteuerung ein. Xenia bestätigte den Kurs und das typische Geräusch der Steuertriebwerke war zu hören. Das Raumfahrzeug drehte ab und nahm zügig seine neue Flugrichtung auf.
Der Meteoroidenschauer fand kein Ende. Aus den Tiefen des Weltalls tauchten immer weitere Brocken auf, die Unheil und Zerstörung brachten. Die Kinder beobachteten mit angstvoll aufgerissenen Augen, wie viele von diesen kosmischen Objekten auf dem Mond einschlugen und dort riesige Krater in die Oberfläche rissen. Wieder und wieder kamen die Meteoroiden dem kleinen Personentransporter gefährlich nahe. Einige von ihnen sausten bedrohlich dicht an dem Raumschiff vorbei. Fast schienen sie, es zu streifen. Die sechs Kinder bangten von Sekunde zu Sekunde und hofften, rechtzeitig die schützende Rückseite des Mondes zu erreichen. Sie hielten die Spannung kaum aus. Viel zu langsam näherten sie sich dem rettenden Schatten, den ihnen der Mond vor dem Ansturm der Gefahr spendete.
Ein lautes Knacken hallte durch die Kabine und ließ die jungen Passagiere vor Schreck erstarren.
„Was war das?“, kreischte Yumiko.
„Vermutlich hat ein kleiner Krümel unser Schiff getroffen. Meine Geräte zeigen aber an, dass die Außenhaut nicht beschädigt worden ist“, antwortete Xenia und versuchte dabei, ruhig zu wirken.
„Können wir nicht schneller fliegen? Solange wir hier herumtrödeln, sind wir eine gute Zielscheibe“, fragte Jan.
„Das geht doch nicht. Hast du in der Schule wieder geschlafen? Wenn wir schneller fliegen, dann verlassen wir die Bahn, die uns hinter den Mond bringen soll“, belehrte Lewis ihn.
Eine ganze Salve kleiner Objekte prasselte wie ein Hagelschauer auf das Raumfahrzeug ein. Sie versetzten die Kinder in fürchterliche Angst, schafften es jedoch nicht, die Hülle des Schiffes zu durchdringen. Die rettende Seite des Mondes lag zum Greifen nahe vor ihnen, aber noch hatten sie sie nicht erreicht. Die Zeit verging unerträglich schleppend. Bei jedem noch so kleinen Geräusch wurden die Kinder erneut von Furcht ergriffen.
Endlich hörten sie Lewis sagen: „Gleich haben wir es geschafft. Dann können uns die Meteoroiden nichts mehr anhaben. Nur noch wenige Sekunden.“
Einige Augenblicke später fing der schlaue Junge an, rückwärts zu zählen: „Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, ...“
Weiter kam er nicht. Ein kräftiger Schlag erschütterte das Raumschiff. Sofort verstummte das Antriebsaggregat und die künstliche Schwerkraft setzte aus. Gleichzeitig verlosch das Licht in der Kabine. Aus dem Maschinenraum drang ein lautes Zischen. Der Luftdruck im Schiff sank schnell ab und alle spürten den Druck auf ihren Ohren.
„Uns hat etwas getroffen. Wir haben ein Leck im Maschinenraum. Macht sofort die Tür zu!“, schrie Xenia aus dem Cockpit.
Die Sicherheitstür zum Maschinenraum stand offen. Nach ihrer Besichtigung hatten die Kinder vergessen, sie zu schließen, so dass die Luft aus der Passagierkabine ungehindert durch die Beschädigung ausströmen konnte. Jan saß dem Durchgang am nächsten, aber er reagierte nicht.
„Jan, los! Tür zu!“, brüllte Xenia außer sich.
Sie verstand nicht, wie der Junge so begriffsstutzig und träge sein konnte.
Als sich aus Angst keines der anderen Kinder regte, schnallte sich Xenia los und stieß sich mit den Füßen kräftig vom Bedienpanel im Cockpit ab. Sie flog durch die Schwerelosigkeit von vorne nach hinten durch die Kabine und landete an der Trennwand zum Maschinenraum. Mit ihrer Faust schlug sie auf den Notauslöseknopf für die Sicherheitstür, die sich durch einen Mechanismus, der von der Energieversorgung unabhängig war, blitzschnell schloss. Durch den Rückstoß ihres Schlages wurde Xenia herumgeschleudert, fing sich aber geschickt ab, bevor sie mit dem Kopf aufprallte.
Nachdem die Tür geschlossen war, sank der Druck in der Raumschiffkabine nicht weiter. Aus den Reservebehältern floss Luft nach und der normale Kabinendruck stellte sich wieder ein. Das Innere des kleinen Personentransporters war in das blassblaue Licht der Sonne getaucht, das durch die Fenster fiel und für eine gespenstische Atmosphäre sorgte.
„Jetzt sind wir in Sicherheit. Wir befinden uns auf der Seite des Mondes, die von dem Meteoroidensturm abgewandt ist. Hier kann uns nichts mehr passieren“, freute sich Dimitri.
„Dafür haben wir ein manövrierunfähiges Raumfahrzeug“, beschwerte sich Xenia.
„Stürzen wir deshalb ab?“, fragte Jan naiv.
„Du hast ja überhaupt keine Ahnung von Raumfahrt“, stellte Chira ihn bloß. „Wir befinden uns in einem Orbit. Dabei können wir nicht abstürzen. Das Raumschiff kreist um den Mond bis in alle Ewigkeit.“
„Gerade das gibt mir zu denken“, grübelte Lewis. „Dadurch, dass wir kreisen, werden wir in spätestens einer halben Stunde wieder hinter dem Mond hervorkommen. Wir können nur hoffen, dass der Meteoroidenschauer bis dahin aufgehört hat, sonst wird es ungemütlich.“
Die sechs Kinder beobachteten angstvoll, wie noch immer große Brocken seitlich am Mond vorbeisausten. Zwar konnten diese kosmischen Geschosse den Personentransporter zurzeit nicht treffen, aber ihr Ansturm auf den Mond und seine Umgebung hatte sich noch längst nicht gelegt.
„Können wir nicht anhalten und hier hinter dem Mond warten, bis der Sturm vorbei ist?“, wollte Jan wissen.
„Man bist du dumm. Wir können doch nicht stehenbleiben“, antwortete Yumiko. „Dann verlassen wir den Orbit und stürzen ab. Das weiß doch jedes Kind.“
„Außerdem haben wir kein funktionierendes Treibwerk mehr, um das Raumschiff abzubremsen“, fügte Xenia hinzu.
„Eine halbe Stunde haben wir noch, um uns etwas einfallen zu lassen, wie wir überleben können, sagtest du, Lewis?“, wollte sich Dimitri vergewissern.
„Nein, jetzt sind es nur noch siebenundzwanzig Minuten“, entgegnete der intelligente Junge kühl.
Den Kindern blieb nicht anderes übrig, als zu warten und zu bangen. Sie standen an den Fenstern des kleinen Raumfahrzeugs und beobachteten, wie der Meteoroidensturm mit unverminderter Heftigkeit wütete. Unaufhaltsam kam die Stelle näher, an der sie den Schatten, den ihnen der Mond als Schutz vor den Meteoroiden bot, verlassen würden. Keiner von ihnen hatte eine Idee, wie sie ihrem Schicksal entgehen konnten. Nicht einmal dem sonst so schlauen Lewis fiel etwas ein. Auch Xenia, die sich in der Raumfahrt gut auskannte, wusste keinen Rat.
Weniger als eine Minute blieb ihnen, bevor sie wieder in den todbringenden Hagel der kosmischen Objekte hineinfliegen würden. So weit waren sie bei ihrer Flucht vor der tödlichen Gefahr gekommen und nun waren alle ihre Anstrengungen vergebens. Chira wimmerte und Yumiko hielt sich die Augen zu. Dimitri hatte seine Arme schützend über den Kopf gelegt, als ob er sich dadurch retten könnte. Lewis weinte und Xenia strich sich nervös das lange, aschblonde Haar aus dem Gesicht. Jan saß teilnahmslos in seinem Sitz und hatte sich mit seinem Ende abgefunden. Voller Wehmut dachte er an die Erde, die er nun nie wieder sehen würde.
Er wartete auf den ersten Treffer, der das kleine Raumschiff zermalmen würde, aber nichts geschah. Der Meteoroidensturm hatte so plötzlich aufgehört, wie er gekommen war. Jan schaute ungläubig aus dem Fenster. Tatsächlich, weit und breit war keines dieser gefährlichen Geschosse, die aus den Tiefen des Weltalls ihr Unheil brachten, mehr zu sehen. Als die Kinder begriffen, dass sie ihrer drohenden Vernichtung entgangen waren, stimmten sie ein vielstimmiges Freudengeschrei an. Sie lachten vor Erleichterung und freuten sich über ihre unerwartete Rettung.
„Xenia und Lewis sind die Größten. Sie haben uns in Sicherheit gebracht“, rief Dimitri.
„Bravo!“, stimmte Chira lautstark zu.
„Endlich, wir haben es geschafft“, schloss sich Yumiko dem Jubel an.
Xenia wartete ab und ließ die anderen ihre Freude genießen.
Dann meldete sie sich mit ernster Stimme zu Wort: „Ich möchte euch den Spaß nicht verderben, aber wir haben noch ein Problem.“
„Ich dachte, wir sind gerettet. Was gibt es denn noch?“, fragte Dimitri.
„Nun sagt schon!“, drängte Chira.
„Durch das Leck im Maschinenraum ist unser Antrieb ausgefallen und ohne den können wir nicht landen“, antwortete Xenia.
„Das macht doch nichts. Dann bleiben wir im Orbit und kreisen um den Mond, bis ein Raumschiff von der Station kommt und uns abholt“, entgegnete Yumiko.
„Mit dem Antriebsaggregat ist auch unsere gesamte Energieversorgung zusammengebrochen. Deswegen funktioniert unser Funkgerät nicht. Wir haben keine Möglichkeit, auf uns aufmerksam zu machen“, fuhr Xenia fort.
„Vielleicht entdecken sie uns einfach so und kommen uns holen“, sagte Chira.
„Ich befürchte, dass so schnell kein Raumfahrzeug vom Mond aus starten kann. Erinnert ihr euch, wie stark die Raumschiffhalle zerstört worden ist. Es ist unwahrscheinlich, dass noch eines der Schiffe und eine der Startrampen einsatzfähig sind“, dämpfte Xenia ihre Hoffnungen.
„Dann müssen wir abwarten, bis sie die Raumfahrzeuge und Rampen repariert haben“, schlug Yumiko vor.
„Solange können wir aber nicht warten. Ohne die Energieversorgung arbeitet die Aufbereitungsanlage für die Atemluft nicht. Wenn wir hier nicht bald herauskommen, dann ersticken wir“, erwiderte Xenia.
Bei diesen Worten fiel Jan auf, dass die Luft im Raumschiff anfing, abgestanden zu schmecken.
„Wie lange können wir noch atmen?“, wollte Dimitri wissen.
„Wir haben etwas Atemluft in den Reservetanks. Wenn wir Glück haben, dann können wir damit einige Stunden überleben“, antwortete Xenia.
„Jetzt haben wir so viele Gefahren glücklich überstanden und sollen zum Schluss jämmerlich umkommen, nur weil etwas Luft fehlt“, haderte Yumiko.
„Eine Möglichkeit hätten wir noch“, überlegte Xenia. „Wir müssen das Antriebsaggregat reparieren.“
„Kannst du das denn? Wie sollen wir das anstellen?“, erkundigte sich Chira.
„Ob ich dazu in der Lage bin, weiß ich nicht. Dazu müsste ich mir ansehen, was daran kaputt ist“, entgegnete Xenia.
„Und wieso schaust du nicht nach?“, forschte Dimitri.
„Weil der Maschinenraum ein Leck hat und daher luftleer ist“, erklärte ihm Xenia. „Wenn wir die Tür zum Maschinenabteil öffnen, dann strömt die Luft aus der Passagierkabine durch die Beschädigung aus. Das haben wir vorhin erlebt.“
„Warum ziehen wir keine Raumanzüge an?“, fragte Jan.
„Weil wir nur zwei davon haben und das nicht für uns alle reicht“, antwortete Xenia.
Lewis dachte kurz nach und sprach seine Gedanken aus: „Das Loch kann nicht groß sein. Als wir getroffen wurden, ist der Luftdruck nicht allzu schnell gefallen.“
„Wir könnten versuchen, es abzudichten“, setzte Xenia seine Überlegungen fort. „Von innen kommen wir aber an das Leck nicht heran, weil es sich im Maschinenraum befindet. Also müsste einer von uns einen Raumanzug anziehen und es von außen reparieren.“
Die Kinder waren verunsichert. Einerseits waren sie froh, eine Lösung gefunden zu haben, andererseits bereitete es ihnen Unbehagen, dass einer von ihnen das Raumfahrzeug verlassen sollte. Xenia sah sich einem nach dem anderen an und überlegte.
Dann sagte sie ernst: „Ich würde es gerne selbst machen, aber ich bin die Einzige von uns, die das Raumschiff bedienen kann. Daher muss ich an Bord bleiben. Yumiko, Chira und Lewis sind zu klein, sodass sie nicht in einen Raumanzug für Erwachsene passen. Bleiben nur Dimitri und Jan übrig. Wer möchte freiwillig?“
„Wir waren noch nie im Weltraum. Wir wissen nicht, wie das geht und was wir dort tun müssen. Das ist viel zu gefährlich“, wandte Jan ein.
„Ja, aber ihr habt mit den Raumanzügen im Schulungstank geübt. Das hier ist auch nicht viel anders?“, bekräftigte Xenia ihre Forderung. „Den Rest erkläre ich euch. Das schafft ihr schon. Es ist unsere einzige Möglichkeit. Also wer meldet sich von euch beiden.“
Bei diesen Worten schaute sie die zwei Jungen durchdringend an. Jan wich ihrem Blick aus und sah zu Dimitri hinüber. Als der keine Regung zeigte, senke Jan den Kopf und richtete seine Augen auf den Boden.
Nach einem kurzen Moment entschied sich Dimitri: „In Ordnung, ich mach es.“
Jan war erleichtert.
Xenia schwebte zu einem der Schränke und nahm einen der beiden Raumanzüge heraus. Anschließend half sie Dimitri, ihn anzulegen, was in der Schwerelosigkeit nicht einfach war. Danach schnallte sie ihm einen Raketenrucksack um, mit dem Dimitri sich außerhalb des Raumschiffs bewegen konnte. Aus einem anderen Schrank holte sie eine große Spritzpistole und gab sie dem Jungen. Jan fiel auf, wie geschickt sich Xenia dabei bewegte. Die fehlende Schwerkraft schien ihr fast nichts auszumachen. Das bestärkte seine Vermutung, dass das Mädchen an einem Ort mit geringer Anziehungskraft aufgewachsen war.
Ruhig erklärte Xenia Dimitri, was er zu tun hatte: „Du steigst in die Luftschleuse und gehst nach draußen. Dort manövrierst du dich mit dem Raketenrucksack nach hinten in Richtung des Maschinenraums und suchst nach dem Leck. Wenn du es gefunden hast, dann versiegelst du es mit dem Gel aus der Spritzpistole. Das Reparaturgel wird schnell fest und dichtet die Beschädigung ab. Danach kommst du durch die Luftschleuse zurück. Leider können wir nicht mit dir in Funkverbindung bleiben ohne Energiezufuhr. Da draußen bist du auf dich allein gestellt. Hast du alles verstanden?“
„Wieso kannst du nicht eins von den batteriebetriebenen Handkommunikationsgeräten nehmen, um von hier drinnen aus mit mir zu sprechen? Das Kommunikationsgerät in meinem Raumanzug funktioniert mit Batterien“, fragte der Junge nach.
„Das geht nicht“, fuhr Xenia fort. „Die Außenhaut vom Raumfahrzeug schirmt die Funkwellen ab. Ohne die Antennen von der Funkanlage können wir keine in Sprechverbindung zu dir aufbauen und die funktionieren nur mit unserer Energieversorgung. Du musst es ohne schaffen. Traust du dir das zu?“
Langsam nickte Dimitri mit dem Kopf und schaute das Mädchen unsicher an.
Xenia wiederholte ihre Anweisungen. Dann öffnete sie eine runde Luke im Boden der Kabine und schob Dimitri in die enge Röhre der Luftschleuse. Sie wünschte ihm viel Glück und schloss den Deckel. Da keine Energie aus der Versorgung zur Verfügung stand, musste Xenia alle Ventile von Hand betätigen, um den Druckausgleich durchzuführen. Nach einer Weile war zu hören, dass Dimitri die äußere Luke der Schleuse öffnete. Durch die Fenster sahen die Kinder, wie er in den Weltraum hinausschwebte. Zuerst bediente er den Raketenrucksack etwas unbeholfen, aber dann steuerte er zielgerichtet auf den hinteren Teil des Raumschiffes zu, in dem sich der Maschinenraum befand. Ab und zu hörten die Kinder, dass an der Außenhaut gearbeitet wurde. Sehen konnten sie Dimitri nicht, da es hinten in dem kleinen Raumfahrzeug keine Fenster gab. Voller Spannung erwarteten sie, dass der Junge wieder auftauchte. Lange Zeit geschah nichts.
„Da seht“, schrie plötzlich Yumiko laut los und zeigte nach draußen.
Die anderen drängten sich zum Fenster und sahen, dass Dimitri einige Meter vom Raumschiff entfernt hilflos im Weltraum trieb. Er hantierte an seinem Raketenrucksack herum, aber er kam nicht näher. Wie wild gab er Handzeichen.
„Sein Rucksack ist defekt. Er schafft es nicht allein“, schloss Xenia. „Wir müssen ihm helfen und ihn hereinholen.“
Unterdessen trieb Dimitri weiter vom Raumschiff ab.
„Schnell, Jan, zieh dir den anderen Raumanzug an und raus mit dir!“, kommandierte das Mädchen.
„Ich will nicht“, wehrte sich Jan.
Er musste daran denken, wie oft ihn Dimitri in der Schule verspottet hatte und wie riskant der Aufenthalt im Weltraum außerhalb der schützenden Hülle des Raumfahrzeugs sein konnte. Nein, für so einen wie Dimitri würde er niemals sein Leben in Gefahr bringen.
„Los, mach schon!“, befahl Xenia und packte Jan am Kragen. „Du bist der einzige von uns, der Dimitri retten kann. Wenn du dir den Raumanzug nicht sofort anziehst, dann stecke ich dich ohne in die Luftschleuse. Also beeile dich gefälligst!
„Wir haben aber keinen zweiten Raketenrucksack. Wie soll ich ihm denn helfen?“, versuchte sich Jan herauszureden.
„Du nimmst die Fangleine und machst sie außen an der Schleuse fest. Dann stößt du dich vom Raumschiff ab und sammelst Dimitri ein. Ist das klar?“, wies Xenia ihn streng an.
Widerwillig stieg Jan in den Raumanzug. Darin war es eng und stickig. Die Luft aus dem Atemgerät roch unangenehm künstlich. In dem dicken Anzug konnte Jan sich nur schwerfällig bewegen. In der Schule hatte er die Übungen damit gehasst und sich meistens davor gedrückt. Xenia stopfte ihn in die Schleuse. In diesen schmalen Raum passte kaum ein einzelner Mensch hinein. In Jan stieg ein Gefühl der Beklemmung auf. Er fühlte sich gefangen und glaubte, jeden Moment ersticken zu müssen. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, bis endlich der Druckausgleich hergestellt war und er die äußere Schleusentür öffnen konnte.
Soweit Jan sehen konnte, breitete sich das grenzenlose Nichts des Weltalls vor ihm aus. Er fühlte sich winzig und verloren in dieser unendlichen Weite. Es war das erste Mal für ihn, dass er in den Weltraum aussteigen sollte. Sein Herz klopfte und seine Handflächen wurden feucht. Am liebsten hätte er die Luke sofort wieder geschlossen, aber er wusste, dass es für ihn kein Zurück gab. Ohne wenigstens versucht zu haben, Dimitri zu retten, würde Xenia ihn nicht mehr ins Raumschiff lassen. Dessen war er sich sicher. Jan nahm all seinen Mut zusammen und kroch zögerlich ein kleines Stück hinaus.
Er holte die Fangleine hervor und betrachtete sie voller Angst. Diese dünne Schnur aus reißfestem Material war das Einzige, was ihn daran hindern sollte, in den Weltraum abzutreiben. Jan war sich bewusst, dass er keinen Fehler machen durfte, sonst wäre er ebenso verloren wie Dimitri. Sorgfältig befestigte er die Fangleine an einer Öse neben der Schleuse und prüfte gewissenhaft ihren festen Sitz. Das andere Ende der Leine war mit dem Gürtel von seinem Raumanzug verbunden, sodass er sich nicht allzu weit vom Raumfahrzeug entfernen konnte.
In einiger Entfernung sah er Dimitri, wie er hilflos durchs All trieb. Jan kletterte ganz hinaus und drückte sich von der Bordwand in Richtung des Jungen ab. Er verfehlte ihn um mehrere Meter. An der Fangleine zog sich Jan zurück zum Raumschiff, um es erneut zu versuchen. Diesmal gelang es ihm, den Stiefel von Dimitris Raumanzug zu fassen, aber er entglitt ihm. Durch den Stoß, den Jan bei seinem Misserfolg Dimitri gab, entfernte dieser sich schneller von dem Raumfahrzeug. Hastig hangelte Jan sich mit der Leine zurück. Er wusste, dass ihm jetzt nur noch ein einziger Versuch blieb, um Dimitri einzufangen. Wenn der scheiterte, war er für immer verloren. Danach wäre der Junge zu weit weggetrieben und außerhalb der Reichweite der Fangleine.
Wieder stieß sich Jan ab und zielte dabei genau. Er hoffte, dass die Leine lang genug war, um zu Dimitri zu gelangen, der inzwischen ein ganzes Stück weiter abgetrieben war. Auf direktem Wege näherte er sich dem Jungen, der ihn erwartungsvoll durch das Visier seines Helmes ansah. Kurz bevor er ihn erreichen konnte, spürte Jan, wie sich die Fangleine straffte. Blitzschnell streckte er den Arm aus und griff nach Dimitri. Im allerletzten Moment packte er ihn am Hosenbein des Raumanzugs.
Jan hatte es geschafft. Dimitri war in Sicherheit. Durch den Helm konnte er sehen, wie froh und glücklich der Junge über seine Rettung war. Nur der Rückweg musste bewältigt werden, was sich als nicht einfach herausstellte. Mit einer Hand hielt Jan Dimitri weiterhin fest, während er sich mit der anderen an der Leine zum Raumschiff zog. Das war anstrengender, als Jan erwartet hatte. Endlich hatten sie das Schiff erreicht. Jan half Dimitri in die Schleuse und schloss hinter ihm von außen die Luke. Während Dimitri geschleust wurde, musste Jan draußen warten, bis er an der Reihe war. Es schien ihm ewig zu dauern, bis er in die Schleusenkammer schlüpfen konnte.
Luft floss mit leisem Zischen aus den Reservetanks in die enge Röhre. Der Lukendeckel wurde über Jan geöffnet und Xenia zerrte ihn heraus. Sie nahm ihm den Helm ab und half ihm aus dem Raumanzug. Dann machte sie etwas, was Jan nicht erwartet hatte.
Sie klopfte ihm auf die Schulter und sprach anerkennend: „Gut gemacht, Jan.“
Es war das erste Mal, dass das jemand zu ihm sagte, seitdem er die Erde verlassen hatte. Das schönste für Jan aber war, dass er wusste, dass Xenia es nicht nur dahingesagt hatte, sondern es ernst meinte.
Dimitri hatte sich neben ihnen in der Schwerelosigkeit, die immer noch im Raumfahrzeug herrschte, ausgestreckt. Er sah erschöpft, aber glücklich aus.
Als er Jan erblickte, hob der den Daumen und sagte: „Danke, Jan! Ohne dich wäre ich gestorben. Du hast mich gerettet.“
Jan nickte kurz und entgegnete: „Ist schon in Ordnung.“
Xenia wandte sich Dimitri zu. „Hast du etwas ausrichten können?“
„Ja, ich habe das Leck abdichten können. Es müsste jetzt halten“, antwortete der Junge.
„Sehr gut, Dimitri. Dann sollten wir gleich ausprobieren, ob wir den Maschinenraum mit Luft fluten können“, freute sich Xenia.
Das Mädchen öffnete ein Ventil und alle hörten, wie Luft ins Maschinenabteil hineinströmte.
„Es scheint dicht zu sein“, stellte Xenia nach einer Weile zufrieden fest. „Wir können versuchen, die Tür zu öffnen. Haltet Abstand! Wir wissen nicht, was uns dahinter erwartet.“
Mit ihrer Körperkraft schob sie die massive Sicherheitstür auf. Dabei musste sie sich wegen der Schwerelosigkeit an der Wand abstützen. Neugierig beobachteten die Kinder, wie das stabile Türblatt zur Seite glitt. Es geschah nichts Ungewöhnliches. Alles blieb normal. Xenia nahm eine Handlampe aus einem der Werkzeugschränke und leuchtete damit in das Dunkel des Maschinenraums.
„Sieht gut aus, soweit ich das von hier erkennen kann“, sagte sie.
Das aschblonde Mädchen tastete sich vorsichtig in den Raum hinein und suchte mit der Lampe die Wände ab. Schließlich entdeckte sie in der Innenverkleidung eine kleine Beschädigung. Dahinter konnte sie das Loch in der Außenhaut erkennen, das Dimitri mit dem Gel zugestopft hatte. Das Leck war nicht groß und der geronnene Gelpfropfen hatte es sicher verschlossen. Als nächstes schaute sich Xenia das Antriebsaggregat an.
Sie untersuchte es gründlich und berichtete den anderen: „Der Antrieb hat keinen Schaden genommen. Nur eine Sicherheitsvorrichtung hat bei dem Druckabfall ausgelöst und ihn abgeschaltet. Ich werde jetzt versuchen, das Antriebsaggregat in Betrieb zu nehmen. Wir sollte aber die Tür schließen, falls doch etwas passiert.“
Xenia schob von innen die Sicherheitstür zu. Jetzt war sie allein im Maschinenraum. Sie wusste, wie gefährlich ihr Vorhaben war. Die Vorrichtung, die verhindern sollte, dass Antimaterie austrat, musste zurückgesetzt werden, damit sie den Antrieb starten konnte. Nochmals schaute sie alles sorgfältig an, ob ihr nicht doch ein Fehler entgangen war. Das Antriebsaggregat schien in Ordnung zu sein. Sie fand eine kleine Delle in der Abdeckung, wo das kosmische Geschoss aufgeprallt ist, nachdem es in das Maschinenabteil eingedrungen war, sonst nichts. Von dem Meteoroiden selbst war nur Staub übrig geblieben.
Zögernd nahm sie den Hebel in die Hand, um die Sicherheitseinrichtung zu lösen. Xenia hörte sich selbst atmen und kalter Schweiß sammelte sich auf ihrer Stirn. Tat sie das Richtige? Sie war sich bewusst, welche Gefahr der Umgang mit Antimaterie bedeutete. Ein kleiner Defekt, den sie übersehen hatte, und das gesamte Schiff mit allem, was sich an Bord befand, würde in reine Energie zerstrahlen. Ihr war ebenfalls klar, dass sie alle ersticken würden, wenn sie nicht bald handelte. Sie riskierte es und betätigte zaghaft den Hebel. Nichts geschah. Xenia war ratlos. War etwas nicht in Ordnung? Hatte sie etwas falsch gemacht? Nach einem kurzen Moment des Zweifelns erinnerte sie sich, dass der Griff längere Zeit niedergedrückt gehalten werden musste, und versuchte es noch einmal. Leise zählte sie: „Eins, zwei, drei, vier, fünf ...“
Die Kinder konnten hören, wie Xenia im Maschinenraum hantierte. Gespannt warteten sie auf ein Ergebnis. Zu ihrem Glück wussten sie nicht, wie riskant es war, was das Mädchen zu tun hatte, sonst wären sie vor Angst gestorben. Aber sie waren sich darüber im Klaren, dass ihnen schnell die Luft ausgehen würde, wenn Xenia scheiterte. Schon jetzt schmeckte die Luft alt und verbraucht. Angsterfüllte Minuten vergingen, in denen die Kinder im Ungewissen blieben.
„Ob Xenia noch lebt? Ich höre nichts mehr“, fragte Dimitri ängstlich und lauschte an der Tür zum Maschinenraum.
Keiner der anderen wagte, ihm eine Antwort zu geben.
Wie eine Erlösung kam es ihnen vor, als sie endlich das vertraute Geräusch des Antriebs vernahmen. Die Beleuchtung in der Kabine schaltete sich an und frische Luft strömte aus der Lüftung. Die künstliche Schwerkraft setzte ein und die Kinder plumpsten auf den Boden.
„Aua!“, stöhnte Jan, der sich den Hintern gestoßen hatte.
Xenia verließ erschöpft das Maschinenabteil und sagte: „Wir haben es geschafft!“
„Xenia, du bist die Allerbeste“, jubelte Chira über die gute Nachricht.
„Ohne dich wären wir schon längst tot“, fügte Dimitri erleichtert hinzu.
„Jetzt sind wir endgültig in Sicherheit“, bestätigte Lewis voller Freude.
Jan sagte nichts, aber er freute sich darüber, dass er zu diesem Erfolg beigetragen hatte.