Читать книгу Den Feigen tritt jeder Lump! - Frank Winter - Страница 14
ОглавлениеÜberlingen, Stockach, Engen, Donaueschingen, zwölfter April 1848
Struve, die Aktentasche auf Brusthöhe, wollte alleine los, in Nachbarorten weitere Bürger von der Demokratie überzeugen, seine Kolonne aufbauen und mit der Heckerschen in Donaueschingen vereinen. Hecker legte ihm die Hände auf die Schultern. Wegen des zusätzlichen Gewichts knickte er wie eine Marionette ein und die Tasche sackte Richtung Magengrube.
»Alles im Loth, Gustav?«
»Natürlich. Ein wenig ermüdet, wie er auch. Sonst alles in bester Ordnung. Es lebe die Republik!«
»Es lebe die Republik!«
Kein Überlinger wagte es, Struve in die Augen zu sehen. Lieber musterten sie seine seltsam umgürtete Tasche. Der Ortsvorsteher, für sich auch ein wichtiger Mensch, wollte Wurst und Wein kredenzen, aber Struve akzeptierte nur etwas Wasser, lauwarm. Weil sich die siebenhundert Zuhörer im kleinen Gemeindesaal auf die Füße traten, zog man im Gänsemarsch zur Kirche. Struve ging die Prozession viel zu gemächlich vonstatten. Er fauchte den Bürgermeister an. Doch der wusste auch keinen Zaubertrick, um den Ablauf zu beschleunigen, und bat mehrfach um Verzeihung, weil seine Bürger sich beim Betreten der Kirche bekreuzigten. Dem Pfarrer behagte nicht, dass dieser Fremde so flink seinen Platz einnahm. Struve kletterte mit selbstmörderischem Blick auf die Kanzel und geißelte Schandtaten der Monarchie, sprach vom Marsch nach Karlsruhe und der Notwendigkeit, sich zu bewaffnen. Man spendete Beifall, versprach gedämpft einen nicht unbedeutenden Zuzug und bedrängte ihn erneut, einen Happen zu essen. Anschließend pilgerte Struve nach Stockach und Engen, wo ein selbstgefälliger Mann namens Welte, nur in Volksversammlungen Demokrat, nicht mit Worten geizte, um Hecker zu preisen. Struve las ihm gehörig die Leviten. »Pflichten, Herr Welte! Zusammenstehen im Kampf gegen Tyrannei!«
»Unbedingt, Herr von Struve.«
»Nur Struve! Den fragwürdigen Titel haben wir längst schon abgelegt. In der Demokratie regiert man zusammen oder gar nicht!«
»Abgeordnete auch?«
»Was soll mit ihnen sein?«
»Ein Abgeordneter thront doch buchstäblich über dem Volk, nicht wahr?«, fragte Welte mit dummfrechem Gesichtsausdruck.
»Er hat gehörig zu lernen! Nach der Erhebung sprechen wir uns!«
Welte nickte und mit dem Schreckensbild einer blutverschmierten Guillotine ging er zu Bett.
Auf wunden Füßen erreichte Struve um drei Uhr in der Nacht Donaueschingen. »Muss wahr sein, denn es steht hier auf dem Papier, unterschrieben von Hecker und von von Struve«, deklamierten die Bürger und wedelten mit Schriften über die gescheiterte Erhebung. »Überhaupt kümmert sich doch eine Frankfurter Nationalversammlung um vaterländische Demokratien. So viele schlaue Menschen richten es schon und niemand muss Unruhe erzeugen.«
Struve schüttelte den Kopf, bis ihn Drehschwindel piesackte, erklärte die ominöse Nachricht für gefälscht. Beriefen sich Monarchen auf Heckers und Struves Autorität, sei es um ihre eigene offenbar schlecht bestellt. Außerdem heiße man nur Struve! Ohne von!
»Ach so. Aber nein. Wer sollte denn so etwas tun? Gescheite in Frankfurt kümmern sich um alles. Warum Arbeit doppelt verrichten? Auf Wiedersehen, Herr ohne von Struve, gute Reise.«